Es geht mitunter deftig zu, wenn der Ossi über den Wessi und bisweilen auch über sich selbst lacht, weiß der Verlag des schon in der verflossenen DDR höchst beliebten Satiremagazins »Eulenspiegel«. Geschäftstüchtig, und wahrscheinlich von einem Wessi gut beraten, legten die Verlagsobristen deshalb ein schmales Büchlein auf, das einige der durchaus derben Scherze sammelt. Das fragt dann beispielsweise: »Was ist der Unterschied zwischen dem Schlips eines Wessis und einem Kuhschwanz?« und antwortet frech: »Der Kuhschwanz bedeckt das Arschloch ganz«.
Über einen derartigen Witz können Ossis, wie der Rezensent aus eigenen Testreihen bestätigen kann, herzhaft lachen. Aber auch Wessis heben ihre Mundwinkel sichtbar, werden derartige Schoten zum Besten gegeben. »Es gibt drei Arten, eine Firma in den Bankrott zu wirtschaften: Durch Frauen das macht am meisten Spaß. Durch Sauferei das klappt hundertprozentig. Durch einen Westler als Geschäftsführer das geht am schnellsten«. Hier schwingen Erfahrungen mit den nach der Wende von West nach Ost schwärmenden Glücksrittern durch, die für zehntausende heute arbeitsloser Ostdeutscher bitter waren. Deshalb heißt auch der kürzeste Ossi-Witz: »Treffen sich zwei Ossis auf Arbeit
«.
Im Witz eines Volkes spiegelt sich sein Verhältnis zur Obrigkeit, zum Machtapparat und zu seiner Umwelt. Witze, über die der Osten lacht, zeigen, wie tief der Graben zwischen den Staatsvölkern der ehemaligen BRD und DDR immer noch ist. »Ossi und Wessi am Ostseestrand. Wessi: Sehen Sie mal, da vorn geht der Rettungsschwimmer, der mir heute Vormittag das Leben gerettet hat. Ich weiß, sagt der Ossi, er hat sich schon bei mir entschuldigt.«.
Wessis sind in den Scherzen, über die Ossis laut lachen, dumm, hohl, hinterhältig, geldgierig und im weitesten Sinne asozial. Dabei wird unterstellt, dass viele von ihnen gern die Mauer wieder hochziehen würden, um die Subvention des »Beitrittsgebietes« endlich beenden zu können. »Warum lächeln die Chinesen so hintergründig, wenn sie einem Westdeutschen begegnen? Weil die Chinesen ihre Mauer noch haben«.
Soll also die im Titel des Buches gestellte Frage »Wo gehts denn hier zum Aufschwung«, beantwortet werden, dann antwortet der gewitzte Ossi darauf: »Da entlang! Immer den Bach runter!«. Wer dieses Büchlein als Spiegel des Zeitgeistes liest, der sieht tatsächlich kohlrabenschwarz.
Wo gehts denn hier zum Aufschwung?
Ossi-Wessi-Witze
Eulenspiegel Verlag 2006
ISBN 978-3-359-01646-5
Weitere Leseempfehlungen von Wilhelm Ruprecht Frieling auf Literaturzeitschrift.de
Götterdämmerung in Bayreuth: Prinz Rupi konferiert mit Richard Wagner
Foto: © W. R. Frieling
Götterdämmerung in Bayreuth
Gudrun Wagner, die zweite Ehefrau und persönliche Referentin des Bayreuther Festspielleiters Wolfgang Wagner, ist am 28. November 2007 im Alter von 63 Jahren überraschend gestorben. Damit wird die Diskussion um die Nachfolge auf dem Bayreuther »Grünen Hügel« erneut angeheizt.
Gudrun Wagners plötzlicher Tod fällt mitten in die schwelende Debatte um die Nachfolge des gesundheitlich stark angeschlagenen 88jährigen Festspielchefs. Wolfgang Wagner, der einen Vertrag auf Lebenszeit hat und sich mit Klauen und Zähnen an sein Amt klammert, war in den letzten Jahren inhaltlich kaum noch in Erscheinung getreten.
Heimliche Chefin der Bayreuther Festspiele war seine Frau Gudrun, die bei den Proben Anweisungen brüllte und die jeweiligen Regisseure in ihrem künstlerischen Handlungsspielraum grobschlächtig einschränkte. Ihr besonderes Unvermögen bewies die einstige Fremdsprachenkorrespondentin in der Auswahl des künstlerischen Personals. Das führte im Ergebnis zu einem rapiden Imageverlust des Bayreuther Festspielhauses in den letzten Jahren.
Nachdem es Wolfgang Wagner anno 2000 nicht gelungen war, Gattin Gudrun gegen den Stiftungsrat als seine Nachfolgerin zu inthronisieren, konzentrierte sich das Ehepaar darauf, die 1978 geborene Tochter Katharina zur künftigen Chefin aufzubauen. Katharina debütierte in diesem Jahr glücklos mit einer schwachen Inszenierung der 1867 von ihrem Urgroßvater Richard Wagner vollendeten »Meistersinger von Nürnberg« als Regisseurin im Festspielhaus. Sie hat im Verbund mit dem konservativen Dirigenten Christian Thielemann wiederholt ihre Bereitschaft erklärt, die Festspielleitung zu übernehmen.
Doch im 24köpfigen Stiftungsrat war bislang die berechtigte Sorge ausgeprägt, Gudrun Wagner könnte von einer solchen Lösung profitieren und weiter als eigentliche Leiterin der Festspiele tätig sein. Durch ihren Tod werden die Karten über die Nachfolge auf dem Grünen Hügel nun völlig neu gemischt.
Wer auch immer die Nachfolge von Wolfgang Wagner antreten wird, der hat es schwer. Denn der einstige Qualitätsanspruch der Kultbühne, die sich ausschließlich dem Werk Richard Wagners widmet, steht nur noch auf dem Papier. Musikliebhaber zieht es längst nicht mehr wie in früheren Jahrzehnten nach Bayreuth, obwohl es immer noch eine Wartefrist von mehr als zehn Jahren gibt, um auf normalem Weg an die begehrten »Kärtli« zu kommen.
Hinzu kommt der Ansatz, es müsse unbedingt ein Wagner sein, der Bayreuth leitet, als gebe es einen genetischen Code, der jeden Abkömmling mit dem Genie des alten Richard ausrüste. Solange dieser Irrglaube und der daraus resultierende Familienklüngel nicht beseitigt wird, hat Bayreuth keine echte Chance auf eine kreative Weiterentwicklung.
Da derzeit ein lebhaftes Interesse der Blogosphäre am Dada bekundet wird, erlaubt sich die Literaturzeitschrift als kleinen Beitrag, das Eröffnungs-Manifest zum 1. Dada-Abend in Zürich abzudrucken. Der Text stammt von einem der Begründer des Dada, Hugo Ball.
Mehr über Dada findet sich derzeit bei Pocemon,
bei Wildwuchs, im Teppichhaus Trithemius sowie bei Traeumer.
Hugo Ball
1. Dada-Abend
Eröffnungs-Manifest
Dada ist eine neue Kunstrichtung. Das kann man daran erkennen, dass bisher niemand etwas davon wusste und morgen ganz Zuerich davon reden wird. Dada stammt aus dem Lexikon. Es ist furchtbar einfach. Im Franzoesischen bedeutets Steckenpferd. Im Deutschen: Addio, steigt mir bitte den Ruecken runter, auf Wiedersehen ein ander Mal! Im Rumaenischen: ‚Ja wahrhaftig, Sie haben Recht, so ist es. Jawohl, wirklich. Machen wir‘. Und so weiter.
Ein internationales Wort. Nur ein Wort und das Wort als Bewegung. Es ist einfach furchtbar. Wenn man eine Kunstrichtung daraus macht, muss das bedeuten, man will Komplikationen wegnehmen. Dada Psychologie, Dada Literatur, Dada Bourgeoisie und ihr, verehrteste Dichter, die ihr immer mit Worten, nie aber das Wort selber gedichtet habt. Dada Weltkrieg und kein Ende, Dada Revolution und kein Anfang. Dada ihr Freunde und Auchdichter, allerwerteste Evangelisten. Dada Tzara, Dada Huelsenbeck, Dada m’dada, Dada mhm‘ dada, Dada Hue, Dada Tza.
Wie erlangt man die ewige Seligkeit? Indem man Dada sagt. Wie wird man beruehmt? Indem man Dada sagt. Mit edlem Gestus und mit feinem Anstand. Bis zum Irrsinn, bis zur Bewusstlosigkeit. Wie kann man alles Aalige und Journalige, alles Nette und Adrette, alles Vermoralisierte, Vertierte, Gezierte abtun? Indem man Dada sagt. Dada ist die Weltseele, Dada ist der Clou, Dada ist die beste Lilienmilchseife der Welt. Dada Herr Rubiner, Dada Herr Korrodi, Dada Herr Anastasius Lilienstein.
Das heisst auf Deutsch: die Gastfreundschaft der Schweiz ist ueber alles zu schaetzen, und im Aesthetischen kommt’s auf die Norm an.
Ich lese Verse, die nichts weniger vorhaben als: auf die Sprache zu verzichten. Dada Johann Fuchsgang Goethe. Dada Stendhal. Dada Buddha, Dalai Lama, Dada m’dada, Dada m’dada, Dada mhm‘ dada. Auf die Verbindung kommt es an, und dass sie vorher ein bisschen unterbrochen wird. Ich will keine Worte, die andere erfunden haben. Alle Worte haben andere erfunden. Ich will meinen eigenen Unfug, und Vokale und Konsonanten dazu, die ihm entsprechen. Wenn eine Schwingung sieben Ellen lang ist, will ich fueglich Worte dazu, die sieben Ellen lang sind. Die Worte des Herrn Schulze haben nur zwei ein halb Zentimeter.
Da kann man nun so recht sehen, wie die artikulierte Sprache entsteht. Ich lasse die Laute ganz einfach fallen. Worte tauchen auf, Schultern von Worten; Beine, Arme, Haende von Worten. Ay, oi, u. Man soll nicht zuviel Worte aufkommen lasen. Ein Vers ist die Gelegenheit, moeglichst ohne Worte und ohne die Sprache auszukommen. Diese vermaledeite Sprache, an der Schmutz klebt wie von Maklerhaenden, die die Muenzen abgegriffen haben. Das Wort will ich haben, wo es aufhoert und wo es anfaengt.
Jede Sache hat ihr Wort; da ist das Wort selber zur Sache geworden. Warum kann der Baum nicht Pluplusch heissen, und Pluplubasch, wenn es geregnet hat? Und warum muss er ueberhaupt etwas heissen? Muessen wir denn ueberall unseren Mund dran haengen? Das Wort, das Wort, das Weh gerade an diesem Ort, das Wort, meine Herren, ist eine oeffentliche Angelegenheit ersten Ranges.
Zürich, 14. Juli 1916
Professor, Kasper, König, Schwein
Aufgrund des Welterfolges meiner Skizze »Schräger Vogel«
entstanden jetzt die ersten offiziellen Porträts meines königlichen Hofstaates.
Sie werden im Thronsaal einen würdigen Platz finden.
Wilhelm Ruprecht Frieling: Professor, 2007
Acryl auf Leinwand, 30 x 40 cm
© W. R. Frieling
Wilhelm Ruprecht Frieling: Kasper, 2007
Acryl auf Leinwand, 30 x 40 cm
© W. R. Frieling
Wilhelm Ruprecht Frieling: König, 2007
Acryl auf Leinwand, 30 x 40 cm
© W. R. Frieling
Wilhelm Ruprecht Frieling: Schwein, 2007
Acryl auf Leinwand, 30 x 40 cm
© W. R. Frieling
Wilhelm Ruprecht Frieling: Schräger Vogel, 2007
Ölkreide auf Papier. 21 x 28 cm
© W. R. Frieling
Herzlich willkommen im Kunstblog! Ohne Anspruch auf Meisterschaft stelle ich hier eigene Werke vor. Ausserdem zeige ich Stücke aus meiner Sammlung.
Der »Schräge Vogel« entstand spontan, als ich kürzlich erfuhr, dass mein bester Freund plötzlich schwer an Blasenkrebs erkrankte. Er stand vor einer harten Operation, die sieben Stunden dauern und ihn weit über vier Liter Blut kosten sollte.
Wie ein kleiner Junge, der seinem Vati Mut machen will, griff ich zur Ölkreide und malte den »Schrägen Vogel«. Ich hatte zwei Möglichkeiten: jammern oder lachen. Da wir beide schräge Vögel sind, gab es für mich nur den Weg des Lachens, und es beglückt mich, dass meine naive Kinderzeichnung an seinem Krankenhausbett stand und ihn aus der Ferne daran erinnerte, wie farbenprächtig das Leben trotz allen Elends sein kann.
Lege Hand an den Puls der Weltkunst und versäume keinen Eintrag! Abonniere diesen Blog, und Du erfährst als Erster, worüber die internationale Kunstwelt nur staunt
Nie zuvor hatte die Neuköllner Oper, Berlins innovativstes Musiktheater, in den dreißig Jahren ihres Bestehens eine derart breite PR wie in diesem Fall. Von »BILD« über »Spiegel« bis hin zur »Tagesschau« drängten sich die Berichterstatter in dem kleinen Haus an der Karl-Marx-Strasse, und es mussten aufgrund des Presserummels gleich zwei Premieren veranstaltet werden. Das Schlagwort »Moshammer« löste diesen einzigartigen Run der Journaille aus. Eine »Moshammeroper« sollte es geben, in der das Leben und die Persönlichkeit des exzentrischen Münchener Modezars für die Bühne aufbereitet werden sollte. Dieses Stichwort heizte die Berichterstattung bereits im Vorfeld kräftig an.
Rudolph Moshammer, ein Gesamtkunstwerk nach Münchner Art, sah sich im Lichte des Bayernkönig Ludwigs I. und staffierte sich entsprechend märchenhaft aus. Bekannt wurde der Inhaber einer Boutique in der Maximilianstraße in München sowie des ältesten Restaurants der Stadt, der »Hundskugel« in der Hotterstrasse, durch sein schillerndes Auftreten in der Öffentlichkeit, in der er sich gern mit einer Yorkshire-Hündin zeigte, die auf den Namen »Daisy« hörte. Im Januar 2005 wurde er von einem persischen Lustknaben, den er auf der Strasse anmietete, aus Habgier erdrosselt.
Das Leben Moshammers für die Oper aufzubereiten, ohne in die Gosse oder eine rosa gefärbte Klamotte abzurutschen, scheint schwierig. Ob es der Neuköllner Oper letztlich gelungen ist, daraus ein Thema zu machen, das eine theatralische Deutungsarbeit verdient? An der Beantwortung dieser Frage scheiden sich die Geister. Jedenfalls war »Mosi«, der im Stück nach seinem Vorbild »Ludwig« geheißen wird, eine illustre Figur der Münchener Medien- und Eventgesellschaft, die seinen Lebensstil feierte, sein soziales Engagement für die Schwächsten der Gesellschaft achtete, und dabei seine nächtlichen Eskapaden ins Strichermilieu dezent übersah.
In der mit dem Berliner Opernpreis 2006 ausgezeichneten Kammeroper von Bruno Nelissen (Musik) und Ralph Hammerthaler (Libretto) wird die Handlung um den Protagonisten auf fünf Darsteller reduziert: Der Herrenschneider Ludwig (Hubert Wild), der in mehreren Rollen und zuletzt als Mörder auftretende Markus Vollberg, die Klatschreporterin Klette (Leigh Adoff), Frau von Klunker (Friedrike Harmsen) sowie die Spielfigur Regine Gebhardt hüpfen, laufen, springen und kriechen in elf chronologisch ungeordneten Szenen über einen roten Teppich zwischen Himmelbett und Bühne.
Der Zuschauer erfährt, dass Mosis Vater den Freitod wählte, weshalb sich der Junge den Bayernkönig zum Stiefvater wählte. Als kleiner Schneiderlehrling steckte er sich drei Federn an den Kopf, um kein mausgrauer Schneider zu bleiben. Die Medienwelt, vertreten durch die beiden grellen Damen, meint, Moshammer schulde der Presse seine Bedeutung, während diese ihm die Auflage verdanke. Wir hören, dass die Hauptfigur der »Moshammeroper« sein Hündchen Daisy ein »total verrupftes Vieh« ruft. In seiner Zerrissenheit und auf der Suche nach Nähe treibt es ihn dann, vor allem nach dem Tod der Mutter, ständig in die Stricherszene. Dort kauft er sich Liebe. Schließlich sucht und findet er den Tod.
Musikalisch werden diese Fragmente eines Lebensentwurfs von vier Streichern und einer Trompete unterstützt. Dabei wird auf strukturierte Klangebenen, schmissige Melodien oder gar Ohrwürmer verzichtet. Es ist eher ein schriller Klangteppich, der dem Publikum entrollt wird. Mal singt Ludwig eine seiner Arien im Dialog mit der Trompete, mal tritt er in Wechselgesang mit verzerrten Tonbandstimmen. Schrille Streicher dominieren und zeigen die seelische Auseinandersetzung des Protagonisten auf. Die Musik in der Tradition der Zwölftonmusik Arnold Schönbergs ist karg, klirrend, komatös.
In ihrer bisweilen kakophonischen Spröde verdeutlicht die Musik der »Moshammeroper« das Anliegen des Stückes und transportiert Facetten des Lebens einer höchst widersprüchlichen Persönlichkeit. Das Libretto schafft dies hingegen mit seinen Blitzlichtaufnahmen der angeblichen Wendeschleifen einer Biographie nicht. Zu dürftig ist das, was erzählt und geboten wird. Der Weg Moshammers von ganz unten zum Märchenkönig und Promi-Kasper wird allenfalls angedeutet, keinesfalls hinterfragt.
Vielleicht gibt die Figur Moshammer aber auch zu wenig her, um daraus eine Oper zu machen, die sich über ihre Tagesaktualität als tragfähig erweisen könnte. Moshammer sei noch aus dem Mausoleum heraus für Schlagzeilen gut, meint Autor Ralph Hammerthaler. Das allein reicht leider nicht für eine Kammeroper, die ihre Schlagzeilen redlich verdient.
Fotostrecke der WELT:
http://www.welt.de/kultur/article1075556/Moshammer_-_die_Oper_.html
Das architektonisch beeindruckende Opernhaus von Sydney wurde jetzt ins Weltkulturerbe aufgenommen. Mallorcas konservative Ex-Regierung wollte es übertrumpfen. Foto: Pixelio
Keine Superoper für Mallorca
Aus wahltaktischen Gründen hatte der konservative mallorquinische Ministerpräsident Jaume Matas noch im Mai verkündigt, in Palma de Mallorca solle ein neues Opernhaus entstehen. Dieses von Santiago Calatrava konzipierte Gebäude sollte selbst das soeben zum Weltkulturerbe erhobene Opernhaus in Sydney aus dem Rennen werfen. Trotz dieser und anderer blumiger Versprechungen kündigten die Wähler dem Präsidenten in den Wahlen vom 27. Mai die Gefolgschaft und ließen ihn fallen. Nun dürfen seine Amtsnachfolger 1,2 Millionen Euro Honorar an den Architekten für das Prestigeprojekt zahlen.
Ein absolutes architektonisches Highlight, das international für Aufsehen sorgen und den Kulturtourismus ankurbeln sollte, wollte Ministerpräsident Jaume Matas (PP) direkt an Palmas Hafen bauen lassen. Selbstherrlich beauftragte er den Architekten Santiago Calatrava mit der Planung eines »emblematischen« Gebäudes auf der alten Mole, die dazu komplett umgebaut werden sollte. Calatrava hat bereits auf Teneriffa ein kleines Opernhaus konzipiert. Das Ergebnis der Wahlen vom 27. Mai macht nun einen Strich durch dieses Vorhaben.
Die neue Linkskoalition unter dem Sozialisten Francesc Antich, die die Regierung von Ministerpräsident Jaume Matas ablöst, ist gegen den Monsterbau. Sie hält die veranschlagten Kosten von 100 Millionen Euro für »Verschwendung«. Die Ferieninseln der Balearen müssen nun dem spanischen Stararchitekten allerdings 1,2 Millionen Euro Honorar für das Opernhaus, das wohl niemals gebaut werden wird, überweisen.
Der Plan für ein neues Opernhaus auf Mallorca ist aus vielen Gründen größenwahnsinnig. Einerseits verfügt Palma über eine herrlich plüschige alte Oper, die allerdings seit fünf Jahren renoviert wird und im Juni erstmals wieder der Öffentlichkeit zugänglich war. Es gibt weder ein Ensemble noch ein entsprechendes Orchester. Zum anderen stehen die alte Oper sowie auch andere große Veranstaltungsstätten ständig leer, da es kein zahlendes Publikum für anspruchsvolles Musiktheater auf der Insel gibt.
Mallorquiner sind gewohnt, Kunst und Musik gratis genießen zu dürfen. So sind die meisten der zahlreichen Musikveranstaltungen, die angeboten werden, umsonst und draußen. Dabei setzt sich das Publikum traditionell zu zwei Dritteln aus deutschen und britischen Inselresidenten zusammen, die jede Abwechslung gern nutzen. Unter derart schlechten Voraussetzungen wäre die Oper ein Fass ohne Boden geworden und hätte nur dem Image der Inselpolitiker gedient.
Eine farbenfrohe Inszenierung präsentierten die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci mit der Opera Restor´d London. Foto: © Wilhelm Ruprecht Frieling
Die 1737 uraufgeführte komische Oper »The Dragon of Wantley« gilt als Britanniens populärstes Stück Musiktheater nach »The Beggar´s Opera«. Die komische Oper der gebürtigen Deutschen John Frederick Lampe (1703-1751) nach einem Libretto von Henry Carey (um 1689-1743) erlebte soeben im Rahmen der Musikfestspiele Potsdam Sanssouci ihre deutsche Erstaufführung in englischer Sprache. Das Publikum reagierte begeistert auf die unkonventionelle Inszenierung der Opera Restor´d London.
Moore of Moore Hall, ein Säufer und Prahlhans, wird auserkoren, den Kinder und Vieh fressenden Drachen von Wantley zu besiegen. Als Preis wird ihm eine junge Dame versprochen. Allerdings erscheint auch noch eine frühere Geliebte des vorgeblichen Großwildjägers und erinnert ihn an sein Heiratsversprechen.
Wie die »Beggars Opera« ist »The Dragon of Wantley« eine Parodie auf den italienisch geprägten Opernbetrieb, dessen artifizielle Konventionen und hochfliegende Sentiments in ein »bodenständiges« Englisch transferiert werden, dabei virtuos und voll britischen Humors. Nicht zuletzt versetzt das Stück so manchen Seitenhieb auf die herrschenden politischen und moralischen Verhältnisse seiner Entstehungszeit, wobei Moore of Moore Hall die Figur des italienischen Kastraten Farinelli karikiert. Beide Stücke waren die Voraussetzung für die Entwicklung einer britannischen Nationaloper und drängten Georg Friedrich Händels Einfluss zurück.
Die Opera Restord London erzählt die ursprünglich aus Elisabethanischen Zeiten stammende Geschichte in der Inszenierung von Jack Edwards äußerst farbenfroh. Allein die Kostüme sind eine Augenweide. Moore of Moore Hall (Daniel Auchincloss), er erinnert mich übrigens an meinen Lieblingsprahlhans Tartarin von Tarascon von Alphonse Daudet, hat sich ein Tigerfell übergestülpt und schleift den Oberkörper der Katze als Schleppe hinter sich her. Sein Hemd ist aus Zebrafell geschneidert, ein Gürtel aus Leopard berichtet von großen Taten. Im Kampf gegen den Drachen hüllt sich der Prahlhans, nachdem er sich mit etlichen Humpen Ale gestärkt hat, in ein Stachelgewand, damit er dem Drachen trotzen kann.
Unter der Leitung von Gary Cooper präsentiert die Akademie für Alte Musik wundervoll leichte Musik, die nachvollziehbar macht, warum diese Burlesque Opera seit fast dreihundert Jahren ein Publikum begeistert. »The Dragon of Wantley« bietet pures Musikvergnügen und ist auch für all diejenigen geeignet, die sonst der Oper wenig abgewinnen können.
Kristin und Mark wünschen sich ein Kind. Auf natürlichem Wege klappt es zwischen der Powerfrau und dem Systemadministrator jedoch nicht. Er meint, sie sollten häufiger miteinander schlafen, sie meint, er solle mal einen Arzt konsultieren.
Der Haussegen hängt schief, da hören sie von »Childlike Creatures« und kaufen sich von dieser Firma ein Kind.
»Childlike Creatures« ist der weltweit führende Hersteller bioidentischer Kinder, die nach den Ansprüchen der Auftraggeber individuell programmiert werden. Kristin (Juliane Dreyer) und Mark (Sebastian Smulders) entscheiden sich für einen niedlichen Jungen namens Pino (Andreas Röder), den sie mit nach Hause nehmen. Das Eheglück scheint gerettet, und doch kommt alles anders als geplant.
Der frisch gebackene Sohn wird auf Papa und Mama programmiert, damit er sich auch zugehörig fühlt und die gewünschten emotionalen Reaktionen zeigt. Leider muss Mama bereits am ersten Abend wieder ins Büro und überlässt das jammernde Kind dem Herrn Papa, der es genervt zum Schlafe bettet. Darauf springt Mark an seinen Computer und bestellt sich Kitten (Camilla Kallfaß) zwecks Entspannung für ein Schäferstündchen ins traute Heim. Der Lärm der beiden Liebenden weckt das Kind auf. Er sieht, dass sich Papa und die Dame »lieben«, während Papa sich mit der vorherigen »Mama« stritt und hält konsequent Kitten für seine wahre Mutter.
Es entwickelt sich nun eine herrliche Komödie der Irrungen und Wirrungen. Pino geht auf die Suche nach seiner vermeintlichen Mama Kitten und landet in dem Amüsierbetrieb von King (Lars Redlich) und Fox (Martin Kluntke). Die Luden wittern ein Geschäft und wollen den Knaben gegen »Finderlohn« zurückgeben. Aber wollen die Eltern noch einmal für das offenbar fehlerhaft programmierte Blag bezahlen? Wie gut, dass »Childlike Creatures« mit Felicity (Jeanette Claßen) eine Spezialkraft einsetzt, die solche Probleme professionell lösen kann
Mit »Kauf Dir ein Kind« zeigt die Neuköllner Oper wieder eine Produktion von Peter Lund, der dort zuletzt mit »Maja & Co« Begeisterungsstürme hervorgerufen hatte. Lund hat die Berliner Off-Road-Oper wesentlich geprägt und ihr mit Stücken wie »Das Wunder von Neukölln«, »Die Krötzkes«, »Elternabend« und vielen anderen ein unverwechselbares Gepräge geschaffen. Die Musik des neuen Musicals stammt von Thomas Zaufke, der es versteht, eingängige Melodien zu schaffen, die das Talent zu Ohrwürmern haben.
Das Stück ist äußerst temporeich choreographiert (Neva Howard). Die Geschwindigkeit der Gags, Tanz- und Gesangseinlagen macht aus dem viele ernste Themen wie Genmanipulation und Kindesmissbrauch berührenden Musical eine Komödie, auf der ein Lacher den nächsten jagt. Damit zieht eine professionelle Glätte bei der Neuköllner Oper ein, die der alternativen Spielstätte ein wenig von ihrem einstigen Charme nimmt, der auch durch Brüchigkeit und Improvisation geprägt war.
»Kauf Dir ein Kind« ist eine hoch professionelle Produktion, die als Arbeit für die Drittsemester der Universität der Künste Berlin, Studiengang Musical/Show entstand, es aber locker mit jeder anderen Musicalproduktion aufnehmen kann. Mit der gestrigen Uraufführung wurde gleich noch ein zehnjähriges Jubiläum gefeiert. Seit 1997 kooperiert Berlins viertes Opernhaus mit dem Studiengang Musical/Show an der Universität der Künste, bei der Lund eine Professur hat.
»The Tiger Lillies« sind schräg, abseitig, verdreht, lästerlich, vor allem aber mit rabenschwarzem britischen Humor vom Feinsten ausgestattet. Mit ihrer an Bertolt Brechts »Dreigroschenoper«, dem erfolgreichsten deutschen Bühnenstück des 20. Jahrhunderts, angelehnten »Two Penny Opera« gastierte das musikalische Freak-Kabarett am Wochenende in Brechts einstigem Theaterpalast, dem »BE« genannten plüschigen »Berliner Ensemble« am Schiffbauerdamm.
»Sie werden jetzt eine Oper hören. Weil diese Oper so prunkvoll gedacht war, wie nur Bettler sie erträumen, und weil sie so billig sein sollte, dass Bettler sie bezahlen können, heißt sie: Die Dreigroschenoper«, sagte Brecht selbst über sein Werk.
Die »Two Penny Opera« der »Tiger Lillies« besteht aus neunzehn Songs, die sich thematisch eng mit dem Brechtschen Original verweben. Es geht um sexuellen Missbrauch, Verbrechen, Freitod und Gotteslästerung. Mackie richtet mit seinem legendären Messer unter dem Mond von Soho ein Blutbad an. Die Nutten des Hafenviertels berichten von ihrer entbehrungsreichen Arbeit. Räuber, Gendarmen, Spelunkenbetreiber, Pastoren und Scheinheilige kommen zu Wort. Es ist eine Welt am Abgrund der bürgerlichen Gesellschaft, die beschrieben wird und in Selbstzeugnissen zu Wort kommt. Die Musiker selbst bezeichnen ihre Musik als »satanic folk«.
»Piss On Your Grave« heißt ein typischer Song aus der »Two Penny Opera«, in dem »Lillies«-Frontmann Marty Jacques besingt, wie er nacheinander Maria, Johannes den Täufer, Petrus, Gott und Satan ersticht und anschließend auf ihre Gräber uriniert. Bei dieser Thematik wird nachvollziehbar, dass die Band von Kritikern gern als blasphemisch und obszön abgekanzelt wird und ihre Fans eher unter Leuten findet, die Geschmack an Makabrem und Absurdem haben als unter Kirchgängern.
Anders als in Brechts Original-Dreigroschenoper, wo der Bösewicht kurz vor der Hinrichtung begnadigt und in den Adelsstand erhoben wird, lassen die »Lillies« ihren Räuberhauptmann baumeln. Im Song »Twenty-Five Minutes« schildert der Todgeweihte seine letzten fünfundzwanzig Minuten, in denen er noch einmal kräftig den Vertretern von Obrigkeit und Kirche ins Gesicht spuckt.
Die 1989 gegründeten »Tiger Lillies« füllen mit ihren phantasievollen und makabren Abenden mittlerweile Hallen und Arenen im englischsprachigen Raum und trotz sprachlicher Schwierigkeiten, den Texten zu folgen, auch darüber hinaus. Die dreiköpfige Gruppe produziert jedes Jahr ein neues Programm, das gut erschlossen auf CD vorliegt. Ihr Album »The Gorey End« wurde für den Grammy nominiert. Weil Leadsänger und Akkordeonspieler Martyn Jaques den Falsettgesang pflegt und über ein unverwechselbares stimmliches Volumen verfügt, werden die Musiker gern auch die »kriminellen Kastraten« genannt.
Schlagartig berühmt wurde die Truppe mit ihrem herzzerreißenden Programm »Shockhead Peter«, einer Edel-Punk-Version von Heinrich Hoffmanns »Struwwelpeter«. Als eine von vielen Zugaben spielten die »Lillies« im begeistert applaudierenden »BE« ihren Struwwelpeter-Song »Flying Robert« über den Fliegenden Robert, der es bei wildem Wetter nicht in der Stube aushält und vom Sturm davon getragen wird.
Die »Tiger Lillies« präsentieren mit ihrem musikalisch ausgefeilten Programm Rebellion gegen die Gesellschaft und Hass auf falsche Propheten und die Doppelmoral der Kirchenfürsten. Wer das mag, wird von der Band gekonnt bedient und erlebt einen unvergesslichen Abend.
»The Tiger Lillies«: Interview und Einblick in ihr Werk
Musik von den Tiger Lillies
Homepage der Tiger Lillies