Auf der Bühne der Deutschen Oper Berlin geht es farbenprächtig zu: vor der Kulisse einer spanischen Stadt prallen ein Straßenkreuzer und ein Traktor mit gewaltigem Anhänger aufeinander. Dieser Anhänger wird zur Wanderbühne auf der Bühne und bildet das Wohnhaus der schönen Rosina ab, die dort unter den strengen Blicken ihres Vormunds haust.
Um diese innere Bühne herum wird fortan zweieinhalb Stunden lang gejuchzt und gejubelt. Neugierige Nonnen zwitschern umher, Hippies und Bänkelsänger musizieren, Soldaten paradieren, es blitzt, zischt und knallt. Heteros und Homos in Badekleidung herzen sich, eine tätowierte Nackte duscht, Kleinkindern werden derweil von besorgten Müttern die Augen zugehalten.
Über allem schwebt wie ein Irrwisch die Regisseurin durchs Bild, mal schwingt sie einen gewaltigen Hammer, mal streut sie aus einem Füllhorn Glimmer über das Bühnenvolk: Katharina Thalbach führt zum zweiten Mal Regie an der Deutschen Oper Berlin. Vor Jahren schuf sie dort mit Leos Janaceks Das schlaue Füchslein ein wundervolles Aufeinandertreffen von Schnecken, Würmern und Käfern, die am Bühnenvorhang zum Himmel empor krabbelten und im Försterwald einen Augenschmaus zelebrierten. Ähnlich lebendig präsentiert sie jetzt auch ihren Barbier von Sevilla“ als verschwenderisches Feuerwerk. Im Stil eines Broadway-Musicals geht es ihr offensichtlich weniger um Regiearbeit und die ausgefeilte Entwicklung der Charaktere als um viel Sinnenfreude beim Spielen, Singen und Musizieren.
Nun wird dieser Ansatz durch den Charakter der Opera Buffa unterstützt. Denn bei Rossini geht es Commedia-dell´arte-mäßig darum, ein hübsches Mädchen aus den Händen eines geldgierigen Greises zu reißen. Dazu tritt ein junger und schöner (natürlich blaublütiger) Verehrer auf, der sich mit Hilfe eines käuflichen Figaros (strahlt auf mich der Blitz des Goldes) in ihr Herz singt, um sie schließlich unter Mitwirkung eines bestechlichen Notars zu ehelichen. Der Stoff bietet damit ideale Voraussetzungen, um Thalbachs komödiantisches Talent voll zu entfalten, und die Spielfreude springt erkennbar auch in den Graben über, denn das Orchestern der Deutschen Oper unter Enrique Mazzola musiziert mit seltener Ausgelassenheit.
Der Barbier von Sevilla ist nun eine der wenigen Opern, die dem Bariton Gelegenheit gibt, sich voll zu entfalten. Markus Brück interpretiert den Schaum schlagenden Coiffeur bravourös. Lawrence Brownlee als Graf Almaviva, Verehrer der anmutigen Rosina (Jana Kurucová), spielt seine schwarze Hautfarbe als Vorteil aus und gibt den Galan als weltgewandtem Showstar mit weißem Anzug und Schlapphut, der es bei allem mimischen Talent jedoch stimmlich schwer über den Graben hinweg schafft.
Im Ergebnis ist Thalbachs Barbier von Sevilla“ ein anarchistisches Vergnügen, das in der ansonsten innovationsfeindlichen Deutschen Oper Berlin empörte Buhrufe der traditionellen Klientel ebenso provoziert wie Begeisterungsstürme derjenigen, die sich Neuerungen und Experimenten gegenüber aufgeschlossen zeigen.
(Diese Kritik bezieht sich nicht auf die Premiere sondern auf die Vorstellung vom 06.2.2009, da der Pressesprecher der Dt. Oper Berlin, Felix Schnieder-Henninger, sich ganz im Gegensatz zu anderen Opernhäusern betont ablehnend gegenüber neuen Medien wie dem Opern-Blog verhält.)