Das Interview ist eine der individuellsten, wertvollsten und spannendsten Darstellungsformen im Journalismus. Dabei sind vier goldene Gebote zu beachten, um Missverständnisse und spätere Vorwürfe zu vermeiden.
Das Wort »Interview« ist relativ neu und schwappte aus dem Anglo-Amerikanischen in unseren aktiven Wortschatz. Ursprünglich stammt es vom französischen »entrevue« ab. Damit wurde ein persönliches Treffen von Monarchen bezeichnet, woraus wiederum die aktuelle Bedeutung »Unterredung« wuchs. Heute verstehen wir unter einem Interview ein mit dem Ziel der Veröffentlichung geführtes Gespräch.
Charakter des Interviews
Das Interview ist eine beliebte journalistische Methode, um Nachrichten und Stellungnahmen zu besorgen. Ruft ein Journalist zwecks Recherche bei einer Behörde, einer Institution, einem Unternehmen oder einer Einzelpersönlichkeit an, dann handelt es sich bereits im weitesten Sinn um ein Interview. Der Anrufer stellt nämlich bewusst und gezielt eine Gesprächssituation her, in der er direkte Fragen stellt, die vom Ansprechpartner klar und wahr beantwortet werden sollen. Gleiches gilt für kurze persönliche Gespräche am Rande von Veranstaltungen. Bei Pressekonferenzen, zu denen der Journalist eingeladen wird, geht hingegen die Initiative vom Gesprächspartner aus. Dabei gilt stets das gesprochene Wort. Dieses hat auch dann Priorität, wenn gedruckte Redebeiträge oder Sachinformationen verteilt werden.
Formen des Interviews
Interviews als journalistische Methode dienen in erster Linie der Recherche. Die Antworten werden dann durch den Autor redaktionell weiterverarbeitet. Die Veröffentlichung erfolgt schließlich vollständig oder zusammengefasst in Zitatform unter Benennung des Urhebers. Interviews als journalistische Darstellungsform (Genre) sind das eigentlich spannende Feld, das Journalisten reizt und Leser fesseln kann. Dabei geht es neben der reinen Sachinformation um persönliche Stellungnahmen und Sichtweisen, um Meinungen, Beurteilungen und Einschätzungen eines Sachverhaltes oder einer Problematik.
Echte Interviews leben im Unterschied zur schriftlichen »Befragung«, die gern von Interviewpartnern zwecks eigener Absicherung angeboten werden, von der Lebendigkeit einer Gesprächssituation. Wichtige Elemente sind das Zusammenspiel der Gesprächspartner, interessante Fakten und Erkenntnisse über befragte Personen und behandelte Sachverhalte. Erfahrene Journalisten lehnen das vorherige Einreichen von Fragen in schriftlicher Form deshalb ab.
Ein guter Interviewpartner bringt außer seiner eigenen Stimme alle möglichen anderen Stimmen mit. Er ist selbst schon, wie es der Philosoph Peter Sloterdijk zum Stichwort formulierte, »eine akkordische Subjektivität«. Dies erzeugt Resonanzen im Gespräch und verhindert den Phrasen-Austausch im Verlautbarungston.
Rechtslage beim privaten Interview
Journalisten haben grundsätzlich keinen Anspruch auf ein persönliches Interview. Es ist stets dem gewünschten Interviewpartner überlassen, ob und wie er sich einer Befragung stellen möchte. Interviewer und Interviewte schließen, ob formal festgehalten oder nicht, stets einen Vertrag miteinander. Dabei herrscht Vertragsfreiheit zwischen beiden Parteien. Ist der Interviewte klar darüber in Kenntnis gesetzt, dass er zwecks Veröffentlichung interviewt wird, dann erklärt er auf diese Weise sein stillschweigendes (im Juristendeutsch: konkludentes) Einverständnis, dass seine Antworten veröffentlicht werden dürfen.
Das Porträt, die Königsform des Interviews
Die hohe Kunst des Interviewers besteht letztlich darin, dem Interviewpartner neue, bislang unbekannte Fakten zu entlocken oder ihn zu Äußerungen zu bewegen, die über das bislang bekannte Maß hinausgehen. Dabei gilt das Porträt als Königsform des Interviews.
Beim Porträt werden in einen eigenständigen journalistischen Beitrag, der sich um den Interviewpartner rankt, Originalzitate eingebaut oder in indirekter Rede wiedergegeben. Hinzu kommen detaillierte Beschreibungen der Örtlichkeit, in der das Gespräch stattfindet bis hin zu mimischen Reaktionen des Gesprächspartners. Es können historische Fakten ebenso wie erläuternde Sachinformationen in den Text einfließen. Bisweilen werden auch Äußerungen von Dritten zum Thema zwecks Spiegelung eingebaut.
Vier goldene Gebote für gute Interviews
Um erfolgreich Interviews zu führen oder Porträts zu schreiben, sind allerdings einige wenige grundlegende Gebote zu beachten. Damit lässt sich späterer Stress vermeiden.
Erstes Gebot: Fairness, Fairness, Fairness
Erste Voraussetzung für ein Interview ist, dass sich der Interviewer von Anfang an zweifelsfrei als Journalist vorstellt und damit auf Fairplay setzt. Der Interviewer holt auf diese Weise das stillschweigende (konkludente) Einverständnis der anderen Seite ein, deren Antworten veröffentlichen zu dürfen. Damit ist »Waffengleichheit« gegeben, und es wird zugleich Vertrauen aufgebaut.
Zweites Gebot: keine entstellenden Kürzungen
Beim klassischen Interview werden Fragen und Antworten wortgetreu (in Reinform) wiedergegeben. Abgesehen vom Live-Interview in Radio und Fernsehen stellt sich dabei die Frage der redaktionellen Bearbeitung. Auf keinen Fall sollten Äußerungen des Interviewpartners später sinnentstellend verkürzt werden. Das führt zu (möglicherweise sogar rechtlichen) Auseinandersetzungen und verschließt Türen, die zuvor offen standen.
Drittes Gebot: Persönlichkeitsrechte achten
Es bleibt dem Einzelnen überlassen, wie er die Aussagen seines Gegenübers erfasst und speichert. Nicht jeder verfügt über die Fähigkeiten eines Truman Capote, der mehrstündige Gespräche vollständig in sich aufnahm und absolut wortgetreu memorieren konnte. Das Mitschreiben von Antworten hingegen ist mühsam und eigentlich nur jenem zu empfehlen, der noch Kurzschrift beherrscht.
Dank der technischen Entwicklung werden deshalb meist kleine Tonbandgeräte genutzt. Eine digitale Aufnahme kann mittels Spracherkennungsprogrammen später direkt in Text umgewandelt zu werden, um das mühsame Abtippen zu vermeiden. Außerdem bietet eine Bandaufnahme höhere Sicherheit bei eventuellen Unstimmigkeiten über Aussagen und Formulierungen.
Vor dem Mitschnitt ist das Einverständnis der anderen Seite einzuholen. Das gilt ebenso für die Verwendung von Fotoapparaten und Filmkameras. Der Interviewpartner hat das Recht der Waffenwahl und kann eine Aufzeichnung und Fotos untersagen. Persönlichkeitsrechte sind stets und unbedingt zu achten.
Viertes Gebot: Sinnzusammenhänge wahren
Eingriffe, die über sachliche Korrekturen und offensichtliche grammatikalische Verbesserungen hinausgehen, sollten unterbleiben. Der Journalist entscheidet bei längeren Interviews darüber, bestimmte Passagen zu streichen oder in abgeschlossenen Teilen zu publizieren. Unabhängig davon, wie umfangreich die redaktionelle Bearbeitung erfolgt: Der Sinnzusammenhang sollte stets gewahrt bleiben.
Die Autorisierung des Interviews
Das Urheberrecht spricht einem Interviewpartner die Miturheberschaft an dem gemeinsamen Werk »Interview« zu. Der Miturheber muss folglich in ein Nutzungsrecht einwilligen. Das betrifft das Gesamtwerk oder auch nur wesentliche Teile daraus. Problematisch und immer wieder strittig ist in diesem Zusammenhang die Frage der Autorisierung eines Interviews vor dessen Veröffentlichung.
Rechtsanspruch auf Autorisierung ?
Immer häufiger verlangen Gesprächspartner eine Autorisierung ihres Interviews. Sie wollen das fertige Interview vor Veröffentlichung lesen, um es dann eventuell zu ergänzen, zu verändern oder gar zu zensieren. Beliebt ist auch, vorab Fragen in schriftlicher Form zu verlangen, die dann beantwortet werden sollen.
Auf Grundlage des Urheber- und Persönlichkeitsrechts ist es in Deutschland übliche, aber nicht zwingend erforderliche Praxis, einem Interviewpartner seine wörtlichen Zitate vor Veröffentlichung vorzulegen. Einen entsprechenden Wunsch sollte der Interviewte möglichst bei Beginn des Interviews deutlich machen. Der Journalist hat damit die Möglichkeit zu entscheiden, ob er darauf eingehen will und sich eventuell auf spätere Diskussionen einlässt oder gänzlich auf das Frage-Antwort-Spiel verzichtet, um seine Unabhängigkeit zu wahren.
Grundsätzlich wird Journalisten die restriktive Handhabung der Interview-Autorisierung empfohlen. Sonst wird dem journalistischen Genre Interview möglicherweise jede Lebendigkeit genommen und die Glaubwürdigkeit beschädigt. Sinnvoll ist es vielmehr, Spielregeln zwischen den Interviewpartnern zu vereinbaren, die den Charakter des Interviews nicht konterkarieren.
Sonderfall: Interviews mit Behörden
Gegenüber staatlichen Stellen besteht ein journalistischer Informationsanspruch. In der Praxis können sich jedoch selbst Behördenvertreter um ein Interview drücken, indem sie den journalistischen Informationsanspruch etwa per Pressemitteilung erfüllen. Willigen Behördenvertreter indes in ein Interview ein, bleibt ihr Autorisierungsvorbehalt eingeschränkt, da Artikel 5 des Grundgesetzes ausdrücklich staatliche Zensur verbietet.
10 Leitlinien für Interview-Autorisierung
Der Druck auf Interviewer wird in jüngerer Zeit größer. Dazu hat sich die größte Interessenvertretung der Journalisten in Deutschland, der Deutsche Journalistenverband (DJV), mit zehn Leitlinien geäußert.
- Journalisten haben die Pflicht, Interview-Äußerungen korrekt wiederzugeben und nicht sinnentstellend zu kürzen. Eine vom Interviewpartner genehmigte Tonaufzeichnung dient der notwendigen Klarheit.
- Der Interviewte kann die Autorisierung eines mit ihm geführten Interviews fordern. Dieser Anspruch beschränkt sich auf redaktionell bearbeitete Wort-Interviews. Komplette Beiträge oder indirekt wiedergegebene Zitate aus Rechercheanfragen sind nicht betroffen.
- Art und Umstände von Autorisierungen sollte die Redaktion in redaktionellen Leitsätzen festhalten und diese dem Interviewten rechtzeitig vor Gesprächsbeginn zur Kenntnis geben. Davon abweichende Vereinbarungen werden vor dem Interview festgehalten.
- Autorisierungen dienen der sachlichen Korrektheit, der Sinnwahrung und sprachlichen Klarheit. Änderungen müssen sich darauf beschränken.
- Der Interviewte hat kein Recht, Fragen des Interviewers nachträglich abzuändern. Die Redaktion akzeptiert solche Eingriffe nicht.
- Nachträgliche Änderungen des Interviewten, die die Authentizität des Interviews oder einen wesentlichen Aussagengehalt konterkarieren, können von der Redaktion abgelehnt werden. Die Redaktion versucht argumentativ, Einvernehmen mit dem Interviewpartner herzustellen. Gelingt dies nicht, sollte sie auf den Abdruck des Interviews verzichten. Sie behält sich vor, dies öffentlich zu machen. Im besonderen Einzelfall kann das öffentliche Informationsinteresse den Abdruck einer zurückgenommenen Aussage rechtfertigen.
- Redaktionen entscheiden über das Mittel der Darstellung. Schriftliche Antworten auf vorab eingereichte Fragen können ein aktuelles Informationsbedürfnis erfüllen, ersetzen aber kein persönliches Interview. Da dieses von Spontaneität lebt und sich inhaltlich im Gespräch entwickelt, kann es sich nicht auf vorab eingereichte Fragen beschränken. Mehr als die Absprache von Themengebieten sollte daher im Vorhinein nicht zugesichert werden.
- Vorgefertigte Interviews aus Pressestellen („kalte Interviews“) können als Hintergrundmaterial dienen. Sie als vermeintlich eigene Interviews zu publizieren widerspricht der journalistischen Ethik.
- Im Sinne der journalistischen Glaubwürdigkeit macht die Redaktion jene Umstände transparent, unter denen ein Interview zustande kam (schriftlich, telefonisch oder im Pressegespräch). Insbesondere täuscht der Interviewer keine persönliche Begegnung mit dem Interviewpartner und/oder Exklusivität vor.
- Die Redaktion kann das Interesse an der Form des Interviews steigern, indem sie Dritte (Fachleute, Prominente, Leser, Jugendliche) auf der Seite der Interviewer teilhaben und Fragen stellen lässt. Für ihre Beteiligung gelten die gleichen Regeln.
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