Liebeserklärung an Hans Fallada
Ein Gastbeitrag von Heike Pohl, TEXTWERK
Lieber Rudolf Wilhelm Friedrich Ditzen,
es hat eine ganze Weile gedauert, bis unser beider Wege einander kreuzten. Zu verdanken habe ich diese Zufallsbekanntschaft dem Aufbau-Verlag und der Wiederentdeckung Ihres wunderbaren Romans Jeder stirbt für sich allein.
Namentlich sind Sie mir freilich längst zuvor begegnet und ich wünschte, Ihr bewegender und zugleich beängstigender Roman würde zur Pflichtlektüre an deutschen Schulen.
Sie haben, wie ich lesen darf, ein recht bewegtes Leben hinter sich, waren morphium- und alkoholabhängig, haben mit Waffen hantiert, planten einen – romantisch? – verklärten Doppelselbstmord via Duell, bei dem Ihr Freund ums Leben kam, landeten daraufhin wegen Totschlags verurteilt – dank der Ihnen nachgewiesenen Schuldunfähigkeit – »nur« in einer psychiatrischen Klinik und schließlich als Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg.
Es folgten diverse Aufenthalte in Sanatorien, eine zweite Haft, die Sie anzutreten hatten wegen Betrugs- und Unterschlagungsdelikten, eine landwirtschaftliche Lehre, eine Anstellung als Gutsverwalter und schließlich Ihr Durchbruch als Schriftsteller.
Bauern, Bonzen und Bomben, Kleiner Mann – was nun?
Zu Ihrem schönen Pseudonym verhalf Ihnen mein liebstes Märchen der Brüder Grimm – Die Gänsemagd. Über dem Stadttor hängt er, der abgeschlagene Kopf vom Gaul der Gänsemagd – Falada. Und weil Sie offensichtlich ein überaus positiver Mensch gewesen sein müssen, fand auch der Hans im Glück Einzug in Ihr schriftstellerisches Pseudonym.
Lese ich mich durch Ihre Vita, so begegne ich einem Tausendsassa, der nichts – aber auch gar nichts – auszulassen schien, was dieses seltsam schöne Leben an Möglichkeiten zu bieten hatte. Ihre Erfahrungen als Gefängnisinsasse haben Sie in Wer einmal aus dem Blechnapf frisstsowie in unzähligen anderen Werken – en passant – literarisch umzusetzen verstanden.
Ja selbst die Nazis haben Sie mit diesem Werk – wohl ungewollt – überzeugen können, da sich Ihre Sozialkritik an die Weimarer Republik gerichtet hatte. Die Mitgliedschaft in der Reichsschrifttumskammer hatte man Ihnen verwehrt im Sinne dessen, Sie weder zuzulassen noch Ihnen eine Absage zu erteilen. Ein Umstand, der Ihnen ein Publikationsverbot ersparte und Sie sich eher politisch unverfänglicher Unterhaltungsliteratur zuwenden ließ.
Ihre Ehe mit Anna – Suse – scheiterte. Im Streit sollen Sie sogar in einen Tisch geschossen haben, um erneut zur Beobachtung in Haft genommen zu werden. Dem unfreiwilligen Aufenthalt dort verdanken wir Ihr Werk Der Trinker, erschienen erst nach Ihrem Tode.
Ein weiteres Mal haben Sie geheiratet, Ursula Losch, eine deutlich jüngere Frau, die mit Ihnen nicht nur Haus und Hof, sondern auch die Sucht nach dem Rausch zu teilen schien. Am Ende blieb die Nervenklinik der Charité und uns allen Jeder stirbt für sich allein. Ihr Herz hat Ihnen den Dienst verweigert und Sie haben Ruhe gefunden in Pankow, lieber Herr Fallada.
Ich schreibe Ihnen von Seite 986 Ihres unglaublichen Romans Wolf unter Wölfen, den zu lesen ich noch weitere 200 Seiten lang das Vergnügen haben werde.
Was sich hier liest wie eine schlichte Aneinanderreihung der Meilensteine Ihres ungewöhnlichen Lebens und Schaffens, ist eine Liebeserklärung an Ihre Gabe, dem menschlichen Wesen ins Herz und hinter die Stirn zu blicken. Eine Liebeserklärung an einen Schriftsteller, dem nichts Menschliches fremd gewesen sein muss und dem es trotzdem oder vielleicht gerade deshalb gelungen ist, seinen Protagonisten sehr genau auf die Finger zu blicken, ohne sie für ihre Schwächen und Schwachheiten zu strafen. Im Gegenteil, Sie lassen in Ihren Romanen eine feine Milde walten und stellen sich niemals über Ihre Figuren. Vielleicht kann solche Großzügigkeit nur walten lassen, wer sich selbst erkennt?
Für mich sind Sie einer der ganz Großen Ihrer Zeit. Ein Menschenkenner. Ein Schriftsteller mit dem Herz auf dem rechten Fleck. Mit Ihren Büchern bereiten Sie mir eine große Freude.
Ihre Themen haben bis heute nichts an Aktualität verloren.
Dafür danke ich mit einem Zitat aus Ihrer eigenen Feder: Vergangenes kann man nicht ändern, aber man kann sich ändern – für die Zukunft.
Heike Pohl
Mehr Information zu Hans Fallada und zum Fallada-Haus in Carvitz: https://www.fallada.de
Ein toller Text über einen noch immer teilweise verkannten Großen der deutschen Literatur!
Fallada ist mir erst in diesem Frühjahr begegnet, obwohl mir der Name natürlich schon länger bekannt war. Anlaß war ein Essay von Jörg Fauser, der Fallada zu seinen Idolen zählte. Ich finde, unter den Nachkriegsschriftstellergeneration konnte kaum einer so energisch schreiben wir Fauser – vor allem, wenn er über seine Vorbilder wie Roth, Fallada etc. schrieb. Fauser hatte sich Anfang der 80er auf Spurensuche in Neumünster begeben, wo Falladas erster Roman „Bauern, Bonzen und Bomben“ entstand. Diesen Roman habe ich dann verschlungen. Selten habe ich gesellschaftliche Probleme und politische Entscheidungsprozesse so spannend und nachvollziehbar zu Papier gebracht gesehen. Sehr beeindruckend und ohne große Mühe zu lesen. Fallada ist es geglückt, ernste Themen in lesbare Form zu kleiden und noch dazu zu unterhalten. Wahrscheinlich hat das aber auch dazu geführt, daß er hierzulande lange Zeit nicht wirklich ernst genommen wurde. Aber warum eigentlich? Man kann durchaus Joseph Roth lieben – und Fallada ebenfalls. Mir jedenfalls geht es so – seit diesem Frühjahr. Und auch für Jörg Fauser hat es nie einen Unterschied zwischen so genannter „hoher“ und „niederer“ Literatur gegeben. Ihm ging es um die Echtheit, die Lebensnähe. Und die war sowohl bei Roth als auch bei Fallada gegeben.
P. S. Ich muß ja gestehen, daß ich in den letzten Jahren eine eigenartige Liebe für Schreibtische entdeckt habe. Wenn ich heute etwas lese, durchstöbere ich erstmal Google, um ein Bild vom Arbeitsplatz des Autors zu sehen.
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