Draußen gibt es wenigstens Netz: Teilnehmer der re : publica vor dem Berliner Friedrichstadtpalast. © Foto: W.R. Frieling
Wer bin ich? Woher komme ich? Wo gehen wir heute Abend saufen? Dies waren drei entscheidende Fragen, die sich viele der Teilnehmer der inzwischen fünften Berliner re : publica (13. bis 15. April 2011) stellten.
Rund 3.000 Internetfreaks trafen sich in Berlin, um zum stolzen Eintrittspreis eines Rolling-Stones-Konzerts Teil der re : publica-Welt zu werden. Sie bekamen ein schwarzes Bändchen samt Namensschild um den Hals gehängt, mit dem sie im Friedrichstadtpalast, im Quatsch-Comedy-Club und in der benachbarten Kalkscheune herumstreunen und mehr oder weniger kompetenten Referenten lauschen durften, die ihnen Aspekte des digitalen Lebens nahe bringen wollten.
Sie erlebten dort unter anderem den Auftritt von mittelmäßigen Rednern, deren Beiträge häufig in eine Selbstdarstellung, eine Produktpräsentation oder eine Verkaufsveranstaltung mündeten. Wirklich Neues oder gar Innovatives gab es zwischen den vielen äääh, emmm und öööh kaum.
Die Veranstalter vollbrachten zugleich die Meisterleistung, Themen, die das Publikum wirklich interessierten, in kleinen Räumen zu verstecken. Davor stauten sich bereits lange vor Beginn hunderte Interessierte, von denen nur ein Bruchteil eingelassen werden konnte. Kein Wunder, dass auf Twitter die Mittagspausen als kreativster und angenehmster Teil der Veranstaltung bezeichnet wurden.
In ihrer fünften Wiederholung gerierte die Veranstaltung damit zum Happening der Grüßonkel, nerdisch Meet-and-greet-people genannt. Wer seine Twitter-, Facebook- oder Blog-Freunde einmal persönlich treffen oder auch nur aus der Ferne beäugen wollte, kam voll auf seine Kosten.
Das Publikum wurde von den Organisatoren hinsichtlich des Niveaus und der Erwartungen jedoch unterschätzt. Johnny Häusler, einer der Gründerväter, schaute fassungslos ins Publikum, als seine Frage, ob die Veranstaltung gefalle, mit zahlreichen nach unten gerichteten Daumen beantwortet wurde. Während er noch vermutete, diese Kritik richte sich an die technischen Rahmenbedingungen (das zeitweise funktionierende WLAN war nicht ansatzweise in der Lage, dem Netzverkehr gerecht zu werden, und mitunter brach sogar das gesamte Telefonnetz zusammen), sprach eine Schweizer Teilnehmerin vielen aus dem Herzen, als sie erklärte, ihre Unzufriedenheit sei inhaltlicher Art, sie habe sehr viel mehr erwartet.
Entsprechend kritisiert wurde in auswertenden Kommentaren und Berichten auch die groß angekündigte Gründung des Vereins Digitale Gesellschaft, dem alle gerne gratis zuarbeiten dürfen, deren elf (geheime) Gründungsmitglieder allerdings keine Neuaufnahmen akzeptieren.
Im Ergebnis: Das Format re : publica scheint verbraucht, denn ihre Geschäftsführer haben ihre Hände überall, nur nicht mehr am Puls der Szene. Das hat auch mit dem durch und durch kommerziellen Charakter der Veranstaltung zu tun, bei der immer wieder der Eindruck aufkommt, dass sich eine Handvoll Netzaktivisten gegenseitig Themen, Aufträge und Tantiemen zuspielen.
Vielleicht sollten die Macher der „Konferenz über Blogs, soziale Medien und die digitale Gesellschaft“ auf das Format Barcamp schauen, dass in vielen Städten in den letzten Jahren wachsende Popularität gefunden hat, und das einer Veranstaltung im Stil universitärer Vorlesungen weit überlegen ist: Themen werden direkt aus der Zuhörerschaft geschöpft, damit kann sofort abgeschätzt werden, wie groß das Teilnehmerinteresse an einem Thema ist, daraus resultierend kann wiederum eine entsprechende Raumgröße gewählt werden. Themen und Fragestellungen sind entsprechend aktuell und spannend, zudem sind Barcamps kostenlos zugänglich und damit frei vom Vorwurf, sich bereichern zu wollen
Weitere kritische Rückblicke als Lektüretipps:
Christian Scholz: old school Klüngelgesellschaft e.V.
Malte Steckmeister: re-trospektive: re-infall re-publica
Torsten Maue: #rp11 Ein Schuß in den Ofen
Dörte Giebel: mein rundblickender rückumschlag
Sebastian Cario: re-publica 2011 Das war nichts!
Simon Zeimke: Re-Publica 2011 ein Re-cap
Wo wann rolingstones 3 Tage fűr 100 ois? Auch der Rest von diesem Artikel hier miesepupsich! Ich fand #rp11 zwar nicht optimal aber erhellend. Klar wieder auch das wir eigentlich noch prä-Internet sind (daher auch das lächerliche WLAN da)
Gut also, dass ich meine Euros fürs nächste Konzert der Stones aufgehoben habe.
Also habe ich weeeenigstens diesmal nichts verpasst….
🙂
Bist du im nächsten Barcamp dabei ?
Toll, dass Du Erhellendes entdeckt hast. Das ging mir ebenso – wenn auch aus wohl anderer Perspektive.
Die Stones rocken selbst im Alter stärker als manche re : publicaner
Barcamp Hamburg? Das ist für den Spätherbst angekündigt, es gibt aber noch keinen konkreten Termin.
Bericht mit Interesse und großen Augen gelesen! Ehrliche Frage: Wie können denn Berichte und Meinungen derart konträr ausfallen? Wart ihr auf verschiedenen Veranstaltungen? 🙂
Wenn bei einer solchen Veranstaltung nicht einmal das Netz funktioniert, ist das ein Armutszeugnis.
Aber irgendwie auch bezeichnend für den Zustand unserer Re : publik.
Auf Twitter wird diese unterschiedliche Sichtweise sehr schön gespiegelt. Wie hast Du es denn erlebt???
Das funktionierte in diesem Jahr schon weitaus besser als in 2010, da herrschte nämlich totale Funkstille.
Das ist es ja gerade – dank Bronchitis war ich eben nicht dort, habe es aber über Twitter verfolgt. Obwohl – das mit den Selbstdarstellungen kann ich mir lebhaft vorstellen… 🙂
Es ist wohl immer die Frage, welche Erwartungen gehegt werden. Ich habe zahlreiche Veranstaltungsformate hinter mir (als Referent wie als Besucher), besuche die republica zum wiederholten Mal und komme auch nicht aus der Provinz in die Partyhauptstadt. So sieht man derartige „events“ vielleicht kritischer.
Ich war ja schon häufiger da, z.B. hier mein Bericht aus dem Jahre 2009: http://weltenweiser.blog.de/2009/04/05/rueckblick-re-publica09-5894057/
Mir ging es besser, da ich keine großen Erwartungen hegte. Ich habe sozusagen meinen Frieden mit der re: publica gemacht, während ich in den letzten Jahren gern kritisierte. Kein WLAN? Ich nehme einen Stick mit, weil ich nicht mehr damit rechne, dass es geht.
Zu teuer? Naja, im Konferenzbereich ist es noch eher niedrig angesiedelt. Dabei muss ich hinzufügen, das ich von der Arbeit aus da bin und das Ticket nicht selbst bezahle. Ich erwarte auf der re: publica keine guten Vorträge und Neues. Das sehe ich ohnehin auf anderen Konferenzen, wie in Berlin z.B die Next. Wer nichts erwartet, wird nicht enttäuscht. Da freut man sich dann, wenn man in einen Vortrag wie von praetorius gerät und angenehm überrascht ist. Es ist halt ein Klassentreffen. aus dem deutschsprachigen Raum sind schon sehr viele da, die man gern mal wieder sieht. Mit denen trinkt man dann einen Kaffee, da man ohnehin nicht in die Veranstaltung hinein kommt, die einen interessiert. Das war ja auch nicht das erste Mal. die Organisatoren feiern sich selbst? War auch schon immer so. sollen sie ruhig. Wenn Lobo die Mehrheit begeistern kann, warum nicht? Ich hör es mir halt nicht an.
Die Bootstour war z.B. eine nette Idee. Das ein traditionelles Rentnervergnügen die Netzaffininen begeistert, hat doch was. Wahrscheinlich gibt es das nächste Mal Meetigel und Eierlikör. Allerdings lauscht man eher den Berlinerklärungen als sich zu unterhalten. Das ist dann wieder schade. Vielleicht nächstes Mal eher ein Partyboot charten. Da kommt man schneller ins Gespräch mit mehr Leuten als denen am eigenen Tisch.
Der neu gegründete Verein ist allerdings schon sehr kritikwürdig. Keine Transparenz, geschlossene Gesellschaft bei den Entscheidern. Kann man machen, aber nicht, wenn man in Anspruch nimmt, es sonst zu sein und ständig drüber debattiert. Das ist schon fast ein Fall für Digileaks.
Fehlerhaften Link korrigiert und Smileys bei re-publica entfernt. RF
Ich entschuldige mich für die smileys. sie werden offensichtlich automatisch bei der korrekten Schreibweise der re-publica eingebaut.
Du bist ein Opfer der HTML (: + p) = :p
Ich habe mir mit Leerzeichen geholfen, und das ist jetzt keine Anspielung auf die Veranstaltung 😉
„Rund 3.000 Internetfreaks..“
Diese Einleitung verspricht wenig Reflexion. Wurde nicht enttäuscht.
Synonyme im Angebot?
„Stolzer Preis“
– dan der Stelle habe ich aufgehört, den Artikel zu lesen. Du hast offenbar keine Ahnung, was ähnliche Konferenzen kosten – nämlich 500 Euro und deutlich aufwärts. Die Republica ist supergünstig.
Schade, dass Deine Konzentrationsfähigkeit nicht über das erste Reizwort hinaus reicht
Supergünstig? Eine Konferenz – zu welchem Eintrittspreis auch immer – bei der Teilnehmer nicht einmal den Raum erreichen konnten, in denen das angebotene Programm ablief, ist mir jedenfalls noch nicht vorgekommen. Abgesehen davon bin ich mehr am Modell Barcamp orientiert, und das funktioniert kostenlos und zwar in jeder Hinsicht.
Ja LOGISCH waren sie das. Wo sonst? Der Sinn von Kommunikation besteht schließlich in gegenseitigen Berichten vom Abwexlunxsreichtum der ‚objektiven Realität‘.
Nein.
Weil du 3.000 Menschen nicht in einen Topf werfen kannst.
Deswegen am ehesten noch „Interessierte“, „Teilnehmer“, etc. Eben ohne Themenbezug. Mensch neigt dazu alles zu betiteln, um es kategorisieren zu können, es in Schubladen stecken zu können. Aber das ist hier nicht (mehr) möglich. Und das ist auch gut so.
Give it a name and it won’t hurt.
„Internetfreaks“ ist hier die denkbar schlechteste Zusammenfassung. Allein „Freaks“ ist schon disqualifizierend genug, aber auch „Internet“ taugt als gemeinsamer Nenner schon lange nicht mehr. Es geht nicht um die Infrastruktur, sondern um das dadrüber.
Danke für Deine Ergänzung, ich lerne gern dazu. „Freak“ ist für mich nicht negativ besetzt, spätestens seit Frank Zappas „Freak out“ eher ein Bekenntnis. Aber das ist natürlich wie alles eine Frage der Sichtweise.
Bei Wikipedia heißt es übrigens dazu, und da fühle ich mich bestätigt: „Ein Freak ist umgangssprachlich eine Person, die eine bestimme Sache, zum Beispiel ihr Hobby, über ein normales Maß hinaus betreibt, diese Sache zum Lebensinhalt macht oder sich zumindest mehr als andere darin auskennt, z. B. ein Computerfreak“.
Das darf doch wohl als gemeinsamer Nenner der „republicaner“ unterstellt werden, meinst Du nicht auch?
Der Herr Knüver kommt zu einem anderen Fazit: http://is.gd/Q2mk4T
Aber da ich nicht da war, kann ich nichts dazu sagen. Allerdings: Die Bohemian Rhapsody am Ende hat was.
Thomas Knüwer steht mit seiner Meinung nicht allein, allerdings hat es kaum einer so wunderschön positiv formuliert. Wer den Hauptaspekt einer derartigen Großveranstaltung im Happening sieht, der ist voll auf seine Kosten gekommen. Ich bin in dieser Beziehung hingegen ein wenig sperrig auf Inhalte fixiert.
Content is overrated ;-P
Maybe, Mabel 😉
Blogrundschau zur re:publica 2011 – Meinungen aus dem Netz.
Meinen eigenen Bericht habe ich gestern Abend bereits verfasst. Mittlerweile finde ich jedoch weitere positive und negative – naja, eigentlich fast ausschliesslich negative – Berichte im Web, hier ein paar Beispiele: re:publica 2011 ? Das…
Etwas Postives hat die Veranstaltung ja dann wohl doch bewirkt. Du hast eine kontroverse Diskussion bewirkt. Das ist doch schon mal was in diesen Tagen….. 😉
Polarisieren tut gut.
Das Foto finde ich klasse. Aber wenn ich eine Menschengruppe sehen will, bei der der Großteil in ein Handy brabbelt oder aufs Display starrt, kann ich einfach in den nächsten Bus oder die nächste Bahn einsteigen. 😉
Wir leben in einer Sims-Mail-Phone-und-was-ich-weiß-noch-alles-Gesellschaft. Wer spricht denn da noch miteinander?
es gibt aber noch so ne andere Veranstaltung da auch von mixxt glasube ich…
🙂
Ich denke, solche zentralisierten Digi-Events (ich weiss, diese meine Bezeichnung ist ebenso daneben) haben den Vorteil, dass sie einfacher zu organisiern sind. Der Nachteil ist jedoch immer eine gewisse fehlende themenübergreifende Flexibiliät. Das ist ein Bisschen wie in einem „Akte X“-Film: um Hintergrunde zu verstehen, muss man in der Materie sein, damit das breite Publikum aber nicht abspringt, hat man das Thema so weit wie möglich verallgemeinert – auf Kosten der Qualität.