Die Titel seiner Bücher und Theaterstücke sind sprichwörtlich geworden: »Auslöschung«, »Der Untergeher«, »Alte Meister«, »Beton«, »Verstörung«. Viele kennen diese Titel, nur wenige aber haben die Bücher gelesen. Dabei sind die Texte von Thomas Bernhard (09.02.1931 – 12.02.1989) mit das Beste, was der deutschsprachige Markt zu bieten hat.
Thomas Bernhards Texte werden wegen ihrer Bissigkeit und Schärfe ebenso gefürchtet wie geliebt. Gleichzeitig gelten sie wegen der ihr eigenen komplexen Satzstruktur und der schier unerschöpflichen Wortaneinanderreihungen, die der Autor kultivierte, als spröde und schwer zugänglich. Doch genau das Gegenteil ist der Fall.
Thomas Bernhard bietet großes Lesevergnügen
Bernhards ebenso einfache wie komplizierte Texte bieten dem, der sich vorurteilsfrei darauf einlässt und für den Augenblick der Lektüre die Welt mit den sezierenden Augen des Autors betrachtet, ein komplexes Lesevergnügen der besonderen Art. Sein nahezu artistischer Stil ist stets von hoher Musikalität geprägt, man könnte sie sogar singen.
Heftig strömende, monologisierende »Schimpftiraden«, sich kunstvoll in schwindelnde Höhen schraubende Gedankengänge und ätzende Kritik an der »besseren« Gesellschaft machen die mehr als 60 Romane und Stücke zum Feinsten der deutschsprachigen Literatur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert.
Einstieg in die Welt des Thomas Bernhard
Um in die Gedankenwelt Bernhards einzusteigen, eignet sich vorzüglich eine Sammlung kurzer Prosatexte, die unter dem Titel »Der Stimmenimitator« erhältlich ist. Es handelt sich dabei um rund einhundert Texte im Stil lokaler Pressenachrichten, die ebenso wahrscheinlich wie unwahrscheinlich klingen.
Sachlich wird von denkbaren und undenkbaren, von möglichen und unmöglichen Ereignissen berichtet, die der Autor blitzlichtartig aufnimmt und wiedergibt. Fast immer münden seine Kurzberichte im Unglück, und die Trennwand zwischen Komödie und Tragödie ist hauchdünn.
Ein Schauspieler verkörpert die Rolle des bösen Zauberers in einem Kinderstück so überzeugend, dass die kleinen Zuschauer die Bühne stürmen und ihn zu Tode trampeln. Zwei Herren füttern im Tierpark Schönbrunn die Affen, bis die Tiere die Futterreste sammeln und sie den Zoobesuchern durch das Gitter hinaus reichen, die darauf entsetzt dem Tiergarten entfliehen.
Ein Denker tauscht mit dem Wirt eines vorzüglichen Gasthauses die Rollen, worauf naturgemäß weder Wirt noch Denker in ihren neuen Rollen funktionieren. Die Bürgermeister von Pisa und Venedig landen in ihren jeweiligen städtischen Irrenhäusern, weil sie, um die Touristen vor den Kopf zu stoßen, heimlich den schiefen Turm von Pisa mit dem Campanile von Venedig tauschen wollen.
Thomas Bernhard: ein Virtuose der Worte
Beispielhaft für die sprachliche Virtuosität Bernhards steht sein Text »Holzfällen. Eine Erregung«. Dabei handelt es sich um eine gewaltig-geniale Schmähschrift auf den Kunstbetrieb und die Gesellschaft. Das Buch im eigenwilligen Stil Bernhards liest sich wie im Rausch, wenn man sich darauf einlässt.
In der Suada schildert der Erzähler den Ablauf eines »künstlerischen Abendessens«, zu dem er eingeladen wurde. Mit typischen Endlossätzen beobachtet Bernhard die Szene aus der sicheren Perspektive eines Ohrensessels. Er karikiert die anwesenden Künstler und verflucht den Abend ob dessen Langeweile und Hohlheit.
»Holzfällen« ist in jeder Hinsicht komisch. Er ist bisweilen dermaßen grotesk, dass der Leser laut lachen muss, folgt er der Schilderung des Abends. Die Veröffentlichung des urkomischen Werkes brüskierte dann auch diejenigen Humorfernen, die sich darin zu erkennen glaubten.
Der Roman »Holzfällen« war kaum erschienen, da wurde das Buch in Österreich auf Betreiben derjenigen, die sich erkannt glaubten, am 29. August 1984 gerichtlich beschlagnahmt und verboten. Dies prägte Bernhards kritisches Verhältnis zur Alpenrepublik so nachhaltig, dass er testamentarisch ein allgemeines Aufführungs- und Publikationsverbot all seiner Werke in Österreich verfügte.
Bernhards Humor auf der Bühne
Bernhards 1967 entstandenes erstes Theaterstück »Ein Fest für Boris« wurde zwar bereits 1972 in Hamburg von seinem Freund Claus Peymann als absurdes Theater inszeniert. Doch erst im Sommer 2007 wurde es erstmals in Salzburg im Rahmen der Festwochen aufgeführt, für die es ursprünglich geschrieben worden war.
Die rabenschwarze Komödie schrieb der »Alpen-Beckett« als »eine Art Anti-Jedermann, eine Tafel mit Leuten, ein Fest, aber Verkrüppelte«. Zum Geburtstagsmahl für Boris sind seine beinlosen Genossen aus dem Asyl geladen. Die zunehmend aufgeregten Gespräche über zu kurze Schlafkisten, schlechtes Essen und andere Miseren im Heim der Beinlosen untermalt Boris mit immer heftigeren Trommelschlägen, bis er – unbemerkt – tot nach vorne sinkt.
Eine großartige Komödie ist auch »Die Macht der Gewohnheit«. In dem Dreiakter geht es um einen despotischen Zirkusdirektor, der seine Artisten seit Jahren quält, täglich mit ihm Schuberts »Forellenquintett« zu üben. Dies geht indes immer wieder schief und führt zu einer Endlosschleife burlesken Humors.
Thomas Bernhard zwischen Komödie und Tragödie
Die Texte von Thomas Bernhard zeichnen sich durch ein ständiges Wechselspiel von Komödie und Tragödie aus. Zum engen Wechselspiel der beiden an sich gegensätzlichen Gattungen sagte der Schriftsteller selbst:
»Man kann in Verzweiflung, sage ich, gleich, wo man ist, gleich, wo man sich aufhalten muss in dieser Welt, von einem Augenblick auf den anderen aus der Tragödie (in der man ist) in das Lustspiel eintreten (in dem man ist), umgekehrt jederzeit aus dem Lustspiel (in dem man ist) in die Tragödie (in der man ist).«
Wenige Tage nach seinem 58. Geburtstag verstarb Bernhard in seinem Vierkanthof im oberösterreichischen Obernathal. Der inzwischen längst zur weltweit gefeierten Kultfigur gewordene Autor hinterließ mit seinem Werk ein sich im Sprachwitz dramatisch entfachendes Feuerwerk. Sein Vierseithof in der Nähe der Stadt Gmunden ist als Veranstaltungsort und häusliches Museum erhalten und dient als Pilgerstätte für Bernhard-Fans.
Ausgewählte Bernhard-Rezensionen von W. R. Frieling bei Literaturzeitschrift.de
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Ach Rupi!!!
Danke dafür! Ich hab mich auch schon immer gefragt: „Haben die Leute denn Tomaten auf den Augen, dass sie den Humor bei Thomas Bernhard gar nicht sehen?!“ Klar: Es gibt auch viel Ernstes. Und das muss auch so sein. Ja, manchmal ist er schwer zu lesen – etwa, wenn der Text gar keine Absätze hat. Aber wie du sagst: Das steigert das berauschende Gefühl. Wenn man sich drauf einlässt. Und das sollte man wirklich tun.
Aber nochmal zum Humor: Bernhard war ja mit Claus Peymann befreundet – der immer zu ihm hielt, viele seiner Stücke uraufführte. Wenn man dann Bernhards Buch mit dem Titel „Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen“ findet, sollte man eigentlich sofort verstehen: Da ist Humor im Spiel! Auch die Attacken auf „den Betrieb“ – Theater oder Literatur, ganz egal! – kann man mit einem dicken Grinsen lesen. Und sich denken: Was sind Menschen doch für Narren, dass sie das Immergleiche ständig wiederholen müssen … Manches bis heute.
Danke für die Erinnerung an Thomas Bernhard!
Ich erinnere mich an wundervolle Aufführungen im Berliner Ensemble, wo Claus Peymann (bewaffnet mit einem riesigen Schnitzel) und Hermann Beil sich selbst auf der Sulzwiese spielten und Bernhards Text lasen.