Weihnachtspost in Zeiten der Corona-Pandemie
Live-Bericht von Prinz Rupi
Anno 2020 verfügten wir über mehr Zeit denn je, und – dennoch oder vielleicht deswegen – hatte ich nicht mitbekommen, wie mit der Geschwindigkeit eines Asteroiden das Weihnachtsfest heranstürmte. Geschenke zusammentragen, verpacken und expedieren? Das hätte längst erledigt sein müssen.
Coronare Uhren ticken anders: Das Hamsterrad steht still, es geht gemächlicher und unaufgeregter zu. Ich schiebe alles auf die lange Bank, und gehe erst zwei Tage vor Weihnachten entspannt zur Post. Die haben mich bisher stets rausgehauen in Sachen Termintreue, warum sollte es ausgerechnet 2020 anders sein?
Warnungen vor kilometerlangen Warteschlangen trug ich im Gepäck. – Wartezeiten? – Kümmert mich nicht! Ich lebe doch in einem besseren Berliner Bezirk!
Nachdem der Empfangschef des Supermarkts meiner Karosse bereits in der Tiefgarage des Filialgeschäfts entgegengekommen war, eilten zwei kleinwüchsige livrierte Pagen herbei. (Nein, sie waren nicht stark pigmentiert, falls wer fragt.) Sie entluden meine Weihnachtspost, schulterten klaglos Briefe, Päckchen und Pakete und trugen alles, präsidiert vom würdigen Zerberus, ins Erdgeschoss des Lebensmittelgeschäfts. Dort bedienten gleichzeitig (!) zwei Nachfahren der guten alten Post hinter einer Scheibe aus spuck- und schussfestem Glas ihre hoch geschätzten Kunden.
Der Truppenführer der Sicherheitsleute war bereits per Funk von meinem Eintreffen informiert. Lächelnd machte er eine ausladende Bewegung über den Schauplatz, eine endlose Schlange Wartender, die außerhalb des Marktes bis weit in die Straße ragte. Obwohl sie gerade von einem Nieselregen verwöhnt wurden, sprangen auf seinen Wink ein halbes Dutzend Frauen und Männer glücklich lachend aus der Schlange. Sie hoben mich sanft in die Höhe und trugen mich an allen anderen vorbei zu einem in abweisendes Betriebsgelb getunkten, mit Werbezeug beklebten Postschalter.
Der Diensthabende grüßte sogleich und nickte ehrfurchtsvoll. Er rückte seinen Mundschutz zurecht, fuhr sich mit der cellophanierten Hand über das fettig glatte Haar, das rückseits in einem Stummelschwänzchen mündet und rückte seine runde Panzerbrille zurecht. Bedächtig nahm das Präzisionsinstrument die Päckchen und Pakete einzeln entgegen, die ihm die kleinwüchsigen Pagen, es sind wohl Zwillinge, auf eine Waage stapelten.
Er untersuchte jeden einzelnen Karton auf die richtige Bemaßung sowie eine ordnungsgemäße Frankatur. Aus den Augenwinkeln fixierte er ein Paket, das fast einen ganzen Zentimeter über die festgeschriebene Höhe herausragte und schaute mich kurz an.
Um die Nichtigkeit der Sache ebenso wie seine Stellung zu bedeuten, machte er eine wegwerfende Handbewegung. Wer mag sich schon über Petitessen aufregen oder gar fälliges Nachporto fordern! Ich antwortete ihm mit dem verständnisvollen Zucken des rechten Zeigefingers und bedeute ihm, sein Amt zu vollziehen.
Auf einem silbernen Tablett präsentierte er abschließend die Belege der Sendungen, die einer der Knaben in meine einladend geöffnete Brieftasche legte.
Unter dem Frohlocken der inzwischen pudelnassen Wartenden wurde ich wieder zu meiner Kutsche geleitet und mit einem Geschenk des Hauses bedacht, einem lebensgroßen Weihnachtsmann aus feinster Schweizer Schokolade.
Frohe Weihnachten!
Rupi, der Prinzipielle
PS. Und dann bin ich aus diesem schönen Traum erwacht …
Wie immer, mein Prinz, köstlich und sehr bildhaft formuliert – genau das Richtige für meine momentane Corona-Stimmung . Danke .
Dankeschön 🙂
Ohne Humor kommen wir nur gebeugt durch die Krise!
Ist es nicht schön, überall auf Freunde zu treffen. Herrlich die Situation beschrieben. Und wer es selbst erlebt hat in der Reihe zu stehen, ist ein wenig neidisch ob so guter Behandlung. Schöne Weihnachten! LG
Lieber Micha, wären wir gelernte DDR-Bürger, wäre uns das Schlangestehen ins Blut gewaschen worden. Aber so???
Deshalb bin ich lieber Prinz und nutze meine Stellung schamlos aus 😉
… und dann bist du aufgewacht, und es regnete noch immer?
Die Schlange zu den gelben Schaltern reichte schon bis in deine Küche?
Träum weiter, mein Prinz – und coronafreie Festtage!
Genau. Alles selbst erlebt, und ich musste tatsächlich für einen Zentimeter Übergröße löhnen.
Ja, sehr schön beschrieben. Sensationell gut. Habe mich königlich amüsiert!
Ging mir übrigens gestern genau so (und nicht anders). Der Filialleiter, der mich höchstpersönlich und eigenhändig an der Schlange vorbei trug, antwortete auf meine verwirrte Frage „Warum?“ mit servilem Kopfnicken und einem devotem „Der Kunde ist König“. Nur einen Weihnachtsmann in Stanniol mit respektvoller Widmung, den erhielt ich nicht. Weder in klein noch in groß.
Als ich deinen Bericht las, hatte ich sofort meinen Beschwerdebrief über meinen RA veranlasst. Na die sollen mich mal kennenlernen, diese rücksichtslosen, gelben Postschnecken, die!!!
Unerhört! Meinen Freunden gebührt unbedingt eine königlich kundige Behandlung. Auch und gerade wenn sie in München leben!
Immer dieses Nord-Süd-Gefälle 😉
Wunderbar! Die Post bietet stundenlangen Unterhaltungsstoff für jede_Begegnung in diesen Tagen. Gerne tausche ich unser beider königlichen postgeschichten am Gartenzaun aus.
Habt schöne Tage
Renate
Der Gedanke vom Austausch am Gartenzaun erinnert mich an die Gespräche zwischen Helga und Marianne (Freshtorge). Das würde ausgezeichnet passen❣️
https://youtu.be/Q5-o_BLxOxg
Es gefällt mir und ist witzig, die Gartenzaun – Gespräche. Ich mag es gern wenn Witz dabei ist.
Mehr kann ich dazu nicht sagen, aber mehr Gartenzaungespräche mag ich hören und sehen. Macht Spaß!