Autorin Tanja Neise mit Terrier-Hündin Mila. Sämtliche Fotos: Ruprecht Frieling
Auf eine Tasse Tee bei Tanja Neise
Auf Buchmessen wird Tanja Neise von Fans erkannt und namentlich angesprochen. – Eine derartige Ansprache berührt das Herz der Schöpferin eines guten Dutzend erfolgreicher Romantic-Fantasy-Romane mehr als Verkaufszahlen und Likes in den sozialen Medien. Diese Reaktionen zeigen der Autorin, wie stark die Bindung der LeserInnen zu ihrem Werk ist, und das schenkt ihr Kraft und Inspiration, neue Ideen zu entwickeln.
Autorin ohne Starallüren
»Der Schreibtisch eines Schriftstellers ist ein heiliger Ort, das privateste Heiligtum der Welt, dem Fremde sich nicht ohne Erlaubnis nähern dürfen«, schreibt der US-Erzähler Paul Auster in »Nacht des Orakels«, und tatsächlich umwehen geheimnisvolle Nebel die Arbeitsplätze von Autoren ebenso wie die Ateliers bildender Künstler.
Tanja Neise ist ein offener Typ ohne Starallüren. Sie führt mich in den Keller des Einfamilienhauses, das sie mit Mann, drei Kindern und Terrier-Hündin Mila bewohnt.
Sonnenstrahlen blinzeln durch ein schmales Kellerfenster in einen der Räume. An der linken Wand stapeln sich Bücher in Regalen. Fantasy und Krimi dominieren. Ein apple iMac thront auf einem für den Besucher aufgeräumten Schreibtisch. Hier lässt die Autorin ihren Gedanken freien Lauf. Daneben steht ein Regal mit Tanjas bislang veröffentlichten Werken. Überall liegen Geschenke von Fans.
In eine herzförmige Baumscheibe gravierte eine Leserin »Liebe – das sind wir«, so der Titel eines der jüngeren Neise-Bücher, und schmückte das Präsent mit Kerze, Schleifband und Glückskäfer. In lindgrünem Holzrahmen prangt ein Kastanienblatt an der Wand, das liebevoll mit »Der Orden der Weißen Orchidee«, einem anderen Buchtitel, beschriftet ist. Auch dies stammt von einer begeisterten Leserin, die Tanja Neise zur Lieblingsautorin erkoren hat. Die überwiegende Mehrheit ihrer Leser ist weiblich, erklärt die Schriftstellerin, »aber es sind auch ein paar Männer darunter, wie ich aus Leserbriefen weiß«.
Tanja Neise findet ihren Stern
Tanja Neise erblickte 1973 im Sternbild des Schützen das Licht der Welt. Ihre ersten Lebensjahre verbrachte sie im Saarland. Dann zog die Familie weiter, die Eltern waren Hoteliers, ein Ortswechsel normal. Eine geheimnisvolle Urgroßtante faszinierte das Mädchen, diese besprach Warzen und wäre Jahrhunderte früher wohl als Hexe verbrannt worden. Die magische Aura der alten Dame prägte die Autorin nachhaltig.
Nach schwerer Kindheit jobbte Tanja, brach vieles auch wieder ab, absolvierte eine Ausbildung zur Finanzwirtin, landete beim Finanzamt (was ihr heute nutzt) und suchte dabei stets nach ihrem Stern. Nie war sie richtig glücklich, bis sie schließlich das Schreiben und Veröffentlichen für sich entdeckte. »Jetzt kann ich sagen, ich bin angekommen. Ich bin zufrieden.« Mit dieser Aussage ist auch ihre Definition von Erfolg verbunden. Sie orientiert sich beim Schreiben nicht an Auflagen und Honoraren. Wichtig ist ihr »das Ankommen, das Da-Sein. Wo ich viele Jahre hinwollte, ohne es genau zu wissen«.
Das Schreiben begleitete Tanja von Jung an. Es begann mit Einträgen ins Poesiealbum. Tagebuchaufzeichnungen, Besinnungsgedichte, Artikel in der Schülerzeitung folgten. Dann kam es zu einer Atempause bedingt durch Ausbildung und Beruf. Sie konzentrierte sich aufs Lesen, verschlang alles, was sie in die Finger bekam. Angefangen bei »Denise«-Heften (ab 1984 bis 2006 vierzehntägig erscheinende Happy-End-Romane für Teenies aus dem Cora-Verlag, R.F.) über Karl May, dem »Trotzkopf« in Fraktur und Pferdebüchern bis hin zu Heinrich Böll, Stephen King und J.R.R. Tolkien – vor dem Lesehunger der jungen Frau war kein Buch sicher.
Erste Veröffentlichungen
Im September 2012 begann sie mit ihrem ersten Roman, dem »Orden der weißen Orchidee«. Vom Self-Publishing hatte Tanja Neise bislang noch nichts gehört, sie schrieb einfach drauflos. Ausgangspunkt war eine schwere Erkrankung. Ihr Mann motivierte sie, nach dem vielen Lesen selbst etwas zu Papier zu bringen. Als ihr Jüngster in den Kindergarten kam, hatte sie keine Ausrede mehr.
Damals nutzte sie auch noch keinen PC, mit Bleistift schrieb sie die ersten Kapitel in ein Schulheft ihres Sohnes. Später bekam sie einen Mini-PC, in den sie alles tippte. In einer Computer-Zeitschrift entdeckte sie eine CD mit 500-Klassiker-Romanen. Damit begann eine neue Ära, das Zeitalter des elektronischen Lesens auf einem Tablet. Schnell wurde ein Kindle angeschafft und begeisterte die leidenschaftliche Leserin.
Anno 2013 veranstaltete die Veröffentlichungsplattform Neobooks einen Wettbewerb. Sebastian Fitzek war Schirmherr und sorgte für Aufmerksamkeit. Tanja lud eine Kurzgeschichte hoch und lernte darüber andere Self-Publisher kennen: Karina Reiß, Axel Hollmann und Marcus Johannus. Die vier waren die Top-Downloads der Plattform und begannen, sich auszutauschen. Es entwickelte sich eine Freundschaft. Karina liest seitdem als Erste Tanjas neue Manuskripte und hilft als kritische Leserin. Danach erst darf Michael Neise in den Text schnuppern.
Für die Rohfassung ihres ersten Romans brauchte die Autorin länger als ein Jahr. Dabei entstand ein Blog, in dem sie ihre eigene Entwicklung als Autorin beschrieb, das Innerste nach Außen kehrte und damit Leser fand und band. Tanja wollte keine Klinken putzen. Sie hatte keinen Mut, Literaturagenten anzusprechen, hielt sich nicht für gut genug. Schließlich lud sie das fertige Manuskript bei Amazon hoch und beobachtete aufgeregt die Ergebnisse. Das Buch wurde gekauft, bald schon gab es Nachfragen zu Taschenbüchern! Die Verkäufe liefen täglich besser. Ihre Fieberkurve stieg.
Auf dem Weg nach oben
Tanja bekam einen „Kindle-Deal“, mit dem der Titel sichtbarer platziert wurde. Über Nacht schoss „Der Orden der weißen Orchidee“ in die Top Ten. Dadurch wurde A-Pub, der Verlag von Amazon, auf die Autorin aufmerksam. Der Verleger rief sie an und nahm sie unter Vertrag. Tanja bekam Oberwasser und unterschrieb gleich einen Vertrag für den zweiten Teil des „Orden“. Umsatzmäßig bewegte sich der Titel von nun an spürbar. War sie vorher in der Midlist, ging der Titel hoch und verkauft sich seitdem »wie geschnitten Brot«.
Seitdem ist Tanja Neise aus der Autoren-Szene nicht mehr wegzudenken. Auf der letzten Leipziger Buchmesse übernahm sie die Regie für die »Autorenherzen« und durfte deshalb gleich auch deren Stand aufbauen. Die Gruppe sammelt zwanzig erfolgreiche Autorinnen, darunter Marah Woolf, Sarah Saxx, Michelle Schrenk, Anja Saskia Beyer, Mila Summers, Hannah Siebern. Außerdem ist Tanja Neise seit 2015 in einer Schreibgruppe aktiv, wo Texte eingehend diskutiert werden. Sie macht Lesungen, gibt Interviews und freut sich, wenn sie auf öffentlichen Veranstaltungen angesprochen wird. »Man fühlt sich wie ein kleiner Promi, und es ist ein ganz schöner Kulturschock, wenn man wieder nach Hause kommt und den Geschirrspüler ausräumen darf«, lacht sie.
Tanja Neise schreibt Romantic Fantasy. Dieser Mix aus Romance und Fantasy ist ein klassisches Genre. In ihrem Erstling „Der Orden der weißen Orchidee“ geht es um eine Zeitreise, und das Anwesen, in dem ihre Protagonistin Marie eine geheimnisvolle Botschaft ihrer Großmutter findet, ähnelt dem Anwesen von Tanjas Urgroßtante. Streng genommen handelt es sich um Time Travel Romance.
Neise war eine der Ersten, die das Stichwort Zeitreisen einbaute. Auch die Amerikanerin Diana Gabaldon veröffentlichte eine siebenteilige »Feuer-und-Stein-Highland-Saga«, die millionenfach verkauft wurde. Die Reihe ist allerdings geschichtslastig, sie bleibt auch in den jeweiligen Zeiten. Tanja hingegen macht es ihren beiden Protagonisten schwer, sie reisen aus Versehen in unterschiedliche Dimensionen und finden sich erst im zweiten Band wieder.
Die Sonne ist untergegangen. Tanja bereitet eine Kanne Tee. Jetzt sitzen wir in ihrer kleinen Küche. Als Familie Neise das Eigenheim vor den Toren Berlins bezog, gab es kaum Nachbarn. Mittlerweile ist alles bebaut. Der Moloch Berlin wächst unerbittlich und dehnt sich aus. Dennoch ist es sehr viel ruhiger und angenehmer, in einem Vorort zu wohnen als in der Stadt. Nachbarn kennen und grüßen sich. Über die Kinder entstehen neue Kontakte, und es gibt jede Menge Natur in greifbarer Nähe.
Tanja Neise zum Stichwort Lektorat
Wie steht es eigentlich mit einem Lektor? – Tanjas erste und wichtigste Lektorin ist ihre Freundin, die Grundschullehrerin und Autorin Karina Reiß. Anfangs gab es Probleme mit alter und neuer Rechtschreibung, vor allem mit ellenlangen Worten. Leser monierten, Worte seien falsch geschrieben, obwohl es dudengerecht war. Heißt es der oder das Überraschungsmoment?
„Als Autor überliest du deine Fehler, darum braucht es unbedingt ein kritisches Lektorat und Korrektorat“, weiß Tanja Neise. „Neulich habe ich Bücher einer sehr bekannten Autorin gelesen, deren Bücher auf Deutsch bei HarperCollins erscheinen, und da war ich erstaunt über die Menge an offensichtlichen Fehlern, die nicht korrigiert wurden. Von einem Verlag hätte ich da eigentlich mehr erwartet.“
Ihre in den Amazon-Verlagen 47thNorth und Montlake Romance erscheinenden Bücher bekommen zusätzlich einen eigenen Lektor und einen Korrektor. Da ihre Manuskripte gut vorbereitet sind, genügt ein Lektoratsdurchgang. Bei vielen anderen Autoren sind zwei erforderlich, einige bekommen sogar ein Entwicklungslektorat. Das macht aber nur dann Sinn, wenn man plottet, die Romanhandlung also vorher strukturiert hat und danach schreibt.
Tanja Neise schreibt ihre Geschichten, wie sie ihr aus der Feder fließen. Zeitreisen als nicht-plottende Autorin zu verfassen, findet sie anstrengend. Deshalb verfasst sie gern mal zwischendurch einen Liebesroman, das geht fix. „Dabei musst du nicht viel bedenken, es schreibt sich leichter.“
Tanja schreibt morgens und abends, oft schon vor dem Frühstück. Vor allem am frühen Morgen geht sie unbelastet an den Text. Ihren Stoff hat sie im Kopf. Statt zu plotten, zeichnet sie Organigramme und macht sich Stichworte zu Kleidung und Verhaltensweisen ihrer Figuren. Erklärtes Tagesziel ist, 2.000 Worte zu erreichen.
Die Schriftstellerin versteht sich als Hybrid-Autorin. Da sie keine Marketing-Expertin ist, sind für sie die Verlags-Einnahmen am wichtigsten. Bei Facebook hat sie bislang ein, zwei Anzeigen geschaltet, ein Erfolg war nicht erkennbar. Sie weiß, dass sie mehr werben müsste und verfolgt Laura Newmans Blogbeiträge, die detailliert auflisten, was Werbung ihren Büchern gebracht hat.
Self-Publishing als Müllhalde?
Tanja, wie siehst du die Entwicklung des Marktes? „Er teilt sich zunehmend in zwei extreme Lager. Auf der einen Seite steht der professionell gemachte Text. Auf der anderen Seite kommen Titel hoch, die in ihrer Niveaulosigkeit an Schwachsinn grenzen.“
Stichwort Self-Publishing als Müllhalde? „Ich kann nachvollziehen, dass es vielen Autoren inzwischen fast peinlich ist, Self-Publisher zu sein. Deshalb versuchen immer mehr anspruchsvolle Autoren, die nicht das Glück haben, in die Bestsellerlisten zu kommen, ein Verlagslabel zu bekommen, um sich abzuheben.“
Noch einmal zur eingangs gestellten Frage nach dem Erfolg. Für Tanja Neise zählt, wenn ihre Leser zufrieden sind. Sie hält sich nicht für besonders erfolgreich, kann aber gut davon leben, das normale Gehalt ersetzen und Rücklagen bilden. Damit zählt sie zur guten Mittelschicht der deutschsprachigen Self-Publisher.
Als die Autorin vor einigen Wochen in der Berliner Kongresshalle auf einer Podiumsdiskussion aus dem Publikum nach einer Verkaufszahl gefragt wird, antwortet sie „130.000 Exemplare allein von Band 1“. Das fachkundige Publikum knirscht mit den Zähnen. Für Verlagsleute ist ein neuer Titel erfolgreich, der zwei- bis dreitausend Exemplare in drei Jahren verkauft. Zwischen der klassischen und der neuen Verlagswelt klaffen offensichtlich gewaltige Lücken.
Tanja Neise schmunzelt über dieses Erlebnis. Sie schlürft ihren Tee, lächelt und schreibt heiter weiter.
»Zur Homepage von Tanja Neise«
Pingback: Wie der Krimi von Nika Lubitsch ins ZDF kam
Pingback: Auf einen Kaffee mit Elke Becker - Ruprecht Frieling
Pingback: Wie häufig sollte ein Newsletter erscheinen?