Zum 1. Advent liest die Wiener Bloggerin LittleLilly die Satire »Schweine im Weltall« aus meinem Buch »Angriff der Killerkekse«.
WERBUNG[amazon_link asins=’1503097404′ template=’ProductCarousel‘ store=’literaturzeit-21′ marketplace=’DE‘ link_id=’c4678b28-0530-11e9-9f8c-d16e38bef46e‘]
Podcast: Play in new window | Download
Subscribe: RSS
Wilhelm Ruprecht Frieling
MANISCHE WIEGENLIEDER
Groteske und absurde Gedichte
96 Seiten • € 9,80 • ISBN 978-3-941286-20-7
Weitere Bücher von Wilhelm Ruprecht Frieling:
MARSMENSCHEN AUF MALLE
Reportagen und Geschichten aus Mallorca
128 Seiten • € 14,80 • ISBN 978-3-941286-30-6
ANGRIFF DER KILLERKEKSE
Reportagen und Geschichten vom täglichen Wahnsinn
176 Seiten • € 14,80 • ISBN 978-3-941286-10-8
Alle Bücher erhältlich unter Angabe der ISBN im Buch- und Versandhandel
oder portofrei direkt vom Autor (gern auch signiert): frieling@aol.com
Pünktlich zum 150. Geburtstag des italienischen Komponisten Giacomo Puccini, der am 22. Dezember 1858 in Lucca das Licht der Welt erblickte, wurde jetzt einer seiner brillantesten Werke, die Oper »La Bohème«, verfilmt. Besetzt mit dem aktuellen Traumpaar der Opernwelt, Rolando Villazón und Anna Netrebko, läuft der Opernfilm ab 23. Oktober in Berlin und dann ab 6. November in ganz Deutschland in den Kinos. HIER geht es weiter →
Das »Berliner Ensemble« (BE) am Schiffbauerdamm gilt mit Fug und Recht als eine der besten Bühnen Deutschlands. Seit Helene Weigels Zeiten setzt die Brecht-Bühne Akzente, wenn es um schauspielerische Qualität und stilbildende Inszenierungen geht. Das gilt in Besonderem, wenn das Haus sich in ausgesuchten Fällen dem Musiktheater zuwendet, das für das BE eben nicht nur aus Brechts »Dreigroschenoper« besteht. So feierte in der jüngeren Vergangenheit Robert Wilsons Inszenierung von Georg Büchners »Leonce und Lena« überwältigende Erfolge als witzig-bildgewaltige Satire mit herausragenden Darstellern zur Musik von Herbert Grönemeyer. Grund genug, die Premiere von »La Périchole«, einer Operette von Jacques Offenbach mit Spannung zu erwarten. HIER geht es weiter →
Wagenburgindianer treffen auf Zehlendorfer Schnösel. Foto: ©Neuköllner Oper
In einer Berliner Wagenburg wird feucht-fröhlich Geburtstag gefeiert: Frederik (Aris Sas) wird 21 und damit volljährig. Von seinen vermeintlichen Eltern, dem Punk Rainer (Christoph Reiche) und seiner Mutter Ruth (April Hailer) erfährt er, dass er in Wahrheit ein Waisenkind ist.
Ruth stahl den Säugling in einem Moment äußerster Verwegenheit aus einer Babyklappe in Zehlendorf, wo ihn eine Blondine abgelegt hatte. Mit dieser revolutionären Tat machte sie sich selbst zur Mutter, den impotenten Rainer zum Vater und verschaffte der Wagenburgfamilie frischen Nachwuchs.
Frederik indes will nicht länger im Dreck der Wagenburg leben und sein Leben mit Saufen und dem gelegentlichen Posieren vor Berlin-Touristen verbringen. Er kennt den Kodex der sich als »Piraten« verstehenden Truppe, nach dem ein Volljähriger sein künftiges Schicksal selbst bestimmen kann. Frederik träumt vom Berliner Edelbezirk Zehlendorf, wo alles geordnet und adrett zu sein scheint.
Da kommen drei Discobräute auf das von den Piraten besetzte Brachland, um Kokain zu kaufen. Mabel (Anne Görner) verknallt sich sofort in den langhaarigen Frederic, der ihr wie ein animalischer Wilder aus einer anderen Welt vorkommt und verführt ihn mittels K.o-Tropfen. Auch ihre beiden Schwestern Edith (Dorothea Breil) und Kate (Nini Stadlmann, die zugleich für die Choreographie verantwortlich zeichnet) sind begeistert von dem wilden Leben der Outlaws und würden liebend gern bleiben. Doch Frederik zieht gegen den Willen der Gemeinschaft mit den drei jungen Frauen nach Zehlendorf und in ein vermeintlich besseres Leben. So endet der erste Akt, und die Szene wechselt ins andere soziale Extrem.
Im zweiten Akt hat Frederik sich nämlich voll und ganz in Zehlendorf eingelebt. Inzwischen hat er Mabel geheiratet, und aus dem einstigen Revoluzzer ist ein Spießer geworden. Frederik paktiert sogar mit seinem Schwiegervater, dem Bauunternehmer Igor (Ulrich Lenk), der Besitzer der Brachfläche ist, die Frederiks Ex-Familie besetzt hält und sie ihnen mit List und Gewalt wieder abjagen will.
Eines schönen Tages besuchen Rainer, Ruth und ihre Freunde die Zehlendorfer und fordern Frederic zur Rückkehr auf. Sie eröffnen dem widerspenstigen Jungen, dass er am 29. Februar eines Schaltjahres geboren und damit in Wirklichkeit erst vier Jahre jung sei. Es müsse also noch einige Jahrzehnte warten, bis er 21 werde und sie verlassen dürfen. Als pflichtbewusster Sklave, so auch der historische Originaltitel der komischen Oper »The Pirates of Penzance, or The Slave of Duty«, akzeptiert Frederic ihre Logik und bittet Mabel, auf ihn zu warten.
Im Ergebnis kommt es zu einem possierlichen Auftritt Igors mit umgebundenem Sprengstoffgürtel als Selbstmordattentäter. Frederiks Herkunft wird aufgeklärt, tatsächlich ist er Igors Sohn und Halbbruder der von ihm geehelichten Mabel. Ob nun alles gut wird und die feindlichen Parteien zueinander finden?
Historische Opernvorlage
Regisseur Andreas Gerken und Librettist Andreas Bisowski setzen ihre moderne Erzählung auf eine klassische Oper, die bereits 1879 in New York Premiere hatte. »The Pirates of Penzance, or The Slave of Duty« ist ein Zweiakter, den Arthur Sullivan komponierte und mit dem Originallibretto seines Freundes und Weggefährten William Schwenk Gilbert zu einem enormen Erfolg im gesamten englischsprachigen Raum führte.
Komponist Sullivan bediente sich aus verschiedenen musikalischen Stilrichtungen. Im Song des Bauunternehmers, im Original ist es ein General, imitiert er Schubert. Ein Chorlied zitiert den Zigeunerchor im zweiten Akt von Verdis »Troubadour«. In einem Wechselgesang zwischen Mabel und der Polizei nutzt er die Form des Wechselgesangs des anglikanischen Gottesdienstes.
Der ursprüngliche Titel der Oper war als Scherz angedacht. Unter »Piraten« verstanden Gilbert & Sullivan diejenigen amerikanischen Theaterunternehmer, die mangels eines Urheberrechtsschutzes für Ausländer ohne Rücksicht auf Komponisten und Autoren Stücke klauten und selbst gewinnbringend zur Aufführung brachten. So war es den beiden mit ihrer Oper »H.M.S. Pinafore« zuvor geschehen.
Um den Ideenpiraten zuvor zu kommen, veranstalteten die beiden die Premiere ihres Stückes in New York selbst und verzögerten die Veröffentlichung des Librettos. Sullivan komponierte die Musik in umgekehrter Richtung, er schrieb erst den zweiten Akt, dann die Songs für den ersten Akt. Nachdem er mit seinem Librettisten in New York ankam, um seine Arbeit parallel zu den Proben zu vollenden, bemerkte er erst, dass er seine Noten für den ersten Akt vergessen hatte. Mühsam musste er alles neu schreiben und bediente sich dabei auch aus eigenen Opern.
1980 nahm Joseph Papp, Gründer des New York Shakespeare Festival, das Stück am Broadway wieder auf. Rockröhre Linda Ronstadt brillierte als Mabel, James Belushi, Tim Curry und Kevin Kline traten als Piratenkönige auf.
Die Neuköllner Inszenierung von 2008 ist witzig und temporeich. Bei der Gegenüberstellung extremer Lebensentwürfe entsteht Spannung. Dass dabei tief in die Klischeekiste gegriffen wird, wird durch die mitreißende Musik wettgemacht.
Die Lektüre einer einzigen Ausgabe der »Süddeutschen Zeitung«, deren Vertrieb mich mit einem Schnupper-Abo verwöhnt, hat ausgereicht, mich vollends zu überzeugen und alle aktuellen Ängste zu verjagen, denn: »Von Rezession kann keine Rede sein
«, steht dort schwarz auf weiß.
Wen stört es, wenn Banken crashen, Versicherungen den Löffel abgeben und die Ersparnisse von Millionen Menschen verbrannt werden? Die Befehlshaber an den Gelddruckmaschinen lassen ein paar Milliarden neuer Scheinchen drucken, und alle Probleme sind behoben.
Die Nebenwirkungen dieser Therapie, die enorme Geldentwertung, die damit einher gehende Inflation sowie die im Hintergrund dämmernde nächste Weltwirtschaftskrise, werden von unseren großen Steuermännern mit ihrem »Instrumentarium« der Geldpolitik, gekonnt umschifft. Falls doch mal etwas daneben geht, dann haftet das Staatsvolk.
Ergo ist alles klar auf der Andrea Doria, denn so versichert die SZ: »Der Kapitalismus lebt«.
Wäre da nicht Onkel Dagobert mit seinem untrüglichen Instinkt, der meint: »Mein Geld riecht nach Schimmel« …
Klassik mit Schmiss: Mambo von Leonard Bernstein (1918-1990) aus dem Musical West Side Story
Wird ein erst 27 Jahre junger Dirigent von der Großen der Szene wie Sir Simon Rattle, Claudio Abbado und Daniel Barenboim in den höchsten Tönen gelobt und zur Mitarbeit gebeten, dann scheint ein Stern am Klassikhimmel aufzugehen. Und wer Gustavo Dudamel live erlebt, der spürt das ungeheure Temperament, das dieser venezoelanische Musiker versprüht.
In einem Konzert in der Berliner Philharmonie erbrachte Dudamel soeben erneut den Beweis, dass klassische Musik Spaß machen kann und deutliche Spuren im Zuhörer hinterlässt. Seine fast 200 Musiker, das Simón Bolívar Orchestra of Venezuela, spielen mit derartig erkennbar großer Freude und Hingabe, dass der Zuhörer gebannt den Atem anhält.
Dabei sind es durchaus schwierige Stücke, die der blutjunge Maestro in Berlin präsentierte: Strawinskys Skandalstück, die Ballettmusik »Le sacre du printemps«, wird in Dudamels Händen zu einem Feuerwerk, das im Tempo einer heran brausenden Elefantenherde in den Himmel steigt. Schon vom ersten Ton des extrem hohen Fagottsolos an erschließt der Dirigent dem Zuhörer die zum Bereich der Moderne zählende Musik.
Auch bei Tschaikowskys Symphonie Nr. 5 e-moll hält er sein riesenhaftes Orchester präzis in Zaum. Dabei steht die Spielfreude jedem einzelnen Mitwirkenden im Gesicht geschrieben. Endgültig explodiert die musikalische Leidenschaft aber bei den Zugaben, und dazu zählt Leonard Bernsteins Mambo aus »West Side Story«. Außer Rand und Band (und dennoch präzis bis in i-Tüpfelchen) wirbeln die Streicher ihre Instrumente durch die Luft, hüpfen die Bläser auf und nieder, jonglieren die Schlagwerker mit den Stöcken, bis schließlich alle von den Stühlen springen, sich spielend um die eigenen Achsen drehen und lachend umher laufen.
Die »Deutsche Grammophon«, bei der Dudamel unter Vertrag steht, hat jetzt eine neue CD unter dem Titel »Fiesta« vorgelegt, bei der das Schwergewicht auf lateinamerikanischen Stücken liegt. Für Dudamel ist der Schritt zwischen Beethoven und den Komponisten seiner Heimat kaum größer als ein Tanzschritt. »Ich begann schon zu tanzen, als ich noch ganz klein war«, berichtet der 27jährige, »Tanzen gehört einfach zu unserer Kultur es liegt uns im Blut.«
Wer sich die Schönheit lateinamerikanischer Klassik erschließen möchte, ist mit der CD gut beraten. Die Aufnahme ist wie eine Party, wie eine Fiesta, und sie sprüht vor Energie und Bewegung.
Gustavo Dudamel »Fiesta«
Simón Bolívar Orchestra of Venezuela
Werke von Bernstein, Carreño, Castellanos, Estévez, Ginastera, Márquez, Revueltas, Romero
Deutsche Grammophon 2008
Danza final (Malambo) von Alberto Ginastera (19161983) findet sich ebenfalls auf der CD
»Le tour du monde en quatre-vingts jours«, »Reise um die Erde in 80 Tagen« nannte Jules Verne seinen 1873 veröffentlichten Erfolgsroman. Darin beschreibt er die höchst abenteuerliche Weltreise eines reichen englischen Exzentrikers namens Phileas Fogg sowie seinen Dieners Passepartout. Der Journalist Helge Timmerberg reist 135 Jahre nach Vernes großem Wurf ebenfalls »In 80 Tagen um die Welt«, wobei ihm wesentlich schnellere Verkehrsmittel zur Verfügung standen als dem leidenschaftlichen Whist-Spieler Phileas Fogg. Während Fogg noch sein halbes Vermögen in bar mit sich führte, wurde Timmerbergs Reise durch ein gut gefülltes Spesenkonto abgefedert, das weltweit verfügbar ist.
Der Autor reist per ICE mit 230 km/h von Berlin nach München, wo er in einer Wohnzimmer-Kneipe im Bahnhofsviertel landet, in der sich einsame Männer beim Weizen trösten. Er fährt weiter nach Venedig und begegnet bereits am Bahnhof einer Prozession von abertausend Touristen mit Masken, spitzen Nasen und schwarzen Umhängen. Venedig feiert Karneval, und wer so bescheuert ist, ausgerechnet in diesem Trubel den Canale Grande sehen zu wollen, der zahlt für das einzige freie Zimmer im »Marco Polo« eben 330 Euronen, selbstverständlich ohne Frühstück. Irgendwie fällt dem Weltreisenden auch hier nichts Besseres ein, als die nächste Trinkhalle aufzusuchen, um sich die Kante zu geben. Ihm geht es dabei um »das disziplinierte, konzentrierte, mathematische Besaufen«.
Die dritte Nacht seiner Weltreise verbringt Timmerberg in Triest, und raten Sie mal wo er landet? Na klar, in einem kleinen Weinlokal, an den Stehtischen für Raucher. Die Welt in achtzig Tagen zu umreisen verlangt nicht, wie zu Jules Vernes Zeiten, permanentes, pausenloses und zielstrebiges Voraneilen. Heute braucht es das glatte Gegenteil: Trinkfestigkeit, Drogenerfahrung und ein gewisses Klebenbleiben, eine gewisse Unentschlossenheit. Als unentschlossen erweist sich der Autor immer wieder, dies ist sein deutlichster Charakterzug. Später, denn hier soll nicht jede Station erwähnt werden, als er in Bombay, das heute Mumbai heißt, weilt, überlegt er beispielsweise, mit welchem Verkehrsmittel er sich weiter bewegen will. Jules Verne ließ seinen Helden mit dem Zug von Bombay nach Kalkutta reisen, und der hat während dieser Fahrt die Frau seines Lebens getroffen. Die Frau des Lebens, sinniert Timmerberg, ist keine schlechte Vision, aber dafür zweiunddreißig Stunden mit dem indischen Zug?
Nun geht eine Weltreise in heutiger Zeit dank moderner Verkehrsmittel sehr viel unkomplizierter als anno Verne. Und dennoch hat Helge immer wieder Entscheidungsschwierigkeiten, die sein Wesen auszumachen scheinen. Der Reisende, der noch die Nachwehen der Hippiezeit in sich spürt, wendet sich an einen Guru um Rat. Schließlich bereiste Timmerberg bereits in der Blütezeit der Gurus Indien und kennt sich nach eigenem Bekunden auf diesem Gebiet aus. Jedoch fehlt die Antwort des Meisters nicht zur Zufriedenheit des Reisenden aus, denn letztlich empfiehlt er ihm, eine Münze zu werfen. So kann es Weltreisenden ergehen! – In dem Augenblick fällt dem Rezensenten ein, dass er selbst eine solche Entscheidermünze in seinem Schreibtisch in Griffnähe hat. Diese Münze, ein Geschenk einstiger Kollegen, sollte ihm helfen, grundsätzliche Entscheidungen seines Lebens zu fällen, da er zu jener Spezies gehört, und hier entsteht eine Gemeinsamkeit mit Timmerberg, die unfähig sind, sich zu entschließen.
Ansonsten erweist sich Timmerberg als arrivierter Althippie, der mit gefülltem Säckel nicht mehr in Hauseingängen oder der Bahnhofsmission kampieren und per Anhalter durch die Galaxis trampen muss. Er genießt den Luxus der Sterne-Hotels und lässt sich vor Ort gern mit dem Taxi chauffieren. Bedrängt ihn ausnahmsweise das nackte Leben, wie beispielsweise in Shanghai in Gestalt besonders aggressiver Bettler, rettet er sich vor dem Mob in eine Droschke und braust davon. Sozialkritik ist nicht das Thema des Buches.
Immerhin schafft es der Autor, seiner Weltreise eine gewisse Leichtigkeit zu verleihen, die den Leser in Bann schlägt. Er unterstützt dies durch eine flotte Sprache sowie milieudichte Schilderungen über Drogenexzesse. Hier spürt der Leser, dass Timmerberg life dabei war und sein Wagemut ihn bevorzugt ins Land der Kopfreisen führte. Er kennt die Illusionsromantik des Reisens, er predigt Toleranz und fühlt sich schließlich doch am wohlsten dort, wo er startete und wieder ankommt: im multikulturell gefärbten Berlin.
»In 80 Tagen um die Welt« ist lesenswert für den gestandenen Reisenden, der sich an dies oder jenes erinnern möchte. Es ist kein Reiseführer, und es sucht auch nicht Erkenntnisse in Slums und Absteigen, wie sie von einem Journalisten vielleicht erwartet werden. Das Buch ist amüsant, und der Autor ist fraglos weit herum gekommen. Die Freude am Reisen, mit Ausnahme des Abstechers nach Mexiko-Stadt, scheint ihm dabei jedoch mit den Jahren abhanden gekommen.
Helge Timmerberg: In 80 Tagen um die Welt
Rowohlt Berlin 2008
ISBN 9783871345937
Weitere Leseempfehlungen von Wilhelm Ruprecht Frieling auf Literaturzeitschrift.de
Ponte liest. Foto: © Wilhelm Ruprecht Frieling
In seinem satirischen Roman »Unser Mann in Havanna« schreibt Graham Greene seinem Protagonisten James Wormold, einem als Staubsaugervertreter getarnten britischen Geheimagenten, ins Tagebuch: »Es war an der Zeit seine Sachen zu packen und die Ruinen von Havanna zu verlassen«. Anders als Wormold verlässt Pontes Protagonist Havanna zum vollkommenen Unverständnis seiner Freunde nicht. Vielmehr hält er es mit Maupassant, der Frankreich wegen des Baus des von ihm und anderen Künstlern als »Schandfleck« bezeichneten Eiffelturms verließ, dann jedoch zurück kehrte und häufig im Restaurant der Stahlgiraffe anzutreffen war. Dies war nach seinem Bekunden der einzige Platz in Paris, wo er den Turm nicht sehen musste.
Antonio José Ponte versteht sich selbst als »Ruinologe«. Der in Kuba mit Preisen und einer Literaturprofessur geehrte Autor ist dort inzwischen in Ungnade gefallen und lebt seit 2006 im Madrider Exil. Er wurde vom kubanischen Schriftstellerverband »deaktiviert«, damit bleibt er zwar formal Mitglied, darf jedoch weder publizieren noch Ehrenämter bekleiden. »Der Ruinenwächter von Havanna« ist seine erste in deutscher Sprache vorliegende Publikation.
Ponte unternimmt literarische Streifzüge durch Havannas Altstadt auf den Spuren von Graham Greene, Jean Paul Satre und Ry Cooder. Er beschreibt die Altstadt der kubanischen Hauptstadt als einen Unfall in Zeitlupe, als ein unaufhaltsames Zerbröseln von Bausubstanz, von Gebäuden und Quartieren. Über Jahre häufte sich ein Berg von Problemen an, der auch durch die Einrichtung neuer Museen und von Bars, die sich bei näherem Hinsehen selbst als Museen entpuppen, nicht abgetragen wurde. Ponte meint, die größte städtebauliche Leistung durch die Revolutionsregierung bestehe darin, Havanna seinen Bewohnern entfremdet zu haben: »Derart fremd geworden, dass niemand sich für die Stadt verantwortlich fühlt, wird sie aus der Ferne vermisst«.
Der Autor beobachtet das Entstehen von etwas, das er »horizontale Ruine« nennt: nicht einzelne zusammen stürzende Gebäude, sondern eine ganze Stadt, die sich flächendeckend in eine gigantische Ruinenkonstruktion verwandelt, in der immer wieder der Strom ausfällt. Jahrelang leuchtete ganz oben an der Fassade des Bauministeriums die Losung »Revolution ist Bauen«. Allerdings wird die Ära Castro nach Ansicht des Autors wohl ohne bemerkenswerte bauliche Hinterlassenschaften zu Ende gehen; es fehlt sowohl an Verantwortungsbewusstsein für die Rettung der Altstadt als eine Architektur der Moderne.
Letztlich besteht der Irrtum der sozialistischen Wohnungspolitik darin, den Bewohnern die Verantwortung über den Wohnraum zu überlassen, die den vorherigen Eigentümern genommen wurde. Doch die neuen Besitzer, die in Havanna teilweise sogar ihre eigene Miethöhe festsetzen durften, verhalten sich wie Tauben: sie verlassen die Gebäude, sobald sie vollends unbewohnbar geworden sind und flattern durch die Löcher in den Dächern, um den nächsten freien Winkel zu besetzen.
Wann wird ein Gebäude zur Ruine, fragt Ponte und antwortet: »Man steht von dem Moment an vor einer Ruine, wenn die Schäden an einem Gebäude unwiderruflich sind. Wenn es nicht mehr das Verlangen nach Wiederaufbau weckt, hat das Gebäude angefangen, zur Ruine zu werden. Das Zeichen ist ein Sims, der unter allgemeiner Teilnahmslosigkeit am Boden landet, oder das nicht zur Kenntnis genommene Abfallen eines Balkons.«
Abseits aller Revolutionsromantik um Fidel Castro, Camilo Cienfuegos und Ernesto Che Guevara und dem von der Buena-Vista-Rhythmik beschworenen Mythos wird mit diesem ungewöhnlichen Werk das Ende eines Systems an einem seiner schwächsten Punkte karikiert: an seinem Umgang mit dem Altern der Hauptstadt. Der »Ruinenwächter von Havanna« ist ein romanhafter Essay mit verstörendem Effekt auf den Leser und sicherlich eines der ungewöhnlichsten Zeugnisse der aktuellen kubanischen Literatur.
Antonio José Ponte
Der Ruinenwächter von Havanna
Kunstmann 2008
ISBN 978-3-88897-511-0
Weitere Leseempfehlungen von Wilhelm Ruprecht Frieling auf Literaturzeitschrift.de
Wörterbücher sind für jeden, der reist, ein nützlicher Begleiter. Dabei gebührt denjenigen Nachschlagewerken der Vorzug, die klein und handlich in der Manteltasche zu verstauen sind. Die einstmals roten, inzwischen knallgelben »Liliputs« von Langenscheidt gelangten aus diesem Grunde zur Berühmtheit, zumal sie auch zum Schummeln bei Klassenarbeiten geeignet waren. Voraussetzung für die Arbeit mit derartigen lexikalisch aufgebauten Wörterbüchern ist allerdings, einen konkreten Begriff zu suchen, um ihn in der jeweils anderen Sprache anwenden zu können. HIER geht es weiter →