Das Avant-Avantgarde-Magazin Das Dosierte Leben rief seinen „inneren Zirkel“ auf, die Zeitschrift auf dem entspannenden Weg zum Schmetterling zu begleiten und eine Kleinigkeit zum Stichwort Metamorphose beizusteuern.
Als getreuer Innerzirklist eilte ich darauf umgehend in den Palastgarten, um mir ein paar hochlyrische Zeilen abzuringen. Dort wurde ich von einem freundlichen Tagpfauenauge begrüßt, das sich am Sommerflieder delektierte und dabei ablichten ließ.
Die auf einen Zeitungsrand gekrakelte Ode wurde umgehend vom prinzlichen Postamt an den herausgebenden König der Dosen per Elektrobrief gesandt. Seine Prächtigkeit stopfte die epochalen Verse mit einem »Manifest der Arroganz«, einer Prise New Rave-Kultur und einem Quantum Dosenrevival in sein neuestes Heft, das PENG! auf meinem Tisch landete.
Dieses abwechslungsreiche, kreativ gestaltete und jedem Freund von Dada und Absurdem ans Herz gelegte Heft wiederum motivierte mich, meine gereimte Apokalypse eines Schmetterlings ausserdem noch auf meinen Tuben-Kanal zu stellen..
Das Dosierte Leben Avant-Avantgarde-Magazin
15. Jahrgang Ausgabe 83 6,12
c/o Jochen König Dr.-Weiss-Strasse 3/5 69412 Ebersbach
Ist dir, lieber Leser, dieser Text etwas wert, und wenn ja: wie viel? Werde ich dafür in der neuen Währung Aufmerksamkeit mit vielen Klicks bezahlt? Werde ich mit Kommentaren belohnt? Oder gibt es künftig sogar echtes Geld dafür genau so, wie es der Fall wäre, wenn ich diesen Artikel in der Holzpresse veröffentlichen würde?
Im Internet gibt es eine lebhafte Diskussion darüber, wie Online-Journalisten und Verlage Geld verdienen können. Dabei wird versucht, den anfangs gewählten Weg, alles gratis anzubieten, peu a peu wieder rückgängig zu machen.
So versucht seit einigen Monaten der Axel-Springer-Verlag, ausgewählte Artikeln nur denjenigen Lesern zugänglich zu machen, die auch bereit sind, dafür zu zahlen. Frankfurter Rundschau, Berliner Zeitung und andere Tageszeitungen wollen bald folgen. Der Medienkonzern Bertelsmann steht vor der Eröffnung eines Online-Kiosks, bei dem Periodika und Bücher in digitaler Form erworben werden können.
Spiegel und Blogs liefen kostenfrei Content
Im Gegensatz dazu liefert Spiegel online seit 15 Jahren gratis hochwertigen Inhalt und will an dieser Politik weiterhin festhalten. Von den deutschen Bloggern hat es bislang noch keiner gewagt, eine Bezahlhürde zu errichten, es wird weiterhin zum Nulltarif geliefert.
Doch gibt es in Zeiten der Geiz-ist-geil-Mentalität überhaupt Leser, die in die Tasche greifen würden, um Autoren für ihre Arbeit zu belohnen? Lediglich neun Prozent aller deutschen Internetuser sind nach einer Studie des Wall Street Journal Europe bereit, für Online-Inhalte zu zahlen. Und dabei gilt wiederum als Faustformel: je spezieller und hochkarätiger der Inhalt, desto größer die Bereitschaft, den Autor dafür zu entlohnen.
Ein Versuch: Autoren-Netzwerk Suite101
Das Anfang 2008 für Deutschland gegründete, schnell wachsende Autoren-Netzwerk Suite101.de hält inzwischen mehr als 30.000 deutschsprachige Artikel vorrätig, die kostenlos gelesen werden können. Über 750 aktive Autoren erreichen mehr als zwei Millionen Leser (Unique Visitors) monatlich, und einige dieser Netzjournalisten hoffen, mit ihren Artikeln ihr tägliches Brot verdienen zu können.
Die Autoren sind nämlich mit einem Bruchteil an den Einnahmen beteiligt, die durch das Klicken der Leser auf die eingeflochtenen Werbeanzeigen erzielt werden. Tatsächlich gibt es bisher nur sehr wenige Autoren, die mehr als einhundert Euro pro Monat erzielen. Deren Artikel behandeln Mainstream-Themen bzw. aktuelle Themen, die oft gegoogelt werden (in der Vergangenheit beispielsweise Schweinegrippe).
Dabei ist die häufige Lektüre kein Garant für entsprechende Tantiemen, denn nur, wenn der Leser auch die Werbung anklickt, wird der Autor belohnt. So liegen meine eigenen Tantiemen bei Suite101.de aktuell bei 1,96 je 1.000 Seitenaufrufe. Der Historiker und Suite101-Autor Wolfgang Schwerdt, der zu den 100 meistgelesenen Autoren zählt, meint dazu: Trotz meiner für meinen Themenbereich vergleichsweise exorbitanten
Leserbeliebtheit lag ich in der Vergangenheit immer recht knapp über dem monatlichen Auszahlungsbetrag ( 10,-/Monat R.F.), in den letzten Monaten wieder darunter. Der eigentliche Gewinner bleibt also Suite101.
Was ist Flattr?
Lukrativer scheint da the new big thing namens Flattr. Die Plattform Flattr (auf deutsch: schmeicheln) versucht, einen Königsweg zu gehen. Jedem wird die Möglichkeit eingeräumt, einen Button in eigene Beiträge einzubinden, auf den zahlungswillige Leser freiwillig klicken können. Diese müssen allerdings zuvor ein Guthaben bei Flattr einzahlen und ein monatliches Budget festlegen, um flattern zu können. Ausgeschüttet wird dann das jeweilige Monatsbudget dividiert durch die Zahl der in dem entsprechenden Monat geklickten Beiträge.
Die Nutzung des flattr-Buttons ist vollkommen freiwillig und kann auch anonym erfolgen. Die Lektüre der mit einem derartigen Spendenknopf versehenen Beiträge ist selbstverständlich auch weiterhin für jeden kostenlos möglich. Nach aussen ändert sich also nichts, es kommt lediglich ein kleiner Button unter den jeweiligen Artikel.
Selbstversuch bei Flattr
In Zusammenarbeit mit Kolumnen.de und dem Dada-Blogger Merzmensch habe ich den Dienst im Juli 2010 getestet und dazu 10,00 in Flattr investiert. Davon wurden nach Abzug der PayPal- und Flattr-Gebühren 8,22 an die Autoren der von mir angeklickten Artikel ausgekehrt.
Auf meiner Einnahmen-Seite steht im Juli ein Gesamthonorar von 6,37. Das sind die Erlöse aus den Klicks meiner Leser. Allerdings habe ich den seltsamen Button, der unter meinen jüngsten Einträgen steht, bislang weder erklärt noch umworben. Die Einzigen, die also bislang „verdient“ haben, sind PayPal und Flattr (so gesehen eine gute Geschäftsidee), und sie verdienen umso mehr als weitere Leute mitmachen.
Nennenswerte Erlöse
Testläufe in größerem Umfang brachten wesentlich bessere Ergebnisse. So erlöste die TAZ im Monat Juli durch Flattr erstaunliche 1.420, das entspricht 46 pro Tag und einen Zuwachs um 40 Prozent gegenüber dem Vormonat. Der Law Blog generierte im Juli 265,78. Im Juni veröffentlichten die Top Ten unter den deutschen Blogs, die das Micropaymentsystem nutzen, ihre Ergebnisse, und die können sich durchaus sehen lassen. Und natürlich gibt es inzwischen auch schon die Flattr-Charts.
Hat Flattr Zukunft?
Ob Flattr tatsächlich Zukunft hat, wird sich rasch entscheiden. Gelingt es dem Dienst nicht, sich in kurzer Zeit in der Blogosphäre und darüber hinaus durchzusetzen, dann kommt ein stärkerer Anbieter, der vielleicht ein unkomplizierteres Bezahlmodell entwickelt und weniger Gebühren verlangt. Hier kommt derzeit vor allem Facebook in Frage, das mit dem automatischen Gefällt mir-Button unter jedem Beitrag bereits ein System nutzt, das sich im Handumdrehen in ein freiwilliges Bezahlungssystem weiterentwickeln lässt.
Das ist der Flattr-Button für diesen Blogeintrag. Um den Artikel zu flattern, musst du ein kostenloses Konto eröffnen.
Olaf Neumann: Jesus calls Prinz Rupi
Pastellkreide auf Ingrespapier 30 x 30 cm
Wie lässt sich bildende Kunst mit dem Internet verknüpfen? Viele Künstler haben versucht, mit Menschen, die sich nur über das Internet kennen, ein gemeinsames Projekt zu entwickeln.
Der auf Ibiza lebende Kunstmacher und Blogger Olaf Neumann hat mit Beginn des Jahres 2010 ein neues Projekt unter dem Namen »Schwarmkunst« ins Leben gerufen. Dabei geht es ihm darum, durch die Kreativität möglichst vieler Mitwirkender – seines Schwarms – zu neuen Kunstwerken zu kommen. Olaf benötigt für dieses Projekt Inspiration, Themen und Hilfe, damit Bilder entstehen, die ohne den Schwarm nicht möglich wären, und er lädt herzlich zur Mitwirkung ein.
Zum Projektstart möchte der mit starkem Bezug zur Comic-Kultur arbeitende Zeichner gerne Teile seines Schwarms abbilden. Dazu will er jeden Tag ein Porträt zeichnen, das in seinem Blog veröffentlicht wird.
Eines der herausragenden Projekte, das Olaf Neumann in den letzten Jahren geschaffen hat, war das »Bildprojekt 111«. Dabei setzte er sich ein Jahr lang täglich 111 Minuten lang kritisch mit den Schlagzeilen der BILD-Zeitung auseinander und verdichtete diese künstlerisch.
Mit dieser tagesaktuellen Arbeit erwies Neumann sich als Chronist seiner Zeit, der durch die selbst gewählte Beschränkung auf 111 Minuten teils vielschichtige, teils banale Themen zu einer eigenständigen künstlerischen Aussage komprimieren musste. Durch die Präsentation der Zeichnungen im Blog entwickelte sich eine tägliche Interaktion mit den Betrachtern, die das Gesamtkunstwerk beeinflusste. Im Ergebnis entstand ein Opus, das auch als Chronik eines Jahres zu sehen ist – ein Projekt, das sich im Dreieck von Tagesaktualität, Internet und Kunst bewegt.
Prinz Rupi im Zwiegespräch mit dem Weltenherrscher
Hallelujah! Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen. Er lenkt und Er leitet mich auf all meinen Wegen. Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil; denn Er ist bei mir, Sein Stock und Sein Stab geben mir Zuversicht.
Boing!!! – Steht da doch ein dämlicher Laternenmast im Weg, und ich laufe voll dagegen. Dabei lenkt mich doch der Herr
Ich starre in mein neues JesusPhone, das mir den Weg weist, und da steht »In 40 Metern links abbiegen«. Ein Laternenpfahl ist allerdings nichts erwähnt, oder ist das vielleicht eine himmlische Prüfung für mein göttliches Navigationsgerät?
Der Herr stillt mein Verlangen; Er leitet mich auf rechten Pfaden, treu Seinem Namen. Seit ich mein neues Jesus-Telefon habe, komme ich in allen Lebenslagen sehr viel besser zurecht. Lange musste ich warten, bis die Rationierungsbehörde der Telekom mir den sprechenden Knochen zuteilte. Doch jetzt habe ich ihn, ich halte ihn in Händen, und der Zauber wirkt. Hallelujah! Der Herr hat mein Flehen erhört! Endlich zähle ich zum elitären Kreis der JesusPhone-Nutzer. Dieses rabenschwarze, viereckige Etwas ist meine neue Religion. Die Unwissenden nennen es zwar iPhone, wir Eingeweihten aber wissen: es ist ein JesusPhone, und es ist viel mehr als eine Religion. Es verkörpert das neue Universum!
Er lässt mich lagern auf grünen Auen, und Er führt mich zum Ruheplatz am Wasser. Mein JesusPhone hat direkten Kontakt zu den Sternen, es weist mir den Weg und wurde mir schon aus diesem Grund im Handumdrehen zum unersetzlichen Begleiter auf der Schnitzeljagd durchs Leben. Ein eingebauter magischer Kompass erinnert mich an meine Zeit als Pfadfinder, an Eichenwälder und nächtliche Orientierungsmärsche. Das eingebaute GPS ortet zuverlässig meinen aktuellen Standort, wo immer ich mich auch gerade befinde. Jesus zeigt mir darauf das Straßennetz und führt mich zum Ziel meiner Wahl.
Er deckt mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde; Er salbt mein Haupt mit Öl, Er füllt mir reichlich den Becher. Habe ich Hunger, habe ich Durst, möchte ich ein paar neue Wanderstiefel kaufen oder quält mich ein anderes Bedürfnis, dann lässt das JesusPhone Manna vom Himmel regnen und zeigt mir, wo das nächste Café oder Restaurant ist oder wo es eine Ladenzeile gibt. Ich lese Bewertungen der Lokalitäten und kann selber welche hinzufügen. Ich rufe die Fahrpläne der nächsten S-Bahn auf, ich kann auf sämtliche Busfahrpläne dieser Erde zugreifen oder den nächsten Flieger ins Nirgendwo buchen. Mein JesusPhone ist allgegenwärtig, und es ist allmächtig, denn es gibt tausende verschiedener Anwendungen, die ich laden und nutzen kann. Ob es Sportergebnisse sind oder Aktienkurse, ob mich mein Kontostand oder das Wetter in Honolulu interessiert: mein JesusPhone weiß es und klärt mich in Sekundenschnelle auf. Möglich wird dies durch einen direkten Draht zum Himmel, durch den es ständig mit IHM verbunden ist.
Selbstverständlich kann ich mit dem neuen Zauberknochen auch telefonieren. Aber das kann man schließlich mit jedem Handy, und wer telefoniert heutzutage eigentlich noch? Mit dem JesusPhone kann ich fotografieren und filmen. Die bewegten und unbewegten Bilder kann ich sogleich auf YouTube oder in meinen Blogs veröffentlichen, damit die ganze Welt daran teilhaben kann, wo ich derzeit bin, was ich gerade esse oder gegen welche Laterne ich soeben gedonnert bin. Wunder über Wunder! Ich kann mein JesusPhone als Diktiergerät nutzen, und ich kann damit meine gesamte Musikbibliothek abspielen. Das Zauberding lässt mich elektronische Bücher lesen, und ich kann aktuelle Fernsehsendungen verfolgen. Ein Barcode-Scanner gibt mir die Möglichkeit, jedes beliebige Produkt in Sekundenschnelle zu erfassen, um dann im virtuellen Weltwarenlager nach dem günstigsten Preis zu suchen. Jesus lässt mich abenteuerliche Spiele testen, ich bekomme Kochrezepte, die mir das Wasser im Mund zusammen laufen lassen, ein Höhenmesser verrät mir, in welchen Wolken ich gerade schwebe
ach, alles ist einfach nur noch himmlisch mit meinem Jesus-Knochen.
Credo in unum deo. Ich glaube an den einen Gott, und dieser Gott hat sich in meinem JesusPhone materialisiert. Neben ihm dulde ich keine anderen Götter. Zwar wird von heidnischen Religionen versucht, auf den ersten Blick ähnliche Geräte ins Rennen zu bringen. Aber weder die Sektierer von PalmPre, noch die Priester vom Verein BlackBerry oder die Geister, die LG Prada und HTC Touch loben, können meinem iPhone das Wasser reichen. Denn nur das wahre JesusPhone verkörpert eine in sich geschlossene monotheistische Religion, die sich von keinem anderen Glauben bekehren lässt. Nur die Hohepriester, deren Logo ein angebissener Apfel ist, dienen dem wahren Gott.
Lediglich eine Kleinigkeit muss mein JesusPhone noch lernen: Wasser für eine Tasse Tee oder Kaffee kochen. Das wünsche ich mir von der nächsten Generation des Zauberknochens, die bestimmt nicht lange auf sich warten lässt und die Gemeinde darauf zu neuen Entzückensschreien entbrennen lassen wird. Oh Herr, sei mir gnädig, und liste meine E-Mail-Adresse in dem Verteiler derjenigen, die Du als Erste mit Informationen versorgst, wenn der Tag des Jüngsten Gerichts naht. Denn mit Dir sind die Macht und die Pracht und die Herrlichkeit. In Ewigkeit. Amen.
Abenteuer in Soho, London. Sämtliche Fotos: © Ruprecht Frieling
Londons Stadtteil Soho riecht verrucht. Süßer Duft schwerer Räucherkerzen schwängert die Luft und mischt sich mit gelbem Frittenfett von Fish & Chips. Bunt gemischtes Volk bummelt durch farbenfroh gestaltete Ladenzeilen. Schwulenbars, Erotikshops, kleine Cafés und exotische Restaurants bieten Genuss für alle Sinne. In Chinatown tanzen hunderte roter Lampions zwischen kleinen Garküchen, hinter deren Fenstern Pekingenten triefend glänzen. Taxen schwärmen hornissengleich über die Verbindungsstrassen und jagen feuermelderrote Doppeldeckerbusse. Aus einem geöffneten Fenster fliegt Sitarmusik, und vor einer hundertjährigen Eckkneipe fleht ein mitternachtsschwarzer Mann in einem nur ihm bekannten Dialekt den Himmel um Vergebung an. HIER geht es weiter →
Riesen-Video von Prinz Rupi
Auf Einladung von spielzeiteuropa, der Theater- und Tanzsaison der Berliner Festspiele, gastierte das französische Straßentheater Royal de Luxe in Berlin und erinnerte mit ihrem Riesen-Märchen von Trennung und Wiederfinden auf einzigartige Weise an die Vereinigung der beiden deutschen Staaten DDR und BRD in 1989.
Die Geschichte begann so fantastisch wie ein Riesen-Märchen nur beginnen kann: Vor langer, langer Zeit, als Berlin noch ein Sumpfgebiet war, lebten dort Riesen. So auch der Große Riese und seine Nichte, die Kleine Riesin. Als eines Tages Land- und Meeresungeheuer die Stadt teilten, einen Teil mit Mauern umschlossen und so die Riesen trennten, begann für beide eine schmerzvolle Odyssee. Während die Kleine Riesin sich mit ihrem Boot auf die Suche nach ihrem Onkel begab, gelang es dem Großen Riesen nach vielen Jahren, den schlafenden Geysir am Meeresgrund zu finden. Unsaft geweckt, lässt dieser die Erde erbeben und bringt so die Mauer zum Einsturz der Weg für ein Wiedersehen ist geebnet.
An dieser Stelle setzt die Geschichte ein, die der künstlerische Leiter und Gründer von Royal de Luxe, Jean Luc Courcoult zur Erinnerung an den Mauerfall vor 20 Jahren geschrieben hat. Vier Tage lang verwandelte sich Berlin in eine lebendige Theaterkulisse und veranstaltete das viertägige Open-Air-Spektakel »Le rendez-vous de Berlin Das Wiedersehen von Berlin«.
Die phantasievolle Inszenierung mit den riesigen Marionetten faszinierte Millionen Menschen, die zusammen strömten, um das Spektakel zu sehen.
»Immer bin ich schuld … « © Abbildungen: Prinz Rupi
Leute, ich brauche dringend Hilfe. Denn mein Hund stinkt. Pardon, er duftet nicht, er riecht einfach nur abartig. Manchmal stinkt er sogar infernalisch, und auch mein ständiges Herumschwenken mit einer Dose Tannenduftspray hilft kaum.
Besonders brutale Winde wehen, wenn es mir mithilfe einer Nasenklammer gelungen ist, ihm eine frische Portion Blättermagen oder Pansen in unserer gemeinsamen Wohnhöhle zu servieren. Darüber freut er sich dann so, dass er schon beim Verzehr wild mit dem Hinterteil wedelt und Blähgase in unendlicher Fülle seinem glücklichen Körper entsteigen lässt. Küsst er mich dann später und schleckt mir dankbar für die duftige Gabe das Gesicht ab, dann atme ich seine aus allen Öffnungen dringenden Faulgase ein und weiß, es hat ihm mal wieder gut geschmeckt HIER geht es weiter →
Als meine Großmutter 1952 einen monströsen Schwarzweißfernseher anschaffte, wurde sie zur Sensation des Städtchens. Die Nachbarschaft kam und bestaunte die sündhaft teure Flimmerkiste, von der es seinerzeit gerade mal 4.000 Stück in Deutschland gab. Zu festgelegten Zeiten meldete sich Studio Hamburg und schickte bewegte Bilder in die Wohnstuben. Der Siegeszug eines Massenmediums begann, und meine Oma trug die Fahne voran. Heute würden wir die Gute wohl einen »Early Adopter« nennen und sie damit als Menschen bezeichnen, der technisch die Nase weit vorn hat. HIER geht es weiter →
Vom 9. – 7. Juni fand in Köln das 3. Barcamp statt. Fotos © W. R. Frieling
Twittern, bis der Arzt kommt
Ein Besuch beim Barcamp Köln
Auf einer großen Leinwand lese ich eine Nachricht, die über Twitter online ins Netz gestellt wurde: »Endlich lerne ich @Prinz_Rupi mal persönlich kennen – in der Twitter-Session in Raum 3 beim #bcc3« Prinz Rupi ist mein Nickname im Web und bcc3 steht für BarcampCologne, das bereits zum dritten Mal stattfindet. Der Autor dieser freundlichen Botschaft, ein Herr Sichelputzer, sitzt direkt neben mir. Ich kannte Sichelputzer bislang nur virtuell aus seinen Blogbeiträgen und Tweets. Statt mich jedoch per Handschlag zu begrüßen, wie es unsere Vorväter zu tun pflegten, begrüßt er mich virtuell. Ich antworte ihm auf eben diese Weise und twittere ein Dankeschön in den virtuellen Raum. Hi, Sichelputzer, willkommen im Barcamp!
Andere Teilnehmer der Veranstaltung begrüßen sich, indem sie einen kleinen Plastikknochen aneinander reiben. Das Teil nennt sich Poken und überträgt bei Berührung eine elektronische Visitenkarte, um anschließend freundlich grün blinkend die erfolgreiche Übertragung anzuzeigen. An jeder Ecke wird auf diese geheimnisvolle Weise leidenschaftlich geknutscht. So lernen sich die Leute schnell und nachhaltig kennen. Sie können später auf ihren Webseiten die Daten abgleichen und genauer schauen, wen sie eben getroffen haben. Poken ist eine noch derart exklusiv verbreitete Form der Kontaktaufnahme, dass erst 1.500 Deutsche es kennen und nutzen. Auf dem Barcamp sind mindestens zehn Prozent der User zu finden, denn jeder Zweite trägt einen Poken am Halsband.
In verschiedenen Räumen finden Sessions statt. Dies sind spontan anberaumte dreißigminütige Vorträge und Präsentationen zu den verschiedensten Themen des World Wide Web. Es geht um Applikationen für das iPhone von apple, mit dem hier nahezu jeder Teilnehmer hantiert. Es geht um Programmiersprachen, um das Beseitigen störender Haare bei der Bildbearbeitung mit PhotoShop und um das Twittern im Beruf. SecondLife ist ebenso vertreten wie die Themen Zeitmanagement, alternative Lebensformen und die Frage, wann das Internet stirbt. Zur allgemeinen Erheiterung wird nachmittags Powerpoint-Karaoke aufgeführt. Dabei stellen sich Mutige zur Verfügung, um den Showroom zu erheitern, indem sie aus dem Stehgreif zu einer ihnen unbekannten Präsentation möglichst originell vortragen müssen. Beim Barcamp geschieht, was die Teilnehmer selbst anbieten und hören wollen.
Bei jedem Vortrag sitzen Nerds vor ihren aufgeklappten Laptops und tippen wild hinein. Es wirkt, als machten sie alles andere, als dem jeweiligen Referenten zuzuhören. Der lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, denn tatsächlich saugen die Camper Wissen und verbreiten die Informationen im Netz. Und genau darin liegt ein Sinn des Barcamps: Wissen kostenfrei abzugeben und zu verbreiten.
»Wir arbeiten für das Internet« steht auf dem schwarzen T-Shirt von Franz Patzig, einem der Organisatoren des Camps. Seine Losung ist Programm. 250 Internet-Enthusiasten sind der öffentlichen Einladung gefolgt und haben sich zu einem festen Zeitpunkt für den Event angemeldet. Das Interesse ist enorm, und jede Werbung überflüssig. Innerhalb von knapp 15 Minuten war die Veranstaltung komplett ausgebucht. Wenige Augenblicke später drängelten sich bereits 200 weitere Interessenten auf der Liste, die noch auf einen freien Platz hofften.
Meine Session hat ein ebenso spezielles Thema wie das der anderen Teilnehmer. Mein Fachgebiet ist das digitale Publizieren, das mit den Stichworten Printing-on-demand, Book-on-demand und E-Book beschrieben werden kann. Um den Beamer zu bedienen, fehlt mir ein Stecker. Mein MacBook Pro ist »zu modern« für das Windows-orientierte Netz der gastgebenden Firma QSC. Was tun? Ich setze per Twitter einen Tweet ab und rufe um Hilfe. Mittels des für die Veranstaltung reservierten Hashtags »bcc3« lesen es die anderen auf Twitter. Es dauert keine zehn Minuten und »QSC-Evangelist« Andreas Schmidt drückt mir aus seinem privaten Bestand den erforderlichen Adapter in die Hand. Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft ist eine selbstverständliche Angelegenheit unter Barcampern.
»Kannst du mir vielleicht mal dieses Tool erklären«, ist eine Frage an einen wildfremden Menschen, die auf dem Barcamp stets freundlich beantwortet wird. Jeder hilft jedem gern und gibt ohne Murren sein Wissen preis. Den Teilnehmern ist bewusst, dass sich der klassische Umgang mit Herrschaftswissen nur knacken lässt, wenn das Wissensmonopol Weniger aufgelöst wird und Informationen sozialisiert werden. In diesem Sinne haben Barcamper eine beinahe frühkommunistische Einstellung, was den Umgang und die Verbreitung von Informationen angeht. Einige von ihnen arbeiten deshalb auch bei Wikipedia mit und schreiben das kostenfreie Internet-Lexikon fort, andere informieren über ihre teils hoch spezialisierten Blogs.
Barcamper verstehen sich als »Early Adopters«, als Leute, die technisch die Nase ganz weit vorn haben und bereits weitgehend digital leben und umgehen. Wie weit sie die Nase vorn haben, wird deutlich, wenn es um eine Auseinandersetzung mit der aktuell herrschenden Politikkaste geht. Wird in den Regierungsdezernaten das Internet als Teufelswerk angesehen, das unbedingt kontrolliert und unter staatliche Aufsicht gestellt werden muss, um Chinas »himmlischen Frieden« auch über deutsche Lande zu verbreiten, stehen Barcamper auf der entgegen gesetzten Seite. Es gibt derzeit wohl keinen gesellschaftlichen Bereich, in dem das Aufeinanderprallen der Moderne auf gestriges Denken deutlicher wird als im Bereich des Internets. Internet-User verspotten die nach dem Zensor rufende amtierende Familienministerin Ursula von der Leyen als »Zensursula«. Sie schütteln den Kopf über eine Bundeskanzlerin, die öffentlich fragt, was denn ein »Browser« sei und verlachen Abgeordnete, die sich über moderne Kommunikationsformen als »Tralafiti« mokieren.
Während der Mittagspause, in dem jeder Barcamper neben Teller, Messer und Gabel auch sein Laptop traktiert, sitzt an einem Tisch ein schwarz gekleideter Trupp junger Männer, die in rasender Eile Befehlszeilen in ihre Rechner tippen und sich dabei offenbar köstlich amüsieren. Einige dieser Barcamper fühlen sich dem ChaosComputerClub zugehörig, der immer wieder durch konkrete Aktionen im Web von sich reden macht. Und auch die durchaus beachtenswerten Stimmengewinne der Piratenpartei, die am gleichen Tag bei den Europawahlen kandidiert, zeigt, dass Barcamper keine unpolitischen Gesellen sind, die sich in die Schmuddelecke drängen lassen.
Auf dem Heimweg frage ich am Ausgang in die Runde, ob jemand zufällig wisse, wo die Gellertstraße in Köln sei. Wi e auf Kommando zücken 25 Barcamper ihr iPhone und weisen mit dank GoogleMaps den Weg. Als ich kurz vor meinem Rückflug nach Berlin noch das dem Mythos der guten, alten Dinge huldigende Warenhaus Manufactum in der Innenstadt besuche, kauft neben mir ein Mann ein sündhaft teures Radio, bei dem Strom mit Kurbelbetrieb erzeugt wird. Auf meine Frage, warum er denn nicht einfach sein Handy zum Radiohören nehme, schaut er mich irritiert an: »Ein Handy habe ich nicht, und ich höre viel Radio«. Barcamp ist insofern auch ein echtes Kontrastprogramm.