Berlin. Im Gruselhaus Steglitzer Damm 110 spielt ein Hausbesitzer verrückt und bricht den Mietern die Fenster aus den Wohnungen
Lebt am Steglitzer Damm 110 in Berlin eine totkranke Seele? Ist es ein Reichsbürger, der um alte Grenzen kämpft?? Handelt es sich um einen Drogen-, Alkohol- oder Spielbank-Süchtigen, der jeden Cent aus der Ruine herauspressen muss??? – Wer an dem Gruselhaus Steglitzer Damm 110 vorbeifährt, mag sich diese Fragen stellen.
Auf jeden Fall fühlt er sich in die Nachkriegszeit versetzt: Fenster sind herausgebrochen, Scheiben zerschlagen, Öffnungen notdürftig mit Matratzen und Pappe verstopft. Hinter blinden Fensterscheiben lauern Videokameras, die jeden, der sich dem Gebäude nähert, scannen.
Handelt es sich vielleicht um eine vergessene Filmkulisse? – Schön wär´s: Das mit öffentlichen Mitteln erbaute Wohnhaus zählt zum Besitztum einer Berliner Miethais, der die Wohnungsnot in der Hauptstadt gnadenlos ausnutzt und sich daran bereichert.
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Literatur auf der Parkbank im Berliner Tiergarten: Sogar ein Ehepaar, das in Bahrain lebt, kam, um sich auf Parkbank Nr. 42 Geschichten von Prinz Rupi vorlesen zu lassen. Sämtliche Fotos: © Ruprecht Frieling
Trotz erbarmungsloser Hitze trafen sich am Sonntag, dem mit 39 Grad bislang heißesten Tag des Jahres, 50 Autoren aus Berlin, Brandenburg und Meck-Pomm. Sie lasen auf dem Event »Literatur auf der Parkbank« im Berliner Tiergarten jeweils vier Stunden lang aus ihren Werken. Dabei wurden nicht nur (nach einer wissenschaftlichen Untersuchung des Berichterstatters) 236 Liter Schweiß vergossen, es wurden auch zahlreiche Bücher an Besucher und Spaziergänger verkauft. Am Abend trafen sich die Akteure zu einer Party im Café Tiergarten, um bei Wasser, Limo und Bier die Lebenssäfte wieder aufzutanken und sich näher kennenzulernen. HIER geht es weiter →
Der Mond ist aufgegangen. Als Projektionsfläche für Romantik, Eroberungs- und Entdeckungsfantasien beschäftigt sich die Schweizer Künstlerin Zilla Leutenegger mit dem Erdtrabanten. Zur Eröffnung des PalaisPopulaire in Berlin schuf sie eine faszinierende Installation unter dem Titel »Moondiver II« . HIER geht es weiter →
Mein erstes Buchmanuskript war ein Tatsachenroman, der die Drogentransporte der seinerzeit in Westberlin stationierten US-Streitkräfte schilderte.
Es war die Zeit des Vietnam-Krieges, den die amerikanische Regierung angezettelt hatte, um ein liebenswertes Land und seine Bewohner mit Napalm und Splitterbomben zu zerstören, pardon: von den bösen Kommunisten zu befreien …
Blick in die Hofanlage des Kurt-Mühlenhaupt-Museums.
Rund 70 Kilometer nördlich von Berlin lockte lange Jahre in Bergsdorf bei Zehdenick ein liebevoll restaurierter Vierseithof Kunstfreunde aus aller Welt ins Reich des Kreuzberger Malerpoeten Kurt Mühlenhaupt. Im Sommer 2019 jedoch zieht das Mühlenhaupt-Museum wieder in Kurtchens alte Wirkungsstätte nach Berlin-Kreuzberg, Aus dem Kunsthof Bergsdorf wird eine Art chinesische Villa Massimo. Ein chinesischer Investor hat das Gelände gekauft, der hier chinesischen Künstlern einen Deutschlandaufenthalt ermöglichen will. Ab Sommer werden hier zehn chinesische Maler arbeiten. Rosie Wang, die das Kulturzentrum leiten wird, wird auch weiterhin an den Wochenenden für das Publikum öffnen. HIER geht es weiter →
Manische Wiegenlieder
Zierfische in Fensterbuchten,
starren stumm auf Straßenschluchten.
Zwei Schatten wühlen dort in Tonnen,
Frau Sonne onaniert voll Wonnen.
War das eine Freude, wenn in früher Jugendzeit der Zirkus ins Städtchen kam! Bereits Tage zuvor klebten verwegen aussehende Männer farbenfrohe Plakate an Bäume, Zäune und Masten. Aus dem Nichts kamen sie wieder und errichteten über Nacht in einem Gewirr von Stangen, Seilen und Segeltuch ein gewaltiges Zelt. Bald trafen Güterwagen mit exotischen Tieren ein: Elefanten wurden entladen und im Triumphzug vom Bahnhof zur Festwiese begleitet. Rassige Rösser, mürrische Mulis, klapprige Kamele und braune Bären trotteten durch den Staub langer Straßen.
Zirkusluft verhieß Abenteuer, das war der Stallgeruch der großen, weiten Welt. Und wurde gar ein Schild mit der Inschrift „Junger Mann zum Mitreisen gesucht“ aufgehängt, dann träumten wir, uns heimlich aus der Villa Mama zu schleichen und dem Ruf ins Ungewisse zu folgen.
Mit dem Älterwerden verflüchtigte sich die Zirkusluft, und spätestens, seitdem ich offiziell „erwachsen“ bin, also wählen gehen, den Führerschein befristet abgeben und den Zusammenbruch von Euro-Staaten mit immer mehr Schulden verzögern darf, hat der Zirkus von anno Tobak seinen Reiz verloren. Dennoch schaue ich hin, wenn ein Plakat mit einem Clownsgesicht oder einem Männchen machenden Dickhäuter meinen Weg kreuzt, und das geschieht zuverlässig alle vier Jahre. Denn dann zieht der Politzirkus durchs Land
An diesem Wochenende lacht mich ein zwei Meter hoher, giftgrüner Papagei von einer riesigen Plakatwand an. Das Plappermaul heißt Henkel, wie mir von kundigen Zirkusfreunden verraten wird. Pardon, der Vogel wirbt natürlich nur für ihn, denn Herr Henkel ist ein ehrenwerter Mann der Berliner CDU, der selbst mal an die Futternäpfe will. An jeden zweiten Baum hat er deshalb ein Plakat mit dem sinnigen Hinweis „Ich bin ein CDU-Baum“ tackern lassen, um die Leute zum Besuch der Vorstellung anzulocken. Er träumt davon, mit seinen Leuten die regierende SPD zu beerben, die auf ihren Ankündigungen behauptet, sie würde „Berlin verstehen“.
Die attackierten Berlinversteher präsentieren statt eines exotischen Tieres lieber ihren Regierungschef Wowereit. Der Chefdompteur hält eine alte Dame wie einen zerzausten Tanzbären an der Hand und will damit wohl die mütterlichen Instinkte der zahllosen Seniorinnen von Sprayathen gewinnen. Tatsächlich ist ein enges Miteinandergehen der Generationen schon deshalb sinnvoll, weil nächtens die Straßenbeleuchtung ausgeschaltet wird, auch wenn der Mond lediglich verhangen strahlt, und Schlaglöcher Tiefen haben, die an den pazifischen Marianengraben erinnern.
Mit sorgendurchfurchter Stirn und Augenringen galoppiert daneben Renate Künast für „Die Grünen“ durch das Manegenrund, dass die Sägespäne fliegen. Die Spitzenkandidatin bietet sich dem hochverehrten Publikum mit Sprüchen wie „Renate kämpft“ und „Renate arbeitet“ als spaßfreier Kraftprotz mit Wadenbeißermentalität an. Inzwischen hat die Kunstreiterin allerdings kalte Füße bekommen und in einem Meisterstück öffentlichen Ungeschicks „Renate geht“ verkündet. Manche Auftritte gehen eben mal daneben.
Wie es sich für einen großen Zirkus gehört, gibt es neben Stars und Schwergewichten auch einen Tross mit Zauberern, Jongleuren und Tanzmäusen. Das kleinste Lebewesen unter der Zirkuskuppel heißt FPD. Die Partei der Westerwillis, Wendehälse und Wackelpeter möchte an der Zwei-Prozent-Hürde abgeholt werden und lädt mit besonderem Pfiff zur großen Zirkusshow ein: Auf den Plakaten der inzwischen kaum noch wahrnehmbaren Partei prangt vor dem Kürzel ein rapsgelber Aufkleber. Die „neue“ FPD will damit andeuten, dass mit etwas Make-up alles viel besser läuft als in den Jahrzehnten zuvor. Ob das reicht, um bei der nächsten Vorstellung wenigstens die Karten abreißen zu dürfen? Sichtbares Merkmal der blassgelben Werbebotschaften ist jedenfalls, dass sie sich bereits bei leichtem Regen ablösen und entsprechend schnell vom Winde verweht werden.
Zu jedem Zirkus gehört auch ein kleiner Kitzel, der von mahlendem Trommelwirbel begleitet wird. Mal ist es der Dompteur, der seinen Kopf in den Rachen des Löwen legt und ihn dabei krault. Manchmal sind es atemberaubende Sprünge ohne Netz und doppelten Boden. Diesmal wirbt ein verbissen wirkender Grauschopf in schwarzer Ledermonitur für einen Motorradstunt im Raubtierkäfig. Es ist der Chef der braunen NPD, dessen Konterfei hoch oben und unerreichbar unter dem Kuppelzelt klebt. Lautstark will der Todesfahrer aus wolkigen Höhen heraus „Gas geben“. Offen bleibt bei dieser Losung, die auch direkt vor dem Jüdischen Museum prangt, wem er denn dieses Gas geben bzw. wen er ins Gas schicken will. Das wird sich wohl erst zeigen, wenn er freigelassen werden sollte, um mit steifem Am durch einen brennenden Reifen zu springen. In der großen Pause verteilt er derweil als Pausenclown lustige Kreuzworträtsel, deren Lösungswort „Adolf“ lautet.
Menschen, Tiere, Sensationen und ein wenig Nervenkitzel. Das Zirkusorchester setzt zum flotten Marsch „Einzug der Gladiatoren“ an und muntert mit Tusch und Fanfarenklängen auf. In die Manege drängen nun verwegene Akrobaten, die sich als Piraten verkleidet haben. Während sie mit blanken Messern zwischen den Zähnen in affenartiger Geschwindigkeit die Wanten entern, stürzen Go-go-Girls vom Team „Deutsche Angst“ in die Manege und zeigen Bilder von brennenden Autos, vermummten Männern und lodernden Fackeln. Ach, wäre es nicht furchtbar, wenn Piraten in die Parlamente zögen und dort Totenkopfflaggen hissten? Vielleicht würden sie gar Ministerin „Zensursula“ als Geisel nehmen? Nun weiß selbst der CDU-Papagei keinen Ausweg mehr und schweigt still.
Ratlos starrt das Publikum in die Zirkuskuppel
Berlin-Prenzelberg: Charme des Verblassens
Fotomontage: Pocemon
Vom Bashing und Prokrastinieren
In Berlin leben derzeit 190 verschiedene Nationalitäten einträchtig nebeneinander. Dennoch kommt es hier und da zu kleinen Reibereien. In Marienfelde erlebe ich Kulturkampf pur auf einem Trödelmarkt. In Sachen »Ethik oder Religion« sammelt dort eine Kampagne Unterschriften, die von christlichen Kirchen initiiert wird und darum barmt, auch weiterhin an staatlichen Schulen Religionsunterricht veranstalten zu dürfen. Ich gehe schnell weiter.
Doch bereits an der nächsten Ecke bremsen mich moderne Kreuzritter. Sie versuchen mit kruden Argumenten, meine Stimme gegen die Errichtung von Moscheen zu kassieren. Islam-Bashing heißt dieser Trend, der dem Andersgläubigen das Streben nach der Weltherrschaft unterstellt und dabei klammheimlich den »richtigen« Glauben propagiert. Ich fühle mich unwohl, entere die S-Bahn und fliehe gen Mekka.
In »Prenzelberg« ersehne ich Ruhe und Frieden. Der derart liebevoll abgekürzte In-Bezirk Prenzlauer Berg im Osten Berlins löste nach der Wende das im Westen gelegene Kreuzberg als Hochburg der Alternativen, Künstler und Freaks ab. Kreuzberg, das bis 1989 im Schatten der Mauer verkümmerte, stieg zum neuen Augenstern der Spekulanten auf. Alternativ bot der Prenzlauer Berg mit seinen unsanierten Mietskasernen und verlotterten Höfen die stilechte Kulisse für das Leben der städtischen Subkultur. Es wurde zum idealen Rückzugsgebiet für Lebenskünstler und Habenichtse, die sich nostalgisch am verblassenden Schein des Realsozialismus wärmen.
Doch auch in dieser Gegend voll vergilbtem Charme gibt es Fronten. Denn in Prenzelberg nistet ein neuer Feind, und der wird inzwischen aktiv angegangen: Es sind nicht die Gegner des Religionsunterrichts oder die Erbauer von Bethäusern mit Minaretten und Kuppeln. Die wahren Feinde sind »die Schwaben«, verrät mir ein Flugblatt, das mir der Wind in die Hände spielt.
»Schwaben« werden diejenigen genannt, die in den letzten Jahren Prenzelberg überfluteten, wenn man den Dialektchorälen auf Straßen und Plätzen folgt. Von Mutti und Vati in der Ferne mit reichlich Kohle ausgestattet, können sie sich attraktive Dachgeschosse und große Wohnungen leisten und treiben damit die Mieten in die Höhe. Einige kaufen sich gar ein Loft, denn das gilt als Zukunftsinvestition. Das ruft die eingefleischte Prenzelberger Szene auf den Plan, die den »Ökoschwaben« den Kampf angesagt hat. Schwaben-Bashing, das öffentliche Beschimpfen der Schaffe-schaffe-Häusle-baue-Schicht, heißt der neue Volkssport missmutiger Zeitgenossen.
Die von überall bunt zusammen gewürfelte »Ureinwohnerschaft« der Kiezes will es laut öffentlichen Aufrufen nicht mehr hinnehmen, »dass siebenjährige blonde Mädchen mit täglich neu geflochtenen Zöpfen schon wissen, was Dim Sum mit Shrimps, Frühlingslauch und Koriander ist«. Sie verwahren sich gegen »Pornobrillenträger«, die »mit ihren Sechziger-Jahre-Citroens sämtliche Parkplätze besetzen und die Cafébänke blockieren, weil sie zwischen zwei wichtigen Gesprächen noch einen Latte trinken müssen«.
Die verhassten Prenzelberger Schwaben schicken ihre Kleinen zum Kinder-Yoga, damit sie »etwas ruhiger« werden. Sie geben ihren Weimaranern und Windhunden nur dann Auslauf, wenn Herrchen die »Shrek«-DVD zur Videothek zurück bringt. Sie beziehen vom Ökomarkt »Katzenkroketten mit Fisch« und tun gleichzeitig so, als lebten sie linksalternativ, schockiert mich das fliegende Blatt.
Im frisch gebackenen Mittelständler erkennt der Eingeborene, der allerdings meist selbst irgendwann zugezogen ist, den neuen Intimfeind. Schon an ihren geheimnisvollen Berufsbezeichnungen werden die »Schwaben« ausgemacht. Denn jeder von ihnen ist längst vom simplen Webdesigner zum »CEO« oder »Head-of-Irgendwas« aufgestiegen. Und zu jedem Willi Wichtig gehört selbstverständlich eine taffe Businessfrau mit dickem Portemonnaie.
Dabei sind die Mitglieder der neuen Kaste, und das stört den eingefleischten Prenzelberger offenbar besonders, oft konservativer als die eigenen Eltern. In ihren Cafés erteilen sie Farbigen und Sinti Hausverbot und leisten alles, um Mittelmaß und Spießertum zu verbreiten. Doch der schlimmste Vorwurf lautet: die Schwaben wollen den Ku´damm des Kiezes, die Kastanienallee, zu einem Berliner Ballermann umgestalten, auf dem hordenweise Touristen rauf- und runter getrieben und in Edelläden ausgenommen werden. Der echte Prenzelberger wünscht sich deshalb sein Paradies zurück und verflucht die verwöhnten Yuppies aus dem reichen Süden.
Und schon begegnen mir leibhaftige Schwaben, als einer ihrer Sprösslinge mit einem Holzrad unsanft über meine Füße fährt. Im wahrsten Wortsinn in der Gosse lande ich wenig später, als zwei schwäbelnde Mütter vom Kollwitzplatz mit ausladenden Kampfpanzern nebeneinander den engen Gehweg pflügen, bevor sie sich in einem Café verbarrikadieren. Sie existieren also tatsächlich!
Wo einstmals morbider Charme lockte, herrscht heute verbaler Straßenkampf. Wo gestern noch unisono Eintracht herrschte, werden heute Lebensstile verglichen, als gelte es, epochale Zäsuren festzumachen. Besonders, seitdem die »digitale Bohème« das Schlagwort vom »Prokrastinieren« vereinnahmt hat, treten die Gegensatz schärfer denn je zu Tage.
Unter diesem Zungenbrecher darf der Nichtlateiner das zur Kulturleistung erhobene gepflegte Aufschieben notwendiger Leistungen verstehen. Im Kern geht es also um den frontalen Zusammenstoß jener, die den unbeschwerten Lebensgenuss pflegen, mit jenen, die dem schwäbischen Motto »Schaffe, schaffe, Häusle baue« huldigen.
Berlin, Berlin, Berlin! Als hätte die Stadt keine anderen Sorgen, wird an jeder Ecke aktives Bashing betrieben. Da prokrastiniere ich doch lieber ein Weilchen und lebe in fröhlicher Armut wie ein großer Herr.