Zu Gast beim Autor der »Schwabenkinder«
Sein Händedruck ist fest, die Umarmung herzlich. Wer Elmar Bereuter trifft, begegnet einem wettergegerbten Mann mit gesunder Gesichtsfarbe und lustig blitzenden Augen. Der Autor erfolgreicher historischer Romane wie »Schwabenkinder«, »Hexenhammer« und »Felders Traum« lebt abseits der großen Straßen in einem winzigen Dorf im württembergischen Oberschwaben nördlich des Bodensees.
Elmar Bereuter kennt wie kaum ein anderer Autor das Sujet seiner Romane: Land und Leute im Bregenzerwald. Harte körperliche Arbeit bestimmte seine Kindheit: 1948 im österreichischen Lingenau als ältestes von vier Kindern einer Bauernfamilie geboren, lernte er von klein auf, wie hart das Leben der Bauern im Bregenzerwald ist. Im Sommer ging es hoch auf die Alpe und zu einem schon seit Jahrhunderten minimalistischen Leben ohne Strom, Bad oder andere Annehmlichkeiten der Zivilisation. Nachdem das Gras abgeweidet war, wurden die Rinder und Kühe dann im Herbst wieder geschmückt zurück ins Tal getrieben. Mit der schulischen Fortbildung war es in der bäuerlich strukturierten Talschaft schlecht bestellt, der Junge wurde auf ein Internat im 500 km weit entfernten Graz geschickt.
Bereuter wurde, wie man so sagt, fast schon mit Skiern unter den Füßen geboren. Wen wundert es, dass er auch heute noch leidenschaftlicher Skifahrer ist, ausgedehnte Bergwanderungen unternimmt und Gipfel erklimmt. Als in den 1970er-Jahren der US-Amerikaner Mike Harker erstmals mit einem Flugdrachen von der Zugspitze flog, sollte es nicht mehr lange dauern, bis auch Bereuter mit einem solchen Hängegleiter durch die Lüfte glitt. Seine berufliche Laufbahn als Chef der Öffentlichkeitsarbeit einer Bergsportfirma passte da optimal, und als er sich 1991 mit einer Werbeagentur selbstständig machte, profitierte er von seinen Kenntnissen und Beziehungen.
Elmar Bereuter entstammt dem Bregenzerwald
Kindheit, Lebensweg und die Verbundenheit mit seiner österreichischen Heimat mögen Grund dafür sein, warum sich Elmar Bereuter stark mit der Aufarbeitung und Bewahrung der Geschichte von Land und Leuten des Bregenzerwaldes befasste. Ein unerwarteter Bezug zu seiner Heimat tat sich auf, als er in Oberschwaben feststellte, dass der Begriff »Schwabenkinder« im Schwabenland selbst völlig unbekannt war. »Ja, da waren schon fremde Kinder zum Arbeiten da«, erinnerten sich noch ältere Leute. Das war´s dann.
Bereuter war sich bewusst, dass er hier den Zipfel eines Stücks Geschichte in der Hand hielt, das drohte, völlig in der Vergessenheit zu verschwinden. Die letzten der noch lebenden Zeitzeugen waren schon steinalt und er beschloss, die Geschichte in Romanform unter dem Titel »Die Schwabenkinder« aufzuschreiben.
Anhand eines bewegenden Einzelschicksals erzählt dieser emotional packende Roman vom Sohn einer Bauernfamilie aus dem Bregenzerwald, der als Neunjähriger auf den Kindermarkt nach Ravensburg geschickt wird, wo er von einem grausamen Bauern ersteigert wird. Hintergrund ist die historische Tatsache, dass jahrhundertelang oftmals tausende Kinder bettelarmer Eltern jedes Frühjahr über die schneebedeckten Alpen nach Oberschwaben wanderten, um dem Hunger zu entkommen. Auf Kindermärkten, die von der damaligen Presse, sogar auch in den USA als »Sklavenmärkte« angeprangert wurden, wurden sie dann von schwäbischen Bauern als Arbeitskräfte in Empfang genommen. Dies waren die so genannten »Schwabenkinder«.
Elmar Bereuter typisierte anhand eines fiktiven Einzelschicksals ein grausames Kapitel europäischer Regionalgeschichte und setzte den Schwabenkindern mit seinem Roman ein literarisches Denkmal. Er verschickte das Manuskript an rund 30 Verlage, doch keiner griff zu. Über mehrere Umwege erfuhr auch der Münchener Regisseur Jo Baier von dem Manuskript. Der machte daraus allerdings ein eigenes Skript und verfilmte 2003 »Schwabenkinder« als Heimatfilm mit Tobias Moretti, Vadim Glowna und Jürgen Tarrach.
Der den Anstoß gebende Autor, der das Thema für eine breite Öffentlichkeit entdeckt, recherchiert und zu Papier gebracht hatte, ging weitgehend leer aus. Lediglich Bereuters Name wird im Film ganz am Ende des Abspanns erwähnt.
Zum Glück des entsprechend frustrierten Autors griff schließlich die Verlagsgruppe LangenMüller Herbig zu und veröffentlichte 2002 »Die Schwabenkinder« als Hardcover. Der Erfolg war durchschlagend: Innerhalb weniger Wochen schoss das Buch in die Bestsellerlisten und es wurden sieben Auflagen verkauft. Es folgte eine Hörbuchausgabe und seit 2004 sind „Die Schwabenkinder“ beim Piper-Verlag ein Longseller.
Bereuter setzt den »Schwabenkindern« ein Denkmal
Die ungeheure Materialfülle, die Elmar Bereuter zum Thema zusammengetragen hatte, nutzte der Autor gleich noch, um drei Rother-Wanderführer über die »Schwabenkinder-Wege« zu publizieren. Anhand dieser ungewöhnlich detaillierten Reisebegleiter können heute Wanderer grenzüberschreitend und auf den ursprünglichen Original-Wegen den Spuren der Schwabenkinder folgen und sich anhand des reichen Hintergrundmaterials ein ungefähres Bild der damaligen Lebensumstände machen.
Elmar Bereuters zweiter historischer Roman »Hexenhammer« benötigte keine große Lobbyarbeit, um im Jahr darauf von Herbig veröffentlicht zu werden. Auf 400 Seiten schildert der Autor anhand geschichtlicher Fakten die verschlungene Entstehungsgeschichte des berühmt-berüchtigten »Hexenhammers«, einer theologisch und juristisch begründeten Anleitung zur Hexenverfolgung. Im Mittelpunkt steht dessen Verfasser, der Dominikanermönch Heinrich Institoris mit seinen wüsten und frauenfeindlichen Obsessionen.
Auch dieses Werk schlug bei Kritik und Publikum ein, und so war es folgerichtig, einen weiteren Roman aus der Zeit der Hexenverfolgung nachzuschieben: »Lichtfänger« erschien 2005. »Lichtfänger« bekämpften unter ständiger Gefahr für Leib und Leben den bereits zum Allgemeingut gewordenen Hexenwahn. Bereuter erzählt darin, wie sich der amerikanische Historiker George Lincoln Burr in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts quer durch Europas Archive wühlt, um die Schicksale von Lichtfängern wie Cornelius Loos oder Friedrich Spee zu erhellen.
Elmar Bereuter auf den Spuren von Franz Michael Felder
2007 präsentierte der Verfasser profund recherchierter historischer Romane dann »Felders Traum. Die kaum glaubliche Geschichte eines Bergbauernbuben«. Bei der Schilderung der Lebensgeschichte des »schreibenden Bauern« Franz Michael Felder, spielt Elmar Bereuter wieder seinen Heimvorteil aus, selbst dem Bregenzerwald zu entstammen, in der diese Tatsachengeschichte spielt. Mit dem 500-seitigen Werk schenkt er dem Freigeist Franz Michael Felder ein mehr als verdientes Denkmal. Gleichzeitig setzt er mit dem ungemein spannenden, in einem mächtigen Rutsch zu lesenden historischen Roman, ein Signal gegen Ignoranz und Kleingeisterei.
Elmar Bereuter ist auch als Vortragender gefragt, wo er nicht nur aus seinen Büchern liest und von Hintergründen zu Schwabenkindern und Felder zu erzählen weiß, sondern auch über so manchen Irrtum zur Hexenverfolgung aufzuklären vermag.
Gibt es ein Thema, das ihn so fasziniert, dass bald der nächste Roman erscheint? – »Gäbe es schon, ja. Aber gerade das Thema „Schwabenkinder“ holt mich immer wieder ein, weil es trotz vieler neuer Erkenntnisse noch längst nicht ganz aufgearbeitet ist. Daran scheitert auch immer wieder ein seit Jahren geplantes Buch: Immer wenn du glaubst, du kannst ein Kapitel abschließen, taucht wieder etwas Neues auf, das dich zwingt, ganze Teile, ja sogar das ganze Konzept über den Haufen zu werfen.«
Bereuter sieht mich an und lächelt, wenn auch fast ein wenig resigniert. Der Autor wirft einen langen Blick zum Fenster, vor dem die Wolken in Richtung Bregenzerwald ziehen …
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