Darf man ein Buch lediglich für einen einzigen Leser schreiben, der es dann möglicherweise für immer unter Verschluss hält? – Wolf Wondratschek (* 14. August 1943) darf es. Oder besser gesagt: Er tut es einfach, weil es ihm Spaß macht. Mit seinem Coup löst der James Dean der deutschen Poesie erbitterte Diskussionen im Netz aus.
Autor Markus Walther findet es »irgendwie dekadent«. Buch-Bloggerin Daphne Buchundmoor hingegen zieht den Hut: »Genial gelöst! Er hat jetzt Geld in der Kasse und weiß, wer nach seinem Ableben die Rechte an seinem Werk besitzt!« Self-Publisherin Patrizia Prudenzi bewundert den Mut, weil ein Autor »doch ein Publikum haben« will. Der Schweizer Designer Chris Hoefliger ahnt: »Vielleicht kommt eine Zeit, in der wir Wondratscheks Werke aufgehängt im Museum bestaunen dürfen«.
Michael Lang, langjähriger Chefredakteur von »Markt und Technik«, kritisiert, dass mit dem Verkauf an eine einzelne Person zwei wesentliche Aspekte eines literarischen Werks geändert werden: »Das Objekt wird mit der allgemeinen Nichtverfügbarkeit als Unikat (besonders im Kunstmarkt) früher oder später ein Spekulationsobjekt … Als Spekulationsobjekt wird aber auch sein Inhalt der Allgemeinheit entzogen/vorenthalten. Das wiederum ist eigentlich ein großer Schritt zurück im Literaturverständnis. Mich verwundert diese fast schon reaktionäre Handlungsweise besonders bei einem Autor, wie Wondratschek umso mehr, als er in den 60ern und 70ern noch groß über eine Demokratisierung der Literatur tönte«.
Die Szene faucht! – Was ist geschehen?
Wolf Wondratschek, einer der unkonventionellsten Autoren deutscher Sprache, hat seinen neuen Roman »Selbstbild mit Ratte« an einen einzigen Leser verkauft. Ein Senior Consultant einer Unternehmensberatung hat tief in die Tasche gegriffen. Nach Schätzungen des Züricher »Tagesanzeiger« legte er 40.000 Euro auf den Tisch, um das Manuskript sein eigen nennen zu dürfen. So wie sich andere Gemälde eines Malers kaufen und an die Wohnzimmerwand hängen, kaufte er sich ein Manuskript.
Wondratschek begann als Self-Publisher
Für Wondratschek ist sein neuester Coup Methode. Vor einem halben Jahrhundert begann er als Self-Publisher. Er zog durch die Hallen der Frankfurter Buchmesse und offerierte ein privat gedrucktes Bändchen mit Gedichten. »Die haben mich angestarrt und aus Barmherzigkeit ein Exemplar für fünf Mark abgekauft«, erzählt der Dichter heute. Kein Jahr später waren dieselben Gedichte Bestseller. »Chucks Zimmer« war der für lange Zeit meistgekaufte Gedichtband. 300.000 Exemplare wurden abgesetzt.
Mit dem unter alternativen Buchliebhabern hoch angesehen Vertrieb »Zweitausendeins« verkaufte Wondratschek bald darauf seine Bücher in hohen Auflagen am Buchhandel vorbei direkt an das interessierte Publikum.
Wondratschek fordert Gold für ein Gedicht
Bald öffneten sich die Türen angesehener Verlage. Diogenes-Verleger Daniel Kehl veröffentlichte einige seiner Werke trotz geforderter Vorauszahlungen, die sich kaum einspielen ließen. Als Wondratschek, der angeblich kein Interesse an Geld hatte, für »Carmen oder Bin ich das Arschloch der achtziger Jahre« von Kehl mit einer Kiste Gold entlohnt werden wollte, kam es zum Krach.
Doch der Autor blieb auf Erfolgskurs. Nach einer Lesung aus seinem symphonischen Gedicht »Carmen« im Münchner Marstall traf er in der einstigen Schwabinger Szene-Kneipe »Romagna Antica« Filmemacher Bernd Eichinger. Der von dem Text begeisterte Starregisseur schickte seinen Chauffeur los, der kam nach einer halben Stunde mit einem Briefumschlag voller Geldscheine wieder. Eichinger wollte unbedingt dieses Gedicht haben. Er veröffentlichte es später in einer nummerierten und vom Autor signierten Vorzugausgabe in 280 Exemplaren (siehe Abbildung), bevor der Text als Taschenbuch erschien.
Wondratschek: Außenseiter mit Humor
Mit seinem Coup, »Selbstbild mit Ratte« an einen einzigen Leser zu veräußern, bewies sich Wolf Wondratschek erneut als Unikum der Verlagsszene. Der Autor versteht es meisterhaft, mit ungewöhnlichen Aktionen für Schlagzeilen zu sorgen und auf sich aufmerksam zu machen. Gleichzeitig liefert er höchste literarische Qualität und hat auch noch viel Spaß dabei.
Bezeichnend für den Humor, den der Außenseiter des Buchmarkts an den Tag legt, dürft seine »amtliche Verlautbarung« aus »Früher begann der Tag mit einer Schusswunde« sein. Damit erläutert er kongenial den Umgang mit den Begriffen »Wertsack«, »Wertbeutel«, »Versackbeutel« und »Wertpaketsack«. Noch heute glauben viele, der Mustertext für Beamtendeutsch sei ein amtliches Dokument der Deutschen Bundespost.
Ich habe mich auf YouTube an dem herrlichen Text versucht:
Ich steh auch auf Wondratschek.
Und auf die Schreibe von Frieling.
Eine gelungene Kombination.
Bei beiden gilt nicht sex sells, sondern
Text sells!
Pingback: Janina Venn-Rosky: „Milliardärs-Romanzen schreibe ich nicht“
Pingback: Brunopolik – Scheitern als Teil der Kunstproduktion?