Ingo Insterburg, eine Institution der Westberliner Kleinkunstszene der Sechziger Jahre, wurde mit zunehmendem Alter wunderlich und auch ein wenig verbittert. Vor allem sein Hass auf Trinker und Raucher, er hatte beiden Lastern selbst ausgiebig gefrönt, wurde zur fixen Idee. Als Komiker, Kabarettist, Sänger, Musiker, Instrumentenbauer, Dichter, Maler und Zeichner war Insterburg eine Legende. Bis kurz vor Schluss trat er noch öffentlich auf und brachte seine Fans zum Lachen. Nun besucht der schräge Geselle seine viel besungenen Mädchen im Himmel.
Ingo Insterburg – ein künstlerisches Multitalent
»Erst wenn der Sarg verzinkt / Der Raucher nicht mehr stinkt«, reimte der Künstler, dem der Darmkrebs das Leben raubte. Als erklärter Suchtgegner hatte Ingo Insterburg hunderte ähnlicher hintergründiger Zwei-, Drei- und Vierzeiler im Angebot, die er auch in selbst publizierten Büchern verbreitete. »Raucher- und Trinker-Lyrik« oder auch »Ekel-Lyrik« betitelte er seine selbst gestalteten und illustrierten skurrilen Publikationen.
Schon in seinen bereits vor einem Vierteljahrhundert entstandenen »35 Märchen« polemisierte der Barde gegen Nikotin, in dem beispielsweise einer Ratte namens Johanna Rindfleisch ein (Raucher)bein nach dem anderen abgenommen wird. Selbst hatte er sein Leben total umgekrempelt, war zum Vegetarier und Marathonläufer geworden.
Ingo, der sich nach seinem Geburtsort Insterburg nannte, zählte als künstlerisches Multitalent zum komödiantischen Erbe der Sechziger Jahre. Nach einem Studium der Kunstpädagogik spielte er als »Guitar-Ingo« gemeinsam mit dem Schauspieler Klaus Kinsky Bert-Brecht-Balladen, die auf Schallplatte erschienen. Später traf man ihn in verrauchten Westberliner Studentenkneipen, wo er Gitarre spielte, sang und auf verschiedenen selbst gebastelten Instrumenten wie der Stuhlbein-Klarinette, der mit den Füßen gespielten Tannenbaum-Geige, dem Eimer-Cello oder der Melkeimer-Gitarre spielte. Insterburg war erfindungsreich, schlagfertig und zugleich ein virtuoser Musiker.
Die Geburt von »Insterburg & Co«
1967 schlug die Geburtsstunde von »Insterburg & Co«. Das Quartett der »Blödelbarden« umfasste neben dem Namensgeber die Herren Karl Dall, Jürgen Barz und Peter Ehlebracht. Nach Auftritten in Radio Bremens »Musikladen« wurde die Truppe schnell bekannt. Bald waren die vier fest im Fernsehprogramm integriert und auch Stammgäste in der von Hans Rosenthal moderierten ZDF-Ratesendung »Dalli Dalli«. Die Insterburgs tingelten durch die Republik, im Berliner Reichskabarett in der Ludwigkirchstraße konnte ich das Quartett anno 1972 zum Eintrittspreis von DM 7,00 erleben. Schon damals war Karl Dall der Star der Blödel-Barden, Ingo agierte mehr im Hintergrund.
»Ich bin eine Persönlichkeit und steh im öffentlichen Leben / Immer voll Witz und Heiterkeit, so will es nun die Masse eben«, dichtete Ingo Insterburg über sich selbst. Er machte damit das Geheimrezept seines Erfolges deutlich: Mit Pfiff und Humor immer dicht am Massengeschmack entlang. Die Insterburgs machten Musik, erzählten dumme Witze und klöppelten Verse. Sogar zu einem Hit brachten sie es mit Ingos Reim-Lied »Ich liebte ein Mädchen …«, das vom Publikum begeistert aufgegriffen und mit immer neuen Versen fortgesetzt wurde.
Ingo Insterburg zog als Solist weiter
Kein Erfolg hält ewig. Und als die Nachfrage nachließ und die Säle nicht mehr ausverkauft wurden, löste Ingo Insterburg nach mehr als einem Vierteljahrhundert das Quartett auf und zog ab 1994 als Solist weiter. Er schrieb Bücher, darunter eine ulkige, mit Zeichnungen, Denkschriften, Fotos, Knittelversen und Märchen gespickte Autobiographie »Die ersten 23456 Tage meines Lebens. Keine Dichtung und nur Wahrheit«, die es leider nur noch antiquarisch gibt.
2012 ging er mit Lothar »Black« Lechleiter vom einstigen Duo »Schobert und Black« zusammen und tourte als »Insterburg & Black«. 2014 bekam Insterburg für sein bisheriges Lebenswerk als Kleinkünstler den »smago! Award«, einen dem Schlager gewidmeten deutschen Musikpreis. Im Frühjahr 2018 stand der 84-jährige noch auf der Bühne. Dann kam der Krebs, Ingo siedelte in ein Charlottenburger Hospiz um, wo er am 27. Oktober 2018 verstarb.
»Seh‘ ich einen Leichenwagen, eine Leich‘ zum Kirchhof fahren, sage ich, das muss es geben, alle Leute wollen leben«, schrieb sich der geniale Musiker und Texter selbst ins Stammbuch. Eigentlich wollte er aufgrund der Kosten einer Feuerbestattung in einen Vulkan auf Lanzarote springen: »Das kostet gar nix«. Doch dafür hat am Ende die Kraft nicht mehr gereicht. Wer sein Grab auf dem Dahlemer Waldfriedhof besucht, hört ihn dort vielleicht noch singen …
Wir haben doch alle Ingo Insterburg in seinem Quartett in den siebziger und achtziger Jahren sehr geliebt. Weil man nicht immer und ausschließlich nur ernst sein konnte und wollte, haben wir es genossen, wenn er uns mit seinen amüsanten Verrücktheiten -bei erstaunlich ernstem Gesicht! – aufgelockert unf fröhlich gemacht hat. War für mich damals ein toller Typ. Schade, dass selbst ihn der Krebs so schnell besiegt hat.