Deutschlands Nachwuchsstar Blaubeerina singt die Ballade vom Blumenkübel
Die Ballade vom Blumenkübel
Heimlich lauern böse Buben
Nachts vor dem Antoniusheim
Wo in klein karierten Stuben
Alte Leute schlafen fein.
Voller Arglist und mit Tücke
Greifen sie im Dunklen an:
Blumenkübel bricht in Stücke!
Und es fängt ein Drama an.
Denn der arme Blumenkübel
Haucht damit sein Leben aus,
Und die Quelle von dem Übel
Sitzt daheim und lacht ihn aus!
Blumenkübel ist jetzt tot
Neuenkirchen ist in Not!
Ach, wer brachte dieses Übel
Über einen Blumenkübel?
Tief erschüttert vom Geschehen
Zieht die Presse vor das Haus
Und beschreibt das Kampfgeschehen
Macht ne Kübel-Story draus.
Kurz darauf entfacht auf Twitter
Wo das Drama Wellen schlägt
Blumenkübel ein Gewitter,
Das die Nachricht weiter trägt.
Bald rührt sich das Weltgewissen
Und es filmt der WDR
Springt empor vom Schlummerkissen
Breitet aus die Kübelmär.
Blumenkübel ist jetzt tot
Neuenkirchen ist in Not!
Ach, wer brachte dieses Übel
Über einen Blumenkübel?
Bürgerwehr und Staatsgewalt
Jagen die Täter ohne Rast
Und so sitzen sie wohl bald
In Neuenkirchen fest im Knast
Wollen wir die Kübel nutzen
Uns am Blumenschmuck erfreun
Müssen wir sie aktiv schützen
Blumenkübeln dankbar sein!
Blumenkübeln dankbar sein!
dankbar sein
dankbar sein
Autorin Krystyna Schawaller aka Sarna hat aus dem Thema einen lustigen kleinen Sketch entwickelt, den es bei freiem Eintritt täglich im KLEINEN BLOGTHEATER zu sehen gibt.
Das Avant-Avantgarde-Magazin Das Dosierte Leben rief seinen „inneren Zirkel“ auf, die Zeitschrift auf dem entspannenden Weg zum Schmetterling zu begleiten und eine Kleinigkeit zum Stichwort Metamorphose beizusteuern.
Als getreuer Innerzirklist eilte ich darauf umgehend in den Palastgarten, um mir ein paar hochlyrische Zeilen abzuringen. Dort wurde ich von einem freundlichen Tagpfauenauge begrüßt, das sich am Sommerflieder delektierte und dabei ablichten ließ.
Die auf einen Zeitungsrand gekrakelte Ode wurde umgehend vom prinzlichen Postamt an den herausgebenden König der Dosen per Elektrobrief gesandt. Seine Prächtigkeit stopfte die epochalen Verse mit einem »Manifest der Arroganz«, einer Prise New Rave-Kultur und einem Quantum Dosenrevival in sein neuestes Heft, das PENG! auf meinem Tisch landete.
Dieses abwechslungsreiche, kreativ gestaltete und jedem Freund von Dada und Absurdem ans Herz gelegte Heft wiederum motivierte mich, meine gereimte Apokalypse eines Schmetterlings ausserdem noch auf meinen Tuben-Kanal zu stellen..
Das Dosierte Leben Avant-Avantgarde-Magazin
15. Jahrgang Ausgabe 83 6,12
c/o Jochen König Dr.-Weiss-Strasse 3/5 69412 Ebersbach
Ist dir, lieber Leser, dieser Text etwas wert, und wenn ja: wie viel? Werde ich dafür in der neuen Währung Aufmerksamkeit mit vielen Klicks bezahlt? Werde ich mit Kommentaren belohnt? Oder gibt es künftig sogar echtes Geld dafür genau so, wie es der Fall wäre, wenn ich diesen Artikel in der Holzpresse veröffentlichen würde?
Im Internet gibt es eine lebhafte Diskussion darüber, wie Online-Journalisten und Verlage Geld verdienen können. Dabei wird versucht, den anfangs gewählten Weg, alles gratis anzubieten, peu a peu wieder rückgängig zu machen.
So versucht seit einigen Monaten der Axel-Springer-Verlag, ausgewählte Artikeln nur denjenigen Lesern zugänglich zu machen, die auch bereit sind, dafür zu zahlen. Frankfurter Rundschau, Berliner Zeitung und andere Tageszeitungen wollen bald folgen. Der Medienkonzern Bertelsmann steht vor der Eröffnung eines Online-Kiosks, bei dem Periodika und Bücher in digitaler Form erworben werden können.
Spiegel und Blogs liefen kostenfrei Content
Im Gegensatz dazu liefert Spiegel online seit 15 Jahren gratis hochwertigen Inhalt und will an dieser Politik weiterhin festhalten. Von den deutschen Bloggern hat es bislang noch keiner gewagt, eine Bezahlhürde zu errichten, es wird weiterhin zum Nulltarif geliefert.
Doch gibt es in Zeiten der Geiz-ist-geil-Mentalität überhaupt Leser, die in die Tasche greifen würden, um Autoren für ihre Arbeit zu belohnen? Lediglich neun Prozent aller deutschen Internetuser sind nach einer Studie des Wall Street Journal Europe bereit, für Online-Inhalte zu zahlen. Und dabei gilt wiederum als Faustformel: je spezieller und hochkarätiger der Inhalt, desto größer die Bereitschaft, den Autor dafür zu entlohnen.
Ein Versuch: Autoren-Netzwerk Suite101
Das Anfang 2008 für Deutschland gegründete, schnell wachsende Autoren-Netzwerk Suite101.de hält inzwischen mehr als 30.000 deutschsprachige Artikel vorrätig, die kostenlos gelesen werden können. Über 750 aktive Autoren erreichen mehr als zwei Millionen Leser (Unique Visitors) monatlich, und einige dieser Netzjournalisten hoffen, mit ihren Artikeln ihr tägliches Brot verdienen zu können.
Die Autoren sind nämlich mit einem Bruchteil an den Einnahmen beteiligt, die durch das Klicken der Leser auf die eingeflochtenen Werbeanzeigen erzielt werden. Tatsächlich gibt es bisher nur sehr wenige Autoren, die mehr als einhundert Euro pro Monat erzielen. Deren Artikel behandeln Mainstream-Themen bzw. aktuelle Themen, die oft gegoogelt werden (in der Vergangenheit beispielsweise Schweinegrippe).
Dabei ist die häufige Lektüre kein Garant für entsprechende Tantiemen, denn nur, wenn der Leser auch die Werbung anklickt, wird der Autor belohnt. So liegen meine eigenen Tantiemen bei Suite101.de aktuell bei 1,96 je 1.000 Seitenaufrufe. Der Historiker und Suite101-Autor Wolfgang Schwerdt, der zu den 100 meistgelesenen Autoren zählt, meint dazu: Trotz meiner für meinen Themenbereich vergleichsweise exorbitanten
Leserbeliebtheit lag ich in der Vergangenheit immer recht knapp über dem monatlichen Auszahlungsbetrag ( 10,-/Monat R.F.), in den letzten Monaten wieder darunter. Der eigentliche Gewinner bleibt also Suite101.
Was ist Flattr?
Lukrativer scheint da the new big thing namens Flattr. Die Plattform Flattr (auf deutsch: schmeicheln) versucht, einen Königsweg zu gehen. Jedem wird die Möglichkeit eingeräumt, einen Button in eigene Beiträge einzubinden, auf den zahlungswillige Leser freiwillig klicken können. Diese müssen allerdings zuvor ein Guthaben bei Flattr einzahlen und ein monatliches Budget festlegen, um flattern zu können. Ausgeschüttet wird dann das jeweilige Monatsbudget dividiert durch die Zahl der in dem entsprechenden Monat geklickten Beiträge.
Die Nutzung des flattr-Buttons ist vollkommen freiwillig und kann auch anonym erfolgen. Die Lektüre der mit einem derartigen Spendenknopf versehenen Beiträge ist selbstverständlich auch weiterhin für jeden kostenlos möglich. Nach aussen ändert sich also nichts, es kommt lediglich ein kleiner Button unter den jeweiligen Artikel.
Selbstversuch bei Flattr
In Zusammenarbeit mit Kolumnen.de und dem Dada-Blogger Merzmensch habe ich den Dienst im Juli 2010 getestet und dazu 10,00 in Flattr investiert. Davon wurden nach Abzug der PayPal- und Flattr-Gebühren 8,22 an die Autoren der von mir angeklickten Artikel ausgekehrt.
Auf meiner Einnahmen-Seite steht im Juli ein Gesamthonorar von 6,37. Das sind die Erlöse aus den Klicks meiner Leser. Allerdings habe ich den seltsamen Button, der unter meinen jüngsten Einträgen steht, bislang weder erklärt noch umworben. Die Einzigen, die also bislang „verdient“ haben, sind PayPal und Flattr (so gesehen eine gute Geschäftsidee), und sie verdienen umso mehr als weitere Leute mitmachen.
Nennenswerte Erlöse
Testläufe in größerem Umfang brachten wesentlich bessere Ergebnisse. So erlöste die TAZ im Monat Juli durch Flattr erstaunliche 1.420, das entspricht 46 pro Tag und einen Zuwachs um 40 Prozent gegenüber dem Vormonat. Der Law Blog generierte im Juli 265,78. Im Juni veröffentlichten die Top Ten unter den deutschen Blogs, die das Micropaymentsystem nutzen, ihre Ergebnisse, und die können sich durchaus sehen lassen. Und natürlich gibt es inzwischen auch schon die Flattr-Charts.
Hat Flattr Zukunft?
Ob Flattr tatsächlich Zukunft hat, wird sich rasch entscheiden. Gelingt es dem Dienst nicht, sich in kurzer Zeit in der Blogosphäre und darüber hinaus durchzusetzen, dann kommt ein stärkerer Anbieter, der vielleicht ein unkomplizierteres Bezahlmodell entwickelt und weniger Gebühren verlangt. Hier kommt derzeit vor allem Facebook in Frage, das mit dem automatischen Gefällt mir-Button unter jedem Beitrag bereits ein System nutzt, das sich im Handumdrehen in ein freiwilliges Bezahlungssystem weiterentwickeln lässt.
Das ist der Flattr-Button für diesen Blogeintrag. Um den Artikel zu flattern, musst du ein kostenloses Konto eröffnen.
Das Drama von Duisburg schlägt seit den grausigen Ereignissen vom 24. Juli 2010 im Netz enorme Wellen: Nachrichtensender, Blogs, Foren, YouTube und Twitter spüren ein deutlich erhöhtes Kommentaraufkommen zum Thema. Das Bedürfnis schafft sich ein Organ, und dessen Name hat acht Buchstaben: I – n – t – e – r – n – e – t. Tausende beschäftigen sich auf allen Kanälen mit dem grausigen Ende der Loveparade.
Jeder Einzelne hat seine Form des Umgangs mit solch schrecklichen Nachrichten wie jenen von mittlerweile 21 Toten und über 500 Verletzten in Duisburg. Doch kaum einer, der Betroffenheit zeigen möchte, zieht sich in sein inneres Schneckenhaus zurück. Es wird der Austausch, das Gespräch, das öffentliche Nachdenken und Gedenken gesucht. So ist jedenfalls mein Eindruck nach einer weiten Wanderung durchs Web.
Während ein erkennbar großer Teil der Gemeinde ihrer individuellen Trauer Ausdruck verleiht und Mitleidsgrüße sendet, beschäftigt sich eine deutliche Zahl von Bloggern und Netzjournalisten grundsätzlich mit den aktuellen Geschehnissen. Augenzeugen schildern ihre Erlebnisse, hunderte Fotos und Videos von der Schreckensstätte werden publiziert, Wissenschaftsblogger befassen sich intensiv aus ihren Blickwinkeln mit dem Thema. Sie alle machten die Loveparade bei aller Tragik zum künftigen Vorzeigemodell für aktuellen Online-Journalismus und die Überlegenheit digitaler Medien gegenüber der Holzpresse.
Die anfangs mit hohem Aufwand zusammengestellte Parade begann 1989 als farbenfroher und ausgelassener Karnevalsumzug in West-Berlin, dem von den Gehwegen aus zugeschaut werden konnte, wenn man nicht auf und um die geschmückten Fahrzeuge tanzen wollte. Aufgrund der nach dem Mauerfall auch aus dem Umland hereinbrechenden Menschenmengen, die an einer Massenorgie teilnehmen wollten, war bald vom Ursprungsgedanken nichts mehr sichtbar.
Kamen im ersten Jahr maximal 200 Leute, wurde die Loveparade inzwischen mit 1.600.000 Besuchern zur größten Tanzveranstaltung der Welt aufgeblasen.
Bei einer Veranstaltung dieser Größe sind viele satte Millionen zu verdienen, und die ausführenden Städte bekommen zusätzlich zu ihren Einnahmen kostenlose Megawerbung in allen Medien. Von der Stadtverwaltung über den Veranstalter bis hin zum einzelnen Bierverkäufer schauten alle in hungriger Vorfreude auf die zu erwartenden Menschenmassen. BILD, Oliver Pocher und auch der kleinste Drogendealer rieben sich erwartungsvoll die Hände und sperrten ihre Hosentaschen weit auf: Taschen, an denen jetzt Blut klebt!
Es gab im Vorfeld der Veranstaltung hunderte öffentliche Warnungen, vor allem in lokalen und überregionalen Leserbriefen, die sich im Nachhinein wie düstere Vorhersagen lesen. Außerdem rechneten die Verantwortlichen im Vorfeld mit weit mehr als eine Million Besuchern. Dennoch wählten sie nach der Devise »No risc, no fun« eine Örtlichkeit, die in Bezug auf die Erwartung knapp oberhalb der Größe eines Hühnerstalls lag. Waren tatsächlich, wie einige Blogger vermuten, Tote als »Kollateralschaden« fest mit eingeplant?
Ob explodierende Ölinseln oder Massenaufmärsche: Die großen Verdiener nehmen sich allesamt wenig. Sie missachten Warnungen und schalten Stopp-Signale aus, um ihre Idee durchzusetzen. Nackte Gier bestimmt ihr Handeln und damit auch das Geschehen. Nun hat es mal richtig gekracht, und das ist weit heftiger als ein kleiner Betriebsunfall Das ist eine der wesentlichen Erkenntnisse, die sich aus dem Drama von Duisburg ziehen lässt.
Die lange Odyssee des Lügenmuseums
Nach jahrelangem Rechtsstreit wurde das Lügenmuseum im brandenburgischen Gantikow zum 22. Juli 2010 fristlos gekündigt. Das Gutshaus, in dem das Museum 20 Jahre lang residierte, musste nach einer Fristverlängerung bis zum 31. Oktober 2010 besenrein geräumt werden. Das von dem Künstler Reinhard Zabka geführte Museum hatte sich mit seinen ungewöhnlichen Präsentationen und Aktionen in den letzten Jahren zu einem Publikumsmagneten in der Region entwickelt. Zwanzig Jahren lang konnten die Besucher erleben, wie Zabka an diesem Lügenmuseum arbeitete und seinem Leitspruch folgte: Ziele nach dem Mond, selbst wenn du ihn verpasst, wirst du zwischen den Sternen landen. Inzwischen hat das Lügenmuseum einen neuen Standort in der Kötzschenbrodaer Strasse 39, 01445 Radebeul, gefunden. Aber auch hier wollen die Kulturpolitiker lieber »repräsentative« Kunst statt einen Ort ungestümer Kreativität. Die Odyssee scheint damit noch nicht zu Ende …
Die Ostprignitz nordwestlich von Berlin birgt Namen aus der Schatzkarte von Theodor Fontane: Die Ortschaft Ribbeck findet sich dort, Sitz derer von Ribbeck und heute noch Standort des viel zitierten Birnbaums. Nachfolger des berühmten Landadeligen sind wieder in den verschlafenen Flecken gezogen und vertreiben Birnenschnaps. Schloss Rheinsberg, das in der DDR-Zeit verdiente Ausgebrannte des Volkes beherbergte, übte schon Anziehungskraft auf Kurt Tucholsky aus. Heute laden über 50 Festsäle und Kabinette, darunter der Muschelsaal, zu einer Reise in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts ein. Und in Kampehl lockt seit Jahrzehnten eine der unheimlichsten Mumien der Welt, der mumifizierte Ritter Kahlbutz mit seiner schrägen Geschichte. Damit ist das Potpourri an bekannten Sehenswürdigkeiten allerdings bereits weitgehend erschöpft. HIER geht es weiter →
Leibesübungen schreckten mich schon in jungen Jahren ab. Lieber bewege ich mich genussvoll im Schildkrötentempo und reime Sport auf Mord. Denn damit lässt sich bequem leben. Fatal und mitunter peinlich ist jedoch, wenn ich Namen, Zahlen und Ereignisse verquirle und vergesse. Das sind die grauen Schatten des Älterwerdens. Besonders eingefleischte Sportfans reagieren komisch, wenn ich unvorsichtig genug bin, an ihren Fachsimpeleien teilzunehmen und dabei Müll erzähle.
Um mich in bewegten Fußballzeiten nicht als unfähigen Trottel dastehen zu lassen, schult die Frau an meiner Seite mein Namensgedächtnis. Mit ausgefeilten Mitteln und Methoden der weiblichen Pädagogik versucht sie, mich anzutreiben und meine kleinen grauen Zellen zu trainieren. Dabei nutzt sie aktuelle Ereignisse wie die Fußballweltmeisterschaft.
Leider bin ich an diesem Thema kaum interessiert. Entsprechend freudlos leiere ich Namen von Fußballern der deutschen Nationalmannschaft herunter und platze fast vor Stolz, dass ich wenigstens einige auf die Reihe bekomme: „Klose – Mertesacker – Schweinsteiger“.
Bastian Schweinsteiger ist dabei mein besonderer Liebling, weil ich mir seinen Namen leicht merken kann. Andere Spieler tragen deutsche Allerweltsnamen: „Friedrich – – – Müller“, oder war es Schneider, der Mittelfeldspieler der WM 2006? Egal. Hauptsache, Müller stimmt.
Uff! Fünf Namen habe ich bereits zusammen. Ich finde das viel und hoffe, mir diese Spieler ein paar Tage lang, wenigstens bis zum Ende der Meisterschaft, merken zu können. Doch statt des erwarteten Lobs und herzlicher Liebkosung hagelt es Tadel: „Das sind erst fünf Namen. Gib dir mehr Mühe!“
Podolski läuft mir noch über den geistigen Rasen, dann ist endgültig Schluss. Jetzt sind es immerhin schon sechs Namen. Doch da winkt ein Licht am Ende des Tunnels: die Eselsbrücke als geniale Gedankenstütze der Spracharchitektur hilft weiter. „Wie heißt der Kleine, der hinkt“, lockt die Trainerin, und spontan fällt mir ein weiterer Name ein: „Das ist Lahm! Der Mann heißt Lahm. Philipp Lahm!“
Auf diese Art und Weise lerne ich mühsam die Spielernamen der deutschen Elf auswendig. Damit bin ich gewappnet, falls mich jemand aktuell auf die Weltmeisterschaft anspricht. Das scheint mir allerdings schwer vorstellbar, denn das Wenige, was ich vom Fußball weiß, ist in dürren Worten zusammengefasst: Zehn Leute jagen einem Lederball hinterher und rempeln dabei gegnerische Spieler, bringen sie zu Fall, behindern, sperren und foulen sie. Ein elfter Kerl steht in einer Art großer Korbfalle, rennt bullig hin und her, und versucht auf diese Weise zu verhindern, dass der Ball in sein Netz rollt. Hält er das Leder nicht, brüllen alle Zuschauer „Tooooor!“, tröten, ratschen, hupen, schwenken Nationalflaggen und verschütten Bier.
Natürlich weiß ich, dass jeder einzelne Spieler sehr viel mehr kann als Salto schlagen und Gras fressen: neben dem Gedächtnistraining unterrichtet mich meine Traumzauberfee in Strategie und Taktik, und ich verstehe bereits ansatzweise, welchen Mustern eine Mannschaft folgt. Wenn es so weiter geht, ziehe ich ernsthaft in Erwägung, zum Public Viewing oder auf eine Fanmeile zu gehen. Ich kenne schließlich die Namen der Hauptdarsteller, und das ist mehr, als ich von mancher Theateraufführung, die ich besucht habe, sagen kann.
Ausgesprochen gemein finde ich in diesem Zusammenhang, dass wichtige Spieler ständig ausgewechselt werden. Als ich auf die Frage nach dem Torhüter wie aus der Pistole geschossen „Oliver Kahn“ sage, trifft mich ein wehmütiges Lächeln. „Den hast du vor vier Jahren auswendig gelernt, aber der spielt nicht mehr mit.“ Dumm gelaufen. „Dann ist es vielleicht Lehmann“? Abseits! Herr Lehmann hat sich zur Ruhe gesetzt.
Ich blinzele in den Fernseher und sehe ein gelbes Männlein im Tor, das sich unerschrocken den Bällen der gegnerischen Mannschaft entgegen wirft. Kahn ist das nicht, der sitzt in einem Glaskasten und schaut zu. Das ist ein für mich Neuer, und er heißt zu allem Überfluss genau so: Manuel Neuer!
Als die Stadionkamera ins Publikum schwenkt, kommt mir ein Gesicht bekannt vor. „Ballack, da sitzt Ballack,“ trompete ich stolz. Seinen Namen hatte ich mir bei der letzten WM eingetrichtert, um glänzen zu können; leider spielt der Mann diesmal nicht mit. Ein Spieler namens Boateng hat ihm übel mitgespielt und seinen Knöchel lädiert. Boateng? Dieser geheimnisvolle Name taucht gleich in zwei WM-Mannschaften auf! Wie soll ich die Boateng Brothers jemals auseinander halten, und wer von ihnen tat Ballack Böses?
Muss ich mir überhaupt Namen wie „Boateng“ und „Cacau“ merken? Lohnt sich das? Bis zur nächsten WM in vier Jahren werden die doch bestimmt ebenfalls ausgewechselt, und dann stehe ich mit meinem Halbwissen so dumm da wie zuvor. Nur Miroslav Klose betrachte ich in diesem Zusammenhang als alten Kumpan, der mir beständig die Treue hält.
Für mein schlechtes Gedächtnis wäre es jedenfalls optimal, die Spieler nur noch langfristig einzusetzen. Dann könnte ich mit Namen punkten und würde locker elf zusammen bekommen. Nützlich wäre auch, wenn die Spieler nicht beliebig austauschbar wären sondern eigene Persönlichkeiten entwickelten. Ein lustiger Kerl wie der aus dem damaligen Jugoslawien stammende Torwart Radi Radenkovic ist mir allein deshalb in Erinnerung geblieben, weil er mit seinem Schlager „Bin i Radi, bin i König“ meine Jugend begleitete.
Auch der seinerzeit umjubelte Mittelstürmer Uwe Seeler und Brasiliens Fußballgott Pelé, der immerhin dreimal Weltmeister war, haben sich in meine Festplatte eingebrannt, und ich erkenne Ex-Superstar Diego Maradona. Die „Hand Gottes“ steht zwar inzwischen gebrochen am Rand und würde am liebsten selbst aufs Spielfeld laufen, aber ich erinnere seinen Namen. So freue ich mich, dass mein durchlöchertes Gedächtnis wenigstens ein paar wichtige Fußballernamen ausspuckt, darunter den Spieler, der (namentlich) hinkt.
Im Nachtschlaf wälze ich mich schweißnass in weichen Kissen und fiebere von König Fußball und seinen Mannen. Da hinkt ein kleiner Mann im schwarzen Trikot mit seinem Ball direkt auf mich zu. Ist das Seeler, ist es Pelé oder gar Maradona? Himmel, wer ist denn dieser blonde Junge? Schon kommt er näher, aus Traumnebeln löst sich ein Name, und es sprudelt aus den tiefsten Katakomben meines Erinnerungsvermögens: „Das ist Lahm. Lahm! Phillip Lahm!!“
„Echte“ Chinesen in Glucks Oper „Le Cinesi“ Foto: Ruprecht Frieling
Bereits in der Ouvertüre der Barockoper irritiert ein blechernes Scheppern. Ging im Eifer des Gefechts ein Becken zu Boden? Gab es einen Unfall im schmalen Orchestergraben des Potsdamer Schlosstheaters? Wurde vielleicht ungenügend geprobt? – Und schon wieder scheppert und schnarrt es im Takt der Barockmusik … das ist doch keinesfalls Glucks Oper „Le Cinesi“ pur, das ist doch die Pentatonik einer PEKINGOPER!
Bei genauerem Hinhören werden klassische chinesische Instrumenten deutlich, die das Barockensemble „L´arte del mondo“ verstärken. Erregt werden Trommeln und Cymbals geschlagen, Bambusflöte und Erhu, die chinesische Geige, erklingen. Im Publikum taucht bald darauf eine in farbenprächtigen Brokat gekleidete chinesische Sängerin auf und dehnt mit einer ungewöhnlich hohen Stimme Worte, die wie Tautropfen eine endlos scheinende Tonleiter hinunter perlen. Welch Glück, dass das Stück übertitelt ist, denn so überwinden sowohl das Publikum als auch die europäischen Sängerinnen die Sprachbarriere und verstehen, was gesungen wird. Aber gehört das alles wirklich zu Glucks Originaloper?
Christoph Willibald Gluck (1714–1787) war ein fleißiger Komponist: 50 Opern und viele weitere Musikwerke flossen aus seiner Feder. Sein 1754 uraufgeführter Einakter „El Cinesi“ fußt auf der Chinamode der damaligen Zeit: Ein Chinese dringt in ein chinesisches Frauengemach ein. Da er sich vor Einbruch der Nacht nicht ungesehen davonmachen kann, beschließen er und die drei Frauen, sich europäisches Theater vorzuspielen, denn der junge Herr ist gerade von einer Studienreise zurückgekommen. Die „Chinesinnen“ treten gegeneinander an. Jede von ihnen möchte eine „europäische“ Spielart des Musiktheaters ausprobieren. So folgen auf Tragödie, Schäferspiel (Pastorale) und Komödie als hintersinniger Sängerstreit um die Zuneigung des männlichen Eindringlings.
Glucks hochartifizielle Chinoiserie entsprach einer Richtung der europäischen Kunst, die besonders im 18. Jahrhundert populär war und dem Exotismus frönte. Das von Marco Polos Reisen geprägte Chinabild stellte gern die vermeintliche heile Welt der Riesenreiches dar, dessen Bevölkerung angeblich literarisch und philosophisch hoch gebildet war. China ziere „gleichsam wie ein Europa des Ostens das entgegengesetzte Ende der Erde“ formulierte der Leipziger Philosoph Leibniz.
An dieser Stelle steigen der deutsche Komponist Karsten Gundermann und der chinesische Librettist Kui Sheng in den Ring. Sie nutzen einen Kunstgriff, um die musikalischen Welten Europas und Chinas zusammen zu führen. Die beiden setzen chinesische Musiker mit landestypischen Instrumenten zum Ensemble in den Orchestergraben und stellen zwei Sänger der Pekingoper mit auf die Bühne. Diese interagieren und antworten mit Gesang, Tanz, Akrobatik und Kampfkunst auf die Darbietungen der Europäer.
Auf Lisingas (Kremena Dilcheva, Mezzosopran) Tragödienspiel antwortet der chinesische Sänger Li Yangming mit der Heldenarie „Lin Zhong rennt durch die Nacht“. Sivene (Barbara Emilia Schedel, Koloratursopran) und Silango (Krystian Adam, ein Tenor mit komödiantischer Begabung), die ineinander verliebt sind, führen ein Schäferspiel auf, worauf die chinesische Sängerin Jia Pengfei ein frommes Lied von der Himmelsgöttin anstimmt und mit einem farbigen Schal Blüten vom Himmel regnen lässt. Tangia (Milena Storti, Mezzo), die ebenfalls ein Auge auf Silango geworfen hat, macht sich schließlich in einer Komödie über die beiden Verliebten lustig, und im Ergebnis finden sich alle im Tanz wieder.
In diesem Wechselspiel von Glucks Original Opernserenade und eingebauten historischen Originalstücken aus der Welt der chinesischen Oper wird spürbar, wie unendlich unterschiedlich das Verständnis von Inhalt und Form zwischen West und Ost ist. Gleichzeitig wird erlebbar, dass die beiden Welten durchaus miteinander kommunizieren können, denn auch in der chinesischen Oper geht es um Leben und Tod, um Liebe und Leid, um Unglück und Glück, um Mythen, Sagen und Geschichten.
„Le Cinesi“ ist ein wundervoll gelungenes Experiment, eine Fusion zwischen zwei Opernkulturen, die unterschiedlicher kaum vorstellbar sind. Es grenzt an ein Wunder, dass dieses Wagnis von einer relativ kleinen Mannschaft anlässlich der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci eingegangen wurde. Meisterhaft ist, dass die beiden Teams nur eine Woche für gemeinsame Proben hatten, wenn man die insgesamt stimmige Choreographie wie die Akribie jeder Bewegung, jeder Geste, jeder Pantomime aller Akteure erlebt. Diese Inszenierung bleibt im Gedächtnis haften, weil ihr jede Beliebigkeit ebenso fehlt wie der abgedrehte Anspruch „moderner“ Opernregisseure.
Mit diesem „Glucksgriff“ ist den Potsdamer Festspielen ein Augen- und Ohrenschmaus gelungen, auf den das hingerissene Publikum mit ausdauernden Beifallsstürmen antwortete.
Der britische Komponist Gustav Holst (1874-1934) ist Musikliebhabern als Schöpfer der Planetensuite vertraut. Diese mächtige Komposition für großes Sinfonieorchester nutzten junge Leute in den Siebzigern gern zur musikalischen Untermalung psychedelischer Erlebnisreisen, und auch die moderne Popmusik (beispielsweise die englische Rock-Gruppe Emerson, Lake & Powell) adaptierte Teile der einstündigen Tondichtung.
Holst hat indes viel mehr klangfarbenfrohe Musik geschrieben als diesen, den sieben seinerzeit bekannten Planeten unseres Sonnensystems gewidmete, astrologisch beeinflusste Sternzeichenmusik. Bereits im siebten und letzten Planeten-Satz, der den mystischen Neptun beschreibt, kommt ein sechsstimmiger Frauenchor zum Einsatz. Den Chor nutzte der Komponist als Instrument und band ihn in das Orchester ein.
Künftig spielte der Chor eine tragende Rolle in seinem Werk. Deutlich wird das an der dreißigminütigen Kammeroper Sāvitri, die er im Anschluss an die Planetensuite schrieb. Holst fiel ein Buch über die Heiligen Schriften der Inder in die Hand, er geriet darauf in einen Indien-Rausch und erlernte Sanskrit, um direkt die Weisheit des Subkontinents aus den Quellen schöpfen zu können. 1916 schrieb und komponierte er die Kammeroper Sāvitri nach einer Episode aus dem Mahabharata, dem Nationalepos der Inder.
Der Einakter für drei Sänger, zwölfköpfiges Kammerorchester und wortlosen Chor schildert, wie die schöne Sāvitri den Todesgott Djamal überlistet, um ihren Gatten, den Holzfäller Satyavān zu retten. Der für neue Wege im Musiktheater stehende Holst wollte das Stück außerhalb von Opernhäusern aufführen, am besten im Freien oder in kleinen Gebäuden. Das Rundfunkorchester Berlin unter Chefdirigent Simon Hasley nahm sich nun des selten aufgeführten Kleinods an und verlegte es in den sagenumwobenen Berliner Techno-Tempel Berghain.
Angeregt durch die regelmäßig hier stattfindende Yellow Lounge des Musiklabels Deutsche Grammophon/Universal entschied sich Hasley, die Aufführung in dem ehemaligen DDR-Heizkraftwerk mit Darkrooms und einem 18 Meter hohen Dancefloor stattfinden zu lassen.
Begleitet von sphärischen, zwischen Hymnen und Kelten-Folk angesiedelten Gesängen des Berliner Rundfunkchors, der schwarz gewandet voranschritt, bewegte sich das Publikum über ein eisernes Treppenhaus in das Innere des Clubs. Dort gingen die drei Solisten Susan Bickley als stimmstarke Sāvitri (Mezzosopran), Christopher Gillett als Satyavān (Tenor) und Konrad Jarnot als Todesgott (Bariton) gemessenen Schrittes zwischen den Zuhörern umher und erstiegen eine schlanke gusseiserne Feuertreppe, von der sie ihre Parts sangen.
Auf Podien aus Kabeltrommeln bewegten sich drei Schlangenmenschen. Nach einer auf die Musik fein abgestimmten Choreographie von Regisseur Lars Scheibner übersetzen diese Akrobatinnen die Stimmungen der Musik in Bewegungsabläufe. Ihre Leistung wurde im Berghain durch ausgefeilte Lichttechnik sichtbar, während der Chor seinen sphärisch-sinfonischen Singsang durch den nahezu stockfinsteren Raum fließen ließ und eine mystisch-transzendente Stimmung schuf.
Es mag darüber gestritten werden, ob ein Szene-Club der angemessene Ort für die Darbietung einer Kammeroper ist. Unübersehbar aber wurden Menschen von der Veranstaltung und/oder der Örtlichkeit angezogen, die nie zuvor ein Opernhaus betreten haben. Simon Halsey und der Rundfunkchor Berlin mit seinen 64 fest angestellten Berufs-Sängerinnen und Sängern haben mit der Aufführung dieses dramatisch-psalmodierenden Werks in einem auch akustisch schwer zu beherrschenden Raum eine eindrucksvolle Grenzüberschreitung gewagt, die Respekt verdient.
Gleich gegenüber der Oper Frankfurt lacht der Euro als Monumentalplastik dem Steuerzahler frech ins Gesicht, während sich drinnen der Vorhang hebt zum ersten Abend der Tetralogie von Richard Wagners Ring des Nibelungen. Im »Rheingold« wird erzählt, wie die Gier nach Geld und Gold aus dem Urschleim der Geschichte gewoben wird und unaufhaltsam die Welt vergiftet.
Regisseurin Vera Nemirova inszeniert die Parabel um Liebe und Gold indes als sphärisches Märchen aus einer anderen Galaxie. Sie vermeidet jeden Bezug zu den geldgeilen Kraken von Krankfurt, die in den umliegenden Glitzertürmen die Welt ins Wanken bringen. Ihre Rheintöchter, Zwerge und Götter spielen auf fünf kreisenden Saturnringen (Bühnenbild: Jens Kilian). Werktreu erzählt sie die Geschichte von den Rheintöchtern Woglinde, Wellgunde und Floßhilde, die den um ihre Zuneigung werbenden Zwerg Alberich verspotten und ihn schließlich auf die Idee bringen, die Liebe zu verfluchen, das Rheingold zu stehlen und daraus den Ring der Macht zu schmieden.
Göttervater Wotan nimmt derweil den Bau seiner Götterburg Walhall ab, die ihm die Riesen Fasolt und Fafner auftragsgemäß errichtet haben. Als Lohn versprach er den Bauleuten Freia, die Göttin der Liebe, die in ihrem Garten die Äpfel der ewigen Jugend züchtet. Als er jedoch zahlen soll, widersetzt sich Wotan, es kommt zu heftigem Streit mit seinen Lieferanten, den auch die zur Hilfe eilenden Götter Donner und Froh sowie Halbgott Loge nicht schlichten können. Als Loge jedoch vom Rheingold berichtet, um dessen Rückgabe die Rheintöchter Wotan bitten, wird ihre Gier geweckt und sie willigen ein, Freia (und damit die Liebe) gegen den Schatz zu tauschen.
Wotan steigt darauf mit Loge in die Unterwelt, in der Alberich die Nibelungen mittels des mächtigen Ringes zwingt, seinen Reichtum zu mehren. Er unterwirft den Dieb und raubt den Hort. Urmutter Erda, mit der Frauenheld Wotan die Walküren zeugte, taucht aus dem Erdinneren auf und prophezeit das Ende der Götter: die Götterdämmerung.
Die Riesenbrüder Fasolt und Fafner werden mit dem Rheingold ausbezahlt. Sie fordern und bekommen auch den magischen Ring, den Wotan gern behalten möchte. Dessen Fluch geht auf die Erbauer von Walhall über: Fasolt erschlägt Fafner und bemächtigt sich des Schatzes. Die Götter beziehen schließlich ihren neuen Wohnsitz, während Wotan bereits Pläne schmiedet, wie er den Fluch des Goldes und damit den von Erda verheißenen Lauf der Geschichte abwenden kann
In Nemirovas Inszenierung mutieren die Götter zum Schluss in Salonlöwen, die ins Publikum gehen und diese quasi in das Spielgeschehen einbeziehen. Während sie sich gegenseitig mit Champagner zuprosten und ihr neues Domizil feiern, fällt der Vorhang. Dies ist einer der wenigen Szenen, in der die Regisseurin eigene Ansätze zeigt, die über das konventionelle Erzählen hinausgehen.
Ansonsten sind es inszenatorische Zugaben, die aber seltsam ungereimt bleiben: Mal tauchen vier weitere Riesen zur Verstärkung von Fasolt und Fafner auf, die beim Abtransport des Goldes (wo sie wirklich gebraucht werden könnten) wiederum fehlen. Als die Göttin der Jugend verschleppt wird, sieht man die Vision der Götter, die sich gebeugt und greis über die Bühne schleppen; diese Szene wiederholt sich später beim Einzug in Walhall, wobei Freias jüngendes Obst längst wieder auf dem Speiseplan steht und die Gefahr des Alterns abgewendet ist. Alberichs Verwandlung in einen Furcht erregenden Lindwurm wird pantomimisch mit farbigen Handschuhen dargestellt und geriert zum Kasperletheater.
Was der Regie an Einfällen fehlt, macht die Musik locker wett: Musikalisch ist das Frankfurter Rheingold umwerfend. Sebastian Weigle bändigt das Opernorchester und beherrscht die monumentale Musik Wagners. So werden sowohl die insgesamt sechs Harfen hörbar, auch die Streicher entfalten ihren schimmernd seidigen Klang selten gleichberechtigt neben dem dramatisch tönenden Blech. Das behutsam aufsteigende Orchestervorspiel mit seinen 136 langen Takten Es-Dur macht den Atem stocken. Leider setzt sich bereits im Vorspiel die tonnenschwere Bühne vollkommen unnötig ächzend und stöhnend in Bewegung und stört den Zauber.
Stimmlich ragen Alberich (Jochen Schmeckenbecher), Wotan (Terje Stensvold) und Loge (Kurt Streit) hervor. Die Sänger müssen diesmal – wie häufig bei Wagner-Opern – nicht gegen die Klangwut aus dem Graben kämpfen, Weigles Dirigat lässt ihren Stimmen Raum, sich differenziert auf ihre Rollen einzustellen.
Im Ergebnis ist der Start des dritten Frankfurter Ring-Zyklusses ein musikalischer Genuss. Die Chance, vor der Kulisse der Frankfurter Banken einen zeitgemäßen oder aktuellen Ansatz zu suchen, wurde hingegen vertan. Ende Oktober 2010 wird Vera Nemirova mit der Walküre den zweiten Abend von Wagners monumentaler Kapitalismus-Kritik präsentieren.
Einen musikalischen Eindruck vom philharmonischen „Sängerkrieg“ gibt es auf meinem YouTube-Video. Im Hintergrund brummt der Berichterstatter mit
Jahr für Jahr findet in Obereidorf ein bedeutsamer Sängerkrieg statt: die Heidehasen treffen sich und tragen Lieder vor, die sie selbst getextet und komponiert haben. Doch in diesem Jahr gibt es etwas Besonderes: Denn Lamprecht VII., König der Hasen und Karnickel, möchte seine Tochter mit dem besten Sänger vermählen und damit seinen Nachfolger bestimmen.
Besonderes interessiert an einem glatten Wahlsieg ist Musikdirektor Wackelohr. Mit hunderttausend Hasentalern versichert er sich der Unterstützung des Ministers für Hasengesang. Doch unerwartet tritt ein ernst zu nehmender Konkurrent auf, und der heißt Lodengrün. Damit dieser Erfolg versprechende junge Hase seinen Auftritt verpasst und gar nicht erst zum Sängerstreit antritt, verstellt Wackelohr dessen Uhr. So verschläft Lodengrün den Beginn des Wettstreits. Er steht viel zu spät auf und hoppelt zum Festplatz, verzweifelt eine Hasenarie singend: Als ich heute früh erwachte, fand ich meine Uhr verstellt
– Ob Lodengrün es rechtzeitig schafft, den Sängerkrieg der Heidehasen und damit als Obereidorfs Superhase die Prinzessin zu gewinnen?
Der Sängerkrieg der Heidehasen, über den ich an anderer Stelle schon ausführlich geschrieben habe, ist ein Hörspiel nach dem Buch des Helgoländer Autors James Krüss mit der Musik von Rolf Wilhelm. Das 1952 vom Bayerischen Rundfunk produzierte Hörspiel prägte bundesdeutsche Nachkriegskinder und ist manchem Silberschopf noch in bester klingender Erinnerung. Es gab mehrere Versuche, den Stoff für Puppenkisten und Musicalbühnen aufzubereiten, doch das Original blieb bislang unerreicht und sollte schon aus diesem Grunde in keiner Musiksammlung fehlen.
Die Berliner Philharmoniker stellten sich also einer besonderen Herausforderung, als sie unterstützt von Schülern der Rixdorfer Grundschule aus Neukölln als Chor das märchenhafte Singspiel als erheiterndes Vergnügen für Klein und Groß gestalteten und gleichzeitig daraus ein Lehrstück über den Musikbetrieb entwickelten.
Posaunist Thomas Leyendecker stellte dazu ein Salonorchester aus Philharmonikern zusammen, das mit enormer Spielfreude, spürbarer Begeisterung für den Stoff und ausstaffiert mit Hasenohren auf der Bühne des ausverkauften Berliner Kammermusiksaals brillierte. Dabei wurde vor allem der parodistische Ansatz der Hasenoper herausgearbeitet. Der Sängerkrieg der Heidehasen bezieht sich nämlich gedanklich auf Richard Wagners Sängerkrieg auf der Wartburg im Tannhäuser sowie auf Die Meistersinger von Nürnberg. Sogar der Name Lodengrün spielt auf Wagners Wunderwerke und seinen Lohengrin an.
Musikalisch löste Leyendecker dies elegant: er verwob beispielsweise Wagners Vorspiel zum ersten Aufzug der Meistersänger mit der Lodengrün-Fanfare und verwendete auch zahlreiche andere Zitate aus Wagners Werken. Insofern verknüpfte er echte Opernmusik mit den Schlagern der Hasenoper, die vom begeisterten Publikum vielstimmig mitgeschunkelt wurden.
Die handelnden Figuren wurden instrumental durch Solisten repräsentiert. Trompeter Guillaume André Jehl gab humorvoll den Heidehasen Lodengrün, der bereits beim Vorspiel mit dem Allegro von Joseph Haydns Trompetenkonzert Es-Dur das Publikum zu Beifallsstürmen hinriss. Cellistin Rachel Helleur verkörperte eine Prinzessin, um die wohl jeder Hase zwischen Feld und Heide stürmisch ringen würde. Klarinettist Alexander Bader verkörperte einen würdevollen Hasenkönig, der sich spielerisch Achtung verschaffte, und auch alle anderen Musiker glänzten spielerisch wie mimisch.
PS. Seit Jahren bin ich nicht mehr so erfüllt und freudig aus der Berliner Philharmonie gegangen. Ich hoffe, dass es zu weiteren Aufführungen vom Sängerkrieg der Heidehasen kommt, und ich wünsche mir, die Inszenierung möge auf DVD erscheinen. Allen, die gern singen und lachen, sei zudem die historische Originalaufnahme der grasgrün-frischen Hasenoper ans Herz gelegt.