Am 14. November 2009 fand in Berlin ein »Kongress der unabhängigen Medien« statt. Zur Eröffnung hielt ich vor 150 interessierten Zuhörern einen Vortrag zum Thema Autor sucht Verleger. Der direkte Weg zum eigenen Buch«. Darin werden viele Fragen von Autoren beantwortet, die vom eigenen Buch träumen.
Derzeit befindet sich das Verhältnis von Autor und Verleger in einem vollkommenen Umbruch. Das gründet unter anderem darin, dass die digitale Revolution den Schreibenden mächtige Werkzeuge in die Hand gibt, die sie aktiv nutzen.
Hier einige der im Vortrag erwähnten Adressen:
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Ginger Baker trommelt am Abend seines 70. Geburtstags in London • Sämtliche Fotos: © Ruprecht Frieling
Ginger Baker, der am Morgen des 6. Oktober 2019 im Alter von 80 Jahren verstarb, galt in der Rockwelt als einer der weltbesten Schlagzeuger. Er lernte von Jazzlegenden wie Phil Seamen, Art Blakey, Max Roach und Elvin Jones und formte mit dem Gitarristen Eric Clapton und dem Bassisten Jack Bruce die erste Supergroup der Rockgeschichte: »The Cream«. Ruprecht Frieling kannte ihn über 50 Jahre.
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Prinz Rupi im Zwiegespräch mit dem Weltenherrscher
Hallelujah! Der Herr ist mein Hirte, nichts wird mir fehlen. Er lenkt und Er leitet mich auf all meinen Wegen. Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil; denn Er ist bei mir, Sein Stock und Sein Stab geben mir Zuversicht.
Boing!!! – Steht da doch ein dämlicher Laternenmast im Weg, und ich laufe voll dagegen. Dabei lenkt mich doch der Herr
Ich starre in mein neues JesusPhone, das mir den Weg weist, und da steht »In 40 Metern links abbiegen«. Ein Laternenpfahl ist allerdings nichts erwähnt, oder ist das vielleicht eine himmlische Prüfung für mein göttliches Navigationsgerät?
Der Herr stillt mein Verlangen; Er leitet mich auf rechten Pfaden, treu Seinem Namen. Seit ich mein neues Jesus-Telefon habe, komme ich in allen Lebenslagen sehr viel besser zurecht. Lange musste ich warten, bis die Rationierungsbehörde der Telekom mir den sprechenden Knochen zuteilte. Doch jetzt habe ich ihn, ich halte ihn in Händen, und der Zauber wirkt. Hallelujah! Der Herr hat mein Flehen erhört! Endlich zähle ich zum elitären Kreis der JesusPhone-Nutzer. Dieses rabenschwarze, viereckige Etwas ist meine neue Religion. Die Unwissenden nennen es zwar iPhone, wir Eingeweihten aber wissen: es ist ein JesusPhone, und es ist viel mehr als eine Religion. Es verkörpert das neue Universum!
Er lässt mich lagern auf grünen Auen, und Er führt mich zum Ruheplatz am Wasser. Mein JesusPhone hat direkten Kontakt zu den Sternen, es weist mir den Weg und wurde mir schon aus diesem Grund im Handumdrehen zum unersetzlichen Begleiter auf der Schnitzeljagd durchs Leben. Ein eingebauter magischer Kompass erinnert mich an meine Zeit als Pfadfinder, an Eichenwälder und nächtliche Orientierungsmärsche. Das eingebaute GPS ortet zuverlässig meinen aktuellen Standort, wo immer ich mich auch gerade befinde. Jesus zeigt mir darauf das Straßennetz und führt mich zum Ziel meiner Wahl.
Er deckt mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde; Er salbt mein Haupt mit Öl, Er füllt mir reichlich den Becher. Habe ich Hunger, habe ich Durst, möchte ich ein paar neue Wanderstiefel kaufen oder quält mich ein anderes Bedürfnis, dann lässt das JesusPhone Manna vom Himmel regnen und zeigt mir, wo das nächste Café oder Restaurant ist oder wo es eine Ladenzeile gibt. Ich lese Bewertungen der Lokalitäten und kann selber welche hinzufügen. Ich rufe die Fahrpläne der nächsten S-Bahn auf, ich kann auf sämtliche Busfahrpläne dieser Erde zugreifen oder den nächsten Flieger ins Nirgendwo buchen. Mein JesusPhone ist allgegenwärtig, und es ist allmächtig, denn es gibt tausende verschiedener Anwendungen, die ich laden und nutzen kann. Ob es Sportergebnisse sind oder Aktienkurse, ob mich mein Kontostand oder das Wetter in Honolulu interessiert: mein JesusPhone weiß es und klärt mich in Sekundenschnelle auf. Möglich wird dies durch einen direkten Draht zum Himmel, durch den es ständig mit IHM verbunden ist.
Selbstverständlich kann ich mit dem neuen Zauberknochen auch telefonieren. Aber das kann man schließlich mit jedem Handy, und wer telefoniert heutzutage eigentlich noch? Mit dem JesusPhone kann ich fotografieren und filmen. Die bewegten und unbewegten Bilder kann ich sogleich auf YouTube oder in meinen Blogs veröffentlichen, damit die ganze Welt daran teilhaben kann, wo ich derzeit bin, was ich gerade esse oder gegen welche Laterne ich soeben gedonnert bin. Wunder über Wunder! Ich kann mein JesusPhone als Diktiergerät nutzen, und ich kann damit meine gesamte Musikbibliothek abspielen. Das Zauberding lässt mich elektronische Bücher lesen, und ich kann aktuelle Fernsehsendungen verfolgen. Ein Barcode-Scanner gibt mir die Möglichkeit, jedes beliebige Produkt in Sekundenschnelle zu erfassen, um dann im virtuellen Weltwarenlager nach dem günstigsten Preis zu suchen. Jesus lässt mich abenteuerliche Spiele testen, ich bekomme Kochrezepte, die mir das Wasser im Mund zusammen laufen lassen, ein Höhenmesser verrät mir, in welchen Wolken ich gerade schwebe
ach, alles ist einfach nur noch himmlisch mit meinem Jesus-Knochen.
Credo in unum deo. Ich glaube an den einen Gott, und dieser Gott hat sich in meinem JesusPhone materialisiert. Neben ihm dulde ich keine anderen Götter. Zwar wird von heidnischen Religionen versucht, auf den ersten Blick ähnliche Geräte ins Rennen zu bringen. Aber weder die Sektierer von PalmPre, noch die Priester vom Verein BlackBerry oder die Geister, die LG Prada und HTC Touch loben, können meinem iPhone das Wasser reichen. Denn nur das wahre JesusPhone verkörpert eine in sich geschlossene monotheistische Religion, die sich von keinem anderen Glauben bekehren lässt. Nur die Hohepriester, deren Logo ein angebissener Apfel ist, dienen dem wahren Gott.
Lediglich eine Kleinigkeit muss mein JesusPhone noch lernen: Wasser für eine Tasse Tee oder Kaffee kochen. Das wünsche ich mir von der nächsten Generation des Zauberknochens, die bestimmt nicht lange auf sich warten lässt und die Gemeinde darauf zu neuen Entzückensschreien entbrennen lassen wird. Oh Herr, sei mir gnädig, und liste meine E-Mail-Adresse in dem Verteiler derjenigen, die Du als Erste mit Informationen versorgst, wenn der Tag des Jüngsten Gerichts naht. Denn mit Dir sind die Macht und die Pracht und die Herrlichkeit. In Ewigkeit. Amen.
Überall Beton
Foto: © Wilhelm Ruprecht Frieling
Mit 107.000 gemeldeten und einer enorm hohen Zahl »illegaler« Hunde wird Berlin von vielen gern »Dog-City«, die »Stadt der Hunde« genannt. Nicht nur in den Problembezirken ist der vierbeinige Begleiter oft der einzige Sozialkontakt vereinsamter Singles oder ein Prestigeobjekt, das gesellschaftliche Aufwertung verspricht. Der treueste Freund des Menschen wird zum Spiegel familiärer und sozialer Zustände. Grund genug für Tina Müller (Text) und Sinem Altan (Musik), daraus eine Mini-Oper zu machen.
Premierengäste der »Stadt der Hunde« in der »Neuköllner Oper« mussten zu ihrer Erleichterung nicht durch einen Haufen von Tretminen waten, um in das gerade mal 50 Personen fassende Studio zu gelangen. Dafür wurden sie am Eingang des Zwingers mit künstlichem Schnee überschüttet, denn das Stück spielt in einer kalten Winternacht.
Drei Hunde treffen sich auf einer spärlich beleuchteten Strasse. In der Luft liegt das dominante Parfum von Nero (Fabian Martino), einem zähnefletschenden Pitbull-Dobermann-Rottweiler-Mix, der sich für den König des Kiezes hält. Er trifft dort die Schönste der Strasse, die selbst verliebte Mopshündin Dilara (Nina Ahrens), die von ihrem Besitzer Murat aufgegeben wurde, weil er sich inzwischen in einen goldenen Audi verliebt hat und keinen Hund mehr braucht. Besucht werden die beiden Kiezgrößen von Schäfer (Christian Bayer), der sich für fein und rechtschaffen hält, angeblich in Diensten der Polizei steht, und dennoch offensichtlich vertrieben wurde.
Gemeinschaftsgefühl ist den Tieren fremd: sie kläffen, fauchen und giften sich untereinander an, und im Extremfall gibt es einen Biss in die Kehle. Dabei befinden sie sich in ähnlichen Situationen, alle drei wurden vernachlässigt und schließlich verstoßen. Fressen und gefressen werden lautet nun ihre Devise als Hunde-Desperados. Und so ziehen sie auf der Suche nach Futter durch die Neuköllner Nacht. Dabei suchen sie, und das wird zum inszenatorischen Höhepunkt der Geschichte, eine chinesische Garküche heim, die sie zum Entsetzen des Kochs plündern.
Die drei Hunde sehen im Leben des Streuners ihre große Chance und sehen sich als einsame Wölfe ohne Freunde, die ein rebellisches Rudel bilden. Gleichzeitig träumen sie davon, wieder in menschliche Obhut zu kommen und heulen ihre Sehnsucht in die Nacht. Als Schäfer- und Kampfhund sich beide in den Mops verlieben, bricht die Gemeinschaft allerdings schnell wieder auseinander
Die von Mario Portmann spartanisch inszenierte »Hundeoper« spiegelt das Verhältnis von Herr und Hund ebenso wider wie die Brutalität, mit der auf engstem Raum großer Ballungsgebiete Menschen und Tiere aufeinander prallen. Die drei »Hunde« singen und spielen ihre jeweiligen Rollen überzeugend, der anfangs zagende Fabian Martino baute schnell stark auf. Musikalisch begleitet vom Pianisten Alexander Klein lieferten die Protagonisten einige rockige Songs, Soli und Terzette. Komponistin Sinem Altan schaffte es dabei, der Figur des Mopses eine eigene »türkische« Tonalität zu verleihen, die den Charakter auch stimmlich vom »deutschen« Schäfer und dem bissigen Nero differenzierte.
Foto: ©Matthias Heyde/Neuköllner Oper
Weihrauch und Glockengeläut erwarten die Besucher der Neuköllner Puppenstubenoper, die sich damit hinter die geschlossenen Pforten der Vatikanstadt locken lassen, um einen Krimi von römischem Format zu erleben. Bigotte Kardinäle, Mafiapaten, korrupte Banker und schöne Frauen treten auf, in einem italienischen Café im rechten Bühnenraum bläst eine sechsköpfige Banda, alles ist Bella Italia, eigentlich fehlt nur noch ein notgeiler Regierungschef, um das Panoptikum zu vervollständigen.
Doch das Thema ist ernst, es geht um Kindesentführung, Missbrauch und Mord, und das verdeutlicht gleich zu Beginn der Inszenierung ein Erzähler. Er sitzt in der Krypta der Basilika Sankt Apollinaire, blickt auf das Grab des dort begrabenen Mafia-Bosses de Pedis und berichtet von verschwundenen Mädchen. Denn »Der Fall Rigoletto« erzählt die wahre Geschichte der Entführung Emanuela Orlandis am 22. Juni 1983 in Rom, der 15jährigen Tochter eines Mitarbeiters des vatikanischen Präfektur, die in der Hand der vermutlich von Kardinälen beauftragten Mafia fiel. Obwohl alle Spuren der Vermissten in den Vatikan führen, weigern sich die kirchlichen Beamten bis heute, eine Untersuchung zuzulassen. So bleibt es den verzweifelten Eltern, einer kritischen Öffentlichkeit und letztlich der Oper, auf den Fall aufmerksam zu machen.
Um die nicht nur kirchenpolitisch brisante Geschichte »opernfähig« zu machen, zieht Regisseur Bernhard Glocksin eine Parallele zu Giuseppe Verdis Oper »Rigoletto«, einem ursprünglich den französischen Hof kritisierenden Werk, das erst unter dem Einfluss der Zensur »italinisiert« wurde. Auch bei Verdi muss ein Vater, der Hofnarr Rigoletto eben, hilflos zusehen, wie sein Kind vor seinen Augen von Mächtigen entführt, missbraucht und letztlich ermordet wird. Ein Vergleich zum absolutistisch regierten Hofstaat Vatikan liegt daher nah, und so klingen immer wieder Verdis Gassenhauer wie »La donna è mobile« an, die vom Mini-Orchester unter Hans-Peter Kirchberg stimmungsvoll intoniert werden.
Dazwischen windet sich die Diseuse Etta Scollo, die mit Ferdinand von Seebach die musikalische Einrichtung besorgte. Die ursprünglich aus Sizilien stammende Künstlerin singt gepresst klagend sechs Chansons als Aktschlüsse. Es sind Spottlieder auf den Vatikan, Liebes- und Klagelieder.
Insgesamt scheint mir der Erklärungsbedarf allerdings zu hoch in dieser Rigoletto-Fantasie, das Thema ist für den Berliner Multikulti-Bezirk Neukölln allzu weit entfernt. Diese Ferne geht zu Lasten der Inszenierung und der Musik. Vielleicht entschied sich die Neuköllner Oper deshalb zu einem für ihre Verhältnisse ungewöhnlich dicken Programmheft. Dort wird der Kontext der Entführung umfangreich ausgebreitet, Hintermänner und mögliche Täter der Entführung werden genannt.
»Freundlich blicke ich auf diese und jene, die wie Sterne mich leuchtend umschweben«, singt der geile Herzog von Mantua in Verdis »Rigoletto«. Im »Fall Rigoletto« wird deutlich, dass auch die Augen mancher Kardinäle »freundlich« auf diesen und jene blicken. Reichen die Wagenladungen männlicher und weiblicher Lustdiener, die regelmäßig in den Kirchenstaat gekarrt werden, um das Zölibat zu feiern, nicht aus, dann wird auch schon mal ein junges Ding, das vor den Fenstern der Kirchenfürsten zur Schule läuft, auf die Speisekarte gesetzt. Insofern hat die »Neuköllner Oper« ein heißes Eisen anspruchsvoll inszeniert.
Abenteuer in Soho, London. Sämtliche Fotos: © Ruprecht Frieling
Londons Stadtteil Soho riecht verrucht. Süßer Duft schwerer Räucherkerzen schwängert die Luft und mischt sich mit gelbem Frittenfett von Fish & Chips. Bunt gemischtes Volk bummelt durch farbenfroh gestaltete Ladenzeilen. Schwulenbars, Erotikshops, kleine Cafés und exotische Restaurants bieten Genuss für alle Sinne. In Chinatown tanzen hunderte roter Lampions zwischen kleinen Garküchen, hinter deren Fenstern Pekingenten triefend glänzen. Taxen schwärmen hornissengleich über die Verbindungsstrassen und jagen feuermelderrote Doppeldeckerbusse. Aus einem geöffneten Fenster fliegt Sitarmusik, und vor einer hundertjährigen Eckkneipe fleht ein mitternachtsschwarzer Mann in einem nur ihm bekannten Dialekt den Himmel um Vergebung an. HIER geht es weiter →
Riesen-Video von Prinz Rupi
Auf Einladung von spielzeiteuropa, der Theater- und Tanzsaison der Berliner Festspiele, gastierte das französische Straßentheater Royal de Luxe in Berlin und erinnerte mit ihrem Riesen-Märchen von Trennung und Wiederfinden auf einzigartige Weise an die Vereinigung der beiden deutschen Staaten DDR und BRD in 1989.
Die Geschichte begann so fantastisch wie ein Riesen-Märchen nur beginnen kann: Vor langer, langer Zeit, als Berlin noch ein Sumpfgebiet war, lebten dort Riesen. So auch der Große Riese und seine Nichte, die Kleine Riesin. Als eines Tages Land- und Meeresungeheuer die Stadt teilten, einen Teil mit Mauern umschlossen und so die Riesen trennten, begann für beide eine schmerzvolle Odyssee. Während die Kleine Riesin sich mit ihrem Boot auf die Suche nach ihrem Onkel begab, gelang es dem Großen Riesen nach vielen Jahren, den schlafenden Geysir am Meeresgrund zu finden. Unsaft geweckt, lässt dieser die Erde erbeben und bringt so die Mauer zum Einsturz der Weg für ein Wiedersehen ist geebnet.
An dieser Stelle setzt die Geschichte ein, die der künstlerische Leiter und Gründer von Royal de Luxe, Jean Luc Courcoult zur Erinnerung an den Mauerfall vor 20 Jahren geschrieben hat. Vier Tage lang verwandelte sich Berlin in eine lebendige Theaterkulisse und veranstaltete das viertägige Open-Air-Spektakel »Le rendez-vous de Berlin Das Wiedersehen von Berlin«.
Die phantasievolle Inszenierung mit den riesigen Marionetten faszinierte Millionen Menschen, die zusammen strömten, um das Spektakel zu sehen.
Nina Stemme als Isolde und Sophie Koch als Brangäne auf der Bühne der Royal Opera Covent Garden. Sämtliche Fotos: © Ruprecht Frieling
Regisseur Christof Loy schaute sichtbar verdutzt, als er nach der Premiere seiner Inszenierung von Wagners Musikdrama »Tristan und Isolde« auf die Bühne des Londoner Royal Opera House trat, um Rosen in Empfang zu nehmen, stattdessen jedoch ein tausendstimmiges britisches Buuuuuuuhhh kassierte. Publikum und Presse der Themsestadt hegten hohe Erwartungen, doch diese wurden ganz offensichtlich nicht befriedigt.
Dabei ist »Tristan und Isolde« ein Stoff, der alle Möglichkeiten bietet, zumal er sogar in Britannien spielt: Der verwitwete König Marke aus Cornwall schickt seinen treuesten Freund und Verwandten Tristan per Schiff als Unterhändler nach Irland, um ihm dort als Friedensgeschenk zwischen den verfeindeten Nationen eine Gemahlin abzuholen, die »irish maid« Isolde eben. Die verkaufte Braut wiederum kennt Herrn Tristan bereits, der Jahre zuvor ihren Geliebten Morold im Zweikampf erschlug, dabei selbst schwer verwundet wurde und nur dank ihrer legendären Heilkünste gerettet wurde. Isolde fühlt sich gedemütigt, dass der Mörder ihres Verlobten jetzt als Brautwerber für seinen alten Onkel Marke auftritt. Um »zu sühnen alle Schuld« will sie ihn und auch sich selbst in die ewigen Jagdgründe schicken.
Die Sache wird spannend. Drogen kommen ins Spiel. Isolde weist ihre Zofe Brangäne an, »kennst du der Mutter Künste nicht«, ihr einen Todescocktail zu mixen. Die wiederum vertauscht die Mixturen und serviert einen Liebestrank, der starke Wirkung zeigt. Denn sobald Tristan und Isolde einen kräftigen Schluck Love Potion genommen haben, entflammen sie in heftiger Zuneigung und verschmelzen als ein Herz und eine Seele. So geht es nach Cornwall.
Im zweiten Akt empfängt die inzwischen mit dem Monarchen verheiratete Isolde ihren heimlichen Lover in Markes Burg Tintangel zum nächtlichen Stelldichein und löscht selbst das Licht, um ihn im Dunkel der Nacht zu sich zu rufen. Die Love Story kulminiert. »O sink hernieder, Nacht der Liebe, / gib Vergessen, dass ich lebe; / nimm mich auf in deinen Schoß, löse von der Welt mich los! / So stürben wir, um ungetrennt ewig einig, ohne End, / ohn Erwachen ohn Erbangen namenlos in Lieb umfangen, / ganz uns selbst gegeben, der Liebe nur zu leben! / Ohne Nennen, ohne Trennen, neu Erkennen, neu Entbrennen; / ewig endlos, ein-bewusst: heiß erglühter Brust höchste Liebeslust!«
Tristan und Isolde schwören sich das mittelalterliche Motiv des Aufgehens im gemeinsamen Liebestod als höchste Erfüllung (ein Motiv, das Wagner auch in seiner Oper »Der fliegende Holländer« ausführlich thematisiert). Als King Marke vom Betrug seines treulosen Freundes erfährt und wenig »amused« reagiert, ist die Sache für Tristan klar: er will als echter Ritter der Liebe willen in den Tod gehen. Isolde erklärt, ihm folgen zu wollen. Der liebestolle Held stürzt sich in das Schwert, das Markes Vasall Melot gegen ihn zieht und verletzt sich damit selbst tödlich.
Im dritten Akt vollzieht sich Tristans langes Sterben. Auf seiner Burg Karneol auf dem französischen Festland wartet er mit Freund Kurvenal auf die Ankunft eines Schiffes aus Cornwall, das ihm Isolde bringt. Als diese endlich eintrifft, stirbt er in ihren Armen. Sie bricht darauf verklärt zusammen und singt mit »Mild und Leise« eine der herzbewegendsten Wagner-Arien. Derweil kommt Marke mit Gefolge auf einem weiteren Schiff an. Der König wurde von Brangäne über die Wirkung der verabreichten Drogen aufgeklärt, er verzeiht seinem Neffen und möchte ihm sogar Isolde überlassen. Doch er kommt zu spät. Tristan und Isoldes Seelen sind bereits ins »Wunderreich der Nacht« entschwunden.
Was macht nun Christof Loy aus dem prächtigen Stoff? Er verschenkt in seiner Inszenierung nahezu alles, was ihm Wagner auf dem Silbertablett liefert. Abgesehen von einem spartanisch-minimalistischen Bühnenbild, das lediglich aus Stuhl, Tisch und Hocker besteht, nutzt Loy einen schweren Vorhang als Element, das Tristan und Isolde vom hinteren Bühnenraum trennt. Dort bewegt sich eine schwarz gekleidete Herrengesellschaft in oft slapstickartig erstarrten Bewegungen. Diese Trennung soll die Tag- und Nachtwelt der Gedanken Tristans und Isoldes von den übrigen Figuren andeuten.
Die beiden Protagonisten Tristan (Ben Heppner) und Isolde (Nina Stemme), die bärig in einer Bauer-sucht-Frau-Attitüde einander umschleichen, transportierten trotz großer stimmlicher Qualität nicht den Funken großer Emotion. Von Passion, Leidenschaft oder gar Inbrunst gibt es keine Spur. Wagners Wechselspiel zwischen Liebeserfüllung und Liebesqual wird als nüchtern-kalter Braten serviert, der erst noch in den Ofen geschoben werden will. Verwirrend kommen hinzu Loys eigene Regieeinfälle: im Hintergrund turtelt plötzlich Brangäne mit Markes Mannen, Tristan löscht selbst das Licht, mit dem ihn Isolde ruft, es gibt keine Schiffe als Metaphern für Ferne und Sehnsucht, und, und, und.
Muss Wagner von jedem Regisseur neu erfunden und teilweise sogar umgeschrieben werden? Wie viel Vorwissen muss ein Operngänger heutzutage mitbringen, um eine Aufführung zu verstehen? Gerade Wagner ist ja wie kein anderer Komponist der Musikgeschichte von einem absoluten Gleichschritt von Musik und Text geprägt. Jeder Spannungsmoment, der auf der Bühne dargestellt wird, spiegelt sich in der Musik, und die Spielhandlung auf der Bühne kann eigentlich im Gleichklang fließen.
Ja, die Musik. Wunderschöne und mächtige Klänge. Samtig schimmernde, strahlende Streicher. Das Orchester des Royal Opera House bewältigt einen unglaublichen Berg Noten, und es tobt, tönt und trompetet aus dem Graben, als ob der Leibhaftige die Musiker treibt. Die große Schwierigkeit bei Wagner liegt allerdings darin, die entfesselte Klangfülle zu bündeln und zu bändigen, damit auch in den ruhigen Momenten ein silberner Sound aufsteigt, der Gänsehaut beschert. Dirigent Antonio Pappano schaffte es leider nicht immer, seine Truppe zu zügeln, und so singt beispielsweise John Tomlinson als König Marke trotz großer Stimmkraft gegen einen Klangteppich an, der in einigen Szenen keinen Ton zum Publikum durchlässt. Man spürt, dass dieses Orchester und sein Dirigent begeistert spielen, aber relativ unerfahren im Erklimmen des Wagner-Massivs sind. Umso höher sind Spielfreude und Leistung zu bewerten.
Christof Loy verschenkt mit seiner Inszenierung von »Tristan und Isolde« viel von den großzügigen Möglichkeiten, die der Stoff ebenso wie das Opernhaus im Londoner Covent Garden bietet. Entsprechend enttäuscht reagierte das Publikum. Es hatte deutlich mehr erwartet.
»Evviva il coltellino« jubelte das entfesselte Opernpublikum des 18. Jahrhunderts, wenn ein Sänger im Falsett höchste Töne aus seiner Kehle strömen ließ und damit unmissverständlich deutlich machte, dass er ein »drittes Geschlecht« hatte: Er war nämlich kastriert! Der Zwischenruf »Es lebe das Messerchen« markierte den Gipfelpunkt musikalischer Lustbarkeit, den Musikliebhaber vergangener Jahrhunderte genießen durften: den Kunstgesang der Kastraten. HIER geht es weiter →
Zufällig besucht die Queen einen Bücherbus, der vor ihrer Palastküche parkt und lernt dort Norman Seakins kennen, einen lesehungrigen Küchenjungen. Angetan von seiner Begeisterung für Literatur befreit sie ihn vom Tellerwaschen und ernennt ihn zu ihrem persönlichen Amanuensis. Als literarischer Assistent bekommt der karottenköpfige Junge einen Stuhl nahe dem Büro der Queen und verbringt seine Zeit zwischen der Erledigung kleiner Aufträge mit Lesen.
Angeregt durch die Zufallsbekanntschaft liest die Queen immer mehr und verliert schnell ihr Interesse an höfischen Pflichten. Das stößt auf den Widerstand ihres Hofstaates, der meint, Lesen zähle nicht zu den Kernkompetenzen einer Monarchin und sei lediglich Zeitvertreib. Die Königin liest fortan, weil sie sich zu ergründen verpflichtet sieht, »wie die Menschen sind«. Im Umgang mit Büchern fühlt sie sich als Gleiche unter Gleichen, denn Bücher buckeln nicht und verhalten sich republikanisch gegenüber ihren Lesern.
Ihre Leselust wird zum Lesefrust ihrer Umgebung, die ungern mit Gewohnheiten bricht. Künftig fragt sie nämlich jeden, dem sie Audienz gewährt, was er denn gerade lese und will sich außerdem mit Staatsgästen über Literatur unterhalten. Ihre Begeisterung für ihr neues Hobby wird zur Besessenheit, und ihren offiziellen Verpflichtungen kommt die Monarchin nur noch mit sichtbarem Unwillen nach: »Grundsteine werden weniger schwungvoll gelegt; die wenigen Schiffe, die noch zu taufen waren, sandte sie mit kaum mehr Zeremoniell auf hohe See hinaus, als man ein Spielzeugboot auf den Teich setzt, denn immer wartete ein Buch auf sie.«
Schon bringen ihr Besucher Bücher statt Blumen mit, im schlimmsten Falle sogar selbst verfasste. Und die Queen liest weiter, sie hat den Eindruck, etwas versäumt zu haben, weil sie erst im Alter das Lesevergnügen entdeckte. Bald will sie die Verfasser der vielen interessanten Bücher persönlich kennen lernen und lädt sie in ihren Palast. Doch dabei stellt sie fest, dass Schriftsteller ebenso sehr Phantasiefiguren ihrer Leser sind wie ihre Romanhelden und belässt es darauf beim Lesen. Schließlich überlegt sie, statt der üblichen Weihnachtsansprache im Fernsehen an ihre Untertanen, ein Gedicht von Thomas Harding vorzulesen.
Um sie wieder auf den »richtigen« Weg zu bringen, wird Norman von den Hofschranzen an eine Universität versetzt, wo er ein Literaturstudium beginnt. Seine ehemalige Arbeitsgeberin vermisst ihn zwar, erfährt aber nichts von der plötzlichen Wende in seinem Leben. In Ermangelung ihres literarischen Gesprächspartners beginnt sie, ihre Gedanken zu Papier zu bringen und Notizbücher zu füllen. Nun denkt sie ernsthaft darüber nach, selbst zu schreiben doch ob das einer Monarchin geziemt?
Alan Bennett schildert in seiner Novelle, wie Lesen Menschen beeinflussen und verändern kann. Er beweist diese These ironischerweise am – natürlich fiktiven – Beispiel der Queen, von der außer repräsentativem Winken kaum Neigungen bekannt sind. Mit seiner Erzählung, die in einer unerwartet konsequenten Wendung mündet, macht er die Monarchin menschlich und liebenswert. So leistet er neben der Aufgabe, schreibend für das Lesen zu werben, gleichzeitig seinen Beitrag als britischer Untertan, seine Königin liebenswert zu machen, indem sie sich vom Souverän zur souveränen Leserin entwickelt.
Alan Bennett. Die souveräne Leserin Wagenbach Berlin 2008 ISBN 978-3-8031-1254-5