Poesiepost aus Mainz
Ich bin bekennender Post-Junkie. Mit meinem Briefträger Stefan verbindet mich ein fast intimes Verhältnis. Leider ist in den letzten Jahrzehnten der Eingang »realer Post«, also fassbarer Briefe und Päckchen, enorm zurückgegangen. Stattdessen sausen tausende nüchterne Mails durch den Äther, werden gelesen, beantwortet und automatisch abgelegt.
Wer das Gefühl kennt, einen handgeschriebenen »richtigen« Brief zu bekommen, weiß um den Zauber, wenn mit bunten Briefmarken, Stempeln und Aufklebern verzierte Briefe und Päckchen ins Haus schneien. Derartige Sendungen lösen schon beim Öffnen Freude aus und werden von den Empfängern oft über Jahrzehnte hinweg gesammelt und in Schatztruhen verwahrt.
Entsprechend groß war meine Freude, als ich einen mit »Poesiepost« gestempelten Umschlag aus Mainz erhielt. Jennifer Hilgert, eine Autorin, die ich auf der BuchBerlin kennenlernen durfte, schickte ihn mir. Im Inneren ihrer Poesiepost befand sich eine Original-Acryl-Gemälde von Zoubida Khmilech mit einem Gedicht von Jennifer sowie eine handgeschriebene Grußkarte.
Innehalten
An schönen Orten verweilen.
Rasten.
Ohne zu eilen.
Staunen, an platzigen Plätzen.
Ruhen, bei schattigem Sitzen.
Den lauen Sommersonnenwind
Ins Gesichte wehen lassen.
Der Ruhe lauschen. Den Lärm verpassen.
Ich bin ein Baum.
Und lasse mich stehen.
Zwischentöne hören, aus der Distanz zu sehen.Jennifer Hilgert
Zwei Künstlerinnen
Jennifer Hilgert sammelt Kaugummis, Schneekugeln und hat ein Faible für VW-Busse, Schnee, Schmetterlinge und Nachtfalter. Die Autorin schreibt und veröffentlicht unter ihrem Mädchennamen, damit er ihr nicht abhanden kommt.
Mit Gedichten hält Jennifer sich am Leben. Mit ihren Kinder- und Jugendbücher träumt die Erzieherin sich in andere Welten, außerdem veröffentlicht sie Romane und Kurzgeschichten per Self-Publishing. Schließlich bloggt sie auf ihrem Sekretär.
Jennifer und Zoubida lernten sich auf einem Flohmarkt in Mainz kennen. Jenny erwarb zwei wunderschöne Bilder von ihr, Bida schickte ihr bemalte Postkarten in Acryl. Eine von ihnen wurde jetzt in die Welt entlassen und beglückte mich in Berlin.
Zoubida Khmilech wurde in Oujda, Marokko, geboren und lebt seit 1972 in Deutschland. Sie begann 2004 aus Leidenschaft zu malen. Die Hobbymalerin hat weder Kunst studiert noch eine Kunstschule besucht. Rein zur Inspiration hat sie einige Kurse absolviert und entdeckte im Laufe der Zeit ihre eigene künstlerische Handschrift.
Zoubida lebt in Eltville am Rhein, wo im Dezember 2017 in der kurfürstlichen Burg ihre erste Ausstellung stattfand.