Götterdämmerung in Bayreuth: Prinz Rupi konferiert mit Richard Wagner
Foto: © W. R. Frieling
Götterdämmerung in Bayreuth
Gudrun Wagner, die zweite Ehefrau und persönliche Referentin des Bayreuther Festspielleiters Wolfgang Wagner, ist am 28. November 2007 im Alter von 63 Jahren überraschend gestorben. Damit wird die Diskussion um die Nachfolge auf dem Bayreuther »Grünen Hügel« erneut angeheizt.
Gudrun Wagners plötzlicher Tod fällt mitten in die schwelende Debatte um die Nachfolge des gesundheitlich stark angeschlagenen 88jährigen Festspielchefs. Wolfgang Wagner, der einen Vertrag auf Lebenszeit hat und sich mit Klauen und Zähnen an sein Amt klammert, war in den letzten Jahren inhaltlich kaum noch in Erscheinung getreten.
Heimliche Chefin der Bayreuther Festspiele war seine Frau Gudrun, die bei den Proben Anweisungen brüllte und die jeweiligen Regisseure in ihrem künstlerischen Handlungsspielraum grobschlächtig einschränkte. Ihr besonderes Unvermögen bewies die einstige Fremdsprachenkorrespondentin in der Auswahl des künstlerischen Personals. Das führte im Ergebnis zu einem rapiden Imageverlust des Bayreuther Festspielhauses in den letzten Jahren.
Nachdem es Wolfgang Wagner anno 2000 nicht gelungen war, Gattin Gudrun gegen den Stiftungsrat als seine Nachfolgerin zu inthronisieren, konzentrierte sich das Ehepaar darauf, die 1978 geborene Tochter Katharina zur künftigen Chefin aufzubauen. Katharina debütierte in diesem Jahr glücklos mit einer schwachen Inszenierung der 1867 von ihrem Urgroßvater Richard Wagner vollendeten »Meistersinger von Nürnberg« als Regisseurin im Festspielhaus. Sie hat im Verbund mit dem konservativen Dirigenten Christian Thielemann wiederholt ihre Bereitschaft erklärt, die Festspielleitung zu übernehmen.
Doch im 24köpfigen Stiftungsrat war bislang die berechtigte Sorge ausgeprägt, Gudrun Wagner könnte von einer solchen Lösung profitieren und weiter als eigentliche Leiterin der Festspiele tätig sein. Durch ihren Tod werden die Karten über die Nachfolge auf dem Grünen Hügel nun völlig neu gemischt.
Wer auch immer die Nachfolge von Wolfgang Wagner antreten wird, der hat es schwer. Denn der einstige Qualitätsanspruch der Kultbühne, die sich ausschließlich dem Werk Richard Wagners widmet, steht nur noch auf dem Papier. Musikliebhaber zieht es längst nicht mehr wie in früheren Jahrzehnten nach Bayreuth, obwohl es immer noch eine Wartefrist von mehr als zehn Jahren gibt, um auf normalem Weg an die begehrten »Kärtli« zu kommen.
Hinzu kommt der Ansatz, es müsse unbedingt ein Wagner sein, der Bayreuth leitet, als gebe es einen genetischen Code, der jeden Abkömmling mit dem Genie des alten Richard ausrüste. Solange dieser Irrglaube und der daraus resultierende Familienklüngel nicht beseitigt wird, hat Bayreuth keine echte Chance auf eine kreative Weiterentwicklung.
Da derzeit ein lebhaftes Interesse der Blogosphäre am Dada bekundet wird, erlaubt sich die Literaturzeitschrift als kleinen Beitrag, das Eröffnungs-Manifest zum 1. Dada-Abend in Zürich abzudrucken. Der Text stammt von einem der Begründer des Dada, Hugo Ball.
Mehr über Dada findet sich derzeit bei Pocemon,
bei Wildwuchs, im Teppichhaus Trithemius sowie bei Traeumer.
Hugo Ball
1. Dada-Abend
Eröffnungs-Manifest
Dada ist eine neue Kunstrichtung. Das kann man daran erkennen, dass bisher niemand etwas davon wusste und morgen ganz Zuerich davon reden wird. Dada stammt aus dem Lexikon. Es ist furchtbar einfach. Im Franzoesischen bedeutets Steckenpferd. Im Deutschen: Addio, steigt mir bitte den Ruecken runter, auf Wiedersehen ein ander Mal! Im Rumaenischen: ‚Ja wahrhaftig, Sie haben Recht, so ist es. Jawohl, wirklich. Machen wir‘. Und so weiter.
Ein internationales Wort. Nur ein Wort und das Wort als Bewegung. Es ist einfach furchtbar. Wenn man eine Kunstrichtung daraus macht, muss das bedeuten, man will Komplikationen wegnehmen. Dada Psychologie, Dada Literatur, Dada Bourgeoisie und ihr, verehrteste Dichter, die ihr immer mit Worten, nie aber das Wort selber gedichtet habt. Dada Weltkrieg und kein Ende, Dada Revolution und kein Anfang. Dada ihr Freunde und Auchdichter, allerwerteste Evangelisten. Dada Tzara, Dada Huelsenbeck, Dada m’dada, Dada mhm‘ dada, Dada Hue, Dada Tza.
Wie erlangt man die ewige Seligkeit? Indem man Dada sagt. Wie wird man beruehmt? Indem man Dada sagt. Mit edlem Gestus und mit feinem Anstand. Bis zum Irrsinn, bis zur Bewusstlosigkeit. Wie kann man alles Aalige und Journalige, alles Nette und Adrette, alles Vermoralisierte, Vertierte, Gezierte abtun? Indem man Dada sagt. Dada ist die Weltseele, Dada ist der Clou, Dada ist die beste Lilienmilchseife der Welt. Dada Herr Rubiner, Dada Herr Korrodi, Dada Herr Anastasius Lilienstein.
Das heisst auf Deutsch: die Gastfreundschaft der Schweiz ist ueber alles zu schaetzen, und im Aesthetischen kommt’s auf die Norm an.
Ich lese Verse, die nichts weniger vorhaben als: auf die Sprache zu verzichten. Dada Johann Fuchsgang Goethe. Dada Stendhal. Dada Buddha, Dalai Lama, Dada m’dada, Dada m’dada, Dada mhm‘ dada. Auf die Verbindung kommt es an, und dass sie vorher ein bisschen unterbrochen wird. Ich will keine Worte, die andere erfunden haben. Alle Worte haben andere erfunden. Ich will meinen eigenen Unfug, und Vokale und Konsonanten dazu, die ihm entsprechen. Wenn eine Schwingung sieben Ellen lang ist, will ich fueglich Worte dazu, die sieben Ellen lang sind. Die Worte des Herrn Schulze haben nur zwei ein halb Zentimeter.
Da kann man nun so recht sehen, wie die artikulierte Sprache entsteht. Ich lasse die Laute ganz einfach fallen. Worte tauchen auf, Schultern von Worten; Beine, Arme, Haende von Worten. Ay, oi, u. Man soll nicht zuviel Worte aufkommen lasen. Ein Vers ist die Gelegenheit, moeglichst ohne Worte und ohne die Sprache auszukommen. Diese vermaledeite Sprache, an der Schmutz klebt wie von Maklerhaenden, die die Muenzen abgegriffen haben. Das Wort will ich haben, wo es aufhoert und wo es anfaengt.
Jede Sache hat ihr Wort; da ist das Wort selber zur Sache geworden. Warum kann der Baum nicht Pluplusch heissen, und Pluplubasch, wenn es geregnet hat? Und warum muss er ueberhaupt etwas heissen? Muessen wir denn ueberall unseren Mund dran haengen? Das Wort, das Wort, das Weh gerade an diesem Ort, das Wort, meine Herren, ist eine oeffentliche Angelegenheit ersten Ranges.
Zürich, 14. Juli 1916
WELTENDE
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut
In allen Lüften hallt es wie Geschrei
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.
Das Gedicht »Weltende« des genialen Jacob van Hoddis leitete im Januar 1911 die AKTIONSLYRIK ein, die heute als »expressionistische« Lyrik bezeichnet nennt. Ohne van Hoddis wären die meisten »fortschrittlichen« Lyriker unserer Tage undenkbar, meint der Expressionismus-Forscher Paul Raabe, der die wichtigsten Texte des Dichters in einem schmalen Band zusammengestellt hat.
Zwischen 1911 und 1918 wurden die Texte van Hoddis in verschiedenen zeit- und kulturkritischen Zeitschriften wie »Die Aktion«, »Der Sturm«, »Die Fackel«, »Revolution« und »Dada« publiziert.
Dabei erschien das Titelgedicht »Weltende« erstmals am 11. Januar 1911 in der Zeitschrift für freiheitliche Politik und Literatur, »Der Demokrat«. Das Gedicht ist in Inhalt und Stil das berühmteste des Dichters geblieben. In seiner ahnungsvollen Schilderung des Untergangs des Welt nimmt es den Ausbruch des Ersten Weltkrieges vorweg und symbolisiert den Aufbruch der expressionistischen Lyrik seit 1910.
Der expressionistische Lyriker und spätere DDR-Kulturminister Johannes R. Becher schrieb 1957 dazu: »Diese zwei Strophen, o diese acht Zeilen schienen uns in andere Menschen verwandelt zu haben, emporgehoben zu haben aus einer Welt stumpfer Bürgerlichkeit, die wir verachteten und von der wir nicht wussten, wie wir sie verlassen sollten. Diese acht Zeilen entführten uns. Immer neue Schönheiten entdeckten wir in diesen acht Zeilen, wie sangen sie, wir summten sie, wir murmelten sie, wir pfiffen sie vor uns hin, wir gingen mit diesen acht Zeilen auf den Lippen in die Kirchen, und wir saßen, sie vor uns hin flüsternd, mit ihnen beim Radrennen. Wir riefen sie uns gegenseitig über die Strasse hinweg zu wie Losungen, wir saßen mit diesen acht Zeilen beieinander, frierend und hungernd, und sprachen sie gegenseitig vor uns hin, und Hunger und Kälte waren nicht mehr.«
Jakob van Hoddis wurde am 16. Mai 1887 als Hans Davidsohn in Berlin geboren. Nach einem abgebrochenen Architekturstudium an der TU Berlin studierte er Klassische Philologie in Jena und Altphilologie in Berlin. 1908 hält er seine erste öffentliche Lesung und nimmt dazu sein Pseudonym »Jakob van Hoddis« an.
Aufgrund seines unsteten Gemütszustandes wird er am 31.10.1912 zwangsweise in eine Nervenheilanstalt eingewiesen, aus der er kurz darauf nach Paris entflieht. Wieder zurück in Deutschland, wo er am 25. April 1914 letztmalig öffentlich liest, wird der Kranke privat gepflegt und wandert durch verschiedene Kliniken und Heilstätten.
Am 30. April 1942 wird der Dichter von den Nazis deportiert und in einem Massenvernichtungslager in Polen ermordet. Sein genaues Todesdatum ist unbekannt.
WELTENDE: Expressionistische Gedichte