Mit einem musikalisch mitreißenden Monteverdi-Mix eröffnete die Berliner Staatsoper Unter den Linden am Wochenende die diesjährigen Barocktage. Seit elf Jahren stellt die Lindenoper in einem eigenen Festival szenische Aufführungen von Opern und Oratorien der vorklassischen Literatur vor. 1996 als »Wochen der Alten Musik« mit der Oper »La Calisto« von Franceso Cavalli eröffnet, werden seitdem unter der musikalischen Leitung von René Jacobs mit Musikern, Choristen und Gesangsolisten, die als Spezialisten für Alte Musik Rang und Namen haben, ein bis zwei Neuproduktionen pro Saison realisiert.
So entstand in Berlins Oper Unter den Linden der Spielplan 2007: Ein Entscheidungsträger der Berliner Staatsoper wollte unbedingt Monteverdis »Marienvesper« auf die Bühne bringen. Er suchte dazu einen prominenten Regiestar und verpflichtete den derzeit bei der »Schaubühne« aktiven Flamen Luk Perceval. Der hört sich die erzkatholische Musik an und lässt sich darauf ein, obwohl er mit der Kirche wenig am Hut hat (Markenzeichen des Meisters: Hut mit Fliegerbrille).
Dem Regisseur erscheint es zu banal, Claudio Monteverdis drei Jahre nach seiner Richtung weisenden Oper «LOrfeo» 1610 komponierte »Marienvesper« so darzubringen, wie sie geschrieben und gedacht wurde: als Sakralwerk, das bis heute in der gesamten Geschichte der geistlichen Musik ohne Parallelen ist. Er zerhackt die zu Ehren der Jungfrau Maria komponierte Messe und montiert in fünf Teilen Monteverdis 1624 geschriebenes Bühnenwerk »Kampf von Tancredi und Clorinda« dazwischen. Inhaltlich geht es bei letzterem um den Kampf zwischen dem Kreuzritter Tancredi und der ungläubigen Sarazenin Clorinda, die von ihm zwar getötet, doch zuvor noch getauft wird, damit sie in den Christenhimmel kommt.
In einer stummen Prozession ziehen dazu Musiker, Sänger und Komparsen in luftiger Sommerkleidung auf die Bühne und erklimmen eine fünfstöckige Balkonkonstruktion, auf der sie in den nächsten zwei Stunden erst himmelhoch verharren, um sich dann langsam in Bewegung zu setzen und auf leisen Sohlen umher zu streifen. Denn hier greift die zentrale Regieidee, die als »Frau in Weiß« auf den Namen Nathalie Hünermund hört.
Frau Hünermund ist die Augenweide der Veranstaltung, eine schokoladenbraune Schönheit mit langen schwarzen Haaren, »schön wie Jerusalem«, um es mit Monteverdi zu sagen. Die stumme Hauptdarstellerin zieht ihre Bahnen, schmiegt sich an Musiker, Sänger und Komparsen und steigt schließlich mit katzenhafter Eleganz splitterfasernackt durch das Stiegenhaus »in den Himmel« auf. Sie soll so etwas wie die jungfräulich reine Seele darstellen. Andere Komparsen fühlen sich inspiriert und marschieren ebenso munter umher: bald pendeln alle zwischen Marienanbetung und Zweikampf.
Bei derartigen Regieeinfällen empfiehlt es sich, die Augen zu schließen und einfach nur zuzuhören, sagen alt gediente Opernleute. Denn das Große und Einzigartige an der Aufführung ist die sakrale Musik, und das macht sie auch unbedingt empfehlenswert. Es sind wahrhaft himmlische Klänge, die René Jacobs den Solisten, der Akademie für Alte Musik Berlin, dem Concerto Vocale sowie dem Vocalconsort Berlin entlockt. Stimmen steigen wie Lerchen in die Lüfte und machen damit deutlich, welche Macht Monteverdis Musik über ihre Zuhörer gewinnen kann.
Im Ergebnis präsentierte die Lindenoper eine kühne und auch durch hochintellektuelle Erklärungen der Dramaturgie unerklärlich bleibende Mixtur zweier unterschiedlicher Werke, die schon aufgrund ihrer musikalischen Kraft besser getrennt geblieben wären. Insofern bleibt trotz aller Begeisterung für die faszinierende Musik des »Opernerfinders« Monteverdi ein zwiespältiger Einruck zurück.