Lebendig begraben
Karfreitag, der Tag des großen christlichen Abschiednehmens, war für mich der richtige Zeitpunkt für eine Stippvisite im Jenseits. Ich sagte »Tschüss« zu dieser Welt und ließ mich lebendig begraben. Nein, ich kletterte in keine Eichenkiste, ließ mich ein Stockwerk tiefer legen und betätige später einen Klingelzug, um prachtvoll auferstehen zu können. Ich schichtete auch kein Feuerholz auf ein Floss, steckte den Nachen in Brand und ließ mich auf dem Wannsee gen untergehende Sonne treiben, um auf diesem spektakulären Weg die Ewigen Jagdgründe der Wikinger zu erreichen. Ich machte es auf meine Weise. Zeitgemäß. Modern. Vollkommen virtuell. 2.0 mäßig eben.
Durch Tod und Auferstehung wird uns Sterblichen erst Sündenvergebung und damit Errettung aus dem Tod und ewiges Leben ermöglicht. Dies ist dank des Internets inzwischen jedermann jederzeit möglich. Wie das funzt? Ganz einfach: Im Internet bieten spezielle Seiten an, sich schon mal vorab ein ruhiges Plätzchen für das Leben danach zu sichern. In der Kunstwelt »Second Life« beispielsweise werden Friedhöfe in jeder Farbe und Form präsentiert.
»Second Afterlife Cemetry« heißen jene Ruhestätten für das »zweite Leben«, für das Leben danach. Dort finden sich die Friedhöfe von morgen: Grabplatten mit interaktiven Bildschirmen, auf denen der Verblichene ein paar Worte spricht, singt, scherzt oder lacht. Videowände, auf denen die teuren Toten wieder lebendig werden und für einen kurzen Moment auferstehen. Monitore, auf denen ein Leben im Zeitraffer abläuft und die wichtigsten Stationen der Verstorbenen im Zeitraffer rekapituliert werden. In einem der Katakomben schlich ein Sensenmann im schwarzen Umhang um mich herum, ohne mich anzurühren. Gleich nebenan nutzte ich die Möglichkeit, in einem gepolsterten Sarg Probe zu liegen und den Deckel für einen kurzen Moment zu schließen. Es war still, gespenstisch, kalt, und ich war mutterseelenallein.
Neben dieser Geisterbahn im »Second Life« gibt es im Web auch diverse virtuelle Friedhöfe. »My Death Space« heißt einer von ihnen, dem Interessenten sogar auf Twitter folgen können. Von den zu Lebzeiten betriebenen Accounts lässt sich dort im Falle des Dahinsiechens alles bequem auf diese Todesfarm umleiten. Damit haben Nachkommen, Verwandte und Freunde jederzeit die Möglichkeit, ihre Heimgegangenen zu besuchen und ihrer zu gedenken.
Ein anderer virtueller Großfriedhof namens »tributes.com« wird von der »Washington Post« betrieben und macht die allgemein zugänglichen Todesdaten der US-Sozialversicherung zugänglich. Soll der teure Verstorbene dort unfangreicher als nur mit nackten Lebensdaten gewürdigt werden, müssen seine Hinterbliebenen dafür blechen. Weitere Einkünfte verspricht man sich von den Besuchern der Site, die mal nachsehen wollen, welche ihrer Bekannten in letzter Zeit das Zeitliche gesegnet haben. Über ein Werbebanner kommt man schon jetzt zu einem Online-Rechner, der die eigene verbleibende Lebenszeit bestimmen soll.
Mir gefallen diese virtuellen Friedhöfe. Sie funktionieren wie das von diversen Religionen versprochene Paradies. Es gibt lediglich einen feinen Unterschied: Der digitale Garten Eden ist bereits zu Lebzeiten geöffnet, und jeder, der dort eines Tages gebettet wird, kann sich seinen Endlagerplatz selbst bestimmt auszusuchen, schmücken und gestalten.
Gleich neben den virtuellen Grabstätten werben Elektronikstores, Lebensmittelmärkte, Casinos, Reiseveranstalter und Vergnügungen aller Art. Meint jemand, das sei pietätlos? Ganz im Gegenteil, es spiegelt das reale Leben wieder! Schaue ich aus dem Fenster, dann sehe ich Supermärkte, Autohäuser und Imbissstuben, die mich mit ihrer penetranten Werbung umzingeln. Warum sollte es auf den Friedhöfen der Zukunft anders sein? Dort spiegelt das virtuelle Leben lediglich das reale Leben wieder.
In früheren Jahrhunderten brauste auch auf den Friedhöfen das pralle Leben. Gaukler, Clowns und Prostituierte hatten im Mittelalter ihre Wirkungsstätte zwischen den Grabsteinen und halfen aktiv, Trauer zu bewältigen. In unserer Zeit ist der Tod zu einem unheimlichen Monster im Hintergrund geworden, das alle fürchten, keiner aber wahrhaben will. Entsprechend schwierig ist der Umgang mit dem Thema Tod: Keiner will gehen, fast alle wollen ewig leben, und das Web 2.0 macht es möglich und schlägt Brücken.
Dabei ist die virtuelle Welt von Morgen längst von der Realität eingeholt worden. Wer heute über einen Gottesacker wandelt und auf einem Grabstein eine eingemeißelte Webadresse findet, der kann mit seinem iPhone direkt zur virtuellen Endlagerstätte surfen und dem Verstorbenen einen Besuch abstatten. Dort erlebt er ihn dann noch einmal in Wort, Bild und Ton. In voller Blüte winkt er ihm vielleicht aus einem Youtube-Filmchen zu, erfreut ihn mit humorigen Versen und lässt ihn in seinen Texten und Veröffentlichungen blättern. Selbstverständlich ist der Link zum Online-Buchhändler weiter aktiv, seine Bücher, Schallplatten und CDs sind lieferbar und können auf Knopfdruck bestellt werden.
In den Niederlanden sind derartige Grabstätten längst Realität. Im Mai 2007 feierte der digitale Grabstein auf dem Friedhof in Rhenen Premiere. Seitdem kommt eine holländische Witwe regelmäßig an das Grab ihres dort ruhenden Ehemannes, um sich auf einem Flatscreen Bilder aus seinem Leben anzuschauen. »Digizerk« nennt der holländische Ingenieur Hendrik Rozema seine Erfindung, die Kombination aus digitalem Bildschirm und Grabstein (niederländisch: »Grafzerk«).
Witterungsbeständige Digisteine mit Solarstrombetrieb werden inzwischen auch in deutschen Landen offeriert. Tischlermeister Carsten Glaser bietet sie auf einer eigenen Homepage an. Wir müssen uns also wohl oder übel darauf einstellen, zumindest virtuell unsterblich zu werden. Von »letzter Ruhe« kann bald keine Rede mehr sein.
Internet-affinen Typen bietet sich der Wechsel zur virtuellen Grabstätte unbedingt an. Denn im digitalen Himmel ist Platz für alle, und ein Vergessen wird unmöglich. Es sei denn, die Serverfarmen gehen in Flammen auf oder ein Provider bricht zusammen. Das wäre dann wohl wirklich das Ende. Sicherheitshalber bleibe ich deshalb noch ein Weilchen lebendig und atme die frische Frühlingsluft.
»Leben ohne Chris« – ein Musical der Neuköllner Oper Berlin
Zwei Tage nach seinem 18. Geburtstag klaut Chris die Vespa seiner Schwester Birgit, verzichtet auf einen Sturzhelm und rast mit voller Wucht gegen einen Kastanienbaum. Bumm. Peng. Genickbruch. Ein junges Leben endet, ehe es richtig begonnen hat. Chris ist tot. Oder war es genau der richtige Moment, auszusteigen, bevor er alt, grau und von Wehwehchen und Altersgebrechen gepeinigt ins Reich der Toten einziehen wird?
Sein Ableben hat Chris sich jedenfalls anders vorgestellt. Er spürt nichts, und auch die berühmten Sekunden, in denen angeblich der Kurzfilm des Lebens ablaufen soll, fehlen ihm. Stattdessen hält ihn der Engel des Todes an der Hand und begleitet ihn zu seiner früheren Clique, die schockiert trauert.
Doch die Szenen, die vor seinem inneren Auge ablaufen, zeigen ihm die vielen Baustellen, die er hinterlassen hat: seine Freundin Anna fühlt sich nicht als Witwe, sie ist sogar froh, dass Chris tot ist. Immer wieder wurde sie von ihm versetzt und wartete vergeblich, während er in den Armen einer Anderen lag. Sein Bruder Matze weigert sich gar, zur Beerdigung zu kommen. Er wurde von Chris bereits vom Wickeltisch gestoßen und galt in den Augen des älteren Bruders als unfähiges Weichei. Der wiederum hielt sich für unwiderstehlich und spannte ihm kurzfristig die Freundin aus. Und auch das stets zu kurz gekommene Sofakissen Nadja fühlt sich aus dem Siebenten Himmel verstoßen, als sie ahnt, dass der von ihr Verehrte den zentralen Spruch »Kein Leben ohne Dich« nicht (nur) für sie auf die Wand gesprüht hat.
»Leben ohne Chris« von Peter Lund (Text und Regie) und Wolfgang Böhmer (Musik) entstand als weitere Koproduktion der Neuköllner Oper mit dem Studiengang Musical der Universität der Künste Berlin. Acht Monate arbeitete der aktuelle Abschlussjahrgang an dem Musical und landete von der Frage »Gibt es ein Leben nach dem Tod« bei der Frage »Wie war mein Leben davor«. Im Ergebnis entstand ein Stück, das mit enormer Spielfreude vorgetragen, höchst differenziert und sensibel die Situation vieler Heranwachsender beschreibt.
Das ist eine Generation, die zwischen Hoffnungslosigkeit und Scheißegalhaltung hin und her geworfen ist und sich im Suff betäubt. Um sich mit »Wir waren da« als lebendige Leichen zu Wort zu melden, besprühen sie nächtens die von ihren Vätern tags zuvor renovierten Häuserwände. Die intelligenteren unter ihnen, und Chris scheint so einer (gewesen) zu sein, schreien im SMS-Takt per Twitter die Botschaft in den virtuellen Raum, das alles Scheiße, sinnlos und vergebens sei.
Mit »Leben ohne Chris« gelingt es Regisseur Peter Lund auf faszinierende Art, die banale Realität auf die sonst gern weltfremde Musicalbühne zu bringen und damit das Genre zu beleben. Mit höchster Präzision feilt er jede seiner Figuren aus, im Stück gibt es letztlich weder Gewinner noch Verlierer. Auch Obermacker Chris ist nur vordergründig der tolle Hecht, für den er sich hält; im Ergebnis wird er zum Würstchen. Jeder der in einem engmaschigen Beziehungsgeflecht miteinander verbundenen Mitglieder seiner Clique erfährt, dass er sowohl sich selbst wie andere betrügt und sich damit um ein Stück Leben bringt. Insofern wirkt das Musical wie ein Kammerspiel, das wie unter einem Brennglas die einzelnen Charaktere ausarbeitet und seziert.
Zum Klingen gebracht wird das Stück von Hans-Peter Kirchberg, dem Musikalischen Leiter der Neuköllner Oper und Andreas Altenhof. Faszinierend ist es, den Leistungsbeweis der Absolventen des UdK-Studiengangs zu beobachten, die mimisch, stimmlich und tänzerisch brillieren. Unter den möglichen Stars von Morgen ragen Tobias Bieri (Todesengel) und Christopher Brose (Chris) hervor. Im perfekten Zusammenspiel bescheren Dennis Jankowiak (Danny) und Hendrik Schall (Henne) mit einem sturzbesoffenen Pogo den Höhepunkt des Stücks.
Berlin, 1. April 2009. Die Bundesregierung hat ein Pilotprojekt gestartet, mit dem der extreme Rückgang der deutschen Bevölkerung gestoppt werden kann. In Berlin-Steglitz wurde dazu heute die erste einer Reihe leistungsfähiger Samenbanken nach chinesischem Vorbild eingeweiht. Freiwillige Samenspender sind dort herzlich willkommen. HIER geht es weiter →
Polizeifunk abhören mit Micky Maus
Große und kleine Kinder gehen auf lustige Verbrecherjagd
Berlin (Eigenbericht). Einem Tipp der Pressestelle der Panzerknacker AG folgte heute früh der BLOGSDORFER ANZEIGER. Bei einem Zeitschriftenhändler seines Vertrauens erwarb Prinz Rupi die neueste Ausgabe der »Micky Maus«. Dieser heftet als supercooles Extra ein weißes Radio mit »2-Phasen-Display« an, das dem apple iPod ähnelt. Besonderer Gag des Radios und Grund des Erwerbs durch den rührigen Herausgeber der Blogpostille: mit dem Radio kann der Polizeifunk abgehört werden.
Die Panzerknacker AG ist bekanntlich der größte Schrecken der Polizei, wie jeder Leser der »Micky Maus« weiß. Durch eine gezielte Information der Presseabteilung dieser rührigen Bruderschaft erfuhr Prinz Rupi von der im wahrsten Sinne des Wortes kinderleichten Möglichkeit, den Polizeifunk abzuhören. Tatsächlich meldet sich nach Drücken der Reset-Taste gleich als erster Sender die Polizei. Mit dieser innovativen Radiotechnik »Made in China« können ab sofort 314.000 Kinder im deutschsprachigen Raum auf Gangsterjagd gehen. Lediglich »für Kinder unter drei Jahren« sei das Radio »nicht geeignet« heißt es auf der Verpackung.
Auf Nachfragen erfuhr Prinz Rupi von Herrn Busch, Polizeipressestelle Berlin, dass bislang noch keine Hundertschaften auf die Spuren junger Hilfspolizisten gesetzt worden sind. Das Thema war bislang unbekannt. Die Hamburger Polizei ist da bereits weiter. Sprecherin Ulrike Sweden bestätigt: »Die Kripo prüft, ob ein Verstoß gegen das Fernmeldegesetz vorliegt.« Die Hannoveraner Polizeisprecherin Petra Holzhausen kennt ebenfalls die neueste »Micky Maus«, ihre Behörde prüft noch.
Statt Radiomusik aktuelle Fahndungsaufrufe, Halterabfragen und Einsatzbefehle der Polizei als Alternativprogramm für junge Hörer? Der Herausgeber der deutschen Ausgabe, Ehapa in der Berliner Wallstraße 59, steckt im Schwitzkasten der Ordnungshüter. »Wir möchten unsere Leser darauf hinweisen, dass es sich um wenige Einzelfälle handelt. Mit dem Micky Maus-Radio sollte natürlich Musik gehört und nicht auf Funkwellen-Suche gegangen werden.«, heißt es dort auf Anfrage.
In der aktuellen Ausgabe des Magazins findet sich zum Thema gleich noch die passende Geschichte. Unter dem bezeichnenden Titel »Panzerknacker: Das schmutzigste Verbrechen aller Zeiten« wird von neuen Schurkenstreichen der Verbrecher AG berichtet.
Rettungsaktion trotz großer Hindernisse
von Kris E. Total
Wirtschaftsredaktion Blogsdorfer Anzeiger
Aufgrund eines dringenden Hilferufs eines bodenständigen Unternehmens aus den südlichen Gefilden Europas entschloss sich Prinz Rupi zu einer beispiellosen Hilfsaktion. Weil Batman, Spiderman und SuperMerkel unabkömmlich waren, entnahm er kurz entschlossen seinem Privatvermögen die nicht unerhebliche Summe von zwanzig Milliarden Euro in kleinen Scheinen. Damit machte er sich auf, das unverschuldet in Schieflage geratene Traditionsunternehmen vor dem Exitus zu bewahren.
Prinz und Gefolge bestiegen einen der privaten Lears-Jets des Königshauses und brausten gen Süden. Dichter Nebel und eine Schar widerwärtiger Krähen behinderten das Vorankommen. Doch Prinz Rupi drückte aufs Gas und ließ sein Flugmobil durchstarten. Beim Anflug auf Palma de Mallorca, das Ziel der Unternehmung, kam es zu einem Crash. Die Maschine setzte unsanft auf einer Bergkuppe auf und brannte vollständig aus. Glücklicherweise konnte das Geld gerettet werden. Auch Menschen kamen nicht zu Schaden.
Fotos und Film © Wilhelm Ruprecht Frieling
Um keine Zeit zu verlieren, charterte der Prinz einen Bus, um von der Unglückstelle umgehend zu dem Not leidenden Unternehmer zu gelangen. Dieser setzte bereits per SMS weitere Hilferufe ab und beklagte sein Unglück. Prinz Rupi bot dem Busfahrer ein erhebliches Trinkgeld, wenn er denn seine kostbare Fracht auf schnellstem Wege in die Balearen-Hauptstadt bringen würde. Aus Versehen geriet der erfahrene Pilot, während er aus einer Flasche Kräuterschnaps Stärkung schlüfte, ins Schleudern. Der Bus stürzte die Böschung hinab und verendete wie ein waidwunder Wurm. Es ist eine himmlische Fügung, dass die schweren Geldkoffer wiederum unversehrt blieben.
Wahre Freunde helfen in der Not, rief der Prinz und erwarb im nahe gelegenen Hafen eine bescheidene Yacht, um seine Mission zu vollenden. Doch der Himmel prüfte den Edlen und seine Schar auf grausame Weise. Ein plötzlich ausbrechender Orkan schleuderte den Nachen an felsiges Gestade und machte ein Fortkommen unmöglich. Es schien, als stünden die Götter im Bunde mit dem Teufel, um zu verhindern, dass die Weltwirtschaft saniert wird.
Das Rettungsteam ließ sich nicht unterkriegen und suchte ein neues Gefährt. Hilfreiche Bauern versorgten die Retter mit einem älteren PKW unbestimmten Baujahrs und Marke. Es ist kaum zu glauben, doch auch als dieses Fahrzeug sich in einem Dornengebüsch verhedderte und dort elend verendete, entstand kein Schaden an Fracht und Mannschaft.
Zu Fuß zog der schwer bepackte Tross die letzten Kilometer weiter und erreichte schließlich das Ziel: die Altstadt von Palma. Von weitem leuchtete den Rettern bereits das einstmals prächtige Anwesen des in Schieflage geratenen Unternehmens entgegen.
Jorge, 86, der blinde Patriarch des Unternehmens, das auf den stolzen Namen »Radio Espana« hört, überreichte dem Prinzen einen handschriftlichen Rettungsplan. Diesen hatte er persönlich mit zittriger Hand entworfen. Danach will der Patron sein Unternehmen in die Hände seines 67jährigen unbeweibten Stammhalters Jaume legen. Dieser soll es künftig mit jungen Ideen füllen und zu neuem Leben erwecken. Dessen Plan ist es, Arbeitsplätze in der chinesischen Provinz Sichuan zu schaffen. Von dort bezieht der findige Jungunternehmer Millionen Glühlampen, die er zu einem Spottpreis als Alternative zu teuren Energiesparlampen auf den Markt werfen will.
Sorgfältig prüfte der Prinz beim fahlen Licht einer Petroleumlampe das in sich schlüssige Konzept. Derweil rührte Jorges treue Gattin Maria, die bis zum letzten Tag im Geschäftslokal die Stellung hielt, in einer Kuttelsuppe. Kaum hatte er von der Speise gekostet, überreichte der Prinz die erbetene Finanzspritze in Höhe von 20 Milliarden.
Freudestrahlend umarmte der eisgraue Patriarch den edlen Spender und lief laut jubelnd ins Freie, um Nachbarn und Anwohner von der guten Nachricht in Kenntnis zu setzen. Bald sang und tanzte das gesamte Viertel, Cava floss in Strömen, und zufrieden knabberte der Prinz an einem krossen Stück Spanferkel, das auf einem spontan errichteten Grill zubereitet wurde.
Nach 14 Tagen ausgelassenen Feierns verabschiedete sich die Hoheit, um zu neuen Aufbautaten zu eilen, denn die Weltwirtschaft befindet sich trotzt dieser Großtat weiter in Schieflage. Dankbar winkte die von schwerer Last befreite Unternehmerfamilie ihm zu und versprach, in Palma würde nie wieder das Licht ausgehen.
Die Großtat des Prinzen beweist, dass mit Ideen, gutem Willen und ein klein wenig Eigenkapital viel möglich ist, um unsere Wirtschaft zu beleben und der Krise zu trotzen.
Kris E. Total, Wirtschaftsredaktion Blogsdorfer Anzeiger
Der deutsche Ableger des US-Magazins „Vanity Fair“ wird mit sofortiger Wirkung eingestellt. Der Verlag begründet das Aus der Wochenzeitschrift mit der gesamtwirtschaftlichen Lage.
»Vanity Fair« wurde bei den Verkaufszahlen nie zur ernsten Konkurrenz für wöchentliche Titel wie »stern«, »Bunte« oder »Gala«. Zuletzt wurden im Einzelverkauf 75.828 Hefte pro Ausgabe verkauft – das war im Vergleich zum Vorjahresquartal IV/2007 sogar ein Minus von rund 16 prozent. Abonnenten hatte das Magazin bei der letzten IVW-Messung 38.291, zusammen lag die harte Auflage aus Abos und Einzelverkauf also bei 114.119 – zu wenig für ein solch ambitioniertes Wochenmagazin.
Ich habe das Projekt von Anfang an mit Freude begleitet, denn die Zeitung lieferte immer wieder eine Reihe hochwertiger Artikel und Reportagen samt herausragender Fotos. Deshalb glaube ich auch, dass weniger »die Krise« am Aus der Zeitung schuld ist als der leider sehr geringe Anspruch der deutschsprachigen Leserschaft.
Bye, bye, Vanity Fair!
Abbildung: Erstausgabe der Vanity Fair aus dem Jahr 2007
Herr, lass Hirn regnen!
© Michael Berger, Pixelio
Es rieselt und rasselt in allen Ecken und Enden meines Oberstübchens, und ich fürchte mich davor, langsam aber sicher alles zu vergessen. Schüttele ich mein greises Haupt, schneien weiße Plättchen zu Boden, das sind wohl Bits und Bytes meines Erinnerungsvermögens. Suche ich etwas, habe ich es meistens so gut verlegt, dass ich es erst Tage später wieder finde. Versuche ich, mich an Namen, Daten oder Ereignisse zu erinnern, benötige ich gewaltige Assoziationsbrücken, um wenigstens an den Rand einer vagen Erkenntnis zu kommen. Stelle ich mein Auto ab, ohne Straße und Hausnummer aufzuschreiben, durchlebe ich oft mehrere Panikattacken, bis ich meinen fahrbaren Untersatz nach ziellosem Umherstreifen und Suchen wieder entdecke. In dunklen Träumen irre ich umher und versuche, mich zu orientieren. Dabei führe ich im Großen und Ganzen ein geordnetes Leben. Dennoch – oder gerade deshalb – stellt mir Alois Alzheimer erfolgreich nach.
Mit Ticks und Tricks mühe ich mich, dem Prozess des Älterwerdens zu begegnen und mich zu wappnen. Bekannte schlucken Gingko-Präparate und versprechen sich davon mentale Frische. Mir dient die Befolgung immer gleicher Rituale, Dinge zu finden und Abläufe zu erledigen. Moderne Technologien unterstützen mich dabei gnädig. Das nimmt bisweilen skurrile Formen an, und ich könnte jeden verstehen, der dies belächelt. Deshalb würde ich auch nie offen darüber sprechen oder gar schreiben.
Einen tiefen Brunnen der Erinnerung bietet die Ablage. Mein Leben ist in bunte Ordner abgelegt. In fetten roten Folianten lagern die Unterlagen, die materielle Werte meines Lebens betreffen, das sind widerspenstige Vorgänge mit Banken und Versicherungen. Es gibt gelbe Ordner mit Krankenkassenunterlagen, Arztberichten, Anamnesen und blutigem Schriftverkehr. Blau steht für die Hoffnung, hier finden sich Unterlagen zu Zweirad und Auto; schwarze sammeln Reiseunterlagen, Restaurantquittungen und Rechnungen. Aus allen Nähten platzen die Ordner zum Stichwort Elektronik, die mehrfach unterteilt wurden. Darin findet sich alles zum Thema Multimedia, Computer, Telefon und Internet.
Ich weiß, so sieht es auch in jedem halbwegs geordneten Büro aus. Das ist doch kein Zeichen beginnender Verwirrung. Dennoch fürchte ich das schwarze Loch des Vergessens wie der Teufel das Weihwasser und nutze auch auf meinem Rechner eine Unmenge Ordner, Listen und Verzeichnisse. Ich führe ein brandaktuelles Haushaltsbuch, in das jede Zahlung taggleich gebucht wird. Das schenkt immerhin den Vorteil, dass ich seit einem Jahrzehnt meine Ausgaben kenne und genau sehe, ob ich »über meine Verhältnisse« lebe oder die nächsten hundert Jahre unbesorgt Löcher in den Himmel starren kann. Inzwischen mutiere ich zum Tier, wenn mir ein Beleg entgleitet oder meine Traumfrau nicht brav jede frisch geschleckte Eiskugel zu Protokoll gibt. Mein Leben führe ich wie einen mittelständischen Betrieb.
Nennt mich einen Pedanten, einen Pfennigfuchser, einen Erbsenzähler. Das System hat mir immerhin geholfen, halbwegs den Überblick zu behalten. Namen, Adressen und Telefonnummern kannte ich früher auswendig, heute reicht ein Klick auf das entsprechende Dokument, und ich kenne mich aus. Wege muss ich mir nicht mehr einprägen, das GPS-System im Auto leitet mich sicher und (meist) unfehlbar ans Ziel. Klingelt das Telefon, öffnet sich ein Fenster im virtuellen Raum, und ich sehe bereits beim Entgegennehmen des Anrufs, wie der Anrufer heißt, mit wem er liiert ist, wie seine Kinder und Kindeskinder, sein Hund und sein Goldfisch heißen. Dies dient der Kommunikation und erspart mir peinliche Fragen nach dem Gesundheitszustand des Haushundes, der vielleicht schon vor vier Jahren sanft verschied, obwohl er mir in meiner Erinnerung noch die Hand leckt.
Auch Dinge des täglichen Lebens organisiere ich mit methodischer Regelmäßigkeit. Vor allem den Haustürschlüssel umklammere ich, als hinge mein Leben davon ab. Eine Zeitlang erfreute sich ein Schlüsselanhänger großer Beliebtheit, der auf Pfiff reagierte und sich so orten ließ. Sobald ich heute das Haus verlasse, binde ich den Schlüssel am Hosenbund fest, damit ich ihn nicht irgendwo vergesse und in Panik suchen muss. Bargeld kommt immer in dieselbe Tasche, Papiere werden brav und rituell verstaut. Zunehmend Probleme bereitet mir dabei jedoch meine Prinzessin, die mich zwingt, gelegentlich Hosen, Hemden und vor allem Jacken zu wechseln, bevor sie zerschlissen oder aus allen Fugen gegangen sind. Deshalb kann es trotz aller Vorsichtsmaßnahmen durchaus passieren, dass sich ein wesentliches Utensil wie Sonnenbrille, Handy oder Autoschlüssel in einen anderen Rock verirrt und mich eine Weile planlos herum irren lässt.
Jetzt hat es mich trotz aller Maßnahmen voll erwischt. Jedenfalls fahren wir in den Winterurlaub und verladen dazu alles, was treu sorgende weibliche Hände raffen können. Ach, wie praktisch, dass ich einen Kombi fahre und einen mittleren Hausstand darin unterbringen kann. Ich packe und stapele Schneeschuhe, Thermokleidung, Mützen, Schals, Handschuhe und Proviant in geordneter Folge neben-, über- und untereinander, damit alles griffbereit liegt. Den Inhalt der Kisten, Koffer und Kasten, der Tüten und Taschen kenne ich nicht. Hier hat die Kommandierende die Übersicht, ich würde es sowieso in Sekunden wieder vergessen haben und an etwas anderes denken. Eigentlich bin ich bei derartigen Unternehmungen inzwischen nur noch für mich selbst verantwortlich. Ansonsten sind meine Aufgabenbereiche auf Fahren und Bezahlen begrenzt, und selbst das ist manchmal schon zu viel.
Auf dem Weg in den verschneiten Süden machen wir nach 250 Kilometern einen Zwischenhalt in der sächsischen Heimat der Prinzessin, um Verwandte zu besuchen. Im Gasthaus »Sachsenkrone« will ich meine Börse aus der Jacke ziehen, um eventuell anwesenden Langfingern das Leben zu erschweren. Gütiger Himmel, sie ist weg!
Mein Blutdruck steigt und eine seltsame Kühle kriecht vom Nacken über meinen Rücken. Systematisch durchsuche ich alle Taschen noch einmal. Wie viele mögliche Verstecke solch eine Wetterjacke bietet! Doch ich werde nicht fündig. Mit hektischen Bewegungen taste ich meinen Körper ab, ob irgendwo eine schwarze Ledertasche pappt. Ich bleibe erfolglos. Panik steigt auf, und ich gehe zum Auto zurück. Vielleicht ist sie beim Aussteigen in den Schnee gefallen und lacht mich jetzt aus? Aber auch auf und unter dem Sitz liegt sie nicht. Dafür entdecke ich dort andere Habseligkeiten, nach denen schon länger gefahndet wird. Ich entrümpele meinen Rucksack, um die hübschen Kreditkarten, Ausweise und Fahrzeugpapiere vielleicht dort wieder zu finden. Kabel, Ladegeräte, Stecker und Computer blinzeln mich verschlafen an, von meiner Brieftasche haben meine Elektrofreunde nichts gesehen.
Ich brauche dringend Verbündete und informiere mein Lebensglück von dem Verlust. Sie verlangt das, was mir am schwersten fällt: ich soll mich genau erinnern. »Wann hast du die Brieftasche zum letzten Mal gesehen? In welche Jackentasche hast du sie gesteckt? Wo könnte sie heraus gefallen sein?« Ich reagiere stets empört, wenn jemand meine Erinnerungsfähigkeit in Zweifel zieht und glaubt, ich hätte tatsächlich etwas anders gemacht als behauptet. Da ich mich aber mit zunehmendem Alter besser kennen lerne, bricht dieser Widerstand rasch in sich zusammen. Es ist schließlich durchaus denkbar, dass ich die Börse verlegt habe oder versehentlich fallen ließ. Einmal ist schließlich immer das erste Mal. Aber warum gerade heute??? Gemeinsam suchen wir Jacke, Tasche und Fahrzeug ab. Alle Mühen bleiben vergebens. Was für ein Mist!
Im Restaurant wähle ich Schnitzel mit Pommes. Zu einem interessanteren Gericht fehlt mir jeder Appetit. Aber selbst die geliebten Pommes können mich nicht aufmuntern und liegen wie Wackersteine im Magen. Den vollen Teller bedecke
ich mit einer Papierserviette, gebe ihn zurück und nippe lediglich am stillen Wasser. In meinem Kopf rasen Szenarios ab. Ich muss mich genau erinnern! Was habe ich zuvor gemacht, was tat ich danach, wohin legte ich dies und das? Es ist ein Kreuz mit den Verrichtungen des Alltags: so monoton und gleichmäßig sie auch scheinen, die konkrete Ausführung liegt im Nebel des Vergessens. Ein Würgeeisen legt sich um meinen Hals, bedenke ich die Konsequenzen: Kreditkarten sperren lassen, Papiere neu beantragen, Bürokratie ohne Ende – und alles mündet in der großen Ungewissheit, ob ich nicht vielleicht nur schusselig war, und die Sammlung Plastikpreziosen schlummert an einem sicheren Ort und lacht sich krank. Jedenfalls will und kann ich so nicht entspannt in Urlaub fahren.
Wild entschlossen entere ich das Automobil und rolle durch die Nacht nach Berlin zurück. Es regnet, die Temperatur liegt unter Null. Glitzernd spiegelt der Highway. Das wäre jetzt die gerechte Strafe für einen, der alles vergisst: in einen Crash verwickelt zu werden und der Bulleria nicht einmal einen Ausweis zeigen zu können. Das Rockradio dröhnt, ich gebe Gas. Donnernde Musik und gefühlte 300 Stundenkilometer, mit der ich die linke Fahrspur pflüge, beflügeln meine Erinnerung. In Gedanken bin ich inzwischen vollkommen klar und ruhig. Alles wird sich finden.
In Berlin biege ich in meine kleine Wohnstraße ein und beäuge sie im Schweinwerferlicht. Vielleicht liegt die gute, alte Börse einsam und platt gewalzt auf der Straße herum und ruft flehentlich nach mir? Leider nein, und auch in der Tiefgarage liegt sie nicht und weint, weil ich sie im Stich gelassen habe. Ich haste ins Haus, das ich erst wenige Stunden zuvor verließ, verschloss und verriegelte. Dort weiß ich genau, wo ich suchen soll. Garderobe ist Möglichkeit eins von sechs, Flurschrank ist Möglichkeit Nummer zwei, Küchentisch drei, Schreibtisch vier, rechte Schreibtischschublade fünf, rechte Schublade sechs und Schluss. Oh weh. Meine wundervolle Brieftasche samt Inhalt bleibt unsichtbar. Sie ist weg, verschwunden auf alle Ewigkeit. Das ist der Preis meiner Schusseligkeit.
Ich gebe nicht auf und wiederhole die Suche in der Wohnung der unbegrenzten Möglichkeiten. Dieses Mal schaue ich sogar unter Schränken und Behältnissen nach und frage die Staubmäuse, ob sie etwas wissen. Doch ich bleibe erfolglos. Was tat ich zuletzt, bevor ich ging? Ich setzte mich an meinen Lieblingsplatz, den alten Schreibtisch, der mich täglich ertragen muss und dem niemand Mitgefühl schenkt. Hatte ich nicht Postkarten aus einer Zigarrenkiste genommen, um mich mit Werbematerial auszurüsten? Ich klappe das Kistchen mit den farbigen Banderolen auf – und da lacht sie mir tatsächlich unschuldig entgegen! Simsalabim. Meine Brieftasche ist wieder da.
Glücklich und erschöpft sacke ich zusammen, greife zum Telefon, um Frauchen zu benachrichtigen und klappe erst einmal meinen Rechner auf, um diesen Vorgang festzuhalten. Damit kann ich es beim nächsten Urlaubsantritt vorher lesen und weiß, wohin ich unbedingt schauen muss. Dann vergesse ich es bestimmt nie wieder!
Auf der Rückfahrt zur Eisprinzessin lausche ich einem Hörbuch. Otto Sander liest Geschichten von Charles Bukowski. Der Mann mit der Ledertasche war hoch neurotisch und führte stets mehrere Sätze Autoschlüssel mit sich, weil er Angst davor hatte, sie zu verlegen und zu verlieren. Was steht mir wohl noch alles bevor, wenn das unheimliche Vergessen weiter von mir Besitz ergreift?
Ich wurde beraubt. Ich wurde geplündert. Ich wurde ausgenommen. Sieben Mal innerhalb weniger Minuten fiel ein schmieriger Ganove über mich her und bestahl mich. Nach jeder Attacke war ich um glatte 100.000 Taler ärmer. Im Nullkommanichts wurde mein Barvermögen um insgesamt siebenhunderttausend geschmälert. Ich schäume vor Wut. Batters heißt das Schwein, das es wagte, mich zu attackieren. Dreist hat er auch noch seine Visitenkarte an meine Tür geheftet. Jetzt wird er mich kennen lernen. Ich heuere einen Auftragskiller an, ihn auszulöschen und lobe ein Kopfgeld aus. Gleich wird er spüren, wen er sich als Gegner ausgesucht hat. Dabei muss ich mir selbst nicht einmal die Finger schmutzig machen. HIER geht es weiter →
Der neue Laptop beim Discounter mit dem großen blauen »A« lockt verführerisch in perlschwarz. Er bietet alles, was des Users Herz begehrt und wohl noch vieles mehr. Um die vielen Extras zu betonen, hat der Anbieter einen bunten Werbeprospekt in doppelter Größe auflegen lassen und den Einfallsreichtum ausgesuchter Texter bemüht. Im Mittelpunkt der Promotion leuchtet das gewisse Extra des Rechners: ein Fingerabdruck-Scanner als Schlüssel für den Zugang!
»Sichere Sache. Da komme ich nur noch ganz allein rein«, frohlockt Heinrich Himpel, den diese technische Neuerung spontan begeistert. Seit Jahren plant er die Anschaffung eines neuen PC, nachdem sein betagter Weggefährte erst die Festplatte und dann auch noch den Bildschirm zum Teufel jagte. Gepiesackt von Familie und Freunden, wann er denn endlich mit seiner Entscheidung zu Potte kommen wolle, steht sein Entschluss fest: dieser hochmoderne Schlepptop soll sein Freund und Begleiter beim Erkunden der virtuellen Welt werden! Zur Absicherung wird als letzte Instanz noch der EDV-Mann im Betrieb befragt. Als dessen Augen ebenfalls leuchten, eilt Heini zum genannten Termin früh um acht zum nächsten Verkaufstempel und schwenkt den Prospekt. Er wirft ein Bündel Geldscheine auf die Theke und schleppt stolz wie Oskar die schimmernde Beute heim.
Das Wunderbare an Computern der neuen Zeit ist, dass sie bereits vollständig aufgerüstet und eingerichtet sind. Betriebssystem und Programme wurden von kundigen Heinzelmännlein vorab installiert. Das Gerät kann damit gleich in Betrieb genommen werden: ein Segen für jeden, dem das Computern unheimlich ist. Himpel klappt den Deckel seines neuen schwarzen Schätzchens auf. Der Kasten summt und brummt fröhlich, und der Geist der Maschine begrüßt nach wenigen Augenblicken seinen neuen Herrn und Meister. Der strahlt über beide Backen und freut sich über das Willkommen eines freundlichen Assistenten, der ihn bei seinen ersten Schritten begleiten möchte. Gleich wird Heini um das Wichtigste gebeten, das ist sein individueller Fingerabdruck.
Früher galt ein Fingerabdruck als erster Schritt in die Verbrecherkartei, heute erschließt er den Zugang zum Paradies. Mit ihm öffnet sich der Zugang zum virtuellen Himmelreich. Der Einrichtungsassistent verlangt, einen Finger auszuwählen und über den Scanner zu streichen. Heini wählt einen besonders fleischigen Finger aus, damit die Kapillaren besonders gut erkennbar sind und erledigt diesen Job gleich mehrmals. Dann tippt er wunschgemäß verschiedene Namen und Passworte ein, weil der freundliche Helfer ihn darum bittet. Dabei wählt er eine perfide Buchstaben-Ziffern-Kombination, damit keiner, der vielleicht die Fingerabdrucksperre überwindet, an seine intimen Daten kommt. Heinrich Himpel schaut gern fern, er hört im Auto Radio, und er ist seit Jahrzehnten Abonnent einer Lokalzeitung. Ihm macht so schnell keiner was vor. Deshalb variiert er die erwünschten Passworte auf raffinierte Weise, mal kombiniert er Namen und Geburtstag der Tochter, mal wählt er die Adresse der Eltern und verarbeitetet sie zu einem persönlichen Geheimcode. Der Assistent akzeptiert und dankt, dann verabschiedet er sich. Alles scheint in bester Ordnung. Himpel triumphiert: er hat sein neues Spielzeug ganz für sich allein, und niemand kann ohne seinen Fingerzeig darüber verfügen.
Am Abend stellt Heini das neue Familienmitglied vor. Der stolze Vater fährt den Rechner hoch. Gattin, Tochter und Schwiegersohn schweigen erwartungsvoll. Himpel streicht mit dem Finger über den Scanner. »Too fast« meldet eine Anzeige. »Zu schnell« übersetzt das Töchterlein. Erneut zieht Heini einen Finger über den Sensor. Ein großes rotes Kreuz verweigert den Zugang. Erfolglos versucht er es ein weiteres Mal. »Bist du sicher, dass es der richtige Finger ist«, fragt ihn seine Frau, die ihren Mann wie kein anderer kennt. Der sinkt einige Millimeter in sich zusammen, knurrt unwillig und ratscht wieder über die Leseleiste. Drei Mal bleibt er erfolglos. Dafür öffnet sich ein neues Fenster, ein »PBA« wird erfragt. Erleichtert atmen alle auf. Der Schwiegersohn stand von Anbeginn dem Fingerabdruck skeptisch gegenüber und empfahl, diese Abfrage auszulassen. »Jetzt musst du nur dein Generalpasswort eingeben, dann ist alles klar«, muntert er den Schwiegervater auf.
Himpel macht ein Gesicht, als wolle er den Gesang der Wale entschlüsseln und tippt diverse Zeichen ein. Der Rechner schüttelt ablehnend den Kopf. »Hast du dir etwa schon wieder das Passwort nicht aufgeschrieben«, funkelt ihn die Gattin an. Stumm und mit eingezogenem Kopf tippt der Göttergatte weitere Buchstabenkombinationen in das Abfragefeld. Nach diversen Versuchen schaltet der Computer auf stur. Ohne Neustart lässt sich nichts mehr bewegen. Wieder fährt der Rechner hoch, drei Mal wird der Finger von oben, von unten, mal langsam, mal schnell über die Lesezone gezogen. Heini bleibt erfolglos und meldet nach dem mehrfachen Versuch, erneut das richtige Passwort einzugeben, Bankrott an. Hektisch steht er auf und wühlt in einem Zettelhaufen. Stolz zieht er daraus einen Papierfetzen hervor und hält ihn den anderen hin. Da ist das Passwort! »Vati, das ist dein Handy-Passwort, das kennen wir schon«, schüttelt die Tochter ungnädig den Kopf. Erneut wühlt Heini in seinen Unterlagen. Weil er nichts findet, probiert er noch ein paar Mal alle erdenklichen Passwörter in Groß- und Kleinschreibung. Schließlich ist der ehemals stolze Besitzer des neuen Rechners derart konfus, dass er den Deckel seines neuen Besitztums zuklappt. Der Abend nimmt seinen Lauf.
Am nächsten Tag wird die Versuchsreihe erneut gestartet. Leider erinnert sich der Computer auch im Wiederholungsfall weder an den Fingerabdruck noch an das Simsalabim zur Öffnung der Schatztruhe. Was tun? Der Schwiegersohn rät zur Neuinstallation des Systems und zum Rücksetzen sämtlicher Kennworte. Eine Rettungs-CD mit dem System wird eingeschoben, und alles wird neu konfiguriert. Passworte, Gerätenamen und Sicherheitsfrage werden eingegeben und unter Argusaugen notiert. Der Einrichtungsassistent für den Fingerabdruck wird übergangen, weil alle Anwesenden entsetzt »Nein« schreien, als Heini wieder den Einrichtungsassistenten bestätigen will. Alles läuft zur Zufriedenheit, der Rechner scheint geheilt. Jetzt kann es endlich richtig losgehen.
Aufgeregt klickt Himpel ein Programm an und öffnet eine Demoversion, die ihn 60 Tage lang unentgeltlich locken möchte. Er tippt, er schaut verlegen, er tippt erneut. »Ich muss mich anmelden, aber es geht nicht«, entfährt es ihm unsicher. Die am Tisch versammelten Blicke irritieren ihn. »Du hast doch immer noch keinen Internet-Anschluss«, murmelt der Schwiegersohn leicht genervt, »darum wolltest du dich doch schon vor Monaten kümmern«. Himpel schaut, als verstehe er die Welt nicht mehr. Aber wie soll er denn jetzt ins Internet kommen, um seine neuen Programme freizuschalten? »Versuchen wir erst einen Neustart, ob jetzt alles in Ordnung ist«, rät ihm der Mann, der ihm die Tochter nahm, »dann sehen wir weiter«. Gesagt, getan.
Der Rechner fährt runter, der Rechner fährt hoch, und wieder wird der Fingerabdruck verlangt. »Mist, wir müssen das Ding vollkommen abschalten«, entfährt es dem Berater, »also wieder alles von vorn«. Er schnappt sich den glänzenden Kasten, installiert erneut das System, überschreibt alle Passworte und erklärt dem Assistenten, der die Vorzüge des Fingerabdruckscans schmackhaft machen will, dass er darauf unbedingt und auf jeden Fall verzichten will. Endlich läuft die Kiste und lässt sich mit Hilfe des notierten Passwortes auch problemfrei nutzen. Der Eigentümer wird ermahnt, auf keinen Fall weitere Passworte einzugeben oder etwas zu ändern. Sicherheitshalber notieren alle Anwesenden das Generalpasswort. Natürlich nur für alle Fälle.
Meiner im Herbst erscheinenden Autobiographie entnehme ich heute ein kleines Stück: Als junger Mann trampte Prinz Rupi im Zuge der Flower-Power-Zeit durch Europa, lebte ein Vierteljahr in London und landete schließlich mit knapp 17 im damaligen Westberlin. Dieser Ort brachte den seinerzeit unschätzbaren Vorteil mit sich, nicht zur Bundeswehr zu müssen
INSULANER IM ROTEN MEER
Bei meinem Eintreffen in Westberlin 1968/69 brannte die Luft, und es roch aus allen Ecken und Winkeln nach Straßenkampf und Revolution. Die ummauerte Stadt erlebte die aufregendste Zeit seit Kriegsende. Studenten, Schüler und Auszubildende errichteten Barrikaden und lieferten sich erbitterte Straßenschlachten mit der Staatsgewalt. Der Kurfürstendamm verwandelte sich Abend für Abend in eine spannungsgeladene Diskussionsmeile. Kraftstrotzende Demonstrationszüge zogen durch die Stadt. Lautstarke Teach-Ins und hochfliegende Büttenreden im Audimax der Universität zählten zur Tagesordnung. Rote Fahnen knatterten im Wind. »Nun ist die Luft von solchem Spuk so voll, dass niemand weiß, wie er ihn meiden soll«, lässt Goethe seinen Faust im zweiten Teil sagen, und genauso infizierte mich die Aufbruchstimmung in Berlin.
Hunderttausende rebellierten gegen den Vietnamkrieg und das bestehende gesellschaftliche System, gegen staatliche Autoritäten, gegen Reaktionäre in Politik und Verwaltung, gegen die Ewiggestrigen und den Muff von tausend Jahren unter den Talaren. Wir wollten mit der älteren Generation abrechnen, die Hitler und den Zweiten Weltkrieg ermöglicht hatten, zumal viele ehemalige Nazi-Funktionäre wieder an den Schalthebeln der Macht saßen. Wir waren die Generation der »Vatermörder«, wie Modeschöpfer Wolfgang Joop einmal spitz bemerkte. Es war die Blütezeit der als APO berühmt gewordenen außerparlamentarischen Opposition, deren Aktivisten Deutschlands überfällige Liberalisierung in Gang setzten. Wer bislang noch nicht politisiert war, wurde spätestens mit der Übersiedelung in Richtung Funkturm zum Revoluzzer. Ich hielt es bei meiner Ankunft am Bahnhof Zoologischer Garten mit Dante Alighieri, dessen »Göttliche Komödie« ich auf der Zugfahrt in meine neue Heimat gelesen hatte. Darin sprach mir Italiens bekanntester Dichter aus dem jungen Herzen: »Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt, der andere packt sie kräftig an und handelt«.
Ein Siebzehnjähriger, der in bewegten Zeiten mutterseelenallein und mit einem Seesack voller Träume nach Berlin kommt, sucht sozialen Schutz. WGs genannte Wohngemeinschaften boten die besten Möglichkeiten, mit Gleichaltrigen Kontakt zu bekommen und preiswert zu überleben. WGs standen außerdem als alternative Lebensformen im Mittelpunkt des Interesses junger Leute. Sie bildeten die praktische Alternative zur klassischen Familie, deren Enge verantwortlich gemacht wurde für Kleingeistigkeit und reaktionäres Denken. Sie boten eine Wohnform, die sich in den verschiedensten Formen langfristig etablieren sollte. Der Staat interpretierte sie als besonders heimtückischen Angriff auf die Familie als kleinste Zelle des Staatswesens, und Kirchenfürsten bekamen Herzinfarkte im Dauerabonnement, weil ihre Moral praktisch infrage gestellt wurde.
Die WG, in die ich durch Vermittlung von Freunden einzog, hatte sich als Untermieter in einer weitläufigen Berliner Altbauwohnung in der Heilbronner Straße 3 in Schöneberg eingenistet. In Spitzenzeiten bewohnten bis zu vierzehn Gestalten zwei große Berliner Zimmern und eine Kammer, sie teilten sich Betten, Couches und Matratzen. Unsere Schlafgelegenheiten, Mobiliar vom Sperrmüll und Trödel, waren an den Wänden aufgereiht, und es galt eine ungeschriebene, aber feste Hierarchie: diejenigen, die neu einzogen, mussten mit den schäbigsten Plätzen vorlieb nehmen. Je zwei Mann teilten sich eine Matratze oder ein Sofa. Das wurde mitunter zu einer recht knirschen Angelegenheit, aber da manche der möblierten Herren bevorzugten, tagsüber zu ruhen und nachts auszuschwärmen, war am Abend die Schlafstatt für den nächsten Kandidaten frei.
Die Fluktuation in unserer WG war erheblich. Es ging zu wie in einem überquellenden Taubenschlag. Nahezu täglich flogen neue Bewohner ein und aus. Ich arbeitete mich im Laufe der Wochen auf einen Frischluftplatz am Fenster vor und bezog schließlich als Krönung ein kleines Nebengelass, das ich nach zwei Monaten alleine bewohnte. In der Mitte des großen Berliner Zimmers stand ein ausziehbarer Holztisch, auf dem sich Zeitungen, Flugblätter, Pfeifen, Tabak, Zigarettenpapier, Gläser, Flaschen und Essensreste türmten. An den Wänden unserer Behausung hingen lebensgroße Seidenbilder von Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao Tse Tung, die der Propagandaversand Guozi Shudian, Postfach 399, Peking/Volksrepublik China gemeinsam mit der wöchentlich erscheinenden »Peking Rundschau« und der knallbunten Monatsillustrierten »China im Bild« in unser Heim schickte und uns von einem sozialistischen Utopia träumen ließ.
Aus heutiger Sicht frage ich mich manchmal, wieso ich Despoten wie Stalin oder Mao in mein Herz schloss, wo ich doch unabhängig, antiautoritär und frei leben wollte. Sie erwiesen sich letztlich als Tyrannen, die hunderttausende Menschen für ihre Ideen opferten. Doch es ging eine enorme Faszination von diesen Leitfiguren aus, sie waren Idole für viele. Ersetzte uns Vorsitzender Mao mit seinem patriarchalischen Gehabe vielleicht den Vater, da wir blutjung von zu Hause ausgebrochen und in die Fremde gezogen waren? Pflanzten die faschistischen Strukturen, die das Dritte Reich in die Hirne unserer Eltern implantierte, sich quasi genetisch fort, so dass wir auf die Suche nach neuen Führern gingen, um Orientierung und Halt zu finden? Oder war es lediglich ein oppositioneller Schulterschluss mit Politgrößen, die von der herrschenden politischen Kaste abgelehnt und zu Feindbildern erklärt wurden?
Es böte Soziologen und Psychologen ein weites Feld, zu ermitteln, welche Parallelen zwischen den Eltern-Kind-Generationen und ihren Idealen bestanden. Vielleicht lässt sich damit sogar ermitteln, ob es tatsächlich so etwas gibt wie den genetisch codierten deutschen Untertanengeist, den Heinrich Mann in seinem Roman »Der Untertan« am Aufstieg und Fall des Diederich Heßling anschaulich beschreibt.
Unsere Informationen über die sozialistischen Superstars jedenfalls waren dürftig und von extremer Einseitigkeit. So schwer es aus heutiger Sicht ist, selbstkritisch zu urteilen, wir irrten in der Wahl unserer Helden, und es gibt keine Entschuldigung dafür, dass wir einen Personenkult pflegten, den wir zugleich nach außen hin heftig bekämpften. »Freiheit ist die Freiheit des Andersdenkenden«, hatte die Sozialistin Rosa Luxemburg gefordert. Aber dieser Gedanke stand nicht unbedingt auf unseren Bannern geschrieben, wenngleich wir diese Freiheit auch und vor allem für uns reklamierten.