Wagenburgindianer treffen auf Zehlendorfer Schnösel. Foto: ©Neuköllner Oper
In einer Berliner Wagenburg wird feucht-fröhlich Geburtstag gefeiert: Frederik (Aris Sas) wird 21 und damit volljährig. Von seinen vermeintlichen Eltern, dem Punk Rainer (Christoph Reiche) und seiner Mutter Ruth (April Hailer) erfährt er, dass er in Wahrheit ein Waisenkind ist.
Ruth stahl den Säugling in einem Moment äußerster Verwegenheit aus einer Babyklappe in Zehlendorf, wo ihn eine Blondine abgelegt hatte. Mit dieser revolutionären Tat machte sie sich selbst zur Mutter, den impotenten Rainer zum Vater und verschaffte der Wagenburgfamilie frischen Nachwuchs.
Frederik indes will nicht länger im Dreck der Wagenburg leben und sein Leben mit Saufen und dem gelegentlichen Posieren vor Berlin-Touristen verbringen. Er kennt den Kodex der sich als »Piraten« verstehenden Truppe, nach dem ein Volljähriger sein künftiges Schicksal selbst bestimmen kann. Frederik träumt vom Berliner Edelbezirk Zehlendorf, wo alles geordnet und adrett zu sein scheint.
Da kommen drei Discobräute auf das von den Piraten besetzte Brachland, um Kokain zu kaufen. Mabel (Anne Görner) verknallt sich sofort in den langhaarigen Frederic, der ihr wie ein animalischer Wilder aus einer anderen Welt vorkommt und verführt ihn mittels K.o-Tropfen. Auch ihre beiden Schwestern Edith (Dorothea Breil) und Kate (Nini Stadlmann, die zugleich für die Choreographie verantwortlich zeichnet) sind begeistert von dem wilden Leben der Outlaws und würden liebend gern bleiben. Doch Frederik zieht gegen den Willen der Gemeinschaft mit den drei jungen Frauen nach Zehlendorf und in ein vermeintlich besseres Leben. So endet der erste Akt, und die Szene wechselt ins andere soziale Extrem.
Im zweiten Akt hat Frederik sich nämlich voll und ganz in Zehlendorf eingelebt. Inzwischen hat er Mabel geheiratet, und aus dem einstigen Revoluzzer ist ein Spießer geworden. Frederik paktiert sogar mit seinem Schwiegervater, dem Bauunternehmer Igor (Ulrich Lenk), der Besitzer der Brachfläche ist, die Frederiks Ex-Familie besetzt hält und sie ihnen mit List und Gewalt wieder abjagen will.
Eines schönen Tages besuchen Rainer, Ruth und ihre Freunde die Zehlendorfer und fordern Frederic zur Rückkehr auf. Sie eröffnen dem widerspenstigen Jungen, dass er am 29. Februar eines Schaltjahres geboren und damit in Wirklichkeit erst vier Jahre jung sei. Es müsse also noch einige Jahrzehnte warten, bis er 21 werde und sie verlassen dürfen. Als pflichtbewusster Sklave, so auch der historische Originaltitel der komischen Oper »The Pirates of Penzance, or The Slave of Duty«, akzeptiert Frederic ihre Logik und bittet Mabel, auf ihn zu warten.
Im Ergebnis kommt es zu einem possierlichen Auftritt Igors mit umgebundenem Sprengstoffgürtel als Selbstmordattentäter. Frederiks Herkunft wird aufgeklärt, tatsächlich ist er Igors Sohn und Halbbruder der von ihm geehelichten Mabel. Ob nun alles gut wird und die feindlichen Parteien zueinander finden?
Historische Opernvorlage
Regisseur Andreas Gerken und Librettist Andreas Bisowski setzen ihre moderne Erzählung auf eine klassische Oper, die bereits 1879 in New York Premiere hatte. »The Pirates of Penzance, or The Slave of Duty« ist ein Zweiakter, den Arthur Sullivan komponierte und mit dem Originallibretto seines Freundes und Weggefährten William Schwenk Gilbert zu einem enormen Erfolg im gesamten englischsprachigen Raum führte.
Komponist Sullivan bediente sich aus verschiedenen musikalischen Stilrichtungen. Im Song des Bauunternehmers, im Original ist es ein General, imitiert er Schubert. Ein Chorlied zitiert den Zigeunerchor im zweiten Akt von Verdis »Troubadour«. In einem Wechselgesang zwischen Mabel und der Polizei nutzt er die Form des Wechselgesangs des anglikanischen Gottesdienstes.
Der ursprüngliche Titel der Oper war als Scherz angedacht. Unter »Piraten« verstanden Gilbert & Sullivan diejenigen amerikanischen Theaterunternehmer, die mangels eines Urheberrechtsschutzes für Ausländer ohne Rücksicht auf Komponisten und Autoren Stücke klauten und selbst gewinnbringend zur Aufführung brachten. So war es den beiden mit ihrer Oper »H.M.S. Pinafore« zuvor geschehen.
Um den Ideenpiraten zuvor zu kommen, veranstalteten die beiden die Premiere ihres Stückes in New York selbst und verzögerten die Veröffentlichung des Librettos. Sullivan komponierte die Musik in umgekehrter Richtung, er schrieb erst den zweiten Akt, dann die Songs für den ersten Akt. Nachdem er mit seinem Librettisten in New York ankam, um seine Arbeit parallel zu den Proben zu vollenden, bemerkte er erst, dass er seine Noten für den ersten Akt vergessen hatte. Mühsam musste er alles neu schreiben und bediente sich dabei auch aus eigenen Opern.
1980 nahm Joseph Papp, Gründer des New York Shakespeare Festival, das Stück am Broadway wieder auf. Rockröhre Linda Ronstadt brillierte als Mabel, James Belushi, Tim Curry und Kevin Kline traten als Piratenkönige auf.
Die Neuköllner Inszenierung von 2008 ist witzig und temporeich. Bei der Gegenüberstellung extremer Lebensentwürfe entsteht Spannung. Dass dabei tief in die Klischeekiste gegriffen wird, wird durch die mitreißende Musik wettgemacht.
Ausgerechnet Wagners Spätwerk »Parsifal« haben sich vier junge Mimen ausgesucht, um auf Einladung der Neuköllner Oper ein Werk ihrer Wahl zu inszenieren. Richard Wagner selbst bezeichnete sein letztes musikdramatisches Werk als »Bühnenweihfestspiel«, das er seiner Bühne im Bayreuther Festspielhaus weihen wollte.
Kurz gesagt geht es in Wagners »Parsifal« um zwei wundertätige Reliquien: den »Gral« genannten Trinkbecher vom letzten Abendmahl, in dem das Blut Christi am Kreuz aufgefangen, sowie den »Heiligen Speer«, mit dem Jesus am Kreuz seine Seitenwunde beigebracht worden sein soll. Ritter kämpfen um diese Heiligtümer, sie wechseln den Besitzer und sollen von der Gralsgemeinschaft wieder zurück erobert werden. Diesem exklusiven Club gehören jedoch nur keusche Rittersleute an, und so wundert es kaum, dass die Mächte der Gegenseite versuchen, sie mit als Blumenmädchen getarnten wilden Weibern zu verführen. Parsifal, der »durch Mitleid wissende reine Tor«, soll derjenige sein, der die Reliquien zurück holt, damit alles wieder gut wird.
Wagners philosophischer Gedanke war es, mit seinem Stück das in der tiefsten Natur des menschlichen Willens begründete Mitleid als die einzige wahre Grundlage aller Sittlichkeit nachzuweisen. Der Komponist erklärte Mitleid sogar als potenzierten Egoismus, als er schrieb: »dass der Anblick eines fremden Leidens uns selber Schmerz verursache, sollte das Motiv der Aktion des Mitleids sein, nicht aber das fremde Leiden selbst, welches wir eben nur aus dem Grunde zu entfernen suchten, weil damit einzig die schmerzliche Wirkung auf uns selbst aufzuheben war.«
Hier setzt das »Mitleid« betitelte und ebenfalls als »Bühnenweihfestspiel« ausgewiesene Werk der jungen Regisseurinnen Miriam Salevic und Emily Laumanns an. Vier Akteure, die sich als Parsifal, Kundry, Amfortas und Blumenmädchen vorstellen, singen, schauspielern, toben und schlagen Krach. Inmitten zahlloser Insignien der Spiritualität hantieren sie mit Kerzen, Kruzifixen, Marienbildern, Rosenkränzen, saufen Weihwasser aus Einmachgläser und versuchen sich in pantomimischer Darstellung. Das andeutungsweise erklingende Gralsmotiv versucht, einen musikalischen Bogen zu Wagner zu schlagen.
Im schwarzen Habit feiert Parzifal (Roman Lemberg) die Messe des Mitleids, die den Rittern wie dem Erlöser selbst Erlösung bringen soll. Der »durch Mitleid Wissende« versteht sich als Beichtvater und Tröster. Kundry (Ulrike Schwab) macht deutlich, dass es um Mitleid für den Einzelnen gehe, um eine Art Selbstmitleid, an dem sie erkrankt sei und betont damit die bereits von Wagner betonte egoistische Seite des erwarteten Mitleids.
Richard Wagners »Parzifal« ist ein höchst religiöses Stück, das eigentlich nur vor Ostern aufgeführt wird und im dritten und letzten Akt am Karfreitag endet. In der Religiosität wird auch der Schnittpunkt der Neuköllner Inszenierung zum Klassiker deutlich: Ob in der Abendmahlszene (»Der Glaube lebt, die Taube schwebt«) oder auch in den sonstigen zarten Andeutungen zum Original, die sich selbst kundigen Wagnerianern nur mit großem Wohlwollen erschließen, wird mit Devotionalien geworfen und hantiert, um damit wohl ihre tatsächliche Sinnleere zu veranschaulichen. Die Darsteller schreien, ächzen und stöhnen, stülpen sich die Insignien des Glaubens wie leeren Tand über und schimpfen gleichzeitig auf andere Religionen. Dieser Ansatz mag antiklerikal gedeutet werden und enthält vage Andeutungen von Slapsticks. Lustig ist sie jedenfalls nicht. Im Grunde handelt es sich bei der Inszenierung um eine szenische Vorführung mit Geräusch.
Als Amfortas (Martin Gerke) mit Erbarmen« eine der wenigen Arienansätze zum Besten gibt, greift das Gefühl des Mitleids mit den Darstellern ins Publikum über. Denn was die jungen Theaterschaffenden getrieben hat, sich Wagners Bühnenweihfestspiel auszusetzen, bleibt in dem achtzig Minuten langen Stück leider verborgen. Auf der anderen Seite sind der Mut und das Engagement einer blutjungen Truppe zu bewundern, die sich einen extrem schwierigen Stoff gewählt habt, der den Rahmen ihrer Möglichkeiten leider deutlich sprengt.
Nie zuvor hatte die Neuköllner Oper, Berlins innovativstes Musiktheater, in den dreißig Jahren ihres Bestehens eine derart breite PR wie in diesem Fall. Von »BILD« über »Spiegel« bis hin zur »Tagesschau« drängten sich die Berichterstatter in dem kleinen Haus an der Karl-Marx-Strasse, und es mussten aufgrund des Presserummels gleich zwei Premieren veranstaltet werden. Das Schlagwort »Moshammer« löste diesen einzigartigen Run der Journaille aus. Eine »Moshammeroper« sollte es geben, in der das Leben und die Persönlichkeit des exzentrischen Münchener Modezars für die Bühne aufbereitet werden sollte. Dieses Stichwort heizte die Berichterstattung bereits im Vorfeld kräftig an.
Rudolph Moshammer, ein Gesamtkunstwerk nach Münchner Art, sah sich im Lichte des Bayernkönig Ludwigs I. und staffierte sich entsprechend märchenhaft aus. Bekannt wurde der Inhaber einer Boutique in der Maximilianstraße in München sowie des ältesten Restaurants der Stadt, der »Hundskugel« in der Hotterstrasse, durch sein schillerndes Auftreten in der Öffentlichkeit, in der er sich gern mit einer Yorkshire-Hündin zeigte, die auf den Namen »Daisy« hörte. Im Januar 2005 wurde er von einem persischen Lustknaben, den er auf der Strasse anmietete, aus Habgier erdrosselt.
Das Leben Moshammers für die Oper aufzubereiten, ohne in die Gosse oder eine rosa gefärbte Klamotte abzurutschen, scheint schwierig. Ob es der Neuköllner Oper letztlich gelungen ist, daraus ein Thema zu machen, das eine theatralische Deutungsarbeit verdient? An der Beantwortung dieser Frage scheiden sich die Geister. Jedenfalls war »Mosi«, der im Stück nach seinem Vorbild »Ludwig« geheißen wird, eine illustre Figur der Münchener Medien- und Eventgesellschaft, die seinen Lebensstil feierte, sein soziales Engagement für die Schwächsten der Gesellschaft achtete, und dabei seine nächtlichen Eskapaden ins Strichermilieu dezent übersah.
In der mit dem Berliner Opernpreis 2006 ausgezeichneten Kammeroper von Bruno Nelissen (Musik) und Ralph Hammerthaler (Libretto) wird die Handlung um den Protagonisten auf fünf Darsteller reduziert: Der Herrenschneider Ludwig (Hubert Wild), der in mehreren Rollen und zuletzt als Mörder auftretende Markus Vollberg, die Klatschreporterin Klette (Leigh Adoff), Frau von Klunker (Friedrike Harmsen) sowie die Spielfigur Regine Gebhardt hüpfen, laufen, springen und kriechen in elf chronologisch ungeordneten Szenen über einen roten Teppich zwischen Himmelbett und Bühne.
Der Zuschauer erfährt, dass Mosis Vater den Freitod wählte, weshalb sich der Junge den Bayernkönig zum Stiefvater wählte. Als kleiner Schneiderlehrling steckte er sich drei Federn an den Kopf, um kein mausgrauer Schneider zu bleiben. Die Medienwelt, vertreten durch die beiden grellen Damen, meint, Moshammer schulde der Presse seine Bedeutung, während diese ihm die Auflage verdanke. Wir hören, dass die Hauptfigur der »Moshammeroper« sein Hündchen Daisy ein »total verrupftes Vieh« ruft. In seiner Zerrissenheit und auf der Suche nach Nähe treibt es ihn dann, vor allem nach dem Tod der Mutter, ständig in die Stricherszene. Dort kauft er sich Liebe. Schließlich sucht und findet er den Tod.
Musikalisch werden diese Fragmente eines Lebensentwurfs von vier Streichern und einer Trompete unterstützt. Dabei wird auf strukturierte Klangebenen, schmissige Melodien oder gar Ohrwürmer verzichtet. Es ist eher ein schriller Klangteppich, der dem Publikum entrollt wird. Mal singt Ludwig eine seiner Arien im Dialog mit der Trompete, mal tritt er in Wechselgesang mit verzerrten Tonbandstimmen. Schrille Streicher dominieren und zeigen die seelische Auseinandersetzung des Protagonisten auf. Die Musik in der Tradition der Zwölftonmusik Arnold Schönbergs ist karg, klirrend, komatös.
In ihrer bisweilen kakophonischen Spröde verdeutlicht die Musik der »Moshammeroper« das Anliegen des Stückes und transportiert Facetten des Lebens einer höchst widersprüchlichen Persönlichkeit. Das Libretto schafft dies hingegen mit seinen Blitzlichtaufnahmen der angeblichen Wendeschleifen einer Biographie nicht. Zu dürftig ist das, was erzählt und geboten wird. Der Weg Moshammers von ganz unten zum Märchenkönig und Promi-Kasper wird allenfalls angedeutet, keinesfalls hinterfragt.
Vielleicht gibt die Figur Moshammer aber auch zu wenig her, um daraus eine Oper zu machen, die sich über ihre Tagesaktualität als tragfähig erweisen könnte. Moshammer sei noch aus dem Mausoleum heraus für Schlagzeilen gut, meint Autor Ralph Hammerthaler. Das allein reicht leider nicht für eine Kammeroper, die ihre Schlagzeilen redlich verdient.
Fotostrecke der WELT:
http://www.welt.de/kultur/article1075556/Moshammer_-_die_Oper_.html
Kristin und Mark wünschen sich ein Kind. Auf natürlichem Wege klappt es zwischen der Powerfrau und dem Systemadministrator jedoch nicht. Er meint, sie sollten häufiger miteinander schlafen, sie meint, er solle mal einen Arzt konsultieren.
Der Haussegen hängt schief, da hören sie von »Childlike Creatures« und kaufen sich von dieser Firma ein Kind.
»Childlike Creatures« ist der weltweit führende Hersteller bioidentischer Kinder, die nach den Ansprüchen der Auftraggeber individuell programmiert werden. Kristin (Juliane Dreyer) und Mark (Sebastian Smulders) entscheiden sich für einen niedlichen Jungen namens Pino (Andreas Röder), den sie mit nach Hause nehmen. Das Eheglück scheint gerettet, und doch kommt alles anders als geplant.
Der frisch gebackene Sohn wird auf Papa und Mama programmiert, damit er sich auch zugehörig fühlt und die gewünschten emotionalen Reaktionen zeigt. Leider muss Mama bereits am ersten Abend wieder ins Büro und überlässt das jammernde Kind dem Herrn Papa, der es genervt zum Schlafe bettet. Darauf springt Mark an seinen Computer und bestellt sich Kitten (Camilla Kallfaß) zwecks Entspannung für ein Schäferstündchen ins traute Heim. Der Lärm der beiden Liebenden weckt das Kind auf. Er sieht, dass sich Papa und die Dame »lieben«, während Papa sich mit der vorherigen »Mama« stritt und hält konsequent Kitten für seine wahre Mutter.
Es entwickelt sich nun eine herrliche Komödie der Irrungen und Wirrungen. Pino geht auf die Suche nach seiner vermeintlichen Mama Kitten und landet in dem Amüsierbetrieb von King (Lars Redlich) und Fox (Martin Kluntke). Die Luden wittern ein Geschäft und wollen den Knaben gegen »Finderlohn« zurückgeben. Aber wollen die Eltern noch einmal für das offenbar fehlerhaft programmierte Blag bezahlen? Wie gut, dass »Childlike Creatures« mit Felicity (Jeanette Claßen) eine Spezialkraft einsetzt, die solche Probleme professionell lösen kann
Mit »Kauf Dir ein Kind« zeigt die Neuköllner Oper wieder eine Produktion von Peter Lund, der dort zuletzt mit »Maja & Co« Begeisterungsstürme hervorgerufen hatte. Lund hat die Berliner Off-Road-Oper wesentlich geprägt und ihr mit Stücken wie »Das Wunder von Neukölln«, »Die Krötzkes«, »Elternabend« und vielen anderen ein unverwechselbares Gepräge geschaffen. Die Musik des neuen Musicals stammt von Thomas Zaufke, der es versteht, eingängige Melodien zu schaffen, die das Talent zu Ohrwürmern haben.
Das Stück ist äußerst temporeich choreographiert (Neva Howard). Die Geschwindigkeit der Gags, Tanz- und Gesangseinlagen macht aus dem viele ernste Themen wie Genmanipulation und Kindesmissbrauch berührenden Musical eine Komödie, auf der ein Lacher den nächsten jagt. Damit zieht eine professionelle Glätte bei der Neuköllner Oper ein, die der alternativen Spielstätte ein wenig von ihrem einstigen Charme nimmt, der auch durch Brüchigkeit und Improvisation geprägt war.
»Kauf Dir ein Kind« ist eine hoch professionelle Produktion, die als Arbeit für die Drittsemester der Universität der Künste Berlin, Studiengang Musical/Show entstand, es aber locker mit jeder anderen Musicalproduktion aufnehmen kann. Mit der gestrigen Uraufführung wurde gleich noch ein zehnjähriges Jubiläum gefeiert. Seit 1997 kooperiert Berlins viertes Opernhaus mit dem Studiengang Musical/Show an der Universität der Künste, bei der Lund eine Professur hat.
Wenn dass Leben bröckelt, und die Vergesslichkeit alles in weiße Watte hüllt, dann reduziert sich das Dasein auf Reste, auf Trümmer, auf Fragmente. Die »Neuköllner Oper« thematisiert mutig die Problematik Alzheimer und bringt sie in einer Kammeroper auf die Bühne. Betroffene und ihre Angehörigen irren durch ein »Niemandsland«, und so lautet denn auch der Titel der neuesten Produktion.
Die Zuschauer sitzen in einem aufgeschnittenen Gehäuse, das mit Möbeln der 60er Jahre ausstaffiert ist. Spüle, Kochnische, Schränke, Klappcouch, Doppelbett, Fernseher drängen sich auf engstem Raum und erwecken einen verwahrlosten Eindruck. Es ist die Wohnhöhle des an Alzheimer erkrankten Vaters (Eckhart Strehle), der ziellos durch das Ensemble irrt und gelegentlich wie ein Kleinkind aufbegehrt. Er sucht seine vor fünfzehn Jahren in den Freitod gegangene Frau und glaubt gelegentlich immer noch, er betreibe einen kleinen Gasthof.
Am Küchentisch versucht Sohn Georg (Alexander Mildner) verzweifelt, Rechnungen und andere Briefe zu sortieren, um das soziale Leben des Schwerkranken zu ordnen. Er kümmert sich um den Vater, er kleidet ihn, füttert ihn und versucht, ihn zu beruhigen. Zu den beiden stößt der verstoßene Sohn Sebastian (Michael Johannes Berner), ein Pianist. Im elektrisierten Aufeinanderprallen des Trios entsteht das Bild einer Familie, in der nahezu alles schief gelaufen ist.
»Niemandsland« ist wie ein Theaterstück inszeniert. Dramaturgisch geschickt wird mit Stimmen aus dem Off gearbeitet, die jeweils die inneren Gedanken der Akteure preisgeben. Im Kopf des Vaters fetzen Bruchstücke der Erinnerung, die er aber nicht mehr ausdrücken kann. Auch bei den Söhnen sind Gedanken und Äußerungen selten synchron. Die Drei versuchen zwar, sich umständlich einander anzunähern, doch es gelingt ihnen nicht. Aus dem Niemandsland gibt es kein Entrinnen.
Musikalisch ist das Thema der Kammeroper raffiniert gelöst. Mit expressivem Schlagwerk, Vibraphon und Marimbaphon unterstreicht Perkussionist Olaf Taube die starke Emotionalität des Themas und drückt die Dissonanz der Charaktere schlagfertig aus. Mit Hilfe von diversen Schlag- und Effektinstrumenten erzeugt er einen Klangteppich, der dem anspruchsvollen Thema voll entspricht.
Mit Winfried Radekes »Niemandsland« knüpft die »Neuköllner Oper«, die in Erinnerung an ihre gleichnamige Spitzenproduktion vor acht Jahren gern als »Wunder von Neukölln« bezeichnet wird, wieder an ihre starken Traditionen an. Fazit: Unbequemes Thema, großartige Umsetzung.
Der Musiker, Komponist und Kapellmeister Sergej Rachmaninow (1873 1943) war gerade achtzehn Jahre, als er im Rahmen seines Studienabschlusses seine erste Oper komponierte. Er stützte sich auf einen Text des russischen Dichters Puschkin und schrieb den Einakter »Aleko«. Dabei handelt es sich um eine Geschichte aus dem Zigeunermilieu voller Liebe, Leidenschaft und Tod im Stil der kurz zuvor uraufgeführten sizilianischen Bauernoper »Cavalleria rusticana«. Die Prüfungskommission begeisterte das Ergebnis derart, dass sie ihm hierfür Bestnoten und Anerkennungen verlieh. Uraufgeführt am 27. April 1893 im Moskauer Bolschoi-Theater legte die Oper den Grundstein für Rachmaninows spätere Karriere. Am gestrigen Abend erlebte die Kurzoper in einer Fassung von Bernhard Glocksin und Andreas Nathusius ihre Premiere in Berlins »Neuköllner Oper«.
Aleko will ein Aussteiger sein. Er träumt von Freiheit und Abenteuer und bricht ebenso heftig rauchend wie weiland der Marlboro-Mann auf, um der »bürgerlichen Scheiße« zu entfliehen. Sein Heil sucht der junge Mann in einem Zigeunerlager, wo er seinen Traum vom ungebundenen Nomadenleben verwirklichen möchte. Er lebt dort mit seiner Braut Zemfira, die er in einem rauschenden Fest ehelichen möchte. Aleko engagiert eine Zigeunerkapelle und lässt Schnaps und Bier auffahren.
Gäste kommen und bringen Geschenke: Toaster, Pizzaöfen, Kaffeemaschinen und Thermoskannen werden als Wohlstandsymbole überreicht. Dann braust die Feier los. Doch die Braut scheint einen anderen Freiheitsbegriff zu haben als der Bräutigam und lässt sich mit einem weiteren Mann ein. In Alekos Augen bricht sie damit ihren Treueschwur. Im Blutrausch erschießt er ihren Liebhaber und dann das Mädchen: »Der Morgen wird grausame Taten verkünden « Die Gemeinschaft der Zigeuner verstößt ihn aus ihrer Mitte, verzichtet aber auf Rache.
Es geht um das sensible Thema »Zigeuner«, das in knallbunten Klischees inszeniert wird. Die experimentierfreudige »Neuköllner Oper« versteckt sich hinter der Figur des Aleko, der angeblich das Theater gemietet habe, um seine Oper aufzuführen. Denn das Thema bietet Zündstoff. Darf man in Deutschland überhaupt eine Oper über Zigeuner zeigen? Ist es gestattet, den Begriff in den Mund zu nehmen, oder muss man dazu selbst Sinti oder Roma sein? Es hat sich ja im Zuge der »political correctness« in deutschen Landen eingebürgert, dass nur Angehörige der jeweiligen Betroffenen Beiträge zum Thema leisten dürfen, und es entsteht schnell ein falscher Verdacht.
Die Inszenierung der »Neuköllner Oper« ist ein schüchterner Versuch, sich dem Thema zu nähern. Ein echter Diskussionsbeitrag ist sie leider nicht. Es ist natürlich einzigartig, den kaum gespielten Rachmaninow-Einakter hören zu können. Vor allem die Kapelle unter Winfried Radeke ist ein Ohrenschmaus. Doch auf der Bühne zündet es nicht, und so springt auch kein Funke ins Publikum über. Zu angestrengt wirken die Sänger, es fehlt ihnen spürbar die Leichtigkeit, ihre Rollen zu füllen. So bleibt im Ergebnis des Premierenabends die Frage im Raum, welchen Zugang der Betrachter zum Stück finden kann.
Durch einen Zufall entdeckte Arnold Hunke, Stadtarchivar der Stadt Dillenburg an der Lahn, am 3. Juni 2003 in einer Kiste ein Konvolut Noten, das sich als ein bisher verschollenes Werk des Komponisten Jacques Offenbach aus dem Jahre 1858 herausstellte. Die aus zwölf Musiknummern bestehende Komposition heißt »L´Abeille Maya« (»Die Biene Maja«). Inzwischen wurde das summende und brummende Stück von der »Neuköllner Oper« in Berlin uraufgeführt. HIER geht es weiter →