Wie ich zum Spinnenmann wurde
Über der Piazza des Kunstmuseums K21 in Düsseldorf schwebt in rund 25 Metern Höhe ein riesiges Spinnennetz. Das ist die Rauminstallation in orbit des 1973 geborenen argentinischen Performance- und Installationskünstlers Tomás Saraceno. Besonders Mutige dürfen hinauf ins Netz und sich dort wie gewaltige Spinnen bewegen, und ich will mutig sein – der Kunst zuliebe.
Von unten sieht alles eigentlich ganz harmlos aus. Doch mit jedem Stockwerk, das ich im Düsseldorfer K21 erklimme, wird die Dimension des Netzes unter dem Glasdach gewaltiger. Es handelt sich um eine Konstruktion aus beinahe transparenten Stahlnetzen, die in drei Ebenen unter der gewaltigen Kuppel aufgespannt sind. In der 2.500 Quadratmeter umfassenden Netzstruktur sind fünf luftgefüllte „Sphären“, gewaltige Ballons, platziert.
Oben angekommen werde ich von zwei freundlichen Herren begrüßt, die mir versichern, ausgebildete Rettungshelfer zu sein. Ach, wie beruhigend! Sie weisen auf zwei Türme an den Rändern der Konstruktion, die bei Panik als Notausgänge dienen. Ich darf meine Taschen leeren, steige in ein sackartiges Gewand, das meine Kleidung schonen soll und ziehe ein Paar Bergsteigerstiefel an. Dann gehe ich über eine Stahltreppe nach oben und nach einem letzten mutigen Schritt bin ich Teil des begehbaren Kunstwerkes in orbit.
Vorsichtig klammere ich mich an dem Drahtgeflecht fest und versuche, erste Schritte auf dem schwankenden Grund zu machen. Es ist eher ein ängstliches Gekrabbel, muss ich gestehen. Als ich nach unten schaue, sehe ich in 25 Metern Tiefe eine Schulklasse stehen, die zu mir herauf zeigt und gestikuliert. Zum Glück kann ich sie aufgrund der Entfernung nicht verstehen und weiß deshalb nicht, ob sie sich über meine Kletterkünste lustig machen oder bewundernd erschauern.
Ich taste mich jedenfalls vorsichtig weiter, komme an eine der riesigen Kugeln, die Halt verspricht und schraube mich auf Händen und Füßen der nächst höheren von insgesamt drei Netzebenen entgegen. Bis zu 40 Grad heiß kann es hier unter dem Glasdach des Museums werden, wenn die Sonne knallt. Aber auch bei niedrigeren Temperaturen ist es schweißtreibend, Teil dieses begehbaren Gesamtkunstwerkes zu sein.
Gemeinsam mit mir turnen rund ein Dutzend weiterer Kunstfreunde durch das Netz. Ich spüre, wie und wo sie sich bewegen. Das Netz ist in sich verbunden: Sobald ein entfernter Strang mobilisiert wird, bemerke ich das deutlich. So müssen sich Spinnen fühlen, die in ihrem fein gewobenen Netz auf Beute lauern und sofort spüren, wenn sich etwas in ihrem Konstrukt verfangen hat, bewegt oder gar verzweifelt zappelt.
Die Netze geraten in Bewegung. Die Spannung der Stahlseile und der Abstand der drei schwankenden Netzebenen verändert sich unwillkürlich. Der Raum in der Schwebe wird zu einem schwingenden Netz von Beziehungen, Resonanzen und einander bedingender Kommunikation. Ähnlich wie eine Spinne im Netz nehme ich die anderen im Netz durch Vibrationen wahr.
Tomás Saraceno, der Schöpfer der Installation, will damit hybride, über die herkömmlichen Möglichkeiten des Menschen hinausgehende Formen von Kommunikation und Kooperation, verdeutlichen. Auch wer das schwankende Netz über dem Abgrund nicht betreten mag und die kühne Konstruktion lediglich anschaut, wird mit den Themen Fliegen, Fallen und Schweben konfrontiert und von den damit verbundenen archetypischen Ängsten und Emotionen erfasst.
„Das Werk zu beschreiben, bedeutet die Menschen zu beschreiben, die es benutzen – und deren Gefühle“, erklärt Saraceno. Selten zielt ein Kunstwerk so unmittelbar auf die Angst und die Lust des Betrachters. Es greift direkt in die Gefühle desjenigen ein, der den entscheidenden Schritt in die luftige Höhe wagt. Auch wenn die Konstruktion allein drei Tonnen und die größte der „Sphären“ 300 Kilo wiegt, wirkt das präzise in die räumlichen Bedingungen unter der Glaskuppel des Ständehauses eingepasste Werk ausgesprochen leicht. So bezieht es sich in seiner Feinheit und gleichzeitigen Stabilität auf die Struktur von Spinnennetzen.
Seit einigen Jahren ist der Künstler inspiriert von den komplexen Konstruktionen dieser kleinen Gliederfüßer und hat in seinem Studio die erste Sammlung dreidimensionaler, hybrider Spinnennetze weltweit aufgebaut. Saraceno untersucht seitdem die Netzbautechnik sowie das Sozialverhalten unterschiedlicher Spinnenarten und überträgt die Erkenntnisse zu Funktionalität, Schönheit und Stärke der Netze auf seine eigene künstlerische Praxis.
Nachdem ich eine gefühlte Ewigkeit im Stahlnetz herumgestiefelt bin, freue ich mich, wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren. Schnell noch ein Foto als letzten Beweis, tatsächlich einer der mutigen Spinnenmenschen gewesen zu sei, dann geht es eine Museumsetage tiefer. Dort hat Tomás Saraceno in einem abgedunkelten Raum echte Spinnennetze installiert, die von emsigen Achtbeinern gewoben werden.
Das Erlebnis eines Aufenthaltes im Spinnennetz des K21 lässt viele Optionen zu. Man kann über die Wunder des Natur ebenso reflektieren wie über die Möglichkeiten von Signalement und Kommunikation, die den uns bekannten Wegen total fremd sind. Auf jeden Fall ist es ein spannendes Erlebnis, das Erkenntnis vermittelt und Spaß beschert.
Intensiver kann man Kunst nur noch erleben wenn man selbst der Schaffende ist. Ein sehr schöner Erlebnisbericht bei dem man das Gefühl hat mittendrin dabei zu sein. Danke Rupi.
Dankeschön, Ludger. Ich habe das unmittelbare Erleben genossen und damit auch die Intentionen des Künstlers viel besser empfinden können. Düsseldorf ist doch nur einen Katzensprung von deiner Wirkungsstätte entfernt – also mach den Spiderman
Hui, das ist ja ein richtiges Abenteuer!
Kreative Menschen sind nach neuesten Forschungen risikobereiter
Hört sich richtig gut an und macht Lust darauf, es selber mal zu erleben. Vielleicht kommt das ja mal nach München …
Das glaube ich nicht, es soll dauerhaft in Düsseldorf bleiben.
Wunderbarer Netzkokon.
Spiderman dankt ❣️
Oh Rupi, ich bewundere Deinen Mut – und dann noch für die KUNST – die Du sehr plastisch beschrieben hast. Du bist halt immer für eine Überraschung gut !!! Toll !!!
Mein Lieber, wo sonst kann man man mal ein Kunstwerk begehen? Wir stehen doch sonst nur andächtig davor und staunen …
Lieber Rupi, Ostermontag, den 22.04.19
interessant Dein Bericht. Da denke ich an Konrad Wachsmann, der hat zwar keine Spinnennetze gebaut, aber hoch interessante Stahlgitter-Leichtbau Konstruktionen. Er gehörte zu den Bauhaus-Leuten und unser Holzhaus ist auch seine Konstruktion, so wie das Einstein-Haus in Caputh.
Und wenn ich das Spinnennetz sehe, denke ich an den Baumwipfel-Pfad bei Beelitz-Heilstätten.
Und die Festigkeit des Spinnenfadens haben die Menschen noch nicht künstlich erreichen können.
Wir wünschen Dir noch Fröhliche Ostern mit einem modifiziertem Spruch unseres Martinus Luther::
Mageres Kaninchen und herber Wein – Gott beschütze uns vor den zweien.
Lieber Axel, das Kaninchen, das wir heute Abend verzehren, ist zum Glück alles andere als mager! Beim Verzehr werde ich an dich denken. Danke für deinen Gruß!