Ich wurde beraubt. Ich wurde geplündert. Ich wurde ausgenommen. Sieben Mal innerhalb weniger Minuten fiel ein schmieriger Ganove über mich her und bestahl mich. Nach jeder Attacke war ich um glatte 100.000 Taler ärmer. Im Nullkommanichts wurde mein Barvermögen um insgesamt siebenhunderttausend geschmälert. Ich schäume vor Wut. Batters heißt das Schwein, das es wagte, mich zu attackieren. Dreist hat er auch noch seine Visitenkarte an meine Tür geheftet. Jetzt wird er mich kennen lernen. Ich heuere einen Auftragskiller an, ihn auszulöschen und lobe ein Kopfgeld aus. Gleich wird er spüren, wen er sich als Gegner ausgesucht hat. Dabei muss ich mir selbst nicht einmal die Finger schmutzig machen. HIER geht es weiter →
Der neue Laptop beim Discounter mit dem großen blauen »A« lockt verführerisch in perlschwarz. Er bietet alles, was des Users Herz begehrt und wohl noch vieles mehr. Um die vielen Extras zu betonen, hat der Anbieter einen bunten Werbeprospekt in doppelter Größe auflegen lassen und den Einfallsreichtum ausgesuchter Texter bemüht. Im Mittelpunkt der Promotion leuchtet das gewisse Extra des Rechners: ein Fingerabdruck-Scanner als Schlüssel für den Zugang!
»Sichere Sache. Da komme ich nur noch ganz allein rein«, frohlockt Heinrich Himpel, den diese technische Neuerung spontan begeistert. Seit Jahren plant er die Anschaffung eines neuen PC, nachdem sein betagter Weggefährte erst die Festplatte und dann auch noch den Bildschirm zum Teufel jagte. Gepiesackt von Familie und Freunden, wann er denn endlich mit seiner Entscheidung zu Potte kommen wolle, steht sein Entschluss fest: dieser hochmoderne Schlepptop soll sein Freund und Begleiter beim Erkunden der virtuellen Welt werden! Zur Absicherung wird als letzte Instanz noch der EDV-Mann im Betrieb befragt. Als dessen Augen ebenfalls leuchten, eilt Heini zum genannten Termin früh um acht zum nächsten Verkaufstempel und schwenkt den Prospekt. Er wirft ein Bündel Geldscheine auf die Theke und schleppt stolz wie Oskar die schimmernde Beute heim.
Das Wunderbare an Computern der neuen Zeit ist, dass sie bereits vollständig aufgerüstet und eingerichtet sind. Betriebssystem und Programme wurden von kundigen Heinzelmännlein vorab installiert. Das Gerät kann damit gleich in Betrieb genommen werden: ein Segen für jeden, dem das Computern unheimlich ist. Himpel klappt den Deckel seines neuen schwarzen Schätzchens auf. Der Kasten summt und brummt fröhlich, und der Geist der Maschine begrüßt nach wenigen Augenblicken seinen neuen Herrn und Meister. Der strahlt über beide Backen und freut sich über das Willkommen eines freundlichen Assistenten, der ihn bei seinen ersten Schritten begleiten möchte. Gleich wird Heini um das Wichtigste gebeten, das ist sein individueller Fingerabdruck.
Früher galt ein Fingerabdruck als erster Schritt in die Verbrecherkartei, heute erschließt er den Zugang zum Paradies. Mit ihm öffnet sich der Zugang zum virtuellen Himmelreich. Der Einrichtungsassistent verlangt, einen Finger auszuwählen und über den Scanner zu streichen. Heini wählt einen besonders fleischigen Finger aus, damit die Kapillaren besonders gut erkennbar sind und erledigt diesen Job gleich mehrmals. Dann tippt er wunschgemäß verschiedene Namen und Passworte ein, weil der freundliche Helfer ihn darum bittet. Dabei wählt er eine perfide Buchstaben-Ziffern-Kombination, damit keiner, der vielleicht die Fingerabdrucksperre überwindet, an seine intimen Daten kommt. Heinrich Himpel schaut gern fern, er hört im Auto Radio, und er ist seit Jahrzehnten Abonnent einer Lokalzeitung. Ihm macht so schnell keiner was vor. Deshalb variiert er die erwünschten Passworte auf raffinierte Weise, mal kombiniert er Namen und Geburtstag der Tochter, mal wählt er die Adresse der Eltern und verarbeitetet sie zu einem persönlichen Geheimcode. Der Assistent akzeptiert und dankt, dann verabschiedet er sich. Alles scheint in bester Ordnung. Himpel triumphiert: er hat sein neues Spielzeug ganz für sich allein, und niemand kann ohne seinen Fingerzeig darüber verfügen.
Am Abend stellt Heini das neue Familienmitglied vor. Der stolze Vater fährt den Rechner hoch. Gattin, Tochter und Schwiegersohn schweigen erwartungsvoll. Himpel streicht mit dem Finger über den Scanner. »Too fast« meldet eine Anzeige. »Zu schnell« übersetzt das Töchterlein. Erneut zieht Heini einen Finger über den Sensor. Ein großes rotes Kreuz verweigert den Zugang. Erfolglos versucht er es ein weiteres Mal. »Bist du sicher, dass es der richtige Finger ist«, fragt ihn seine Frau, die ihren Mann wie kein anderer kennt. Der sinkt einige Millimeter in sich zusammen, knurrt unwillig und ratscht wieder über die Leseleiste. Drei Mal bleibt er erfolglos. Dafür öffnet sich ein neues Fenster, ein »PBA« wird erfragt. Erleichtert atmen alle auf. Der Schwiegersohn stand von Anbeginn dem Fingerabdruck skeptisch gegenüber und empfahl, diese Abfrage auszulassen. »Jetzt musst du nur dein Generalpasswort eingeben, dann ist alles klar«, muntert er den Schwiegervater auf.
Himpel macht ein Gesicht, als wolle er den Gesang der Wale entschlüsseln und tippt diverse Zeichen ein. Der Rechner schüttelt ablehnend den Kopf. »Hast du dir etwa schon wieder das Passwort nicht aufgeschrieben«, funkelt ihn die Gattin an. Stumm und mit eingezogenem Kopf tippt der Göttergatte weitere Buchstabenkombinationen in das Abfragefeld. Nach diversen Versuchen schaltet der Computer auf stur. Ohne Neustart lässt sich nichts mehr bewegen. Wieder fährt der Rechner hoch, drei Mal wird der Finger von oben, von unten, mal langsam, mal schnell über die Lesezone gezogen. Heini bleibt erfolglos und meldet nach dem mehrfachen Versuch, erneut das richtige Passwort einzugeben, Bankrott an. Hektisch steht er auf und wühlt in einem Zettelhaufen. Stolz zieht er daraus einen Papierfetzen hervor und hält ihn den anderen hin. Da ist das Passwort! »Vati, das ist dein Handy-Passwort, das kennen wir schon«, schüttelt die Tochter ungnädig den Kopf. Erneut wühlt Heini in seinen Unterlagen. Weil er nichts findet, probiert er noch ein paar Mal alle erdenklichen Passwörter in Groß- und Kleinschreibung. Schließlich ist der ehemals stolze Besitzer des neuen Rechners derart konfus, dass er den Deckel seines neuen Besitztums zuklappt. Der Abend nimmt seinen Lauf.
Am nächsten Tag wird die Versuchsreihe erneut gestartet. Leider erinnert sich der Computer auch im Wiederholungsfall weder an den Fingerabdruck noch an das Simsalabim zur Öffnung der Schatztruhe. Was tun? Der Schwiegersohn rät zur Neuinstallation des Systems und zum Rücksetzen sämtlicher Kennworte. Eine Rettungs-CD mit dem System wird eingeschoben, und alles wird neu konfiguriert. Passworte, Gerätenamen und Sicherheitsfrage werden eingegeben und unter Argusaugen notiert. Der Einrichtungsassistent für den Fingerabdruck wird übergangen, weil alle Anwesenden entsetzt »Nein« schreien, als Heini wieder den Einrichtungsassistenten bestätigen will. Alles läuft zur Zufriedenheit, der Rechner scheint geheilt. Jetzt kann es endlich richtig losgehen.
Aufgeregt klickt Himpel ein Programm an und öffnet eine Demoversion, die ihn 60 Tage lang unentgeltlich locken möchte. Er tippt, er schaut verlegen, er tippt erneut. »Ich muss mich anmelden, aber es geht nicht«, entfährt es ihm unsicher. Die am Tisch versammelten Blicke irritieren ihn. »Du hast doch immer noch keinen Internet-Anschluss«, murmelt der Schwiegersohn leicht genervt, »darum wolltest du dich doch schon vor Monaten kümmern«. Himpel schaut, als verstehe er die Welt nicht mehr. Aber wie soll er denn jetzt ins Internet kommen, um seine neuen Programme freizuschalten? »Versuchen wir erst einen Neustart, ob jetzt alles in Ordnung ist«, rät ihm der Mann, der ihm die Tochter nahm, »dann sehen wir weiter«. Gesagt, getan.
Der Rechner fährt runter, der Rechner fährt hoch, und wieder wird der Fingerabdruck verlangt. »Mist, wir müssen das Ding vollkommen abschalten«, entfährt es dem Berater, »also wieder alles von vorn«. Er schnappt sich den glänzenden Kasten, installiert erneut das System, überschreibt alle Passworte und erklärt dem Assistenten, der die Vorzüge des Fingerabdruckscans schmackhaft machen will, dass er darauf unbedingt und auf jeden Fall verzichten will. Endlich läuft die Kiste und lässt sich mit Hilfe des notierten Passwortes auch problemfrei nutzen. Der Eigentümer wird ermahnt, auf keinen Fall weitere Passworte einzugeben oder etwas zu ändern. Sicherheitshalber notieren alle Anwesenden das Generalpasswort. Natürlich nur für alle Fälle.
Meiner im Herbst erscheinenden Autobiographie entnehme ich heute ein kleines Stück: Als junger Mann trampte Prinz Rupi im Zuge der Flower-Power-Zeit durch Europa, lebte ein Vierteljahr in London und landete schließlich mit knapp 17 im damaligen Westberlin. Dieser Ort brachte den seinerzeit unschätzbaren Vorteil mit sich, nicht zur Bundeswehr zu müssen
INSULANER IM ROTEN MEER
Bei meinem Eintreffen in Westberlin 1968/69 brannte die Luft, und es roch aus allen Ecken und Winkeln nach Straßenkampf und Revolution. Die ummauerte Stadt erlebte die aufregendste Zeit seit Kriegsende. Studenten, Schüler und Auszubildende errichteten Barrikaden und lieferten sich erbitterte Straßenschlachten mit der Staatsgewalt. Der Kurfürstendamm verwandelte sich Abend für Abend in eine spannungsgeladene Diskussionsmeile. Kraftstrotzende Demonstrationszüge zogen durch die Stadt. Lautstarke Teach-Ins und hochfliegende Büttenreden im Audimax der Universität zählten zur Tagesordnung. Rote Fahnen knatterten im Wind. »Nun ist die Luft von solchem Spuk so voll, dass niemand weiß, wie er ihn meiden soll«, lässt Goethe seinen Faust im zweiten Teil sagen, und genauso infizierte mich die Aufbruchstimmung in Berlin.
Hunderttausende rebellierten gegen den Vietnamkrieg und das bestehende gesellschaftliche System, gegen staatliche Autoritäten, gegen Reaktionäre in Politik und Verwaltung, gegen die Ewiggestrigen und den Muff von tausend Jahren unter den Talaren. Wir wollten mit der älteren Generation abrechnen, die Hitler und den Zweiten Weltkrieg ermöglicht hatten, zumal viele ehemalige Nazi-Funktionäre wieder an den Schalthebeln der Macht saßen. Wir waren die Generation der »Vatermörder«, wie Modeschöpfer Wolfgang Joop einmal spitz bemerkte. Es war die Blütezeit der als APO berühmt gewordenen außerparlamentarischen Opposition, deren Aktivisten Deutschlands überfällige Liberalisierung in Gang setzten. Wer bislang noch nicht politisiert war, wurde spätestens mit der Übersiedelung in Richtung Funkturm zum Revoluzzer. Ich hielt es bei meiner Ankunft am Bahnhof Zoologischer Garten mit Dante Alighieri, dessen »Göttliche Komödie« ich auf der Zugfahrt in meine neue Heimat gelesen hatte. Darin sprach mir Italiens bekanntester Dichter aus dem jungen Herzen: »Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt, der andere packt sie kräftig an und handelt«.
Ein Siebzehnjähriger, der in bewegten Zeiten mutterseelenallein und mit einem Seesack voller Träume nach Berlin kommt, sucht sozialen Schutz. WGs genannte Wohngemeinschaften boten die besten Möglichkeiten, mit Gleichaltrigen Kontakt zu bekommen und preiswert zu überleben. WGs standen außerdem als alternative Lebensformen im Mittelpunkt des Interesses junger Leute. Sie bildeten die praktische Alternative zur klassischen Familie, deren Enge verantwortlich gemacht wurde für Kleingeistigkeit und reaktionäres Denken. Sie boten eine Wohnform, die sich in den verschiedensten Formen langfristig etablieren sollte. Der Staat interpretierte sie als besonders heimtückischen Angriff auf die Familie als kleinste Zelle des Staatswesens, und Kirchenfürsten bekamen Herzinfarkte im Dauerabonnement, weil ihre Moral praktisch infrage gestellt wurde.
Die WG, in die ich durch Vermittlung von Freunden einzog, hatte sich als Untermieter in einer weitläufigen Berliner Altbauwohnung in der Heilbronner Straße 3 in Schöneberg eingenistet. In Spitzenzeiten bewohnten bis zu vierzehn Gestalten zwei große Berliner Zimmern und eine Kammer, sie teilten sich Betten, Couches und Matratzen. Unsere Schlafgelegenheiten, Mobiliar vom Sperrmüll und Trödel, waren an den Wänden aufgereiht, und es galt eine ungeschriebene, aber feste Hierarchie: diejenigen, die neu einzogen, mussten mit den schäbigsten Plätzen vorlieb nehmen. Je zwei Mann teilten sich eine Matratze oder ein Sofa. Das wurde mitunter zu einer recht knirschen Angelegenheit, aber da manche der möblierten Herren bevorzugten, tagsüber zu ruhen und nachts auszuschwärmen, war am Abend die Schlafstatt für den nächsten Kandidaten frei.
Die Fluktuation in unserer WG war erheblich. Es ging zu wie in einem überquellenden Taubenschlag. Nahezu täglich flogen neue Bewohner ein und aus. Ich arbeitete mich im Laufe der Wochen auf einen Frischluftplatz am Fenster vor und bezog schließlich als Krönung ein kleines Nebengelass, das ich nach zwei Monaten alleine bewohnte. In der Mitte des großen Berliner Zimmers stand ein ausziehbarer Holztisch, auf dem sich Zeitungen, Flugblätter, Pfeifen, Tabak, Zigarettenpapier, Gläser, Flaschen und Essensreste türmten. An den Wänden unserer Behausung hingen lebensgroße Seidenbilder von Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao Tse Tung, die der Propagandaversand Guozi Shudian, Postfach 399, Peking/Volksrepublik China gemeinsam mit der wöchentlich erscheinenden »Peking Rundschau« und der knallbunten Monatsillustrierten »China im Bild« in unser Heim schickte und uns von einem sozialistischen Utopia träumen ließ.
Aus heutiger Sicht frage ich mich manchmal, wieso ich Despoten wie Stalin oder Mao in mein Herz schloss, wo ich doch unabhängig, antiautoritär und frei leben wollte. Sie erwiesen sich letztlich als Tyrannen, die hunderttausende Menschen für ihre Ideen opferten. Doch es ging eine enorme Faszination von diesen Leitfiguren aus, sie waren Idole für viele. Ersetzte uns Vorsitzender Mao mit seinem patriarchalischen Gehabe vielleicht den Vater, da wir blutjung von zu Hause ausgebrochen und in die Fremde gezogen waren? Pflanzten die faschistischen Strukturen, die das Dritte Reich in die Hirne unserer Eltern implantierte, sich quasi genetisch fort, so dass wir auf die Suche nach neuen Führern gingen, um Orientierung und Halt zu finden? Oder war es lediglich ein oppositioneller Schulterschluss mit Politgrößen, die von der herrschenden politischen Kaste abgelehnt und zu Feindbildern erklärt wurden?
Es böte Soziologen und Psychologen ein weites Feld, zu ermitteln, welche Parallelen zwischen den Eltern-Kind-Generationen und ihren Idealen bestanden. Vielleicht lässt sich damit sogar ermitteln, ob es tatsächlich so etwas gibt wie den genetisch codierten deutschen Untertanengeist, den Heinrich Mann in seinem Roman »Der Untertan« am Aufstieg und Fall des Diederich Heßling anschaulich beschreibt.
Unsere Informationen über die sozialistischen Superstars jedenfalls waren dürftig und von extremer Einseitigkeit. So schwer es aus heutiger Sicht ist, selbstkritisch zu urteilen, wir irrten in der Wahl unserer Helden, und es gibt keine Entschuldigung dafür, dass wir einen Personenkult pflegten, den wir zugleich nach außen hin heftig bekämpften. »Freiheit ist die Freiheit des Andersdenkenden«, hatte die Sozialistin Rosa Luxemburg gefordert. Aber dieser Gedanke stand nicht unbedingt auf unseren Bannern geschrieben, wenngleich wir diese Freiheit auch und vor allem für uns reklamierten.