Der deutsch-französische TV-Kanal ARTE zeigt Mozarts frühes Singspiel »Bastien und Bastienne«, eine Parodie auf Rousseaus Oper „Der Dorfvorsteher“, uraufgeführt 1768, in einer aktuellen Inszenierung von Claude Buchvald und Laurence Equilbey, einer Produktion der Opéra de Rouen. Die in dem Opernfilm erzählte, märchenhafte Fabel von der ersten Liebe bringt, so der Fernsehsender, Erwachsene und Kinder zum Staunen.
Die von ihrem Liebsten Bastien verlassene Schäferin Bastienne bittet den Dorfwahrsager Colas um Hilfe. Dieser rät ihr, Bastien eifersüchtig zu machen, um ihn zurückzugewinnen. Durch diese List und dank der Prophezeiungen des Wahrsagers versöhnt sich das Paar schließlich und rühmt Colas dafür, dass er sie wieder zusammengeführt hat.
Hinter dieser einfach anmutenden Schäfergeschichte verbirgt sich ein Initiationsmärchen, das die existenziellen Ängste und die Träume der Menschen zum Thema hat. Zum ersten Mal verliebt, erleben Bastien und Bastienne ihre Gefühle – Begehren, Schmerz, Selbstaufgabe und Glück.
Claude Buchvald und Laurence Equilbey haben „Bastien und Bastienne“ durch Auszüge aus anderen Musikstücken von Mozart ergänzt – Serenaden, Tänze, Divertimenti – und lassen fünf Tänzer in dem Singspiel auftreten.
Die Geschichte ist in einem Wald angesiedelt. Vor diesem Hintergrund schaffen Bühnenbild, Musik und Choreografie eine Atmosphäre zwischen Traum und Wirklichkeit, Bekanntem und Unbekanntem. Frech und verführerisch nehmen die Tänzer mal die Gestalt von Bäumen und wilden Tieren, mal die der beflissenen Diener des Wahrsagers an.
Das Ergebnis der Fernseh-Regiearbeit von Anaïs und Olivier Spiro, die weit über die bloße Aufzeichnung eines Bühnenstücks hinausgeht, ist ein bezaubernder Kinderopernfilm. Zu diesem Zweck wurde die Inszenierung von Claude Buchvald um einen zusätzlichen Erzählstrang bereichert, in dessen Mittelpunkt ein kleiner Junge steht.
(Text: ARTE-Presseinfo)
Termine:
07.01.2008 um 23.00 Uhr
Wiederholungen :
13.01.2008 um 10:40 Uhr
20.01.2008 um 06:00 Uhr
BASTIEN UND BASTIENNE
(Frankreich, 2007, 60 min)
Regie: Anais und Olivier Spiro
Choreographie: Christine Erbé, Dominique Boivin, Philippe Priasso
Dirigent: Laurence Equilbey
Komponist: Wolfgang Amadeus Mozart
Interpret: Compagnie Beau-Geste
Inszenierung: Claude Buchvald
Orchester: Orchestre de l’Opéra de Rouen
Wörterbücher sind für jeden, der reist, ein nützlicher Begleiter. Dabei gebührt denjenigen Nachschlagewerken der Vorzug, die klein und handlich in der Manteltasche zu verstauen sind. Die einstmals roten, inzwischen knallgelben »Liliputs« von Langenscheidt gelangten aus diesem Grunde zur Berühmtheit, zumal sie auch zum Schummeln bei Klassenarbeiten geeignet waren. Voraussetzung für die Arbeit mit derartigen lexikalisch aufgebauten Wörterbüchern ist allerdings, einen konkreten Begriff zu suchen, um ihn in der jeweils anderen Sprache anwenden zu können. HIER geht es weiter →
Jan Bouman: Beflügeltes Geflügel, 1998
Pastell auf Karton. 29 x 43 cm
© W. R. Frieling
Heute folgt das dritte der Eulenmotive aus meiner Sammlung, die der holländische Maler Jan Bouman schuf. Dieses festliche Motiv setzte der Frieling-Verlag als Grußkarte zum Jahreswechsel 1998/99 ein. Die Auflage betrug 20.000 Stück im Format DIN A 6, und ich trenne mich heute nur noch höchst selten von den allerletzten Karten, die ich gebunkert habe.
Die Entstehungsgeschichte des Motivs ist, wie häufig in der bildenden Kunst, mit einer persönlichen Geschichte verbunden: Ich hatte mich seinerzeit gerade mal wieder tierisch verliebt, und Meister Bouman besuchte mich und mein damaliges Lebensglück in Berlin. Wir feierten unser Wiedersehen, und ich setzte mich im Laufe des Abends an den Stutzflügel, der in meinem Musikzimmer steht und spielte ein paar Takte Einfinger-Eulenblues.
Dies regte den Meister zu der vorliegenden Arbeit an. Er malte ein Schneeeulenpaar, das am Stutzflügel die Korken knallen lässt. Anstelle der Notenblätter steht übrigens ein kleines Kopfkissen, was immer damit auch angedeutet sein will. Die Figuren samt Instrument stehen auf einem aufgeschlagenen Buch. Damit spielen das Schreiben und der Verlag ins Bild.
Die seitlichen Vorhänge deuten auf das Bühnenhafte der Szene hin. Das fröhlich feiernde Paar agiert vor einer nachtblauen Sternenkuppel, die wiederum auf Karl Friedrich Schinkels faszinierendes Bühnenbild für den Auftritt der Königin der Nacht in Mozarts »Zauberflöte« anspielt.
Mit diesem Motiv grüße ich die Leser und Freunde meiner Blogs ganz herzlich. Ich wünsche Euch für das neue Jahr alles erdenklich Gute, Gesundheit, Glück in der Liebe, Erfolg in Familie und Beruf, Freude beim Umgang mit den schönen und fröhlichen Dingen, die unser Leben bestimmen, und weiterhin Spaß im realen wie im virtuellen Leben!
Es geht mitunter deftig zu, wenn der Ossi über den Wessi und bisweilen auch über sich selbst lacht, weiß der Verlag des schon in der verflossenen DDR höchst beliebten Satiremagazins »Eulenspiegel«. Geschäftstüchtig, und wahrscheinlich von einem Wessi gut beraten, legten die Verlagsobristen deshalb ein schmales Büchlein auf, das einige der durchaus derben Scherze sammelt. Das fragt dann beispielsweise: »Was ist der Unterschied zwischen dem Schlips eines Wessis und einem Kuhschwanz?« und antwortet frech: »Der Kuhschwanz bedeckt das Arschloch ganz«.
Über einen derartigen Witz können Ossis, wie der Rezensent aus eigenen Testreihen bestätigen kann, herzhaft lachen. Aber auch Wessis heben ihre Mundwinkel sichtbar, werden derartige Schoten zum Besten gegeben. »Es gibt drei Arten, eine Firma in den Bankrott zu wirtschaften: Durch Frauen das macht am meisten Spaß. Durch Sauferei das klappt hundertprozentig. Durch einen Westler als Geschäftsführer das geht am schnellsten«. Hier schwingen Erfahrungen mit den nach der Wende von West nach Ost schwärmenden Glücksrittern durch, die für zehntausende heute arbeitsloser Ostdeutscher bitter waren. Deshalb heißt auch der kürzeste Ossi-Witz: »Treffen sich zwei Ossis auf Arbeit
«.
Im Witz eines Volkes spiegelt sich sein Verhältnis zur Obrigkeit, zum Machtapparat und zu seiner Umwelt. Witze, über die der Osten lacht, zeigen, wie tief der Graben zwischen den Staatsvölkern der ehemaligen BRD und DDR immer noch ist. »Ossi und Wessi am Ostseestrand. Wessi: Sehen Sie mal, da vorn geht der Rettungsschwimmer, der mir heute Vormittag das Leben gerettet hat. Ich weiß, sagt der Ossi, er hat sich schon bei mir entschuldigt.«.
Wessis sind in den Scherzen, über die Ossis laut lachen, dumm, hohl, hinterhältig, geldgierig und im weitesten Sinne asozial. Dabei wird unterstellt, dass viele von ihnen gern die Mauer wieder hochziehen würden, um die Subvention des »Beitrittsgebietes« endlich beenden zu können. »Warum lächeln die Chinesen so hintergründig, wenn sie einem Westdeutschen begegnen? Weil die Chinesen ihre Mauer noch haben«.
Soll also die im Titel des Buches gestellte Frage »Wo gehts denn hier zum Aufschwung«, beantwortet werden, dann antwortet der gewitzte Ossi darauf: »Da entlang! Immer den Bach runter!«. Wer dieses Büchlein als Spiegel des Zeitgeistes liest, der sieht tatsächlich kohlrabenschwarz.
Wo gehts denn hier zum Aufschwung?
Ossi-Wessi-Witze
Eulenspiegel Verlag 2006
ISBN 978-3-359-01646-5
Weitere Leseempfehlungen von Wilhelm Ruprecht Frieling auf Literaturzeitschrift.de
Jan Bouman: Alle Jahre wieder Fröhliches Gefieder, 2000
Pastell auf Karton. 36 x 49 cm
© W. R. Frieling
Die Arbeit »Alle Jahre wieder Fröhliches Gefieder« des Niederländers Jan Bouman diente als Weihnachtskarte 2000/01 für den Frieling-Verlag. Es ging wieder darum, die Eule als Wappenvogel meines Unternehmens spielerisch einzusetzen. Schneeeulen versammeln sich deshalb zu einem illustren Kreis und verkünden die Weihnachtsbotschaft.
Die Damen des gefiederten Klangkörpers sind mit Perlenketten, die männlichen Eulen mit Smokingfliegen geschmückt. Einer der fröhlichen Sängerknaben kneift dem Betrachter ein Auge zu, damit diesem unmissverständlich deutlich wird, dass es um Spaß geht. Die versammelten Eulen sollten die Autoren des Verlages symbolisieren, deshalb singt ein jeder aus seinem eigenen Buch. Im Hintergrund wird ein geöffnetes Buch mit unbeschriebenen Seiten erkennbar, aus dem ein Feuerwerk empor schießt.
Um die Bildwirkung zu verstärken, hat der Künstler noch einen Rahmen gezeichnet, der das fröhliche Miteinander der Eulensänger unterstreicht.
Wie alle anderen Bouman-Motive wurde uns auch diese Postkarte (Auflage: 15.000) aus den Händen gerissen. Innerhalb kürzester Frist war sie ausverkauft. Wir erhielten begeisterte Zuschriften, und dem Maler wurde verdientes Lob gespendet. Lediglich eine ältere Dame meinte, der Künstler solle sich doch mal einen richtigen Chor ansehen. So jedenfalls stünde der nicht auf der Bühne, das Bild sei ergo »falsch«. Tja, so kann es dem Pinselheinrich gehen, wenn der Anspruch des hoch verehrten Publikums an den künstlerischen Realismus allzu hoch ist
Zwischen 1995 und 2004 schuf der niederländische Maler Jan Bouman eine Reihe von Aquarellen, die ich als Illustrationen für Kataloge und Informationen sowie als Grußkarten zum Jahreswechsel einsetzte. Dabei ging es immer um Eulen. Die Eule war Motiv des Verlages Frieling & Partner, den ich gegründet und zwanzig Jahre lang geführt hatte und so schien es mir sinnvoll, das Wappentier in jeder Spielart zu variieren. HIER geht es weiter →
Welche aufgeregte Vorfreude erfasste mich in meiner Kindheit, wenn wir in die große Stadt fuhren, um dort das Weihnachtsmärchen oder eine Familienoper in der Adventszeit zu besuchen! Meine Wangen glühten, und meine Augen strahlten in freudiger Erwartung ob der farbenprächtigen Inszenierung, die uns Kinder erwartete. Der Tradition, vor Weihnachten eine entsprechende Aufführung zu besuchen und mich mit den anwesenden Kindern daran zu erfreuen, bin ich treu geblieben, und so fuhr ich jüngst gen Dresden, um die Premiere einer Neuinszenierung von »Hänsel und Gretel« an der Semperoper zu erleben. HIER geht es weiter →
Götterdämmerung in Bayreuth: Prinz Rupi konferiert mit Richard Wagner
Foto: © W. R. Frieling
Götterdämmerung in Bayreuth
Gudrun Wagner, die zweite Ehefrau und persönliche Referentin des Bayreuther Festspielleiters Wolfgang Wagner, ist am 28. November 2007 im Alter von 63 Jahren überraschend gestorben. Damit wird die Diskussion um die Nachfolge auf dem Bayreuther »Grünen Hügel« erneut angeheizt.
Gudrun Wagners plötzlicher Tod fällt mitten in die schwelende Debatte um die Nachfolge des gesundheitlich stark angeschlagenen 88jährigen Festspielchefs. Wolfgang Wagner, der einen Vertrag auf Lebenszeit hat und sich mit Klauen und Zähnen an sein Amt klammert, war in den letzten Jahren inhaltlich kaum noch in Erscheinung getreten.
Heimliche Chefin der Bayreuther Festspiele war seine Frau Gudrun, die bei den Proben Anweisungen brüllte und die jeweiligen Regisseure in ihrem künstlerischen Handlungsspielraum grobschlächtig einschränkte. Ihr besonderes Unvermögen bewies die einstige Fremdsprachenkorrespondentin in der Auswahl des künstlerischen Personals. Das führte im Ergebnis zu einem rapiden Imageverlust des Bayreuther Festspielhauses in den letzten Jahren.
Nachdem es Wolfgang Wagner anno 2000 nicht gelungen war, Gattin Gudrun gegen den Stiftungsrat als seine Nachfolgerin zu inthronisieren, konzentrierte sich das Ehepaar darauf, die 1978 geborene Tochter Katharina zur künftigen Chefin aufzubauen. Katharina debütierte in diesem Jahr glücklos mit einer schwachen Inszenierung der 1867 von ihrem Urgroßvater Richard Wagner vollendeten »Meistersinger von Nürnberg« als Regisseurin im Festspielhaus. Sie hat im Verbund mit dem konservativen Dirigenten Christian Thielemann wiederholt ihre Bereitschaft erklärt, die Festspielleitung zu übernehmen.
Doch im 24köpfigen Stiftungsrat war bislang die berechtigte Sorge ausgeprägt, Gudrun Wagner könnte von einer solchen Lösung profitieren und weiter als eigentliche Leiterin der Festspiele tätig sein. Durch ihren Tod werden die Karten über die Nachfolge auf dem Grünen Hügel nun völlig neu gemischt.
Wer auch immer die Nachfolge von Wolfgang Wagner antreten wird, der hat es schwer. Denn der einstige Qualitätsanspruch der Kultbühne, die sich ausschließlich dem Werk Richard Wagners widmet, steht nur noch auf dem Papier. Musikliebhaber zieht es längst nicht mehr wie in früheren Jahrzehnten nach Bayreuth, obwohl es immer noch eine Wartefrist von mehr als zehn Jahren gibt, um auf normalem Weg an die begehrten »Kärtli« zu kommen.
Hinzu kommt der Ansatz, es müsse unbedingt ein Wagner sein, der Bayreuth leitet, als gebe es einen genetischen Code, der jeden Abkömmling mit dem Genie des alten Richard ausrüste. Solange dieser Irrglaube und der daraus resultierende Familienklüngel nicht beseitigt wird, hat Bayreuth keine echte Chance auf eine kreative Weiterentwicklung.
Da derzeit ein lebhaftes Interesse der Blogosphäre am Dada bekundet wird, erlaubt sich die Literaturzeitschrift als kleinen Beitrag, das Eröffnungs-Manifest zum 1. Dada-Abend in Zürich abzudrucken. Der Text stammt von einem der Begründer des Dada, Hugo Ball.
Mehr über Dada findet sich derzeit bei Pocemon,
bei Wildwuchs, im Teppichhaus Trithemius sowie bei Traeumer.
Hugo Ball
1. Dada-Abend
Eröffnungs-Manifest
Dada ist eine neue Kunstrichtung. Das kann man daran erkennen, dass bisher niemand etwas davon wusste und morgen ganz Zuerich davon reden wird. Dada stammt aus dem Lexikon. Es ist furchtbar einfach. Im Franzoesischen bedeutets Steckenpferd. Im Deutschen: Addio, steigt mir bitte den Ruecken runter, auf Wiedersehen ein ander Mal! Im Rumaenischen: ‚Ja wahrhaftig, Sie haben Recht, so ist es. Jawohl, wirklich. Machen wir‘. Und so weiter.
Ein internationales Wort. Nur ein Wort und das Wort als Bewegung. Es ist einfach furchtbar. Wenn man eine Kunstrichtung daraus macht, muss das bedeuten, man will Komplikationen wegnehmen. Dada Psychologie, Dada Literatur, Dada Bourgeoisie und ihr, verehrteste Dichter, die ihr immer mit Worten, nie aber das Wort selber gedichtet habt. Dada Weltkrieg und kein Ende, Dada Revolution und kein Anfang. Dada ihr Freunde und Auchdichter, allerwerteste Evangelisten. Dada Tzara, Dada Huelsenbeck, Dada m’dada, Dada mhm‘ dada, Dada Hue, Dada Tza.
Wie erlangt man die ewige Seligkeit? Indem man Dada sagt. Wie wird man beruehmt? Indem man Dada sagt. Mit edlem Gestus und mit feinem Anstand. Bis zum Irrsinn, bis zur Bewusstlosigkeit. Wie kann man alles Aalige und Journalige, alles Nette und Adrette, alles Vermoralisierte, Vertierte, Gezierte abtun? Indem man Dada sagt. Dada ist die Weltseele, Dada ist der Clou, Dada ist die beste Lilienmilchseife der Welt. Dada Herr Rubiner, Dada Herr Korrodi, Dada Herr Anastasius Lilienstein.
Das heisst auf Deutsch: die Gastfreundschaft der Schweiz ist ueber alles zu schaetzen, und im Aesthetischen kommt’s auf die Norm an.
Ich lese Verse, die nichts weniger vorhaben als: auf die Sprache zu verzichten. Dada Johann Fuchsgang Goethe. Dada Stendhal. Dada Buddha, Dalai Lama, Dada m’dada, Dada m’dada, Dada mhm‘ dada. Auf die Verbindung kommt es an, und dass sie vorher ein bisschen unterbrochen wird. Ich will keine Worte, die andere erfunden haben. Alle Worte haben andere erfunden. Ich will meinen eigenen Unfug, und Vokale und Konsonanten dazu, die ihm entsprechen. Wenn eine Schwingung sieben Ellen lang ist, will ich fueglich Worte dazu, die sieben Ellen lang sind. Die Worte des Herrn Schulze haben nur zwei ein halb Zentimeter.
Da kann man nun so recht sehen, wie die artikulierte Sprache entsteht. Ich lasse die Laute ganz einfach fallen. Worte tauchen auf, Schultern von Worten; Beine, Arme, Haende von Worten. Ay, oi, u. Man soll nicht zuviel Worte aufkommen lasen. Ein Vers ist die Gelegenheit, moeglichst ohne Worte und ohne die Sprache auszukommen. Diese vermaledeite Sprache, an der Schmutz klebt wie von Maklerhaenden, die die Muenzen abgegriffen haben. Das Wort will ich haben, wo es aufhoert und wo es anfaengt.
Jede Sache hat ihr Wort; da ist das Wort selber zur Sache geworden. Warum kann der Baum nicht Pluplusch heissen, und Pluplubasch, wenn es geregnet hat? Und warum muss er ueberhaupt etwas heissen? Muessen wir denn ueberall unseren Mund dran haengen? Das Wort, das Wort, das Weh gerade an diesem Ort, das Wort, meine Herren, ist eine oeffentliche Angelegenheit ersten Ranges.
Zürich, 14. Juli 1916
WELTENDE
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut
In allen Lüften hallt es wie Geschrei
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.
Das Gedicht »Weltende« des genialen Jacob van Hoddis leitete im Januar 1911 die AKTIONSLYRIK ein, die heute als »expressionistische« Lyrik bezeichnet nennt. Ohne van Hoddis wären die meisten »fortschrittlichen« Lyriker unserer Tage undenkbar, meint der Expressionismus-Forscher Paul Raabe, der die wichtigsten Texte des Dichters in einem schmalen Band zusammengestellt hat.
Zwischen 1911 und 1918 wurden die Texte van Hoddis in verschiedenen zeit- und kulturkritischen Zeitschriften wie »Die Aktion«, »Der Sturm«, »Die Fackel«, »Revolution« und »Dada« publiziert.
Dabei erschien das Titelgedicht »Weltende« erstmals am 11. Januar 1911 in der Zeitschrift für freiheitliche Politik und Literatur, »Der Demokrat«. Das Gedicht ist in Inhalt und Stil das berühmteste des Dichters geblieben. In seiner ahnungsvollen Schilderung des Untergangs des Welt nimmt es den Ausbruch des Ersten Weltkrieges vorweg und symbolisiert den Aufbruch der expressionistischen Lyrik seit 1910.
Der expressionistische Lyriker und spätere DDR-Kulturminister Johannes R. Becher schrieb 1957 dazu: »Diese zwei Strophen, o diese acht Zeilen schienen uns in andere Menschen verwandelt zu haben, emporgehoben zu haben aus einer Welt stumpfer Bürgerlichkeit, die wir verachteten und von der wir nicht wussten, wie wir sie verlassen sollten. Diese acht Zeilen entführten uns. Immer neue Schönheiten entdeckten wir in diesen acht Zeilen, wie sangen sie, wir summten sie, wir murmelten sie, wir pfiffen sie vor uns hin, wir gingen mit diesen acht Zeilen auf den Lippen in die Kirchen, und wir saßen, sie vor uns hin flüsternd, mit ihnen beim Radrennen. Wir riefen sie uns gegenseitig über die Strasse hinweg zu wie Losungen, wir saßen mit diesen acht Zeilen beieinander, frierend und hungernd, und sprachen sie gegenseitig vor uns hin, und Hunger und Kälte waren nicht mehr.«
Jakob van Hoddis wurde am 16. Mai 1887 als Hans Davidsohn in Berlin geboren. Nach einem abgebrochenen Architekturstudium an der TU Berlin studierte er Klassische Philologie in Jena und Altphilologie in Berlin. 1908 hält er seine erste öffentliche Lesung und nimmt dazu sein Pseudonym »Jakob van Hoddis« an.
Aufgrund seines unsteten Gemütszustandes wird er am 31.10.1912 zwangsweise in eine Nervenheilanstalt eingewiesen, aus der er kurz darauf nach Paris entflieht. Wieder zurück in Deutschland, wo er am 25. April 1914 letztmalig öffentlich liest, wird der Kranke privat gepflegt und wandert durch verschiedene Kliniken und Heilstätten.
Am 30. April 1942 wird der Dichter von den Nazis deportiert und in einem Massenvernichtungslager in Polen ermordet. Sein genaues Todesdatum ist unbekannt.
WELTENDE: Expressionistische Gedichte