Regisseur Christof Loy schaute sichtbar verdutzt, als er nach der Premiere seiner Inszenierung von Wagners Musikdrama »Tristan und Isolde« auf die Bühne des Londoner Royal Opera House trat, um Rosen in Empfang zu nehmen, stattdessen jedoch ein tausendstimmiges britisches Buuuuuuuhhh kassierte. Publikum und Presse der Themsestadt hegten hohe Erwartungen, doch diese wurden ganz offensichtlich nicht befriedigt.
Dabei ist »Tristan und Isolde« ein Stoff, der alle Möglichkeiten bietet, zumal er sogar in Britannien spielt: Der verwitwete König Marke aus Cornwall schickt seinen treuesten Freund und Verwandten Tristan per Schiff als Unterhändler nach Irland, um ihm dort als Friedensgeschenk zwischen den verfeindeten Nationen eine Gemahlin abzuholen, die »irish maid« Isolde eben. Die verkaufte Braut wiederum kennt Herrn Tristan bereits, der Jahre zuvor ihren Geliebten Morold im Zweikampf erschlug, dabei selbst schwer verwundet wurde und nur dank ihrer legendären Heilkünste gerettet wurde. Isolde fühlt sich gedemütigt, dass der Mörder ihres Verlobten jetzt als Brautwerber für seinen alten Onkel Marke auftritt. Um »zu sühnen alle Schuld« will sie ihn und auch sich selbst in die ewigen Jagdgründe schicken.
Die Sache wird spannend. Drogen kommen ins Spiel. Isolde weist ihre Zofe Brangäne an, »kennst du der Mutter Künste nicht«, ihr einen Todescocktail zu mixen. Die wiederum vertauscht die Mixturen und serviert einen Liebestrank, der starke Wirkung zeigt. Denn sobald Tristan und Isolde einen kräftigen Schluck Love Potion genommen haben, entflammen sie in heftiger Zuneigung und verschmelzen als ein Herz und eine Seele. So geht es nach Cornwall.
Im zweiten Akt empfängt die inzwischen mit dem Monarchen verheiratete Isolde ihren heimlichen Lover in Markes Burg Tintangel zum nächtlichen Stelldichein und löscht selbst das Licht, um ihn im Dunkel der Nacht zu sich zu rufen. Die Love Story kulminiert. »O sink hernieder, Nacht der Liebe, / gib Vergessen, dass ich lebe; / nimm mich auf in deinen Schoß, löse von der Welt mich los! / So stürben wir, um ungetrennt ewig einig, ohne End, / ohn Erwachen ohn Erbangen namenlos in Lieb umfangen, / ganz uns selbst gegeben, der Liebe nur zu leben! / Ohne Nennen, ohne Trennen, neu Erkennen, neu Entbrennen; / ewig endlos, ein-bewusst: heiß erglühter Brust höchste Liebeslust!«
Tristan und Isolde schwören sich das mittelalterliche Motiv des Aufgehens im gemeinsamen Liebestod als höchste Erfüllung (ein Motiv, das Wagner auch in seiner Oper »Der fliegende Holländer« ausführlich thematisiert). Als King Marke vom Betrug seines treulosen Freundes erfährt und wenig »amused« reagiert, ist die Sache für Tristan klar: er will als echter Ritter der Liebe willen in den Tod gehen. Isolde erklärt, ihm folgen zu wollen. Der liebestolle Held stürzt sich in das Schwert, das Markes Vasall Melot gegen ihn zieht und verletzt sich damit selbst tödlich.
Im dritten Akt vollzieht sich Tristans langes Sterben. Auf seiner Burg Karneol auf dem französischen Festland wartet er mit Freund Kurvenal auf die Ankunft eines Schiffes aus Cornwall, das ihm Isolde bringt. Als diese endlich eintrifft, stirbt er in ihren Armen. Sie bricht darauf verklärt zusammen und singt mit »Mild und Leise« eine der herzbewegendsten Wagner-Arien. Derweil kommt Marke mit Gefolge auf einem weiteren Schiff an. Der König wurde von Brangäne über die Wirkung der verabreichten Drogen aufgeklärt, er verzeiht seinem Neffen und möchte ihm sogar Isolde überlassen. Doch er kommt zu spät. Tristan und Isoldes Seelen sind bereits ins »Wunderreich der Nacht« entschwunden.
Was macht nun Christof Loy aus dem prächtigen Stoff? Er verschenkt in seiner Inszenierung nahezu alles, was ihm Wagner auf dem Silbertablett liefert. Abgesehen von einem spartanisch-minimalistischen Bühnenbild, das lediglich aus Stuhl, Tisch und Hocker besteht, nutzt Loy einen schweren Vorhang als Element, das Tristan und Isolde vom hinteren Bühnenraum trennt. Dort bewegt sich eine schwarz gekleidete Herrengesellschaft in oft slapstickartig erstarrten Bewegungen. Diese Trennung soll die Tag- und Nachtwelt der Gedanken Tristans und Isoldes von den übrigen Figuren andeuten.
Die beiden Protagonisten Tristan (Ben Heppner) und Isolde (Nina Stemme), die bärig in einer Bauer-sucht-Frau-Attitüde einander umschleichen, transportierten trotz großer stimmlicher Qualität nicht den Funken großer Emotion. Von Passion, Leidenschaft oder gar Inbrunst gibt es keine Spur. Wagners Wechselspiel zwischen Liebeserfüllung und Liebesqual wird als nüchtern-kalter Braten serviert, der erst noch in den Ofen geschoben werden will. Verwirrend kommen hinzu Loys eigene Regieeinfälle: im Hintergrund turtelt plötzlich Brangäne mit Markes Mannen, Tristan löscht selbst das Licht, mit dem ihn Isolde ruft, es gibt keine Schiffe als Metaphern für Ferne und Sehnsucht, und, und, und.
Muss Wagner von jedem Regisseur neu erfunden und teilweise sogar umgeschrieben werden? Wie viel Vorwissen muss ein Operngänger heutzutage mitbringen, um eine Aufführung zu verstehen? Gerade Wagner ist ja wie kein anderer Komponist der Musikgeschichte von einem absoluten Gleichschritt von Musik und Text geprägt. Jeder Spannungsmoment, der auf der Bühne dargestellt wird, spiegelt sich in der Musik, und die Spielhandlung auf der Bühne kann eigentlich im Gleichklang fließen.
Ja, die Musik. Wunderschöne und mächtige Klänge. Samtig schimmernde, strahlende Streicher. Das Orchester des Royal Opera House bewältigt einen unglaublichen Berg Noten, und es tobt, tönt und trompetet aus dem Graben, als ob der Leibhaftige die Musiker treibt. Die große Schwierigkeit bei Wagner liegt allerdings darin, die entfesselte Klangfülle zu bündeln und zu bändigen, damit auch in den ruhigen Momenten ein silberner Sound aufsteigt, der Gänsehaut beschert. Dirigent Antonio Pappano schaffte es leider nicht immer, seine Truppe zu zügeln, und so singt beispielsweise John Tomlinson als König Marke trotz großer Stimmkraft gegen einen Klangteppich an, der in einigen Szenen keinen Ton zum Publikum durchlässt. Man spürt, dass dieses Orchester und sein Dirigent begeistert spielen, aber relativ unerfahren im Erklimmen des Wagner-Massivs sind. Umso höher sind Spielfreude und Leistung zu bewerten.
Christof Loy verschenkt mit seiner Inszenierung von »Tristan und Isolde« viel von den großzügigen Möglichkeiten, die der Stoff ebenso wie das Opernhaus im Londoner Covent Garden bietet. Entsprechend enttäuscht reagierte das Publikum. Es hatte deutlich mehr erwartet.
Ich kann auch nicht verstehen warum jeder Regisseur die Werke neu erfinden will. Es gibt bereits einen Erfinder der Werke und das ist der Komponist, der hat sich schon genug Gedanken gemacht.
Inszenierungen haben schon ihre Berechtigung und sind auch spannend, wenn sie dem Gedanken des Werks dienen. Es muss dazu aber nicht alles neu erfunden werden.
Stimmt. Wenn so etwas neue Blickwinkel bringt, dann haben Inszenierungen ihre eigene Spannung. Das Problem ist der Blickwinkel. Auch wenn der Einäugige unter Blinden König ist.
Ich tue mir mit den Buh-Rufern immer schwer. Wenn ich etwas nicht gut finde, dann gibt es von mir keine Reaktion zur Abstrafung. Wenn ich Kenner der Materie bin, dann verstehe ich diese. Waren die Buh-Rufer im Royal Opera House jene verschmähte Liebhaber Wagners?
Die Reaktionen des Publikums sind wohl in allen Kulturen verschieden. Ich erinnere mich an Bekannte, die in Japan gastierten und darüber verwundert waren, dass im Publikum überhaupt keine Reaktion erfolgte – vom höflichen Schlussapplaus abgesehen.
Ja, die Japaner sind eigenartig. Wenn die schunkeln, dann heißt das fast schon so etwas wie „Gruppensexorgie“. 😉 Aber was bedeutet es für London, was dort passiert ist? Aufgebrachte Wagner-Kenner? Oder normale Reaktion eines frustrierten Zuschauers?
Ich meinte damit auch nicht die veränderte Darstellung eines Werkes in einer Inszenierung die immer wieder spannend ist solange sie dem Werk treu bleibt. Ich meinte die vollständige Neuinterpretierung eines Werkes bis hin zur Änderung von Szenen oder Charakteren.
Es sind diese extremen Änderungen. Wer z.B, aus einem Beckmesser eine Mutter Theresa macht hat den Sinn des Werkes nicht verstanden und raubt die Pointe.
„There was some hope that this new staging would erase the memories of Herbert Wernicke’s deeply unpopular 2000 production“ heißt es heute in der britischen Fachpresse. Es gab also einen Tristan, der bereits fürchterlich durchgefallen war, und es bestand Hoffnung, dieses wundervolle Werk jetzt unverfälscht sehen zu können, »but Loy’s rather dreary, resolutely unerotic vision of this great work proves just as frustrating.«
So unterschreibe ich es. Das Rad muss nicht täglich neu erfunden werden.
Wenn ich den Clip ohne Musik an sehe ist er ganz erträglich. Besser wird’s nur noch wenn ich Latin Music dazwischen mixe. Das Original Gekreische der Dame passt leider über haupt’s net.
Die spinnen alle, die postmodernen Künstler; Wagner ist ein „Letzter“, ein „Vollendender“ (wie Thomas Mann, der Wagner nicht umsonst in einer Art sublimierter Hassliebe zugewandt war), von dem kann man keine Coverversionen ziehen…
Aber das Opernhaus gefällt mir – im Ernst…
Klassik mit modernen Rythmen zu mischen, ist voll angesagt. Wem´s gefällt
Für die Wirtschaft wär das Moderne auch besser, wenn der Geschäfts Mann sagt: jetzt muss ich wieder einen 6 Stunden Wagner in Bayreuth aus sitzten, nur damit ich neue Kontakte knüpfen und meinen Krempel verkaufen kann.
Glaubst du ernsthaft, jemand erkämpft sich mit jahrelanger Wartezeit eine Karte für Bayreuth, um dort dann in den Pausen Kontakte zu knüpfen?
Glaub ich, falls es über haupt möglich ist, mit kohl’scher Ruhe die Warte Zeit aus zu sitzen. Klar, jetzt nicht der kleine ebay Händler sonder der Dax Vorstand. Erster hat nur eine keine Chance weil zweiter eine lebens lange Dauer Karte besitzt. Herr Gottschalk und die restlichen 85 % von den Damen und Herren dieser Gewichts Klasse gehen ja nicht hin, weil der Wagner so gut musizieren kann sondern weil die gesehen werden wollen müssen. Wenn ich sage da sind höchstens 15 % Musik Liebhaber dabei, dann ist es bereits hoch gegriffen. Aber klar, den Wagner wir ein jeder in den höchsten Tönen loben, weil sonst steht er als Banause da.
Mit dieser Argumentation ließe sich auch behaupten, die Besucher von Dylan- oder Stones-Konzerten, deren Karten oft noch schwieriger zu bekommen sind, kämen nur zusammen, um in Business zu machen. Sorry, aber dein Ansatz scheint mir absurd.
Ohne dass mir genaue Fan Zahlen vor liegen würde ich sagen, dass die Anzahl der Dylan- oder Stones Fans ungleich höher ist, als die der Wagner Fans und der % Satz dieser Musik Liebhaber bei Konzerten bei 99 komma etliches liegt, was heisst, dass die nicht wegen dem Business dort hin gehen.
Nun ja, ich möchte nicht ab streiten, dass es in Stuttgart, Bonn, Hamburg oder welche Städte es auch immer geben möge, dass es eben in diesen Städten nicht wasch echte Wagner Freunde geben möge. Die gibt es ohne Zweifel.
Nur Bayreuth ist eben big Business und 85 % der dort Anwesenden wäre es völlig egal ob dort Wagner gespielt werden würde oder Volks Musik aus dem Musikanten Stadel.
Hast du schon mal eine Wagner-Oper erlebt?
und ich freue mich einfach,
daß ich dieses Blog gefunden habe.
Grüße Hubertina
und mein Blog freut sich, von dir entdeckt worden zu sein!
Nö.
Aber ich „hatte das“, in der Schule (alles vergessen!) – und das reichte mir; was so „Verarbeitung von Sagen“ angeht, fand ich Wilhelm Hauff besser, ohne Ironie…
und außerdem freue ich mich, demnächst dein Blog nachzu-
lesen.
Also für alle: Freude schöner, nein, das nicht, aber….
Freude pur.
Gute Nacht (später)
Hubertina
Na dann mal viel Freude bei der Lektüre allein auf dieser Plattform findest du vier Blogs
😉
Du bist aber flott.
Das habe ich als erfahrene Bloggerin (seit ca. 2 Wochen)
auch schon bemerkt.
Ich hatte aber auch eine gute Lehrmeisterin aus Wien.
Außerdem schreibe ich so schnell, wie wahrscheinlich kaum
eine Andere im Blog, und deshalb macht es auch doppelt
Spaß.
Im Laufe der Jahre (und der Technisierung) wird Geschwindigkeit relativ.
und das ist auch -zumindest- hier nicht das Wichtigste.
und das ist auch -zumindest hier- nicht das Wichtigste.
bisher konnte ich zu dieser thematik noch keine innere bindung aufbauen….
🙂
Das hast du jetzt aber sehr rücksichtsvoll formuliert! 😉
es ist ja auch so , hingegen verbinde ich mit dem einen oder anderen musikstück aus 70ern und 80ern schon große emotionen …
🙂
Oh! Meine wunderschöne Royal Opera! Hatte das Glück dort vor einiger Zeit die letzte Kostumprobe von Hoffmanns Erzählungen mit Rolando Villazon erleben zu dürfen – weil meine Schwester zu dem Zeitpunkt im Kostümdepartment der Oper arbeitete völlig gratis. Das Opernhaus ist ein Erlebnis, die Atmosphäre macht jede Aufführung perfekt. Obwohl mir so manch moderne Inszenierung in der Tat auch die Tränen in die Augen treibt.
Hast du damals schon die prächtige „Eisenbahnhalle“ mit Rolltreppen erlebt, in der die Pausen wie im Fluge vergehen?
Ja! Es ist nämlich erst Ende letzten Jahres gewesen. Ich war auch sehr beeindruckt von dem Essen, das man sich für die Pausen vorbestellen und dass dann in der Halle hübsch verpackt mit Namenskarte auf einen wartet!
Eine tolle Atmosphäre!