Wenn unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen und nicht miteinander reden (können), kann es schnell zum Zusammenprall kommen. Oder frei nach Brecht: Was ist ein Angriff auf eine Straßenbahn gegen einen Angriff auf einen Kontinent?
Clash of Cultures oder: It´s a DaDa-World
Milch quillt in Honig und ein schillernder Salamander schnappt zu
Ein Sittengemälde von Ruprecht Frieling
An der einstigen Prachtstraße, die in die Stadt führte, wurde viel gebaut und gemacht. Das anno Tobak zur Parade von Pferden und Kutschen geschaffene großzügige Straßenbild entwickelte sich zur Durchfahrtsstraße. Die Fahrbahn prahlt in beiden Richtungen mit mehreren komfortablen Spuren.
Gleich daneben atmet ein grasgrünes Band mit Bäumen oder Blumen. Es ist frei von zerfetzten Plakaten und Jobangeboten. Der Boden grünt saftig, sanft – kein mit kotbraunen Stalagmiten vermintes Kriegsgebiet. Mit klammheimlicher Freude protestiert der Grünstreifen auf seine Weise gegen die Stinker in nächster Nähe.
Das Einbeziehen von Gärtnern und Landschaftsplanern in die Entwicklung von Lebensräumen für Menschen ist eine seit Jahrhunderten gepflegte Disziplin. Sie funktioniert dort, wo die Altvorderen von ihren Enkeln gefragt werden und Meisters Ehr und Sachverstand weitergereicht werden kann. In einer solchen Stadt hat seit Jahrzehnten der Aspekt des nachhaltigen Bauens starke Vertreter.
Auf der anderen Seite der grünen Grenze ist dem Radfahrer eine asphaltgraue Spur gezogen. Pedalritter können hier sorglos radeln. Sie rollen frei von Rammstößen orientierungsloser Kinderwagenlenkerinnen und frei von Pöbeleien betankter Primaten. Dieser Weg verachtet Biker mit gekrümmtem Rücken, grotesk farbigen Latexanzügen, Stachelschuhen mit geheimnisvoll sparsamen Firmen-Logos, die für Insider sofort Preisschilder projizieren, sowie dem stets schnittig-lackierten Helm, der unmittelbar auf eine violett verspiegelte Sonnenbrille aufsetzt. Hier fand nie ein Schaukampf zwischen Kampfradlern und motorbetriebenen Rädern statt. Es ist ein stinknormaler Radweg.
Gleich daneben ist der Durchgangsraum für Passanten, die Schwächsten und Verlierer der Entwicklung. Die Hälfte des breiten Gehwegs, auf dem zur Kaiserzeit mit Sonnenschirm und Gehstock bewaffnete Paare zeremoniell flanierten und jedes entgegenkommende Paar, ob bekannt oder unbekannt, mit ausgesuchter Höflichkeit rituell begrüßten und ein paar freundliche Worte wechselten, mussten die Fußgänger von ihrer Bahn abtreten.
Die Halbierung der einstigen Präsentationsfläche fällt jedoch nicht weiter ins Gewicht. Der Gehweg ist weiterhin breit genug, um ein respektvolles Vorankommen zu ermöglichen. Auf diesem Fußweg wird noch gegangen, keine schwatzenden Menschengrüppchen verstopfen den Fluss. Weder dressierte Bettler noch ausgebrannte Junkies mit hungrig blickenden Hunden und ausgestreckten Beinen spielen Hans, guck in die Luft!
Diese Blitzlichtaufnahme einer perfekt ausgebauten Straße zeigt aktuell wenige Benutzer. Ein betagter tiefschwarzer Volvo rollt Richtung roter Ampel, die an einer Linkskehre regiert. Zwei, drei Radfahrer ziehen gelassen ihre Bahn. Fußgänger sind auf den ersten Blick nicht auszumachen. Die Sonne strahlt, es könnte Zeit für eine Siesta sein.
Gleichmütig summend rollt eine Straßenbahn ins Bild. Auch sie genießt ihr eigenes Bett. Dies befindet sich inmitten der Fahrspuren. Die Bahn fährt auf Gleisen, die auf einem aufgeschütteten und begrünten Fahrdamm fest verlegt wurden. Dieses Verkehrsmittel kennt keine ungeplanten Hindernisse, endlose Staus und endlose Ampelphasen.
Wachsam hat der Wagenlenker seine Fühler ausgestreckt. Nichts entgeht seinem geübten Blick. Er schaut nach vorn, scannt die Schienen, erkennt in der Ferne schon den nächsten Haltepunkt und bewegt den Geschwindigkeitsregler. Da schiebt sich Unerwartetes ins Bild: Ein Radler strampelt unter erkennbaren Mühen auf dem Gleisbett voran. Er betrachtet die von Grasbüscheln bewachsene Schwellenlandschaft offenbar als seine Piste.
Der Abstand verringert sich, die Tram kommt schneller auf ihrer Bahn voran als der vor Anstrengung von links nach rechts schwankende Zweiradfahrer. Glaubt der Schweißtropfen versprühende Mann ernsthaft, er könne der Bahn entkommen? Warum um alles in der Welt fährt der Mensch denn nicht auf dem Radweg, das wäre doch zehnmal bequemer und weniger anstrengend? Der Wagen nähert sich dem offenbar Lebensmüden. Der Zugführer muss handeln. Er fürchtet, den Mann über den Haufen zu fahren und gibt Warnsignale ab. Tuuuuut! Platz da! Tuuuuut! Tuuuuut! Tuuuuut! Verschwinde aus meiner Bahn!
Kurz vor dem Aufprall kommt Bewegung in die Szene. Der Radler springt vom Drahtesel und schleudert ihn auf die Gleise. Das Stahlskelett verreckt auf dem Schienenweg. Der Lokomotivführer bremst und bringt die tonnenschwere Bahn zum Stehen. Darauf federt der Radfahrer wie King Kong herum und stellt sich dem mit großen Augen fassungslos schauenden Zug in Kampfpositur gegenüber. Er wird den Rivalen lehren, ihn zu jagen!
Er spuckt die toten Augen des Führerhauses an, brüllt und beschimpft das fremde Ungetüm in Zungen. Mit wuchtigen Täuschmanövern versucht er, den Metallkasten aus der Reserve zu locken. Wie ein Boxer im Ring tänzelt der wutschnaubende Mann auf das Führerhaus zu. Der Angreifer im blauen Anorak tönt wie eine Dampfwalze kurz vorm Überkochen. Fassungslose Augen starren durch die Frontscheibe auf das unwirkliche Schauspiel.
Die Gestalt kommt einen letzten Schritt näher und traktiert das Blech der Zugmaschine mit wuchtigen Fußtritten. Wehr dich, feiges Ungeheuer! Der Zug schweigt still. Der Fahrer hat längst über Funk einen Notruf abgesetzt. Er wird keinesfalls die Türen öffnen und mit dem Wilden reden. Er versteht weder dessen Sprache noch dessen Wut. Der Angreifer ist schwarz wie die Nacht, als sei er direkt aus den Tiefen der Sonnenländer durch ein mildtätiges Röhrengeflecht, das den Erdball durchkreuzt, ans mitteleuropäische Sonnenlicht gepresst worden.
Wer macht ihm den Weg streitig? Wer nimmt ihm das Recht, auf diesem Bahndamm zu fahren? In seiner Heimat lässt sich dort am besten radeln, wo ein grüner Untergrund festen Boden unter den Reifen verspricht. Hier wird er von einem feigen Ungeheuer gejagt, das ihn von hinten angreift, ohne sich zu rühren. Der wilde Mann brüllt sich in Rage. Er springt gegen das Führerhaus und packt mit beiden Händen den meterlangen Scheibenwischer der Tram. Kraftvoll reißt und zerrt er an dem Arm, um ihn schließlich zu verbiegen und abzuknicken. Kurz betrachtet er sein Werk. Seine Wut lodert ungekühlt. Wie ein Tiger springt er erneut seine Beute an und besiegt auch den zweiten Wischerarm. Die stromlinienförmige Straßenbahn steht wie ein gerupfter Vogel starr und schaut ihn entgeistert an. Was soll die Aktion bringen?
Unverändert zornig dreht der Radfahrer bei, gestikuliert mit den Armen, springt wieder auf sein Rad und stolpert schimpfend auf dem Schienenweg weiter. Was für ein seltsames Land, wütet er lautstark. Einige hören ihn tönen, kaum einer versteht ihn.
Am Bahnhof trifft die alarmierte Polizei ein. Fremde Welten prallen aufeinander. Ist der Clash of Cultures bereits in vollem Gange?
Dieser Text soll mir helfen abzuklären, ob es möglich ist, komplizierte Zusammenhänge und delikate Konflikte auf epische Weise herunterzubrechen. Für meinen eigenen Geschmack ist die Geschichte allerdings zu verschwurbelt.
Die Geschichte wird nicht wie beabsichtigt funktionieren, weil der Leser sich mit keiner der beiden Personen identifizieren kann. Sie sind zu abstrakt.
Aber andererseits ist das wiederum die Stärke der Story, ihr Dada-Charakter. Dieses irreale Bild einer unwirklichen Situation, was den Leser gefangen hält. In diesem Paradoxon schwebt das Ganze. Verschwurbelt – klar – wie eine heutige Welt in ihren Widersprüchen.
Diese Geschichte fordert zum Nachdenken heraus. Sie lässt den Leser so schnell nicht los. Welchen Leser?
Danke dir, lieber Brunopolik, ich belasse es bei diesem Versuch und verlege mich lieber weiterhin auf Genres, in denen ich sicherer bin.