Der Musiker, Komponist und Kapellmeister Sergej Rachmaninow (1873 1943) war gerade achtzehn Jahre, als er im Rahmen seines Studienabschlusses seine erste Oper komponierte. Er stützte sich auf einen Text des russischen Dichters Puschkin und schrieb den Einakter »Aleko«. Dabei handelt es sich um eine Geschichte aus dem Zigeunermilieu voller Liebe, Leidenschaft und Tod im Stil der kurz zuvor uraufgeführten sizilianischen Bauernoper »Cavalleria rusticana«. Die Prüfungskommission begeisterte das Ergebnis derart, dass sie ihm hierfür Bestnoten und Anerkennungen verlieh. Uraufgeführt am 27. April 1893 im Moskauer Bolschoi-Theater legte die Oper den Grundstein für Rachmaninows spätere Karriere. Am gestrigen Abend erlebte die Kurzoper in einer Fassung von Bernhard Glocksin und Andreas Nathusius ihre Premiere in Berlins »Neuköllner Oper«.
Aleko will ein Aussteiger sein. Er träumt von Freiheit und Abenteuer und bricht ebenso heftig rauchend wie weiland der Marlboro-Mann auf, um der »bürgerlichen Scheiße« zu entfliehen. Sein Heil sucht der junge Mann in einem Zigeunerlager, wo er seinen Traum vom ungebundenen Nomadenleben verwirklichen möchte. Er lebt dort mit seiner Braut Zemfira, die er in einem rauschenden Fest ehelichen möchte. Aleko engagiert eine Zigeunerkapelle und lässt Schnaps und Bier auffahren.
Gäste kommen und bringen Geschenke: Toaster, Pizzaöfen, Kaffeemaschinen und Thermoskannen werden als Wohlstandsymbole überreicht. Dann braust die Feier los. Doch die Braut scheint einen anderen Freiheitsbegriff zu haben als der Bräutigam und lässt sich mit einem weiteren Mann ein. In Alekos Augen bricht sie damit ihren Treueschwur. Im Blutrausch erschießt er ihren Liebhaber und dann das Mädchen: »Der Morgen wird grausame Taten verkünden « Die Gemeinschaft der Zigeuner verstößt ihn aus ihrer Mitte, verzichtet aber auf Rache.
Es geht um das sensible Thema »Zigeuner«, das in knallbunten Klischees inszeniert wird. Die experimentierfreudige »Neuköllner Oper« versteckt sich hinter der Figur des Aleko, der angeblich das Theater gemietet habe, um seine Oper aufzuführen. Denn das Thema bietet Zündstoff. Darf man in Deutschland überhaupt eine Oper über Zigeuner zeigen? Ist es gestattet, den Begriff in den Mund zu nehmen, oder muss man dazu selbst Sinti oder Roma sein? Es hat sich ja im Zuge der »political correctness« in deutschen Landen eingebürgert, dass nur Angehörige der jeweiligen Betroffenen Beiträge zum Thema leisten dürfen, und es entsteht schnell ein falscher Verdacht.
Die Inszenierung der »Neuköllner Oper« ist ein schüchterner Versuch, sich dem Thema zu nähern. Ein echter Diskussionsbeitrag ist sie leider nicht. Es ist natürlich einzigartig, den kaum gespielten Rachmaninow-Einakter hören zu können. Vor allem die Kapelle unter Winfried Radeke ist ein Ohrenschmaus. Doch auf der Bühne zündet es nicht, und so springt auch kein Funke ins Publikum über. Zu angestrengt wirken die Sänger, es fehlt ihnen spürbar die Leichtigkeit, ihre Rollen zu füllen. So bleibt im Ergebnis des Premierenabends die Frage im Raum, welchen Zugang der Betrachter zum Stück finden kann.