Wird literarische Qualität unter Self-Publishern eigentlich ebenso großgeschrieben wie unter Autoren, die für Verlage schreiben? Zahlreiche Kritiker auch aus den eigenen Reihen unterstellen der Masse der Autoren auf eigene Kosten, aus Ruhmsucht und Geldgier »Schrott« zu produzieren. Einige wehren sich nun dagegen. Doch wo liegt die Wahrheit?
Self-Publishing und literarische Qualität
Von Ruprecht Frieling
Jedem von uns bietet der Tag 24 Stunden. Ob Picasso, Hemingway, Goethe, der Liebe Gott oder Lieschen Müller – keiner hat auch nur eine Minute pro Tag mehr zur Verfügung als der andere. Trotzdem entstehen in dieser Zeit unterschiedlichste Dinge in den unterschiedlichsten Qualitäten. Die meisten Werke gehen unter und werden nie beachtet, manche kommen durch Zufall oder durch Schiebung ans Licht, andere sind so stark, dass sie aus sich heraus strahlen und kometenhaft am Himmel erscheinen.
Merkmale literarischer Texte
Hinsichtlich der Bewertung literarischer Texte gibt es keinen übereinstimmenden Konsens zu der Frage, was eigentlich literarische Qualität ist. Häufig heißt es, wer es ins Feuilleton der Meinungspresse oder in die Spalten einschlägiger Literaturzeitschriften geschafft habe, der habe die seichten Gewässer des Trivialen verlassen, sich freigeschwommen und damit die Weihen zu »höherer« Literatur erhalten. Aber das ist Quatsch, es sagt höchstens etwas darüber aus, inwieweit man sich dem Reglement der Auguren angepasst hat.
In der Literaturkritik gibt es verschiedene Regeln, was Literatur ausmacht. Danach entwerfen literarische Texte eigene fiktionale Welten und einen in sich geschlossenen Kosmos. Sie seien selbstreferentiell oder um es fachsprachlich auf den Punkt zu bringen, »mise en abyme«.
Die Qualität literarischer Texte zeigt sich weiter in ihrer innertextlichen inhaltlichen und formalen Stimmigkeit. Extreme Verknüpfungsdichte, systematische Unbestimmtheit, Indirektheit und Mehrdeutigkeit sind typische Merkmale.
Semantische Bezüge zwischen unterschiedlichen Textstellen sowie eine bildhafte Sprache, die mit Andeutungen, Ironiesignalen, Mehrdeutigkeiten, gewollten Leerstellen arbeitet und mehrere Bezugsmöglichkeiten erlaubt, spielen eine wichtige Rolle.
Produktionszeit und Qualität
Ein häufig verwendetes Argument für die angebliche Schrott-Produktion vieler Self-Publisher ist die Geschwindigkeit, mit der Texte als Bücher auf den Markt geworfen werden. Allerdings sagt die auf ein Werk verwendete Arbeitszeit noch nichts über dessen literarische Qualität aus.
Hans Fallada benötigte für »Jeder stirbt für sich allein«, ganze 25 Tage. Einen Tag mehr, nämlich 26 Tage, braucht Fjodor Dostojewski für seinen »Spieler«. Es gibt viele Beispiele für Literaten, die es schafften, in unglaublicher Geschwindigkeit Bücher zu verfassen, die später Millionen Menschen in Bann schlugen. Auch Abenteuerschriftsteller Karl May war einer von ihnen.
Der Münchener Autor, Musiker und Fotograf Roberto Basini ist überzeugt, dass »ein Autor, der tatsächlich (hohe) Ansprüche an sein Manuskript hat, es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht schafft, alle paar Wochen ein neues Buch auf den Markt zu bringen. Ich bin manchmal schon einen Tag lang damit beschäftigt, an meiner Einleitung rumzufeilen. Das können Autoren, die sechs Bücher im Jahr veröffentlichen, nicht leisten. Wollen sie wohl auch gar nicht. Zu Recht. Denn die Leser sind anspruchslos.«
Fantasy-Autor Horus W. Odenthal hält dagegen: »Schreibgeschwindigkeit hat nichts mit „Anspruch“ zu tun, sondern allein mit Talent und persönlicher Ausrichtung des Schreibers«.
Qualität und Erfolg
Wenn schon zwei Leute Probleme haben, einen Text einverständlich zu benoten, wieviel mehr Aufwand muss getrieben werden, um einem Autor insgesamt »Qualität« zu attestieren, und wer würde sich letztlich an einer derartigen Wertung orientieren? Welcher Leser würde sich auf Bücher stürzen, weil auf dem Cover »Staatlich geprüfter Self-Publisher« oder was auch immer steht?
Qualität und Erfolg haben offenbar wenig miteinander zu tun.
Self-Publisherin Kayla Read stört sich an der Lieblosigkeit, mit der Texte auf den Markt gehauen werden: »Heute werden doch einfach nur noch Texte „husch husch“ rausgehauen. Dabei täte es manchen Texten gut, einfach mal ein paar Wochen „ruhen“ zu dürfen. Das ist das, was nervt: die Lieblosigkeit, mit der Texte veröffentlicht werden. Einfach so. Ohne Lektorat, ohne alles. Diese Menschen dürfen sich dann oft auch noch BILD-Bestsellerautor oder so nennen. Das tut schon weh. Aber bestimmen tut das nun mal die Leserschaft.«
Der deutsch-italienische Schriftsteller Claudio Michele Mancini nimmt kein Blatt vor den Mund: »Es ist geradezu rührend, mit welcher Inbrunst einige Nebenerwerbsschwätzer Sinnentleertes aneinander fügen und sich den Nimbus der Unvoreingenommenheit verleihen. Manch jämmerlicher Sprachzwerg ergeht sich in nichts sagender Syntax und heischt nach Zuwendung und Anerkennung der Internetgemeinde. Herausragend sind rudimentäre Intelligenz und fragmentarisches Wissen, im schlimmsten Fall bejammernswerte Orthographie. Während sich der Eine in seichten Wortflatulenzen ergeht, kämpft ein Anderer tapfer am Rande seines sprachlichen Leistungsvermögens und hält sich dabei für einen verkannten Dichter.«
Ist der Leser Maß für Qualität?
Bestimmt vielleicht die Leserschaft mit ihrem Kaufverhalten, was Qualität ist? Ist es letztlich der Buchkäufer, der entscheidet? Fraglos ist es nun mal so, dass leichte Kost besser geht als schwer Verdauliches. Kritiker der BILD-Zeitung verwenden häufig die Metapher »Millionen Fliegen können nicht irren«, wenn sie das Tageblatt aus dem Hause Springer mit einem Haufen Scheiße in Verbindung bringen wollen. Gilt das etwa auch für Self-Publisher?
Noch einmal Mancini: »Natürlich finden Schreiber, die nichts anderes können, als längst abgelutschten, politisch konformistischen Zinnober unterhalb der geistigen Gürtellinie mit hilfsbedürftigem Sprachniveau zu verzapfen, ihr anspruchsloses Publikum. Es sind zwar Menschen, die immerhin lesen (was heutzutage positiv zu bewerten ist), aber oft genug knapp dem Analphabetentum entronnen sind.«
Oder hat vielleicht jeder Autor, also auch derjenige, der alles auf eigene Kosten macht, die Pflicht, seine Leserschaft zu erziehen?
Autor Klaus R. Scharfenstein antwortet darauf in einem Facebook-Kommentar kompromisslos: »Es lag (und liegt selbstverständlich) in unserer Verantwortung als Autoren, all unser Können dafür zu mobilisieren, bei unseren Lesern solche Entwicklungen wie etwa die Entstehung von Neugier auf Neues/Anderes, eine Erweiterung des Erkenntnishorizonts oder ganz blumig so etwas wie die Herausbildung eines Weltbewusstseins in Gang zu setzen oder zu intensivieren. Je weniger wir das schaffen – und je unbekümmerter, womöglich erfreut wir dem Niedergang des Leserniveaus zusehen oder sogar davon profitieren – desto eher müssen wir uns vorhalten lassen, als Autoren versagt zu haben.«
Heiner Meemken, dessen in Verlagen und im Self-Publishing publizierte Bücher hundertausendfach verkauft wurden, hält literarische Qualität für durchaus vereinbar mit Verkaufserfolg am Markt: »Mir ist wichtig, keinen Schund zu schreiben, echte Menschen in meinen Geschichten zu haben, mit echten Problemen, die sich nicht nach einem kurzen Lächeln von alleine auflösen. Menschliche Beziehungen sind mir Steckenpferd – mit all den Höhen und Tiefen.«
Claudio Mancini empfiehlt lebenslanges Lernen: »Allen Adepten der Schriftstellerei, die keine geborenen Erzähler sind, wird man nur empfehlen können: lesen, lesen und nochmals lesen…, vielleicht wird dann mal was draus. Lerne das Leben kennen, bevor du schreibst. Suche die Gesellschaft von Leuten, die gebildeter sind als du! Meide jene, die alles besser wissen. Zumindest dann, wenn du gut schreiben lernen willst. Die heutige moderne Textverarbeitung auf einem Computer ermöglicht es uns, am Wort, an den Sätzen, am Manuskript zu arbeiten wie ein Bildhauer an einer Statue. Ist das nicht phantastisch?«
Mir scheint, dass viele der zu Wort kommenden vergessen, dass Geschwindigkeit auch viel mit Erfahrung und damit einhergehender Routine zu tun hat.
Jemand, der zwanzig Jahre Schreiberfahrung mitbringt, wird definitiv schneller schreiben können, als jemand, der lediglich zwei Jahre Erfahrung mitbringt.
Qualität bedeutet für mich, dass der Autor etwas abliefert, in dem Character-, Worldbuilding, Plot, Dialoge und die sprachliche Qualität (wie von dir eingangs im Beitrag angeführt) stimmig sind.
Es gibt erfolgreiche Bücher, bei denen nur einer (oder wenige) der genannten Punkte herausragend ist. Sie werden so erfolgreich, eben WEIL sie an dieser Stelle besonders sind, auch wenn es an anderer Stelle dann hapert. Und es gibt Bücher, bei denen alles stimmt, die aber nicht erfolgreich sind, weil sie am Zeitgeist vorbeimarschieren. Qualität und Erfolg gehen nicht zwingend Hand in Hand.
Ich habe selbst einige Autoren, die ich gern lese, obwohl ich weiß, dass sie nicht perfekt sind. Aber dennoch liefern sie etwas ab, dessen Qualität in Teilbereichen ihre Bücher besonders werden lässt.
Ich neige bspw. dazu, sehr großzügig zu werden, wenn ein Autor das Characterbuilding beherrscht. Da überlese ich dann schon mal Logikfehler oder eine Rechtschreibung, bei der ich ab und an schmunzeln muss. Für mich ist dieser Punkt besonders. Und den beherrschen leider auch nicht sehr viele.
In keinem einzigen Fall jedoch spielt die Zeit, die der Autor auf das Schreiben verwendet hat, eine Rolle hinsichtlich der Qualität.
Und in Anbetracht des Umstands, dass „Verlage“ eine vergleichsweise neue Erfindung sind, würde ich fast behaupten, dass auch das Label Verlag/SP an der Stelle unwichtig ist. Ich habe Verlagsbücher bei mir im Schrank, die so schlecht sind (in allen Bereichen), dass man sie theoretisch nur für eine Wandkollage nutzen sollte. Und selbst dann könnten RS und Grammatik einen noch beim flüchtigen Blick drauf winselnd zu Boden gehen lassen.
Es gibt hervorragende Autoren auf beiden Seiten. Genauso, wie das exakte Gegenteil.
Die Schreibgeschwindigkeit steht meines Erachtens in keiner Relation zur Qualität. Ein Text wird nicht besser, nur weil ihn jemand zwanzigmal überarbeitet. Manch einer ist eben sehr flott, andere nicht.
Es stellt sich mir eher die Frage, wie man Qualität definieren will. Es wird sich da für unterschiedliche Zielgruppen auch eine unterschiedliche Definition finden. Ich weiß, was meine Leser haben möchten und gebe ihnen das. Meine Bücher fallen sicher nicht unter Herrn Mancinis Begriff von Qualität. 😉
Viele Self-Publisher bedienen einen extrem einen schnelllebigen Markt für den die Erscheinungsgeschwindigkeit bzw. die Verfügbarkeit ein Qualitätsmerkmal ist. Ich denke, dass sich das Leseverhalten insbesondere bei Romance und Fantasy auch in diese Richtung verändert hat. Da ist es wichtiger zu wissen wie es weitergeht, als ob der Text literarisch wertvoll ist (was auch immer literarisch bedeuten mag). Leser, die wissen möchten, ob der böse Vampir von Band 1 in Band 4 sich läutert, wollen genau das. Sie bekommen damit die Qualität, die sie sich wünschen.
Auch ich stolpere immer wieder über Romane, die ich nicht beenden kann, die ich als so schlecht erachte. Allerdings ist das meine subjektive Sichtweise. Generelle Aussagen über Qualität kann ich davon nicht ableiten.
Lieber Ruprecht, ich halte mich aus der Debatte raus. Mir hat schon der Thread bei der SP-Gruppe gereicht.
Lieber Rupi,
vielen Dank für diesen Text!
„Wenn schon zwei Leute Probleme haben, einen Text einverständlich zu benoten, wieviel mehr Aufwand muss getrieben werden, um einem Autor insgesamt »Qualität« zu attestieren, und wer würde sich letztlich an einer derartigen Wertung orientieren?“ GENAU!!! Da liegt das Tier im Pfeffer!
Mein Plädoyer ist: Jeder darf lieben, was er oder sie liebt. Und schrottig finden, was für sie oder ihn rostige Ecken hat. DANN können wir uns über Inhalte unterhalten … „Nö, da ist für mich absolut kein Rost dran, WEIL …“ Und dann einander zuhören. Andere Haltungen akzeptieren.
Alles andere ist sowieso Handwerk. Da ist meiner Ansicht nach momentan die größte Crux, dass so viele „klassische Verlage“ ihre Vorbildfunktion in den Wind geschossen haben. Wie soll dann das Einmensch-Unternehmen Selfpublisher aufholen/auffangen, was dort nicht mehr funktioniert?
Manchmal denke ich, dass von Selfpublishern erwartet wird, quasi im Alleingang den guten Ruf von Buch-Qualitäten (handwerklich UND inhaltlich) wiederherzustellen, die in großen Unternehmen schon nicht mehr zustande kommen. Aus SP-Sicht schrammt das ziemlich hart am Masochismus vorbei! (Obwohl ich zugeben muss: Manchmal träume ich auch davon…)
Und: Klar gibt es auch viele SP-Titel, die ich absolut schrottig finde. So what? Es mag andre Menschen geben, die lieben genau das.
Rupis Texte mag ich übrigens. Eigentlich fast immer.
Maria
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Herrlich:
„Allen Adepten der Schriftstellerei, die keine geborenen Erzähler sind, wird man nur empfehlen können: lesen, lesen und nochmals lesen…, vielleicht wird dann mal was draus.“ (Claudio Mancini)
Danke für diesen spannenden Beitrag! 🙂
Die Wahrnehmung einer Autorin bzw. eines Autors ist in der Öffentlichkeit leider immer noch positiver, wenn sie bei einem Verlag publizieren, obwohl professionelle Selfpublisher inzwischen ebenso hochwertige Bücher veröffentlichen. Da es natürlich kein Qualitätssiegel gibt, werden daher weiterhin Autor:innen mit den schwarzen Schafen unserer Branche (selbstgebasteltes Cover, kein Korrektorat/Lektorat, Rechtschreib-/Zeichen-/Grammatikfehler) in einen Topf geworfen.]
Beste literarische Grüße sendet Olivia Grove