Die Filmkomödie JOJO RABBIT stürmt nach den amerikanischen die deutschen Lichtspielhäuser. Sechs Nominierungen für den Oscar, zahlreiche Auszeichnungen und eine jubelnde Presse begleiten den Kinostart. Ruprecht Frieling ist sich allerdings unsicher, ob man über die große »Hitler-Verarsche« wirklich lachen kann.
Kann man über Hitler lachen?
Eine Filmkritik von Ruprecht Frieling
Kann man über Hitler lachen? Ja, man kann, wenn man ihn auf seine lächerliche Statur, seine schnarrende Stimme und seine slapstickartige Gestik reduziert. Charly Chaplin hat das in dem Film »Der Große Diktator« beispielhaft vorgeführt. Allerdings lief sein Film 1940 und persiflierte den GröFaz, während der dabei war, die Welt zu verwüsten. Damals war Lachen wie eine Befreiung von dem Trauma, in das die Nazis Europa gelegt hatten.
Kann man heute, 75 Jahre nach dem Untergang des Unheilbringers, frei über den Psychopathen im Braunhemd lachen, wenn man an die Millionen Menschenopfer denkt, die sein Regime forderte? Vielen Zeitgenossen ist bei dem Gedanken an die mordenden Deutschen überhaupt nicht lustig zumute, zumal der Ungeist nie mit »Stumpf und Stiel« ausgerottet wurde. Trotz aller Bedenken ist Hitler inzwischen wieder en vogue.
Hitler als Comic-Held?
Der Roman »Er ist wieder da« von Timur Vernes hatte 2012 den Boden geebnet, um den Schnurbart wieder gesellschaftsfähig zu machen. Schon damals konnten bis auf eine Minderheit viele Leser über die »Hitler-Verarsche« lachen, obwohl immer noch süßlich-ekelhafter Leichengeruch in der Luft hing.
Nun erobert »JOJO RABITT« die Kinos und präsentiert sich als große Satire. Regisseur und Hitler-Darsteller Taika Waititi, der einen familiären Bezug zum Holocaust hat, hofft, »dass der Humor in JOJO RABBIT dabei hilft, eine neue Generation zu interessieren; es ist wichtig, neue und originelle Wege zu finden, um die schreckliche Geschichte des Zweiten Weltkriegs immer und immer wieder auch der jüngeren Generation nahe zu bringen, damit unsere Kinder zuhören und daraus lernen, und sich gemeinsam daran machen, diese Welt in einen besseren Ort zu verwandeln.«
Nazitum aus der Sicht eines Kindes
JOJO RABBIT erzählt die Geschichte eines zehnjährigen Jungen, der, wie so viele in jener Zeit, einer Gehirnwäsche unterzogen wurde und Hitler totale Gefolgschaft geschworen hat. Jojo will ein zuverlässiger Untertan des Führers sein. Allerdings ist er zu schwach und zu weich, um bei den rohen Späßen seiner Altersgenossen mitzuhalten. Als er in einem Ausbildungscamp einem Kaninchen das Genick brechen soll, um seine Tötungsbereitschaft auf Befehl zu beweisen, versagt er. So kommt Jojo zum Spitznamen »rabbit« (= Kaninchen).
Um seine Unsicherheit zu bekämpfen, hat Jojo sich einen imaginären Freund und Vaterersatz (der Vater kämpft an der Front) geschaffen: eine clowneske, total bekloppte Hitlererscheinung, die Ratschläge gibt und Durchhalteparolen verteilt. Mit diesem Adolf im Kopf fühlt sich Jojo unbesiegbar. Bei einer Übung mit scharfen Handgranaten will er es endlich allen beweisen. Der kleine Junge schnappt sich eine Granate, rennt los, schleudert sie ungeschickt gegen einen Baum und wird von dem zurückprallenden Wurfgeschoss verletzt.
Daheim hört er Geräusche im Haus, und damit öffnet sich eine zweite Ebene des Films. Denn Jojos Mutter hat ein jüdisches Mädchen hinter einer Wand versteckt. Der Junge, der nur ein völlig verzerrtes Judenbild im Kopf hat, nimmt vorsichtig Kontakt auf. Nachdem er feststellt, dass sie weder Hörner noch einen Teufelsschwanz hat, wie es nach Aussagen seiner Lehrer judentypisch sei, freundet er sich zögernd mit ihr an und beginnt, sie zu beschützen.
Im Konflikt zwischen der erwachenden Zuneigung zu dem Mädchen und der Pflicht, sie ans Messer liefern zu müssen, bewährt sich Jojo. Inzwischen rücken Befreiungsarmeen näher, der Junge erlebt noch, wie andere Hitlerjungen als Kanonenfutter verheizt werden, bis sich endlich die Nazis die Kugel geben.
JOJO RABBIT macht nachdenklich
JOJO RABBIT hat neben allem Klamauk eine nachdenklich machende Seite. Er zeigt nämlich, dass es Widerstand selbst in kleinen Orten gegeben hat, und eine aufrechte Minderheit mit den Nazis nichts gemein hatte.
Fakt ist aber auch, dass Hitler und seine Spießgesellen der Masse der deutschen Untertanen so gut gefiel, dass noch heute in unverbesserlichen Kreisen mit Ehrfurcht seiner gedacht wird. Meine Oma erwähnte uns Kindern gegenüber an jedem 20. April den Führergeburtstag, und als ich das erste Mal Bayreuths heilige Hallen auf dem grünen Hügel besuchte, grüßten mehrere Operngäste die »Führerloge« mit dem »deutschen Gruß«.
Wie also umgehen mit der neuen »Hitler«-Welle in Literatur und Film?
Stephen Merchant, der in JOJO RABBIT einen besonders finsteren Nazi-Hauptmann spielt, meint dazu: »Hitler wurde sowohl während wie nach dem Krieg kontinuierlich verspottet, weil das für die Menschen die einzige Möglichkeit war, mit dem Schrecken, den er erzeugte, zurechtzukommen. Taika Waititi folgt dieser Tradition, jedoch in seiner eigenen, modernen Handschrift.« Und der US-Komödiant Mel Brooks (»Frühling für Hitler«, 1968) glaubt: »Wenn man es schafft, Hitler auf eine lächerliche Figur zu reduzieren, hat man gewonnen.«
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Lieber Ruprecht, ich finde deine Beurteilung sehr lesens- und bedenkenswert. Ich kenne den Film natürlich noch nicht, aber ich frage mich, ob den Filmemachern klar ist, dass Hitler nicht einfach eine Figur war, die quasi in Eigenverantwortung ungeheure Verbrechen begangen hat. Im Gegenteil. In meinem 1980 erschienenen Buch „Nicht alle sind tot, die begraben sind“ habe ich erklärt, in wessen Auftrag und zum Füllen welcher Geldbeutel die Verbrechen begangen wurden.
Es wäre gut gewesen, man hätte Hitler von Anfang an totgelacht.
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