Riesen-Video von Prinz Rupi
Auf Einladung von spielzeiteuropa, der Theater- und Tanzsaison der Berliner Festspiele, gastierte das französische Straßentheater Royal de Luxe in Berlin und erinnerte mit ihrem Riesen-Märchen von Trennung und Wiederfinden auf einzigartige Weise an die Vereinigung der beiden deutschen Staaten DDR und BRD in 1989.
Die Geschichte begann so fantastisch wie ein Riesen-Märchen nur beginnen kann: Vor langer, langer Zeit, als Berlin noch ein Sumpfgebiet war, lebten dort Riesen. So auch der Große Riese und seine Nichte, die Kleine Riesin. Als eines Tages Land- und Meeresungeheuer die Stadt teilten, einen Teil mit Mauern umschlossen und so die Riesen trennten, begann für beide eine schmerzvolle Odyssee. Während die Kleine Riesin sich mit ihrem Boot auf die Suche nach ihrem Onkel begab, gelang es dem Großen Riesen nach vielen Jahren, den schlafenden Geysir am Meeresgrund zu finden. Unsaft geweckt, lässt dieser die Erde erbeben und bringt so die Mauer zum Einsturz der Weg für ein Wiedersehen ist geebnet.
An dieser Stelle setzt die Geschichte ein, die der künstlerische Leiter und Gründer von Royal de Luxe, Jean Luc Courcoult zur Erinnerung an den Mauerfall vor 20 Jahren geschrieben hat. Vier Tage lang verwandelte sich Berlin in eine lebendige Theaterkulisse und veranstaltete das viertägige Open-Air-Spektakel »Le rendez-vous de Berlin Das Wiedersehen von Berlin«.
Die phantasievolle Inszenierung mit den riesigen Marionetten faszinierte Millionen Menschen, die zusammen strömten, um das Spektakel zu sehen.
Regisseur Christof Loy schaute sichtbar verdutzt, als er nach der Premiere seiner Inszenierung von Wagners Musikdrama »Tristan und Isolde« auf die Bühne des Londoner Royal Opera House trat, um Rosen in Empfang zu nehmen, stattdessen jedoch ein tausendstimmiges britisches Buuuuuuuhhh kassierte. Publikum und Presse der Themsestadt hegten hohe Erwartungen, doch diese wurden ganz offensichtlich nicht befriedigt.
Dabei ist »Tristan und Isolde« ein Stoff, der alle Möglichkeiten bietet, zumal er sogar in Britannien spielt: Der verwitwete König Marke aus Cornwall schickt seinen treuesten Freund und Verwandten Tristan per Schiff als Unterhändler nach Irland, um ihm dort als Friedensgeschenk zwischen den verfeindeten Nationen eine Gemahlin abzuholen, die »irish maid« Isolde eben. Die verkaufte Braut wiederum kennt Herrn Tristan bereits, der Jahre zuvor ihren Geliebten Morold im Zweikampf erschlug, dabei selbst schwer verwundet wurde und nur dank ihrer legendären Heilkünste gerettet wurde. Isolde fühlt sich gedemütigt, dass der Mörder ihres Verlobten jetzt als Brautwerber für seinen alten Onkel Marke auftritt. Um »zu sühnen alle Schuld« will sie ihn und auch sich selbst in die ewigen Jagdgründe schicken.
Die Sache wird spannend. Drogen kommen ins Spiel. Isolde weist ihre Zofe Brangäne an, »kennst du der Mutter Künste nicht«, ihr einen Todescocktail zu mixen. Die wiederum vertauscht die Mixturen und serviert einen Liebestrank, der starke Wirkung zeigt. Denn sobald Tristan und Isolde einen kräftigen Schluck Love Potion genommen haben, entflammen sie in heftiger Zuneigung und verschmelzen als ein Herz und eine Seele. So geht es nach Cornwall.
Im zweiten Akt empfängt die inzwischen mit dem Monarchen verheiratete Isolde ihren heimlichen Lover in Markes Burg Tintangel zum nächtlichen Stelldichein und löscht selbst das Licht, um ihn im Dunkel der Nacht zu sich zu rufen. Die Love Story kulminiert. »O sink hernieder, Nacht der Liebe, / gib Vergessen, dass ich lebe; / nimm mich auf in deinen Schoß, löse von der Welt mich los! / So stürben wir, um ungetrennt ewig einig, ohne End, / ohn Erwachen ohn Erbangen namenlos in Lieb umfangen, / ganz uns selbst gegeben, der Liebe nur zu leben! / Ohne Nennen, ohne Trennen, neu Erkennen, neu Entbrennen; / ewig endlos, ein-bewusst: heiß erglühter Brust höchste Liebeslust!«
Tristan und Isolde schwören sich das mittelalterliche Motiv des Aufgehens im gemeinsamen Liebestod als höchste Erfüllung (ein Motiv, das Wagner auch in seiner Oper »Der fliegende Holländer« ausführlich thematisiert). Als King Marke vom Betrug seines treulosen Freundes erfährt und wenig »amused« reagiert, ist die Sache für Tristan klar: er will als echter Ritter der Liebe willen in den Tod gehen. Isolde erklärt, ihm folgen zu wollen. Der liebestolle Held stürzt sich in das Schwert, das Markes Vasall Melot gegen ihn zieht und verletzt sich damit selbst tödlich.
Im dritten Akt vollzieht sich Tristans langes Sterben. Auf seiner Burg Karneol auf dem französischen Festland wartet er mit Freund Kurvenal auf die Ankunft eines Schiffes aus Cornwall, das ihm Isolde bringt. Als diese endlich eintrifft, stirbt er in ihren Armen. Sie bricht darauf verklärt zusammen und singt mit »Mild und Leise« eine der herzbewegendsten Wagner-Arien. Derweil kommt Marke mit Gefolge auf einem weiteren Schiff an. Der König wurde von Brangäne über die Wirkung der verabreichten Drogen aufgeklärt, er verzeiht seinem Neffen und möchte ihm sogar Isolde überlassen. Doch er kommt zu spät. Tristan und Isoldes Seelen sind bereits ins »Wunderreich der Nacht« entschwunden.
Was macht nun Christof Loy aus dem prächtigen Stoff? Er verschenkt in seiner Inszenierung nahezu alles, was ihm Wagner auf dem Silbertablett liefert. Abgesehen von einem spartanisch-minimalistischen Bühnenbild, das lediglich aus Stuhl, Tisch und Hocker besteht, nutzt Loy einen schweren Vorhang als Element, das Tristan und Isolde vom hinteren Bühnenraum trennt. Dort bewegt sich eine schwarz gekleidete Herrengesellschaft in oft slapstickartig erstarrten Bewegungen. Diese Trennung soll die Tag- und Nachtwelt der Gedanken Tristans und Isoldes von den übrigen Figuren andeuten.
Die beiden Protagonisten Tristan (Ben Heppner) und Isolde (Nina Stemme), die bärig in einer Bauer-sucht-Frau-Attitüde einander umschleichen, transportierten trotz großer stimmlicher Qualität nicht den Funken großer Emotion. Von Passion, Leidenschaft oder gar Inbrunst gibt es keine Spur. Wagners Wechselspiel zwischen Liebeserfüllung und Liebesqual wird als nüchtern-kalter Braten serviert, der erst noch in den Ofen geschoben werden will. Verwirrend kommen hinzu Loys eigene Regieeinfälle: im Hintergrund turtelt plötzlich Brangäne mit Markes Mannen, Tristan löscht selbst das Licht, mit dem ihn Isolde ruft, es gibt keine Schiffe als Metaphern für Ferne und Sehnsucht, und, und, und.
Muss Wagner von jedem Regisseur neu erfunden und teilweise sogar umgeschrieben werden? Wie viel Vorwissen muss ein Operngänger heutzutage mitbringen, um eine Aufführung zu verstehen? Gerade Wagner ist ja wie kein anderer Komponist der Musikgeschichte von einem absoluten Gleichschritt von Musik und Text geprägt. Jeder Spannungsmoment, der auf der Bühne dargestellt wird, spiegelt sich in der Musik, und die Spielhandlung auf der Bühne kann eigentlich im Gleichklang fließen.
Ja, die Musik. Wunderschöne und mächtige Klänge. Samtig schimmernde, strahlende Streicher. Das Orchester des Royal Opera House bewältigt einen unglaublichen Berg Noten, und es tobt, tönt und trompetet aus dem Graben, als ob der Leibhaftige die Musiker treibt. Die große Schwierigkeit bei Wagner liegt allerdings darin, die entfesselte Klangfülle zu bündeln und zu bändigen, damit auch in den ruhigen Momenten ein silberner Sound aufsteigt, der Gänsehaut beschert. Dirigent Antonio Pappano schaffte es leider nicht immer, seine Truppe zu zügeln, und so singt beispielsweise John Tomlinson als König Marke trotz großer Stimmkraft gegen einen Klangteppich an, der in einigen Szenen keinen Ton zum Publikum durchlässt. Man spürt, dass dieses Orchester und sein Dirigent begeistert spielen, aber relativ unerfahren im Erklimmen des Wagner-Massivs sind. Umso höher sind Spielfreude und Leistung zu bewerten.
Christof Loy verschenkt mit seiner Inszenierung von »Tristan und Isolde« viel von den großzügigen Möglichkeiten, die der Stoff ebenso wie das Opernhaus im Londoner Covent Garden bietet. Entsprechend enttäuscht reagierte das Publikum. Es hatte deutlich mehr erwartet.
»Evviva il coltellino« jubelte das entfesselte Opernpublikum des 18. Jahrhunderts, wenn ein Sänger im Falsett höchste Töne aus seiner Kehle strömen ließ und damit unmissverständlich deutlich machte, dass er ein »drittes Geschlecht« hatte: Er war nämlich kastriert! Der Zwischenruf »Es lebe das Messerchen« markierte den Gipfelpunkt musikalischer Lustbarkeit, den Musikliebhaber vergangener Jahrhunderte genießen durften: den Kunstgesang der Kastraten. HIER geht es weiter →
Zufällig besucht die Queen einen Bücherbus, der vor ihrer Palastküche parkt und lernt dort Norman Seakins kennen, einen lesehungrigen Küchenjungen. Angetan von seiner Begeisterung für Literatur befreit sie ihn vom Tellerwaschen und ernennt ihn zu ihrem persönlichen Amanuensis. Als literarischer Assistent bekommt der karottenköpfige Junge einen Stuhl nahe dem Büro der Queen und verbringt seine Zeit zwischen der Erledigung kleiner Aufträge mit Lesen.
Angeregt durch die Zufallsbekanntschaft liest die Queen immer mehr und verliert schnell ihr Interesse an höfischen Pflichten. Das stößt auf den Widerstand ihres Hofstaates, der meint, Lesen zähle nicht zu den Kernkompetenzen einer Monarchin und sei lediglich Zeitvertreib. Die Königin liest fortan, weil sie sich zu ergründen verpflichtet sieht, »wie die Menschen sind«. Im Umgang mit Büchern fühlt sie sich als Gleiche unter Gleichen, denn Bücher buckeln nicht und verhalten sich republikanisch gegenüber ihren Lesern.
Ihre Leselust wird zum Lesefrust ihrer Umgebung, die ungern mit Gewohnheiten bricht. Künftig fragt sie nämlich jeden, dem sie Audienz gewährt, was er denn gerade lese und will sich außerdem mit Staatsgästen über Literatur unterhalten. Ihre Begeisterung für ihr neues Hobby wird zur Besessenheit, und ihren offiziellen Verpflichtungen kommt die Monarchin nur noch mit sichtbarem Unwillen nach: »Grundsteine werden weniger schwungvoll gelegt; die wenigen Schiffe, die noch zu taufen waren, sandte sie mit kaum mehr Zeremoniell auf hohe See hinaus, als man ein Spielzeugboot auf den Teich setzt, denn immer wartete ein Buch auf sie.«
Schon bringen ihr Besucher Bücher statt Blumen mit, im schlimmsten Falle sogar selbst verfasste. Und die Queen liest weiter, sie hat den Eindruck, etwas versäumt zu haben, weil sie erst im Alter das Lesevergnügen entdeckte. Bald will sie die Verfasser der vielen interessanten Bücher persönlich kennen lernen und lädt sie in ihren Palast. Doch dabei stellt sie fest, dass Schriftsteller ebenso sehr Phantasiefiguren ihrer Leser sind wie ihre Romanhelden und belässt es darauf beim Lesen. Schließlich überlegt sie, statt der üblichen Weihnachtsansprache im Fernsehen an ihre Untertanen, ein Gedicht von Thomas Harding vorzulesen.
Um sie wieder auf den »richtigen« Weg zu bringen, wird Norman von den Hofschranzen an eine Universität versetzt, wo er ein Literaturstudium beginnt. Seine ehemalige Arbeitsgeberin vermisst ihn zwar, erfährt aber nichts von der plötzlichen Wende in seinem Leben. In Ermangelung ihres literarischen Gesprächspartners beginnt sie, ihre Gedanken zu Papier zu bringen und Notizbücher zu füllen. Nun denkt sie ernsthaft darüber nach, selbst zu schreiben doch ob das einer Monarchin geziemt?
Alan Bennett schildert in seiner Novelle, wie Lesen Menschen beeinflussen und verändern kann. Er beweist diese These ironischerweise am – natürlich fiktiven – Beispiel der Queen, von der außer repräsentativem Winken kaum Neigungen bekannt sind. Mit seiner Erzählung, die in einer unerwartet konsequenten Wendung mündet, macht er die Monarchin menschlich und liebenswert. So leistet er neben der Aufgabe, schreibend für das Lesen zu werben, gleichzeitig seinen Beitrag als britischer Untertan, seine Königin liebenswert zu machen, indem sie sich vom Souverän zur souveränen Leserin entwickelt.
Alan Bennett. Die souveräne Leserin Wagenbach Berlin 2008 ISBN 978-3-8031-1254-5
Leute, ich brauche dringend Hilfe. Denn mein Hund stinkt. Pardon, er duftet nicht, er riecht einfach nur abartig. Manchmal stinkt er sogar infernalisch, und auch mein ständiges Herumschwenken mit einer Dose Tannenduftspray hilft kaum.
Besonders brutale Winde wehen, wenn es mir mithilfe einer Nasenklammer gelungen ist, ihm eine frische Portion Blättermagen oder Pansen in unserer gemeinsamen Wohnhöhle zu servieren. Darüber freut er sich dann so, dass er schon beim Verzehr wild mit dem Hinterteil wedelt und Blähgase in unendlicher Fülle seinem glücklichen Körper entsteigen lässt. Küsst er mich dann später und schleckt mir dankbar für die duftige Gabe das Gesicht ab, dann atme ich seine aus allen Öffnungen dringenden Faulgase ein und weiß, es hat ihm mal wieder gut geschmeckt HIER geht es weiter →
Schnätterätäng. Schnätterätäng. Schnätterätängterängtängtäng! Durch die Straßen des österreichischen Luftkurortes Bad Aussee, dem geographischen Mittelpunkt Österreichs, marschiert die örtliche Feuerwehrkapelle mit strammem Schritt. An stolz geschwellter Brust des Hauptmanns glitzern Verdienstorden und Medaillen, und er kommandiert vernehmlich sein »Vorwärts, Marsch!«. Neben ihm schreiten zwei Mädchen im Dirndl, die ein hölzernes Schnapsfässchen tragen, wie es sonst Bernhardinerhunde um den Hals gehängt haben, um Verschütteten Trost zu spenden. Daraus zapfen sie heimischen Zirbenschnaps, der geschmacklich mit Fichtennadel angereichertem Badewasser ähnelt. HIER geht es weiter →
Partnertausch im Treppenhaus: »Cosi fan tutte« im Salzburger Festspielhaus.
© Monika Rittershaus
Treueagenturen melden Hochkonjunktur. Dabei versuchen entsprechend versierte Damen oder Herren, den Beziehungspartner des jeweiligen Auftraggebers anzubaggern und zu einem Seitensprung zu bewegen. Informationen über Gewohnheiten, Stammkneipen und Interessen erleichtern ihnen die Arbeit und den erwünschten Zugriff. Tappt der derart Angemachte in die Sex-Falle, ist sein mangelhaftes Verhältnis zur Treue bewiesen, und es darf vermutet werden, wie sich die Beziehung der beiden Liebenden wohl künftig entwickeln wird.
Dabei betrügen sie alle, behauptet Komponist Wolfgang Amadeus Mozart und gibt seiner Oper zum Thema Treuetest auch gleich einen entsprechend programmatischen Titel. »Così fan tutte« heißt sein Werk in zwei Akten, und das bedeutet wörtlich: »So machen (sie) es alle«. Unmissverständlich reduziert Mozart diese Behauptung bereits im Titel seines »Dramma giocoso« auf die Treulosigkeit der Damenwelt, weil Männer für ihn wohl mehr Ehre im Leib haben als das »schwache Geschlecht«. Ein Stoff für Feministinnen ist diese Oper daher wohl kaum.
In der im Untertitel als »Die Liebesschule« bezeichneten Geschichte geht es um zwei Freunde, denen ein gefallener Engel namens Don Alphonso beweisen will, dass ihre Geliebten ihnen schneller untreu werden könnten, als die Sonne auf- und wieder untergeht. Die beiden wollen es nicht glauben, schwören auf die Treue ihrer Freundinnen, und bestehen dann aber doch auf einem Beleg. »Was für ein verrücktes Verlangen«, meint Don Alphonso darauf, »versuchen, ein Übel zu enthüllen, das, hat man´s gefunden, uns armselig macht«. Er erklärt den beiden, die Treue der Frauen sei »wie der Phönix aus Arabien: dass es ihn gibt, sagt jeder, doch wo er ist, weiß keiner«.
Jedenfalls schließen die drei eine Wette ab und ab geht die Post. Hals über Kopf sollen Ferrando und Guglielmo als Soldaten in den Krieg ziehen und ihre Bräute verlassen. Das bricht den jungen Frauen zunächst fast das Herz, doch schon tauchen zwei neue Verehrer bei ihnen auf (im Stück sind es ihre maskierten Liebhaber) und werfen sich ihnen zu Füßen. Mit Hilfe kleiner Tricks, die Don Alphonso mit Unterstützung der Bedienerin Despina anwendet, landet die eine der beiden mit ihrem neuen Lover ratzfatz im Bett, während die andere sich erst ziert und dann ergibt. Im Finale wird die Sache aufgedeckt, die Paare kehren in ihre Ausgangsposition zurück, und alles wird gut.
Don Alphonso fasst die Moral von der Geschichte als Einsicht in die »Notwendigkeit der Herzen« zusammen: »Alle beschuldigen die Frauen, und ich entschuldige sie, wenn sie tausend mal am Tag den Liebhaber wechseln; die einen nennen es Laster, die anderen Gewohnheit, mir scheint es eine Notwendigkeit des Herzens zu sein. Der Liebhaber, der sich schließlich enttäuscht sieht, verurteile nicht die anderen, sondern seinen eigenen Irrtum: mögen sie jung, alt, schön oder hässlich sein, wiederholt mit mir: So machen es alle«.
Sorgte der Stoff in seiner Entstehungszeit noch für Empörung, wirkt die Geschichte anno 2009 eher hausbacken. Dabei mühte sich Claus Guth, der den Stoff für die diesjährigen Salzburger Festspiele aufbereitete, um ein modernes Gewand. Er inszeniert die Beziehungskiste in ein elegantes Wohnhaus mit Sitzgruppe, offener Treppe und Galerie, auf der gesoffen, getanzt und gehurt wird. Mit seiner ausgefeilten Regiearbeit müht sich Guth, die Geschichte in Richtung eines bewussten Partnertausches zu interpretieren, da es so gut wie ausgeschlossen scheint, dass die beiden Frauen ihre eigenen Verlobten nicht erkennen, die sich zudem nur zeitweise mit afrikanischen Holzmasken tarnen. Deutlich wird das dem Betrachter aber ebenso wenig wie die Beantwortung der Frage, wer denn schlussendlich zu wem findet. Ein Hin und Her der Protagonisten im Schlussbild, musikalisch von den Stimmlagen Sopran und Bariton sowie Mezzo und Tenor getragen, trägt kaum zur Sinnfindung bei und lässt bewusst offen, ob es denn überhaupt möglich ist, nach einem derartigen Desaster wieder Vertrauen zu bilden und zueinander zu kommen.
Claus Guths Salzburger »Cosi«-Adaption schließt den Zyklus der drei Mozart-Opern, die zwar sämtlich von dem Librettisten Lorenzo Da Ponte (1749-1838) stammen, allerdings weder musikalisch noch inhaltlich verbunden sind. Der Regisseur versucht hingegen, einen Zusammenhang herzustellen und verwendet dazu diverse Bildzitate aus den beiden anderen von ihm erarbeiteten Salzburger Operninszenierungen, »Don Giovanni« von 2008 und »Die Hochzeit des Figaro« von 2006.
Spielte der »Figaro« noch in einem herrschaftlichen Treppenhaus, könnte der Betrachter mit Wohlwollen bei »Cosi« mutmaßen, das Haus sei umfangreich modernisiert und in ein modernes Wohnensemble verwandelt worden. Deutlicher wird das Bildzitat, wenn im Bühnenbild der »Liebesschule« eine Hauswand in den Bühnenhimmel gezogen wird, um einen Blick in den Garten frei zu geben. Dieser entpuppt sich als jener Hochwald, in dem der Frauenheld Don Giovanni ein Jahr zuvor Frauen jeden Ranges, jeder Gestalt und jedes Alters flachlegte, um schließlich an einer Schussverletzung, die ihm der Vater einer enttäuschten Liebe beibringt, zu verenden.
Egal, ob die drei Opern des Zyklus nun ineinander greifen oder nicht: Mozarts Musik ist leicht, beschwingt und wundervoll, und die sängerische Leistung schenkt Genuss. Miah Persson, die sich noch in der Generalprobe stimmlich vertreten ließ, passte als Fiordiligi optimal zu Isabel Leonard als Dorabella, während Topi Lehtipuu als Ferrando und Florian Boesch als Guglielmo in den Rollen der Liebhaber brillierten. Deutlich fällt bei der Salzburger »Cosi«-Inszenierung die schauspielerische Leistung der Akteure ins Gewicht, die sich in glänzend aufeinander abgestimmter Choreographie bewegten. Hier steht eine neue Generation von Schauspieler-Sängern auf der Bühne, die dem Musiktheater auch für die Zukunft eine solide Basis geben.
Sämtliche drei Salzburger Inszenierungen von Claus Guth werden auf 3sat gezeigt:
Don Giovanni am 14.08.09, 20.15 Uhr
Cosi fan tutte am 15.08.2009, 20.15 Uhr
Le Nozze di Figarro am 16.08.2009, 20.15 Uhr
Truman Capote verzichtete bewusst auf die üblichen Reporterutensilien wie Tonband oder Diktiergerät, er nutzte nicht einmal Stift und Papier bei seinen Interviews. Der Autor setzte lediglich sein Hirn als Speichermedium ein, weil er der Überzeugung war, nur so eine natürliche Beziehung zwischen den Interviewpartnern (dem nervösen Kolibri und dem Vogelfänger, wie er es nannte) herstellen zu können. Die Ergebnisse dieser Arbeitsmethode lässt sich jetzt in geballter Form in seinen gesammelten Reportagen und Porträts nachlesen, und ich gestehe neidlos: Capotes Texte sind gnadenlos gut.
Eingeleitet wird der voluminöse Band nicht-fiktionaler Texte von Capotes umfangreichem Konversationsporträt des exzentrischen Schauspielers Marlon Brando, den er in einem Hotel in Kyoto während der Dreharbeiten zum Liebesmelodram »Sayonara« besuchte. Er schildert den Charakterdarsteller als »Fürst in seinem Reich« und nutzt Brando zugleich als Versuchskaninchen, um eine neue Art des journalistischen Schreibens auszuloten.
Capotes Ansatz lautete, eine Reportage ebenso anspruchsvoll zu schreiben wie jede andere Art Prosa, sei es Essay, Kurzgeschichte oder Roman. Im Erscheinungsjahr 1956 war das ein Wagnis, und Capote schildert den Ausgangspunkt seiner Überlegungen: »Was ist die niederste Stufe des Journalismus? Anders gefragt, welcher Dreck lässt sich am schwersten zu Geld machen? Antwort, ganz klar: Interviews mit Hollywood-Stars, dieses unerträgliche Promi-Gelaber. So etwas zur Kunst zu erheben, wäre eine echte Aufgabe.«
Capote gelang mehr als das: seine journalistischen Texte lesen sich wie Literatur und wurden zu einer eigenen Kunstform. Seine Reportagen und Porträts sind Kampfansagen an eine zunehmend unverständliche Sprache der so genannten Hochliteratur, die sich auf rein formale Spielereien und auf die Vernachlässigung der Alltagsstoffe kapriziert. »Schlicht sollen sie sein, meine Sätze, und klar wie ein Gebirgsbach«, lautete sein sprachliches Credo, während er bei seinem Stil besonderen Wert legte auf die Gestaltung »statischer« Textteile, mit denen er seinen jeweiligen Gesprächspartner und die Stimmung des Interviews herausarbeitete.
Eine gewalttätig knisternde Spannung liegt auf seinem Gespräch mit Robert Beausoleil, einem Dauergast im Hochsicherheitstrakt von San Quentin in Kalifornien. Der Leser spürt unmittelbar den mörderischen Atem der wohl schillerndsten Gestalt aus der Charles-Manson-Sekte, der sich im Gefängnis zum Anführer der faschistischen »Arischen Bruderschaft« erhob.
Ganz anders und nahezu beschwingt schilderte Capote das Tagewerk der Mary Sanchez. Er begleitet die Putzfrau auf ihren Einsatzorten in New York und erfährt dabei enorm viel über sie wie über die Bewohner der Appartements, die sie putzt. Sanchez erträgt ihre Arbeit als Putzteufel, indem sie immer wieder zu einer kleinen Blechschachtel greift, in der sich eine Ansammlung von Jointkippen befindet. Irgendwann gelingt es ihr, Capote zum Mitrauchen zu animieren und darauf bekommt die Story einen wundervoll leichten, geradezu bekifften Touch.
In »Versteckte Gärten« wiederum beschäftigt sich Capote in einer Art Selbstgespräch mit seiner Heimatstadt New Orleans. Dazu setzt er sich an einem prachtvollen Frühlingstag in einen uralt gewachsenen Park und reflektiert, was er dort sieht und erlebt. In einem der Gespräche, die der Wind an sein Ohr trägt, streitet sich ein Zuhälter mit einer Frau, die für ihn anschafft, und es wäre kein Text von Capote, wenn die Dame nicht am Schluss der Geschichte wie zufällig vorbei kommt und ihn anspricht.
Wer sich für journalistische Sprache und Stil interessiert, der wird von Capote vorzüglich bedient. Der am 30. September 1924 in New Orleans geborene Autor steht für den »New Journalism«, zu dessen Wegbereitern auch Tom Wolfe, Hunter S. Thompson und Norman Mailer zählen. Sein 1958 veröffentlichtes »Frühstück bei Tiffany« erlangte auch dank der Verfilmung mit Audrey Hepburn große Berühmtheit. Capote begründete 1965 mit seinem Welterfolg »Kaltblütig«, der exakten Aufarbeitung eines blutigen Mordes an einer Farmerfamilie, sogar eine neues Genre: den Tatsachenroman. Truman Capote starb am 25. August 1984 in Los Angeles.
Truman Capote
Die Hunde bellen. Reportagen und Porträts
Kein & Aber, Zürich 2008
ISBN 978-3-0369-5163-8
Thomas Bernhards Roman »Holzfällen« war kaum erschienen, das wurde das Buch in Österreich am 29. August 1984 gerichtlich beschlagnahmt und verboten. Der in dem Text angeblich dargestellte Komponist Lampersberg und seine Frau, die Sängerin Maja Lampersberg, meinten sich in dem Werk wieder zu erkennen und hatte die Klage ausgelöst. Erst im Februar 1985 konnte eine außergerichtliche Einigung erzielt werden, die Klage wurde zurückgezogen und der »Schlüsselroman« wieder frei gegeben.
In dem Text beschreibt der Erzähler, der von London nach Wien zurückgekehrt ist, wie er bei einem Spaziergang vom Ehepaar Auersberger angesprochen und zu einem »künstlerischen Abendessen« eingeladen wird. Obwohl er die Auersbergers hasst und überhaupt keine Lust auf eine derartig fragwürdige Geselligkeit hat, sagt er zu und erscheint.
Den Ablauf des Abends schildert Bernhard nun mit den für seinen Stil typischen Endlossätzen aus der sicheren Perspektive eines Ohrensessels, von dem aus er die Szene beobachtet. Er verflucht sich und seinen Leichtsinn, die Einladung der Auersbergers angenommen zu haben, da sich beide durch extreme Langeweile und Hohlheit auszeichnen. Frau Auersberger ist Sängerin, Herr Auersberger Komponist, ein »armseliger talentierter Spießbürger«, ein »vom Vermögen seiner Frau stumpfsinnig gewordener Gesellschafts-Kopist«.
Die geladenen Gäste, die er sämtlich von früher kennt und seitdem verachtet, seien ursprünglich alle nach Wien gekommen, um dort Karriere zu machen. Allerdings hätten sie es lediglich zu »Künstlerattrappen« gebracht. Die »leben und leben und leben und langweilen sich im Grunde durch ihr ganzes Leben und werden älter und älter und älter und sind nichts als nutzlos«.
Besonders stinkt dem Erzähler das mitternächtliche Erscheinen des Stargastes des Abends, einem selbst gefälligen Schauspieler vom Burgtheater, der an diesem Abend als Ekdal in Ibsens »Wildente« aufgetreten war. Die Figur des unentwegt psalmierenden und fressenden und psalmierenden Schauspielers gibt Bernhard Anlass zu einer giftigen Suada über die Wiener Theaterszene im Allgemeinen und das Burgtheater im Besonderen. Bei dem Stargast des »künstlerischen Abendessen« handele es sich um den »Prototypus des durch und durch fantasielosen und also völlig geistlosen Poltermimen«, gleichwohl das Publikum gebannt an seinen Lippen hänge, welchen Unsinn auch immer aus seinem Munde ströme.
Im Anschluss an das Nachtmahl legt der Burgschauspieler, der mehrere Gläser Wein getrunken hat, ein pathetisches Bekenntnis zur Natur ab: »Wald, Hochwald, Holzfällen, das ist es immer gewesen«, notiert Bernhard, der bald darauf als letzter Gast die Wohnung verlässt. Zuvor belügt er der Auersbergerin noch nach Strich und Faden. Es sei ein ganz besonders gelungener Abend gewesen, er fände den Burgschauspieler ganz einzigartig, und er schätzte ihr künstlerisches Abendessen über alle Maßen, schleimt er, wo die gesamte Veranstaltung ihm doch nichts weniger als abstoßend erschienen war.
»Um uns aus einer Notsituation zu erretten, denke ich, sind wir selbst genauso verlogen wie die, denen wir diese Verlogenheit andauernd vorwerfen und derentwegen wir alle diese Leute fortwährend in den Schmutz ziehen und verachten, das ist die Wahrheit; wir sind überhaupt um nichts besser, als diese Leute, die wir andauernd nur als unerträgliche und widerliche Leute empfinden, als abstoßende Menschen, mit welchen wir möglichst wenig zu tun haben wollen, während wir doch, wenn wir ehrlich sind, andauernd mit ihnen zu tun haben und genauso sind wie sie.«
Angeekelt von sich selbst stürzt er schließlich nach draußen, einzig beseelt von dem Wunsch, sofort alles niederzuschreiben.
Bernhards »Holzfällen« ist ein tosender Sturzbach der Worte, ein endloser Satzschwall, den er erbricht, und der keine Gemeinheit und Niederträchtigkeit auslässt. Der Text ist eine ätzende Kritik an der feinen Wiener Gesellschaft, am Künstlertum, am Theater, an der Schauspielerei. Dem Autor ist die faszinierende Gabe des exakten Beobachtens gegeben, die bis in das sorgfältige Zerlegen eines Satzes beim Löffeln einer Suppe reicht.
Mit »Holzfällen« schleudert Bernhard seinen Hass auf die ihn umgebende Gesellschaft hinaus und macht zugleich deutlich, dass diese Verachtung Selbsthass ist, der ihn treibt. Seine Verachtung wiederholt er in immer wiederkehrendem Rhythmus, der Ravels »Bolero« angepasst ist, der wie als ein deutlicher Hinweis am Laufe des Abends auf den Plattenteller gelegt wird. Entsprechend der Musik schreibt Bernhard im Ostinato, in stetiger Wiederholung, die das Mahlwerk seiner Gedanken hervorbringt.
Dabei, und das macht die eigentliche Virtuosität Bernhards aus, ist es kein Klagegesang eines alten Grantlers, den er vorlegt. Der Text ist vielmehr in jeder Hinsicht komisch, er ist sogar dermaßen grotesk, dass der Leser nicht lächeln, nein, laut lachen muss, folgt er der Schilderung des Abends. »Holzfällen« ist eine gewaltig-geniale Schmähschrift auf den Kunstbetrieb und die Gesellschaft. Das Buch liest sich wie im Rausch, wenn man sich auf den eigenwilligen Stil Bernhards einlässt. Es ist gut nachzuvollziehen, dass die Veröffentlichung des urkomischen Werks diejenigen, die sich erkannten, auf die Palme getrieben hat. In Wien war es jedenfalls lange Jahre Mode, darüber zu spekulieren, wer denn der ein oder andere Protagonist in Wirklichkeit sei.
Thomas Bernhard
Holzfällen. Eine Erregung
Suhrkamp 2009 ISBN 978-3518380239
Wer mehr von Thomas Bernhard lesen möchte, findet H I E R meine weitere Rezensionen.