Das hochsommerliche »New Healing Festival« ist ein farbenfrohes Miteinander von Folkies, jungen und alten Hippies, Esoterikern und Menschen mit Eigensinn. Sie verbringen eine unbeschwerte Woche, umgeben von Zelten wie kleinen Burgen und rollenden Wohnheimen. Sie baden gemeinsam im See und tanzen rauschend bis zum Sonnenaufgang zu elektronischen Beats.
Fest der Sinne: Das New Healing Festival
Ein Bericht von Prinz Rupi
Kürzlich wurde mir der Vorwurf einer behaupteten Raserei erlassen: Ein Berliner Verkehrsrichter befand, auf dem Radarfoto könne ebenso gut der Schauspieler Jack Nicholson erkannt werden. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen: Ich setzte meine rote Sonnenbrille auf und düste freudig jauchzend gen Norden zum New Healing Festival ins Kümmernitztal.
In dieser abgeschiedenen Wildnis im nördlichen Brandenburg, zwischen den Herzen von Berlin und Hamburg, hatte ich vor, meine gerichtlich bestätigte Metamorphose zu feiern und mich in meiner neuen Identität zu entspannen.
Das New Healing Festival versprach eine Woche voller Musik, Kunst und Eingebung, eine »magische Erfahrung in einer einzigartigen Atmosphäre«. Den Teilnehmenden wurde ein vielfältiges »Programm aus Meditation, Yoga, Philosophie, Wellness, Zeremonien, Erfahrungsaustausch, Musik, Kunst und vielem mehr« versprochen, wie es verheißungsvoll im Vorfeld hieß. Das war mir die Investition von 183,50 Euro wert, und so ergriff ich die Gelegenheit als Frühbucher inklusive Parkplatzmiete.
Die Kunst des Zeltens
»Natürlich möchtet ihr nicht jeden Morgen vom Lärm meiner sechs Kinder geweckt werden«, warnt eine sonnengeküsste Dame mit kunstvoll aufgetürmten Rastafari-Locken. Sie sieht, dass wir ein freies Fleckchen in ihrer Nähe auserkoren haben und beginnen, unser Gepäck auszuladen.
Welch kritischer Beginn! – Einen geeigneten Stellplatz zu finden, gestaltet sich damit bereits zwei Stunden nach Eröffnung des Geländes als Herausforderung. Der Acker scheint bereits vor Tagen von Campern besetzt worden zu sein.
Mit hochgezogenen Augenbrauen tauschen wir Blicke und wahren respektvoll Abstand. Zu ihrer Ehrenrettung sei erwähnt, dass unsere Nachbarin sich kurz darauf vorstellt und sich für ihre anfängliche Reserviertheit entschuldigt. Zudem sind zwei ihrer Kinder bereits erwachsen und nicht mit von der Partie. Alles ist entspannt und im Fluss, wir harmonieren, ohne uns näher zu kennen.
Das Zelten offenbart sich als Kunst. Zumindest für jemanden wie Jack Nicholson ist das Leben in einem Campingzelt ungewohnt und folglich von Abenteuerlust durchtränkt. Welch ein Segen, dass mir kürzlich ein chinesisches Wurfzelt zum Testen überlassen wurde, welches sich auf magische Weise von selbst aufrichtet und entfaltet. (Wie problematisch das Zusammenfalten anschließend war, lasse ich aus Platzgründen außen vor.) Diese Jurte aus robustem Wachstuch wird für eine Woche meine Behausung. Bei sengender Hitze von 36 Grad Celsius und der direkten Bestrahlung der Sonne im Zenit, dampft das Innere des Zeltes bald wie eine Sauna.
Freunde, mit denen ich mich vor den Zelten treffe, zaubern eine köstliche Mahlzeit auf einem winzigen Gaskocher. Glücklicherweise hatten wir zuvor eine Großeinkaufsaktion gestartet und uns mit Konserven, Kartoffeln, Reis und Gemüse eingedeckt. Dies erweist sich als klug, da die Zivilisation samt ihren Läden und Märkten weitab in einem anderen Sonnensystem zu existieren scheint.
Die Magie des Festivals
Der Tag beginnt mit einem reinigenden Bad im See, gefolgt von einer Qigong-Stunde, einem stärkenden Frühstück und dem Abwasch des Geschirrs. Besondere Bedeutung kommt dem Prüfen der Solarladestationen für die elektronischen Geräte zu, wobei ein Funkloch den Gebrauch stark einschränkt. Anschließend beginnt die Erkundung des Geländes.
An einem Schild hängen die verschiedenen Workshop-Angebote, um die sich Menschentrauben bilden. Von Schwitzhüttenritualen über Tantra-Massagen bis hin zum mächtigen Kriegstanz der Maori, dem »Haka«, wird alles geboten. Bei diesem traditionsreichen Kriegstanz des neuseeländischen indigenen Volkes manifestiert sich Macht durch kraftvolle Bewegungen, stampfende Füße, rhythmisches Handklatschen und herausfordernde Gesichtsausdrücke. Das Interesse an solchen Angeboten ist erheblich, manche Workshops platzen aus allen Nähten.
Ich nehme an einer Zeremonie teil, bei der die Kunst des holotropen Atmens erlernt und geübt werden soll. Durch immer schneller werdendes Ausstoßen der Atemluft wird absichtlich eine Hyperventilation provoziert, um alternative Bewusstseinszustände zu erreichen. Eine junge Frau springt zwischen den kurzatmig keuchenden Teilnehmern umher und spornt sie zu Höchstleistungen an.
Meiner Natur folgend, schlendere ich lieber durch die verwinkelten Gassen der Zeltstadt. Hier koste ich ein leckeres veganes Eis, dort schlüpfe ich testweise bei »Tante Eden« in einen Wendekimono aus tiefrotem Samt. Auf einem orientalischen Teppich nippe ich an einem kräftigen Kakao, der trotz der Süße von Kokosblütenzucker eine erfrischend bittere Note behält, und tausche Geschichten. Auch das Geschichtenerzählen wird hier als Kunst zelebriert.
Klänge und Melodien tönen aus den Zelten, worauf ich zu Tablas greife und mich zwei indischen Ekstatikern anschließe. Gemeinsam intonieren wir religiöse Bhajans und Kirtans, die mit jeder Sekunde an Tempo gewinnen. Trommel-Workshops lassen mehr als fünfzig Trommler in Trance verfallen. Am Lagerfeuer improvisieren Gitarristen, die von spanischen Stimmen im Chor begleitet werden.
Ein Teil der Festivalbesucher bewegt sich nackt zwischen den Zelten. Einige von ihnen tragen stolz Tattoos, die vom Scheitel bis zum Zeh reichen. Alle Teilnehmer strahlen eine unglaubliche Friedfertigkeit und Wärme aus. Wildfremde Umarmungen sind an der Tagesordnung, Hände streicheln über Rücken und verweilen für einige kostbare Minuten. Ich gestehe, dass ich in dieser Woche mehr Umarmungen und liebevolle Gesten erfahren habe als in Jahrzehnten zuvor – eine Wohltat für die Seele.
Zauberdrogen für jedermann
Bunte Decken werden zu Treffpunkten des gemeinsamen Gesangs. Joints kreisen. Hundert Schritte entfernt demonstrieren Yogalehrer ihre besten Übungen. Kinder tollen mit Luftballons, während Hunde entspannt im Schatten der wenigen Bäume ruhen. Gemeinsamer Herzschlag und sanfte Töne erfüllen die Luft. Und über all dem liegt ein süßer, verbotener Duft, der die Sinne betört …
Ein Hippie mit Umhängetasche bietet in goldenes Stanniolpapier gehüllte Portionen halluzinogener Pilze an, basierend auf einer »erprobten Rezeptur aus San Francisco«. Pillen mit synthetischem Ecstasy erfreuen sich großer Beliebtheit bei denjenigen, die stundenlang unangestrengt tanzen. Für diejenigen, die ihre Pforten der Wahrnehmung weiten wollen, stehen Marihuana, Haschischpaste und LSD auf Löschpapier bereit. Auf dem New Healing Festival ist die Legalisierung von Cannabis kein Thema. Hier findet jeder, der sucht, seine ganz persönliche Zauberdroge.
Gen Mitternacht pulsiert der Tanz auf den verschiedenen Bühnen. Die ekstatischen Beats, die von bekannten DJs der Szene aufgelegt werden, üben eine magische Anziehungskraft aus. Nebelkanonen hüllen die Luft in künstlichen Dunst. Winzige Wassertropfen schweben darin, während die Tänzer sich hinter dem Schleier aus Nebel drehen und wiegen. Stunden später, wenn die Dämmerung anbricht, kehren sie zurück und suchen ihr Quartier auf, wo Schlaf sanft das Auge umhüllt.
Auf der nächtlichen Heimfahrt nach einer Woche Festival werde ich von einer Polizistin angehalten. Ihre Augen durchdringen mich. Was mag sie suchen? – Ich grüße sie tiefenentspannt in bester Jack-Nicolson-Manier, wünsche viel Erfolg und setze meine Fahrt fort.
Daheim finde ich eine Nachricht vor: Die Tickets für das nächste New Healing Festival im nächsten Sommer sind bereits im Vorverkauf. Die Preise steigen an, denn die Inflation macht auch vor Love and Peace nicht halt. Doch ein beruhigender Hinweis erfüllt mich: »Keine Altersbeschränkung«.
Jack Nicholson schlägt zu.
Nachtrag: Mein Freund Sascha7m hat in seinem Blog ein detaillierten Bericht über seine Erlebnisse veröffentlicht, der sich zu lesen lohnt: https://umsiebenmorgens.de/new-healing-festival-2023-eine-andere-reise
Der Inhalt dieses Blogs ist mächtig
der Autor Rupi der Worte trächtig
Kurzweil ist stets garantiert
weil Geist hier mit Humor flaniert
Vielfalt entdecken, stets entdecken, gestalten
Prinz Rupi, entfacht Optimismus ohne Sorgenfalten!
Heinz Diedrichsen
Lieber Heinz, ich umärmele Dich und danke Dir!
Euer Durchlaucht, ich war beim Lesen wie live dabei – die Bilder, Gerüche und Klänge – einfach herrlich.
Und IHR wart- mir scheint – Teil eines großartig abenteuerlichen Gesamtbewusstseins.
(Kann ja gar überhaupt gar nicht anders gewesen sein bei all der Enerdschi, selbst die Sonne hat mitgemacht 🙂
Edle Dame, Eure Anwesenheit wäre natürlich der Tupfer auf dem Sahnehäubchen gewesen!
Pingback: New Healing Festival 2023 - eine andere Reise - Um 7 morgens
Hallo Rupi,
eine wirklich köstliche und treffende Beschreibung des Festivals. Ich würde es kaum glauben, wenn ich nicht selbst dabei gewesen wäre und alles bezeugen könnte. Hoffentlich können wir es nächstes Jahr wieder zusammen erleben.
Lieber Sascha, ohne dich hätte ich diese Reise nie erlebt und mitgemacht. Wenn ich mich also bedanken darf, dann bei Dir für diese ungewöhnliche Erfahrung, die ich gern wiederholen mag.