Ausgerechnet Wagners Spätwerk »Parsifal« haben sich vier junge Mimen ausgesucht, um auf Einladung der Neuköllner Oper ein Werk ihrer Wahl zu inszenieren. Richard Wagner selbst bezeichnete sein letztes musikdramatisches Werk als »Bühnenweihfestspiel«, das er seiner Bühne im Bayreuther Festspielhaus weihen wollte.
Kurz gesagt geht es in Wagners »Parsifal« um zwei wundertätige Reliquien: den »Gral« genannten Trinkbecher vom letzten Abendmahl, in dem das Blut Christi am Kreuz aufgefangen, sowie den »Heiligen Speer«, mit dem Jesus am Kreuz seine Seitenwunde beigebracht worden sein soll. Ritter kämpfen um diese Heiligtümer, sie wechseln den Besitzer und sollen von der Gralsgemeinschaft wieder zurück erobert werden. Diesem exklusiven Club gehören jedoch nur keusche Rittersleute an, und so wundert es kaum, dass die Mächte der Gegenseite versuchen, sie mit als Blumenmädchen getarnten wilden Weibern zu verführen. Parsifal, der »durch Mitleid wissende reine Tor«, soll derjenige sein, der die Reliquien zurück holt, damit alles wieder gut wird.
Wagners philosophischer Gedanke war es, mit seinem Stück das in der tiefsten Natur des menschlichen Willens begründete Mitleid als die einzige wahre Grundlage aller Sittlichkeit nachzuweisen. Der Komponist erklärte Mitleid sogar als potenzierten Egoismus, als er schrieb: »dass der Anblick eines fremden Leidens uns selber Schmerz verursache, sollte das Motiv der Aktion des Mitleids sein, nicht aber das fremde Leiden selbst, welches wir eben nur aus dem Grunde zu entfernen suchten, weil damit einzig die schmerzliche Wirkung auf uns selbst aufzuheben war.«
Hier setzt das »Mitleid« betitelte und ebenfalls als »Bühnenweihfestspiel« ausgewiesene Werk der jungen Regisseurinnen Miriam Salevic und Emily Laumanns an. Vier Akteure, die sich als Parsifal, Kundry, Amfortas und Blumenmädchen vorstellen, singen, schauspielern, toben und schlagen Krach. Inmitten zahlloser Insignien der Spiritualität hantieren sie mit Kerzen, Kruzifixen, Marienbildern, Rosenkränzen, saufen Weihwasser aus Einmachgläser und versuchen sich in pantomimischer Darstellung. Das andeutungsweise erklingende Gralsmotiv versucht, einen musikalischen Bogen zu Wagner zu schlagen.
Im schwarzen Habit feiert Parzifal (Roman Lemberg) die Messe des Mitleids, die den Rittern wie dem Erlöser selbst Erlösung bringen soll. Der »durch Mitleid Wissende« versteht sich als Beichtvater und Tröster. Kundry (Ulrike Schwab) macht deutlich, dass es um Mitleid für den Einzelnen gehe, um eine Art Selbstmitleid, an dem sie erkrankt sei und betont damit die bereits von Wagner betonte egoistische Seite des erwarteten Mitleids.
Richard Wagners »Parzifal« ist ein höchst religiöses Stück, das eigentlich nur vor Ostern aufgeführt wird und im dritten und letzten Akt am Karfreitag endet. In der Religiosität wird auch der Schnittpunkt der Neuköllner Inszenierung zum Klassiker deutlich: Ob in der Abendmahlszene (»Der Glaube lebt, die Taube schwebt«) oder auch in den sonstigen zarten Andeutungen zum Original, die sich selbst kundigen Wagnerianern nur mit großem Wohlwollen erschließen, wird mit Devotionalien geworfen und hantiert, um damit wohl ihre tatsächliche Sinnleere zu veranschaulichen. Die Darsteller schreien, ächzen und stöhnen, stülpen sich die Insignien des Glaubens wie leeren Tand über und schimpfen gleichzeitig auf andere Religionen. Dieser Ansatz mag antiklerikal gedeutet werden und enthält vage Andeutungen von Slapsticks. Lustig ist sie jedenfalls nicht. Im Grunde handelt es sich bei der Inszenierung um eine szenische Vorführung mit Geräusch.
Als Amfortas (Martin Gerke) mit Erbarmen« eine der wenigen Arienansätze zum Besten gibt, greift das Gefühl des Mitleids mit den Darstellern ins Publikum über. Denn was die jungen Theaterschaffenden getrieben hat, sich Wagners Bühnenweihfestspiel auszusetzen, bleibt in dem achtzig Minuten langen Stück leider verborgen. Auf der anderen Seite sind der Mut und das Engagement einer blutjungen Truppe zu bewundern, die sich einen extrem schwierigen Stoff gewählt habt, der den Rahmen ihrer Möglichkeiten leider deutlich sprengt.