Eine großartige Version von Jarrys Drama „König Ubu“ zeigt das Wandertheater „Ton & Kirschen“ Fotos: © W. R. Frieling
Einer der ältesten Texte, der dem Surrealismus ebenso wie Dada zugeordnet wird, stammt von dem französischen Autor Alfred Jarry und heißt König Ubu (im Original: Ubu Roi). Das Drama in fünf Akten wird sowohl gern im Französischunterricht gelesen als auch auf der Bühne von alternativen Theaterensembles aufgeführt und erfreut sich in jüngerer Zeit wachsender Beliebtheit.
Vater Ubu ist ein genusssüchtiger fetter Wanst, der nur an sich und seine heiß geliebte Leberwurst denkt. Der ständig wüst schimpfende Ubu steht aber auch als Metapher für das Monster, das im Menschen steckt. Er verkörpert die Fleisch gewordene Lust am Fressen, Rauben und Morden.
Mit Hilfe seiner Frau, die ihn aufstachelt und mittels einiger Getreuer, denen er Privilegien verspricht, ermordet Ubu den König von Polen, übernimmt die Staatsgewalt und setzt sich selbst die Krone auf. Als König Ubu presst er fortan seine Untertanen aus und lässt dabei alle Widersacher ebenso schnell beseitigen wie die reichen Adligen, deren Besitztümer er sich aneignet.
Die alten Eliten sind ihm zu kostspielig, für das Geld könne man besser Leberwurst konsumieren. Sie enden im Schnellverfahren in der Enthirnungsmaschine.
König Ubu will schließlich den russischen Zaren unterwerfen und zieht gegen Moskau. Dabei erweist er sich als feige und ängstlich. Während seine Leute sterben, macht er sich zynisch aus dem Staub und flieht mit seiner Frau und einem Teil der geraubten Schätze nach Frankreich, wo er als Doktor der Pataphysik unterschlüpft.
Autor Alfred Jarry schuf mit dem kritischen Text einen nahezu zeitlosen Kommentar zu gewissenlosen Machtmenschen und Diktatoren, der heute ebenso gültig ist wie vor mehr als 100 Jahren. Vor allem mit Ubus berühmten Schimpftiraden löste er bei der Uraufführung in Paris anno 1896 einen handfesten Theaterskandal aus. Erst viel später sollten Kritiker erkennen, dass dem exzentrisch-genialen Autor ein Wurf gelungen war, der den Beginn des modernen Dramas in Frankreich kennzeichnet.
Jarrys Text ist von teilweise ätzender Komik und mischt Techniken der burlesk-derben Commedia dellarte mit intellektueller Sprachkomik. Mit teilweise absurden Pointen assoziiert er Gedanken über die Verführbarkeit des Menschen durch das Ungeheuer, das ein Teil seiner selbst ist und dem er nur allzu gern gehorcht.
Der Autor überzeichnet das Böse und überspannt den Bogen dabei derart, dass Grauen in Gelächter umschlägt. So wird der Schauder zur Groteske, und indem dem Rezipienten keine andere Chance bleibt, als sich lachend zu distanzieren, mag er die Furcht vor dem Wiederaufleben einer Diktatur abbauen, deren zyklisches Auftauchen Jarry lange vor der Ära des Faschismus in der Natur des Individuums festmachte.
Von Alfred Jarry (1873 1907) stammt auch der Roman Heldentaten und Ansichten des Doktor Faustroll. Dieses Werk gilt als Gründungsdokument der von dem Autor erfundenen Pataphysik, der Wissenschaft von den imaginären Lösungen, die der Blogger Trithemius gern zitiert. In dem Werk wird die abenteuerliche Seereise des Doktors der Pataphysik Faustroll mit einem Gerichtsvollzieher und einem Pavian auf der Seine beschrieben.
Alfred Jarry: König Ubu
Verlag Reclam, Ditzingen 1995
ISBN 978-3150094464
80 Seiten 2,60
Usurpeure, Größenwahnsinnige und „enthirnte“ Staatsbeamte gibt es ja heute zur Genüge. Ein hochaktueller Stoff!
Unsere schöne Welt wird inzwischen von einer ganzen Horde Ubus verwaltet und regiert.
Klingt, als hätte Brecht bei „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ sich auch davon inspirieren lassen…
Jarry ist klaumaukiger und auch nicht so explizit „politisch“ wie BB, aber da könnte was dran sein. Könnte doch irgend ein Augsburger Bettelstudent seine Diplomarbeit drüber schreiben
Wahrscheinlich findet sich wieder keiner und man muss alles selber machen…
Du nimmst die Herausforderung zum Doktorhut an?
Klar, und wenn es zu lange dauert fahre ich nach Österreich und erwerbe den Hut am Kiosk.
Mein bevorzugtes Fachgeschäft für Doktorhüte hat leider inzwischen dicht gemacht.
Hoffentlich hast du dich vorher noch eingedeckt!
Eigentlich wollte ich mir ein Torero-Kostüm zulegen, weil doch der blutige Stierkampf endgültig verboten werden soll, aber das war in XXL leider nicht erhältlich (diese Toreros sind allesamt spack und schmal, damit der Stier sie nicht trifft).
Und ein Stier-Kostüm hatten sie nicht? 😉
Hehehe, du hast heute wohl deinen kecken Tag, weil dss Wochenende in Sicht ist?
Ubu Roi hat die Bühne konkret und Literatur allgemein sehr beeinflusst. Aber auch nicht nur: das berühmte Avantgarde-Archiv im Internet voller multimedieller Schätze ist nach ihm benannt: http://www.ubu.com
DANKE für diesen wichtigen Hinweis auf die einzigartige, mit Filmen, Musik, Texten und Bildern gefüllte Schatzkammer!
Richtig. Weil wir es zulassen. 😉
Lupus in fabula. Ein allezeit „brandaktuelles“ Thema. Eine herrliche Rezension Rupi!
Freut mich sehr, dass dir der fette Ubu gefällt, liebe Sarna!
Ein taugliches Gegenmittel habe ich leider noch nicht entdeckt.
Dass so ein Stück damals wie heute aktuell und beliebt es, zeigt eben, dass die Menschheit niemals ändern wird. Geschichte wiederholt sich – und aus der Vergangenheit wird einfach nichts gelernt.
Aber es gibt Hoffnung, wie ich in den Kommentaren las. Künftige Doktoren und wilde Toreros vereinen ihre Kräfte !
und bekämpfen die Ubus dieser Welt mit handgeschnitzten Zahnstochern!
Enthirnungs-Maschine?
Wird die im Langzeitversuch im Bundestag getestet?
🙂
Die nimmt bereits den Einstellungstest vor!
es trifft also keine unersetzlichen wie uns….
🙂
Lieber Verleger, hast du denn den Text mal selbst verlegt. Wär doch mal was. Dann würde ich ihn auch von dir kaufen. Überlege nämlich, das Stück in meinem Theaterkurs zu bearbeiten.
Wird bestimmt auch keine „Schoiße“.
Lieben Gruß
Achim Dams
Lieber Achim, wenn Du den ollen Ubu (leider noch nicht rechtefrei) zur Aufführung bringst, erwarte ich eine Einladung zur Premiere!