Ruprecht Frieling aka Prinz Rupi präsentiert Autoren lustiger Gedichte: Freiherr Franz von Gaudy, Joachim Ringelnatz, Robert Gernhardt, dem inzwischen leider ebenfalls verstorbenen Günther Nehm und Heinz Erhardt
Ein Interview von Maria Ossowski für DRS 2. Die Sendung wurde erstmals am 11. November 2008 ausgestrahlt.
Wilhelm Ruprecht Frieling
MANISCHE WIEGENLIEDER
Groteske und absurde Gedichte
96 Seiten • € 9,80 • ISBN 978-3-941286-20-7
Weitere Bücher von Wilhelm Ruprecht Frieling:
MARSMENSCHEN AUF MALLE
Reportagen und Geschichten aus Mallorca
128 Seiten • € 14,80 • ISBN 978-3-941286-30-6
ANGRIFF DER KILLERKEKSE
Reportagen und Geschichten vom täglichen Wahnsinn
176 Seiten • € 14,80 • ISBN 978-3-941286-10-8
Alle Bücher erhältlich unter Angabe der ISBN im Buch- und Versandhandel
oder portofrei direkt vom Autor (gern auch signiert): frieling@aol.com
Grandville: Auferstehung der Zensur (Résurrection de la Censure).
1832, Lithographie.
Blog.de: »Wir wollen hochwertige Inhalte«
Geschäftsführung von Blog.de beantwortet kritische Fragen
Blog.de vollzieht derzeit eine Gratwanderung zwischen Kuschelcommunity und engagierter Plattform mit lesenswerten Inhalten, auf der das freie Wort Priorität genießt. Dabei gilt es, in wirtschaftlich turbulenten Zeiten einen Spagat zu vollführen zwischen ökonomischen Interessen und einer inhaltlichen Qualität, die den Anbieter über seine bisherigen Grenzen hinaus bekannt machen könnte. Über dieses Thema sprach Wilhelm Ruprecht Frieling aka Prinz Rupi mit Florian Wilken und Vasco Sommer, den Geschäftsführenden Gesellschaftern der Mokono GmbH, die wiederum blog.de betreibt.
Rupi: Kapitän, wohin geht die Fahrt?
Vasco: Die Fahrt geht in Richtung »Auffinden von qualitativ wertvolleren Inhalten«.
Rupi: Wie wollt Ihr das machen?
Vasco: Es gilt, den Spagat zwischen Qualität und Wirtschaftlichkeit hinzubekommen, so wie das auch von anderen Medienhäusern bekannt ist. Wir suchen den aktiven Diskurs mit Personen, die redaktionell tätig sind (oder waren), und prüfen Strukturen, die es uns erlauben, in Zusammenarbeit mit diesen Personen qualitativ wertvollere Inhalte zu finden und nicht nur technologiebasiert sondern durch redaktionelle Arbeit darzustellen.
Rupi: Im Artikel 5 des Grundgesetzes steht: »Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt«. Ähnlich verbrieft ist die Kunstfreiheit. Gilt das uneingeschränkt auch für die Plattform blog.de?
Florian: Artikel 5 gilt natürlich auch auf blog.de. Gleichzeitig müssen wir andere deutsche Gesetze beachten, die solche Dinge wie Verleumdung, Beleidigungen oder andere Sachverhalte, die Dritten Schaden zufügen – sei er auch immateriell – regeln.
Rupi: Für einige User von blog.de steht aktuell die Frage des demokratischen Selbstverständnisses zur Diskussion. Dabei wird in der praktischen Anwendung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen AGB derzeit, so meine ich, bisweilen ein wenig über das Ziel hinaus geschossen und voraus eilender Gehorsam praktiziert. Das wiederum trägt im Ergebnis dazu bei, dass Diskussionen um Zensur entfachen, inhaltliche Schwergewichte hier ihren Laden schließen und in einem anderen Umfeld neu eröffnen.
Vasco: Unser Ansatz des demokratischen Selbstverständnisses ist teilweise sehr sicherheitsbehaftet. Uns geht es hierbei insbesondere darum, unsere Nutzer und auch Dritte zu schützen. Dies kann in einigen Fällen dazu führen, dass wir etwas über das Ziel hinausschießen, insbesondere wenn es sich um solche Themen wie Satire handelt, die für geschulte Literaten oder Journalisten in der Regel eindeutig zu verstehen sind, sich dem gemeinen Leser jedoch nicht immer gleich erschließen.
Rupi: Satire scheint nicht von jedem Menschen wirklich auch als Satire betrachtet zu werden … es ist sicher schwer für das Team von blog.de, sich hier in jedem Einzelfall eine Meinung zu bilden. Ich kann mir vorstellen, dass die Verantwortlichen aufgrund von Überlastung möglichen Auseinandersetzungen aus dem Weg gehen möchten und deshalb den, der am lautesten kräht, bedienen und den sicheren Weg der Schließung wählen. Damit ist aber niemandem geholfen und schon gar nicht dem Freiheitsgedanken des Bloggens an sich.
Florian: Das Team von blog.de prüft Inhalte vor ihrer Sperrung oder Schließung genau und lässt sich dabei nicht von dem leiten, der am lautesten kräht.
Vasco: Wir sind uns des Freiheitsgedankens des Bloggens sehr bewusst. Immerhin war dies einer der Antriebe, mit blog.de überhaupt in Deutschland zu starten. Blog.de soll ganz eindeutig den Gedanken der Meinungsfreiheit fördern. Dabei gilt es jedoch – wie oben beschrieben – Dritte zu schützen. Die Grenzen der Meinungsfreiheit werden oft diskutiert. Auch wir hier bei blog.de lernen diesbezüglich ständig hinzu.
Rupi: Ein Blogger hat unlängst in seinem Blog eine an sich harmlose Fotomontage veröffentlicht, um die Verherrlichung und den Totenkult um den österreichischen Rechtspopulisten Haider satirisch überspitzt darzustellen. Daraufhin fühlte sich ein Leser verletzt und denunzierte ihn beim blog.de-Team. Ihr warft dem Mitglied darauf hin »Menschenverachtung« und »Gewaltverherrlichung« vor, er musste den Eintrag löschen.
»Menschenverachtung« und »Gewaltverherrlichung« sind Schlagwörter, die gern heran gezogen werden, um Meinungs- und Kunstfreiheit zu beschneiden. Was geschieht eigentlich konkret, wenn Euch eine Seite per Knopfdruck »gemeldet« wird?
Florian: Jede Meldung eines fragwürdigen Inhaltes wird bei uns sehr ernst genommen. Wir prüfen im Einzelfall, ob der Inhalt in irgendeiner Weise unseren AGB widerspricht. Sollte sich der Support-Mitarbeiter unsicher sein, wird der Sachverhalt im Team besprochen. In besonderen Fällen wird auch die Geschäftsführung hinzugezogen. Sollte der Inhalt unseren AGB widersprechen, weisen wir in der Regel den Autor auf den Verstoß hin. Sollte der Autor nicht reagieren, so greift unser Support-Team aktiv ein und entfernt entsprechende Inhalte. Bestimmte Inhalte – zum Beispiel pornografische Bilder – werden in der Regel sofort entfernt.
Zu der angesprochenen Fotomontage: in §10.2 AGB ist genau geregelt, wie mit speziellen Inhalten umzugehen ist. Unser Mitarbeiter hat sich an diese Richtlinien gehalten und wir haben vollstes Verständnis für sein Handeln. Nichts desto trotz hat uns die daraus entstandene Diskussion gezeigt, dass die Auslegung der AGB – z.B. im Hinblick auf satirische Darstellungen – überdacht werden muss.
Rupi: Satire tritt häufig als Mittel der Polemik auf. Sie kann ein geeignetes Mittel sein, einen Gegner bloßzustellen. Dabei geht sie den indirekten Weg der Kontrastierung, bei dem einem Zuhörer oder Leser der Kontrast zwischen Wirklichkeit und Ideal deutlich wird. Habt Ihr konkrete Empfehlungen für Blogger, die sich gern zeitkritisch oder satirisch äußern, wie sie sich (und Euch) weniger angreifbar machen?
Vasco: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben wir noch keine konkrete Empfehlung. Unsere interne Diskussion bzgl. der Behandlung von satirischen Inhalten ist noch nicht abgeschlossen.
Rupi: Könntet Ihr zum Abschluss dieses Interviews noch einmal deutlich sagen, welchen Typ Blogger Ihr auf Eurer Plattform am liebsten seht?
Florian: Wir haben, was unsere Blogger betrifft, keine Präferenzen. Blog.de ist eine Plattform, die es möglich macht, schnell und einfach Inhalte zu veröffentlichen. Doch wir werden in Zukunft redaktionell Einfluss nehmen auf Teile der Inhalte, die beispielsweise auf unserer Homepage angezeigt werden.
blog.de ist als Publikationsinstrument an den Start gegangen, das es jedem ermöglichen soll, Inhalte medienübergreifend zu veröffentlichen. Dabei geht es nicht darum, bestimmte Inhalte zu verbieten oder zu löschen, sondern darum, Inhalte, die qualitativ hochwertig sind, dem Publikum zuzuführen. Dass wir uns in den ersten Jahren unserer Existenz auf eine eher technologische Entwicklung als eine inhaltliche Entwicklung konzentriert haben, ist uns bewusst.
Uns ist auch bewusst, dass Technologie alleine nicht die wertvollen Stimmen identifizieren kann, die abseits klassischer Medien hörbar sind, von diesen aber nicht aufgegriffen werden. Wir bemühen uns, auf blog.de ein Umfeld zu schaffen, das den offenen Diskurs von Themen und den Austausch von Gedanken und Meinungen fördert.
Rolando Villazón und Anna Netrebko sind die großen Stars des Opernfilms »La Bohème»
Fotos: © MR-Film, Hubert Mican
Pünktlich zum 150. Geburtstag des italienischen Komponisten Giacomo Puccini, der am 22. Dezember 1858 in Lucca das Licht der Welt erblickte, wurde jetzt einer seiner brillantesten Werke, die Oper »La Bohème«, verfilmt. Besetzt mit dem aktuellen Traumpaar der Opernwelt, Rolando Villazón und Anna Netrebko, läuft der Opernfilm ab 23. Oktober in Berlin und dann ab 6. November in ganz Deutschland in den Kinos. HIER geht es weiter →
Das »Berliner Ensemble« (BE) am Schiffbauerdamm gilt mit Fug und Recht als eine der besten Bühnen Deutschlands. Seit Helene Weigels Zeiten setzt die Brecht-Bühne Akzente, wenn es um schauspielerische Qualität und stilbildende Inszenierungen geht. Das gilt in Besonderem, wenn das Haus sich in ausgesuchten Fällen dem Musiktheater zuwendet, das für das BE eben nicht nur aus Brechts »Dreigroschenoper« besteht. So feierte in der jüngeren Vergangenheit Robert Wilsons Inszenierung von Georg Büchners »Leonce und Lena« überwältigende Erfolge als witzig-bildgewaltige Satire mit herausragenden Darstellern zur Musik von Herbert Grönemeyer. Grund genug, die Premiere von »La Périchole«, einer Operette von Jacques Offenbach mit Spannung zu erwarten. HIER geht es weiter →
Wagenburgindianer treffen auf Zehlendorfer Schnösel. Foto: ©Neuköllner Oper
In einer Berliner Wagenburg wird feucht-fröhlich Geburtstag gefeiert: Frederik (Aris Sas) wird 21 und damit volljährig. Von seinen vermeintlichen Eltern, dem Punk Rainer (Christoph Reiche) und seiner Mutter Ruth (April Hailer) erfährt er, dass er in Wahrheit ein Waisenkind ist.
Ruth stahl den Säugling in einem Moment äußerster Verwegenheit aus einer Babyklappe in Zehlendorf, wo ihn eine Blondine abgelegt hatte. Mit dieser revolutionären Tat machte sie sich selbst zur Mutter, den impotenten Rainer zum Vater und verschaffte der Wagenburgfamilie frischen Nachwuchs.
Frederik indes will nicht länger im Dreck der Wagenburg leben und sein Leben mit Saufen und dem gelegentlichen Posieren vor Berlin-Touristen verbringen. Er kennt den Kodex der sich als »Piraten« verstehenden Truppe, nach dem ein Volljähriger sein künftiges Schicksal selbst bestimmen kann. Frederik träumt vom Berliner Edelbezirk Zehlendorf, wo alles geordnet und adrett zu sein scheint.
Da kommen drei Discobräute auf das von den Piraten besetzte Brachland, um Kokain zu kaufen. Mabel (Anne Görner) verknallt sich sofort in den langhaarigen Frederic, der ihr wie ein animalischer Wilder aus einer anderen Welt vorkommt und verführt ihn mittels K.o-Tropfen. Auch ihre beiden Schwestern Edith (Dorothea Breil) und Kate (Nini Stadlmann, die zugleich für die Choreographie verantwortlich zeichnet) sind begeistert von dem wilden Leben der Outlaws und würden liebend gern bleiben. Doch Frederik zieht gegen den Willen der Gemeinschaft mit den drei jungen Frauen nach Zehlendorf und in ein vermeintlich besseres Leben. So endet der erste Akt, und die Szene wechselt ins andere soziale Extrem.
Im zweiten Akt hat Frederik sich nämlich voll und ganz in Zehlendorf eingelebt. Inzwischen hat er Mabel geheiratet, und aus dem einstigen Revoluzzer ist ein Spießer geworden. Frederik paktiert sogar mit seinem Schwiegervater, dem Bauunternehmer Igor (Ulrich Lenk), der Besitzer der Brachfläche ist, die Frederiks Ex-Familie besetzt hält und sie ihnen mit List und Gewalt wieder abjagen will.
Eines schönen Tages besuchen Rainer, Ruth und ihre Freunde die Zehlendorfer und fordern Frederic zur Rückkehr auf. Sie eröffnen dem widerspenstigen Jungen, dass er am 29. Februar eines Schaltjahres geboren und damit in Wirklichkeit erst vier Jahre jung sei. Es müsse also noch einige Jahrzehnte warten, bis er 21 werde und sie verlassen dürfen. Als pflichtbewusster Sklave, so auch der historische Originaltitel der komischen Oper »The Pirates of Penzance, or The Slave of Duty«, akzeptiert Frederic ihre Logik und bittet Mabel, auf ihn zu warten.
Im Ergebnis kommt es zu einem possierlichen Auftritt Igors mit umgebundenem Sprengstoffgürtel als Selbstmordattentäter. Frederiks Herkunft wird aufgeklärt, tatsächlich ist er Igors Sohn und Halbbruder der von ihm geehelichten Mabel. Ob nun alles gut wird und die feindlichen Parteien zueinander finden?
Historische Opernvorlage
Regisseur Andreas Gerken und Librettist Andreas Bisowski setzen ihre moderne Erzählung auf eine klassische Oper, die bereits 1879 in New York Premiere hatte. »The Pirates of Penzance, or The Slave of Duty« ist ein Zweiakter, den Arthur Sullivan komponierte und mit dem Originallibretto seines Freundes und Weggefährten William Schwenk Gilbert zu einem enormen Erfolg im gesamten englischsprachigen Raum führte.
Komponist Sullivan bediente sich aus verschiedenen musikalischen Stilrichtungen. Im Song des Bauunternehmers, im Original ist es ein General, imitiert er Schubert. Ein Chorlied zitiert den Zigeunerchor im zweiten Akt von Verdis »Troubadour«. In einem Wechselgesang zwischen Mabel und der Polizei nutzt er die Form des Wechselgesangs des anglikanischen Gottesdienstes.
Der ursprüngliche Titel der Oper war als Scherz angedacht. Unter »Piraten« verstanden Gilbert & Sullivan diejenigen amerikanischen Theaterunternehmer, die mangels eines Urheberrechtsschutzes für Ausländer ohne Rücksicht auf Komponisten und Autoren Stücke klauten und selbst gewinnbringend zur Aufführung brachten. So war es den beiden mit ihrer Oper »H.M.S. Pinafore« zuvor geschehen.
Um den Ideenpiraten zuvor zu kommen, veranstalteten die beiden die Premiere ihres Stückes in New York selbst und verzögerten die Veröffentlichung des Librettos. Sullivan komponierte die Musik in umgekehrter Richtung, er schrieb erst den zweiten Akt, dann die Songs für den ersten Akt. Nachdem er mit seinem Librettisten in New York ankam, um seine Arbeit parallel zu den Proben zu vollenden, bemerkte er erst, dass er seine Noten für den ersten Akt vergessen hatte. Mühsam musste er alles neu schreiben und bediente sich dabei auch aus eigenen Opern.
1980 nahm Joseph Papp, Gründer des New York Shakespeare Festival, das Stück am Broadway wieder auf. Rockröhre Linda Ronstadt brillierte als Mabel, James Belushi, Tim Curry und Kevin Kline traten als Piratenkönige auf.
Die Neuköllner Inszenierung von 2008 ist witzig und temporeich. Bei der Gegenüberstellung extremer Lebensentwürfe entsteht Spannung. Dass dabei tief in die Klischeekiste gegriffen wird, wird durch die mitreißende Musik wettgemacht.
Wilhelm Ruprecht Frieling: »Von Rezession kann keine Rede sein«
Collage auf Leinwand, 50 x 40 cm, 2008 unter Verwendung von Zeitungsausschnitten aus der »Süddeutschen Zeitung« und »Micky Maus« sowie Münzen und Geldscheinen aus aller Welt, Goldfarbe und Glitzer-Nagellack
© W. R. Frieling
Die Lektüre einer einzigen Ausgabe der »Süddeutschen Zeitung«, deren Vertrieb mich mit einem Schnupper-Abo verwöhnt, hat ausgereicht, mich vollends zu überzeugen und alle aktuellen Ängste zu verjagen, denn: »Von Rezession kann keine Rede sein
«, steht dort schwarz auf weiß.
Wen stört es, wenn Banken crashen, Versicherungen den Löffel abgeben und die Ersparnisse von Millionen Menschen verbrannt werden? Die Befehlshaber an den Gelddruckmaschinen lassen ein paar Milliarden neuer Scheinchen drucken, und alle Probleme sind behoben.
Die Nebenwirkungen dieser Therapie, die enorme Geldentwertung, die damit einher gehende Inflation sowie die im Hintergrund dämmernde nächste Weltwirtschaftskrise, werden von unseren großen Steuermännern mit ihrem »Instrumentarium« der Geldpolitik, gekonnt umschifft. Falls doch mal etwas daneben geht, dann haftet das Staatsvolk.
Ergo ist alles klar auf der Andrea Doria, denn so versichert die SZ: »Der Kapitalismus lebt«.
Wäre da nicht Onkel Dagobert mit seinem untrüglichen Instinkt, der meint: »Mein Geld riecht nach Schimmel« …
David Foster Wallace, einer der besten jungen US-Schriftsteller, ist tot in seinem Haus im kalifornischen Claremont aufgefunden worden. Nach Behördenangaben fand Wallaces Frau den 46-jährigen erhängt vor, als sie nach Hause kam. HIER geht es weiter →
Klassik mit Schmiss: Mambo von Leonard Bernstein (1918-1990) aus dem Musical West Side Story
Wird ein erst 27 Jahre junger Dirigent von der Großen der Szene wie Sir Simon Rattle, Claudio Abbado und Daniel Barenboim in den höchsten Tönen gelobt und zur Mitarbeit gebeten, dann scheint ein Stern am Klassikhimmel aufzugehen. Und wer Gustavo Dudamel live erlebt, der spürt das ungeheure Temperament, das dieser venezoelanische Musiker versprüht.
In einem Konzert in der Berliner Philharmonie erbrachte Dudamel soeben erneut den Beweis, dass klassische Musik Spaß machen kann und deutliche Spuren im Zuhörer hinterlässt. Seine fast 200 Musiker, das Simón Bolívar Orchestra of Venezuela, spielen mit derartig erkennbar großer Freude und Hingabe, dass der Zuhörer gebannt den Atem anhält.
Dabei sind es durchaus schwierige Stücke, die der blutjunge Maestro in Berlin präsentierte: Strawinskys Skandalstück, die Ballettmusik »Le sacre du printemps«, wird in Dudamels Händen zu einem Feuerwerk, das im Tempo einer heran brausenden Elefantenherde in den Himmel steigt. Schon vom ersten Ton des extrem hohen Fagottsolos an erschließt der Dirigent dem Zuhörer die zum Bereich der Moderne zählende Musik.
Auch bei Tschaikowskys Symphonie Nr. 5 e-moll hält er sein riesenhaftes Orchester präzis in Zaum. Dabei steht die Spielfreude jedem einzelnen Mitwirkenden im Gesicht geschrieben. Endgültig explodiert die musikalische Leidenschaft aber bei den Zugaben, und dazu zählt Leonard Bernsteins Mambo aus »West Side Story«. Außer Rand und Band (und dennoch präzis bis in i-Tüpfelchen) wirbeln die Streicher ihre Instrumente durch die Luft, hüpfen die Bläser auf und nieder, jonglieren die Schlagwerker mit den Stöcken, bis schließlich alle von den Stühlen springen, sich spielend um die eigenen Achsen drehen und lachend umher laufen.
Die »Deutsche Grammophon«, bei der Dudamel unter Vertrag steht, hat jetzt eine neue CD unter dem Titel »Fiesta« vorgelegt, bei der das Schwergewicht auf lateinamerikanischen Stücken liegt. Für Dudamel ist der Schritt zwischen Beethoven und den Komponisten seiner Heimat kaum größer als ein Tanzschritt. »Ich begann schon zu tanzen, als ich noch ganz klein war«, berichtet der 27jährige, »Tanzen gehört einfach zu unserer Kultur es liegt uns im Blut.«
Wer sich die Schönheit lateinamerikanischer Klassik erschließen möchte, ist mit der CD gut beraten. Die Aufnahme ist wie eine Party, wie eine Fiesta, und sie sprüht vor Energie und Bewegung.
Gustavo Dudamel »Fiesta«
Simón Bolívar Orchestra of Venezuela
Werke von Bernstein, Carreño, Castellanos, Estévez, Ginastera, Márquez, Revueltas, Romero
Deutsche Grammophon 2008
Danza final (Malambo) von Alberto Ginastera (19161983) findet sich ebenfalls auf der CD
»Le tour du monde en quatre-vingts jours«, »Reise um die Erde in 80 Tagen« nannte Jules Verne seinen 1873 veröffentlichten Erfolgsroman. Darin beschreibt er die höchst abenteuerliche Weltreise eines reichen englischen Exzentrikers namens Phileas Fogg sowie seinen Dieners Passepartout. Der Journalist Helge Timmerberg reist 135 Jahre nach Vernes großem Wurf ebenfalls »In 80 Tagen um die Welt«, wobei ihm wesentlich schnellere Verkehrsmittel zur Verfügung standen als dem leidenschaftlichen Whist-Spieler Phileas Fogg. Während Fogg noch sein halbes Vermögen in bar mit sich führte, wurde Timmerbergs Reise durch ein gut gefülltes Spesenkonto abgefedert, das weltweit verfügbar ist.
Der Autor reist per ICE mit 230 km/h von Berlin nach München, wo er in einer Wohnzimmer-Kneipe im Bahnhofsviertel landet, in der sich einsame Männer beim Weizen trösten. Er fährt weiter nach Venedig und begegnet bereits am Bahnhof einer Prozession von abertausend Touristen mit Masken, spitzen Nasen und schwarzen Umhängen. Venedig feiert Karneval, und wer so bescheuert ist, ausgerechnet in diesem Trubel den Canale Grande sehen zu wollen, der zahlt für das einzige freie Zimmer im »Marco Polo« eben 330 Euronen, selbstverständlich ohne Frühstück. Irgendwie fällt dem Weltreisenden auch hier nichts Besseres ein, als die nächste Trinkhalle aufzusuchen, um sich die Kante zu geben. Ihm geht es dabei um »das disziplinierte, konzentrierte, mathematische Besaufen«.
Die dritte Nacht seiner Weltreise verbringt Timmerberg in Triest, und raten Sie mal wo er landet? Na klar, in einem kleinen Weinlokal, an den Stehtischen für Raucher. Die Welt in achtzig Tagen zu umreisen verlangt nicht, wie zu Jules Vernes Zeiten, permanentes, pausenloses und zielstrebiges Voraneilen. Heute braucht es das glatte Gegenteil: Trinkfestigkeit, Drogenerfahrung und ein gewisses Klebenbleiben, eine gewisse Unentschlossenheit. Als unentschlossen erweist sich der Autor immer wieder, dies ist sein deutlichster Charakterzug. Später, denn hier soll nicht jede Station erwähnt werden, als er in Bombay, das heute Mumbai heißt, weilt, überlegt er beispielsweise, mit welchem Verkehrsmittel er sich weiter bewegen will. Jules Verne ließ seinen Helden mit dem Zug von Bombay nach Kalkutta reisen, und der hat während dieser Fahrt die Frau seines Lebens getroffen. Die Frau des Lebens, sinniert Timmerberg, ist keine schlechte Vision, aber dafür zweiunddreißig Stunden mit dem indischen Zug?
Nun geht eine Weltreise in heutiger Zeit dank moderner Verkehrsmittel sehr viel unkomplizierter als anno Verne. Und dennoch hat Helge immer wieder Entscheidungsschwierigkeiten, die sein Wesen auszumachen scheinen. Der Reisende, der noch die Nachwehen der Hippiezeit in sich spürt, wendet sich an einen Guru um Rat. Schließlich bereiste Timmerberg bereits in der Blütezeit der Gurus Indien und kennt sich nach eigenem Bekunden auf diesem Gebiet aus. Jedoch fehlt die Antwort des Meisters nicht zur Zufriedenheit des Reisenden aus, denn letztlich empfiehlt er ihm, eine Münze zu werfen. So kann es Weltreisenden ergehen! – In dem Augenblick fällt dem Rezensenten ein, dass er selbst eine solche Entscheidermünze in seinem Schreibtisch in Griffnähe hat. Diese Münze, ein Geschenk einstiger Kollegen, sollte ihm helfen, grundsätzliche Entscheidungen seines Lebens zu fällen, da er zu jener Spezies gehört, und hier entsteht eine Gemeinsamkeit mit Timmerberg, die unfähig sind, sich zu entschließen.
Ansonsten erweist sich Timmerberg als arrivierter Althippie, der mit gefülltem Säckel nicht mehr in Hauseingängen oder der Bahnhofsmission kampieren und per Anhalter durch die Galaxis trampen muss. Er genießt den Luxus der Sterne-Hotels und lässt sich vor Ort gern mit dem Taxi chauffieren. Bedrängt ihn ausnahmsweise das nackte Leben, wie beispielsweise in Shanghai in Gestalt besonders aggressiver Bettler, rettet er sich vor dem Mob in eine Droschke und braust davon. Sozialkritik ist nicht das Thema des Buches.
Immerhin schafft es der Autor, seiner Weltreise eine gewisse Leichtigkeit zu verleihen, die den Leser in Bann schlägt. Er unterstützt dies durch eine flotte Sprache sowie milieudichte Schilderungen über Drogenexzesse. Hier spürt der Leser, dass Timmerberg life dabei war und sein Wagemut ihn bevorzugt ins Land der Kopfreisen führte. Er kennt die Illusionsromantik des Reisens, er predigt Toleranz und fühlt sich schließlich doch am wohlsten dort, wo er startete und wieder ankommt: im multikulturell gefärbten Berlin.
»In 80 Tagen um die Welt« ist lesenswert für den gestandenen Reisenden, der sich an dies oder jenes erinnern möchte. Es ist kein Reiseführer, und es sucht auch nicht Erkenntnisse in Slums und Absteigen, wie sie von einem Journalisten vielleicht erwartet werden. Das Buch ist amüsant, und der Autor ist fraglos weit herum gekommen. Die Freude am Reisen, mit Ausnahme des Abstechers nach Mexiko-Stadt, scheint ihm dabei jedoch mit den Jahren abhanden gekommen.
Helge Timmerberg: In 80 Tagen um die Welt
Rowohlt Berlin 2008
ISBN 9783871345937
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