Natur pur: Der Bregenzerwald ist ein Paradies für Wanderer und Naturliebhaber und regt zum Schreiben an • Sämtliche Fotos: © Ruprecht Frieling
Franz Michael Felder, der schreibende Bauer
Eine Lebensskizze von Ruprecht Frieling
Vor 150 Jahren verstarb Franz Michael Felder, Autor, Poet, Freigeist und Rebell. Der Verfasser wundervoller Dorfromane aus dem Bregenzerwald steht in einer Linie mit Autoren wie Ludwig Anzensgruber, Friedrich Hebbel, Ludwig Ganghofer und Oskar Maria Graf.
Franz Michael Felder war der einzige Autor, der seinen Lebensunterhalt als Bauer verdiente. Wer seine Dorfromane liest, reist in eine andere Zeit. Durch ein weit geöffnetes Fenster schaut er in ein kleines Dorf im Bregenzerwald und wird Teil des dörflichen Lebens und der Menschen, die dort vor anderthalb Jahrhunderten lebten und arbeiteten. Er miterlebt ihren Jahresreigen von der Kirchweih bis zur Besänftigung der Brunnengeister.
Bregenzerwald? – Experten streiten sich laut Wikipedia über die Schreibweise dieser landschaftlich eindrucksvollen Region im österreichischen Bundesland Vorarlberg nahe des Bodensees. Denn der einstmals dichte Tannenwald des südöstlich der Landeshauptstadt Bregenz beginnenden Landstrichs wurde abgeholzt und stellt sich heute als üppig blühende Grasberglandschaft dar.
Der Bregenzerwald prägt Felders Leben
Das Einzugsgebiet der im Lechquellengebirge entspringenden Bregenzer Ach bemisst das Gebiet. Sie zieht sich bis zum Hochtannbergpass, der die Allgäuer Alpen vom Lechquellengebirge trennt. Am rechten Ufer des Flusses findet sich im Hinteren Bregenzerwald die Gemeinde Schoppernau, eine langgezogene reihendorfartige Siedlung, die mit der Herrschaft Feldkirch 1390 an Österreich fiel. Der Ort liegt zu Füßen der Kanisfluh, einem sagenumwobenen Bergmassiv, das als bekanntester Berg und Wahrzeichen der gesamten Region steht.
In diesem Dorf mit seinerzeit rund 450 Seelen erblickt Franz Michael Felder am 13.05.1839 im Sternzeichen Stier das Licht der Bergwelt. Es ist ein Montag, Vater Jakob, ein Wagner und Bauer, und seine Frau Maria, geborene Moosbrugger, freuen sich über den Jungen. Erst kurz zuvor war Jakob, ihr Erstgeborener, verstorben. Doch der Neuzuwachs hat Pech: Er ist gerade ein Jahr alt, da verliert er bei einem operativen Eingriff durch einen betrunkenen Arzt das linke (gesunde) Auge.
Der halbblinde Bauernjunge, der die Kühe auf der Weide nach Gehör sucht, entdeckt sein Interesse am Wort. 1850 gibt er die handgeschriebene »Schöppenauer Schülerzeitung« heraus und abonniert die Wochenzeitung »Illustrierter Dorfbabier«, die aus dem sächsischen Grimma geliefert wird. Diese achtseitige Postille unterhält und setzt sich aber durchaus kritisch mit politischen Fragen der Zeit auseinander. Berühmt ist der Satz »Reden ist Silber – Schweigen drei Thaler Diäten«, die Herausgeber Ferdinand Stolle anno 1857 in seine regelmäßigen Unterredungen zwischen »General Pulverrauch« und dem Dorfbarbier einfließen lässt.
Die Frucht der Lektüre zeigt bald Wirkung. Um 1859 macht sich Felder als Hochzeitsredner einen Namen. Schon steht die eigene Trauung an: Am 04.02.1861 heiratet er Anna Katharina Moosbrugger, genannt Nanni, die er ein paar Jahre zuvor im Vorsäß in Hopfreben kennen lernte.
Eine enge Freundschaft mit Nannis Bruder, Kaspar Moosbrugger, beginnt. Der Jurist tauscht sich mit dem schreibenden Bauern aus und trägt dazu bei, dass Felder seine Umwelt aufmerksam und kritisch betrachtet. In der »Feldkircher Zeitung« erscheint dessen »Bericht über das Brandunglück in Schröcken«. Das verschafft ihm Aufmerksamkeit. Im November 1863 debütiert er mit seiner Dorfgeschichte »Nümmamüllers und das Schwarzokaspale«. Der mundartlich gefärbte Roman erscheint in der Lindauer Buchdruckerei Stettiner.
Der Dorfdichter nennt sich »Litterätle«
Felder versteht sich als Dorfdichter und nennt sich »Litterätle«. In »Nümmermüllers« erklärt er, »den Freunden der Dorfgeschichte ein Werkchen« übergeben zu wollen, in welchem er »Leben und Sitten der Bregenzerwälder darzustellen« sucht. Die Dörfler reagieren empört, weil sie in ihren Schwächen und Eigenheiten vorgeführt werden. Der Verfasser des Werks ist erstaunt, »was die Leute aus dem Buch heraus- und in das Buch hineingelesen haben«.
»Sonderlinge«, sein zweites Werk, nennt er »Bregenzerwälder Lebens- und Charakterbilder«. An Moosbrugger schreibt der Autor, »nicht in Abhandlungen und Reflexionen, sondern durch den Verlauf einer Dorfgeschichte in des Worts verwegenster Bedeutung« seine Ansichten ausdrücken zu wollen.
Der inzwischen zur lokalen Berühmtheit gewordene Felder wird am 24.10. 1860 in den Gemeinderat gewählt. Gegner formieren sich. Seine unverblümte, sozialkritische Schreibe stößt dem fortschrittsfeindlichen katholischen Klerus sauer auf. Johann Georg Rüscher, der am 03.10.1860 sein Amt als Pfarrer von Schoppernau antritt, wird zu seinem erbitterten Gegner. Hasserfüllt wettert er gegen die anonyme, außerhalb der Landesgrenzen gedruckte Broschüre »Ruf aus Vorarlberg um Gleichberechtigung«, die aber gar nicht aus Felders Feder stammt, sondern von Kaspar Moosbrugger verfasst wurde. Der Kirchenmann hetzt von der Kanzel der Dorfkirche gegen den Bauern, der zur Feder griff. Der Sonderling bekommt Morddrohungen. 1867 flieht er mit seiner Frau Nanni vorübergehend zum Schwager nach Bludenz.
Gemeinsam planen sie die Gründung einer »Vorarlbergischen Partei der Gleichberechtigung«, der es um die Gleichberechtigung der sozialen Klassen geht. Felder möchte die Lage der armen Kleinbauern verbessern, Moosbrugger macht ihn mit den Schriften von Ferdinand Lassalle und Thomas Carlyle vertraut. Dies stachelt den Reformeifer des Schriftstellers an. Er verfasst »Gespräche des Lehrers Magerhuber mit seinem Vetter Michel«. Der Text kann jedoch aus politischen Gründen nicht erscheinen, weil mittlerweile auch die kaiserlichen Behörden auf den Freigeist aus dem Bregenzerwald aufmerksam geworden sind.
Da veröffentlicht der Leipziger Germanist Rudolf Hildebrand, den Felder Jahre zuvor durch Zufall im Bregenzerwald kennen lernte, in der auflagenstarken »Gartenlaube« einen Artikel. »Ein Bauer als Dichter« heißt der Beitrag, der mit folgenden Worten ins Thema einsteigt: »Durch die öffentlichen Blätter läuft seit dem Februar d. J. eine andeutende Nachricht von einem Bauer, der als Romandichter auftrete. Ein echter Bauer — als echter Dichter? Unerhört! Aber die Sache ist richtig und so merkwürdig, dass sie durch das deutsche Weltblatt der deutschen Welt genauer mitgetheilt zu werden verdient«.
Franz Michael Felder wird berühmt
Felders Name wird schlagartig berühmt. Der rebellische Autor gründet Wirtschaftsvereine und engagiert sich in der Lokalpolitik. Aufgrund seiner Initiative wird der Käsehandlungsverein gegründet, damit sich die Bauern von der finanziellen Abhängigkeit von den »Käsgrafen«, den monopolistischen Käsegroßhändlern, befreien können. Der Konflikt mit den regierenden Politikern und dem Klerus spitzt sich dadurch zu.
Bei den Gemeindeausschusswahlen im Oktober 1867 stehen sich erstmals zwei Gruppen in Schoppernau gegenüber: die auf Rom eingeschworene ultramontane »Pfarrer-Partei« und die »Felder-Partei«. Felders Anhänger siegen zwar, doch die antimodernistischen Papisten fechten die Wahl an. Bei der Wahlwiederholung kommt es zu Unruhen in Schoppernau. Höhepunkt der Auseinandersetzungen ist das Anzünden der Stimmzettel in den Wahlurnen durch Anhänger der klerikal-konservativen Seite. Die Wahl wird nach einer Strafanzeige des Schriftstellers am 7. Februar wiederholt, diese kann die »Felder-Partei« klar für sich entscheiden.
1868 stirbt nach siebenjähriger Ehe Felders innig geliebte Ehefrau Nanni. Sie hinterlässt ihm fünf Kinder: Jakob, Kaspar, Hermann, Martin und Katherina. Der gesundheitlich angeschlagene Poet ist erschüttert und fällt in tiefe Depression. Er erlebt das Erscheinen seines Dorfromans »Reich und Arm«. Doch nur wenige Monate nach seiner Frau stirbt Franz Michael Felder am 26. April 1869 kurz vor seinem 30. Geburtstag in seinem Geburtshaus an Lungentuberkulose. Seine Autobiografie »Aus meinem Leben« wird postum veröffentlicht.
Felders Roman »Reich und Arm«
»Reich und Arm« ist ein hochpoetischer Dorfroman aus dem Bregenzerwald mit eigener Melodie. Der Autor schildert darin ein Dorf und seine Bewohner, ihren Tagesablauf, ihr Brauchtum und ihre Gepflogenheiten. Felder selbst meint dazu in einem Brief vom 30.04.1868: »Man hat es darin fast nur mit guten, zum Theil allerdings verirrten Leuten zu thun, deren Wesen und Wirken wol auch andere interessieren dürfte, die meiner Heimat fernerstehen. Es sind Menschen mit ihren Vorzügen und Fehlern«.
Großes Thema des Romans ist die Liebe, die von Armut und Wohlstand mitbestimmt wird. Der arme Jos und der reiche Hans buhlen um eine junges »Biggel«, die Magd Dorothee. Ihr Werben, Träumen und Sehnen ist eingebettet in enge familiäre Verstrickungen sowie in die Kontrollmechanismen der Amtskirche. Felder schildert den Umstand, »dass ein Mensch so ganz zum Krämer wird, dass er auch Menschen verhandeln und umtauschen will wie Tuch und Mehl um einen Heustock«.
Der Literat skizziert die verschiedenen Figuren und Charaktere detailgetreu und schildert ihr Denken und Handeln nachvollziehbar. Im Gegensatz zu konventionellen Trivialautoren, die sich ebenfalls des dörflichen Milieus annahmen und eine verklärte heile Welt darstellen, schreibt Felder realistisch. Schon in der Beschreibung des Umgangs der reichen Bauern mit ihrem Gesinde, das sie gern »Gesindel« nennen, wird die kritische Haltung deutlich, die das vorliegende Werk auszeichnet.
Der Leser erfährt, wie brutal die Dorfgemeinschaft mit einem verführten jungen Mädchen umgeht, als es zum ersten Mal am Osterfest das strenge Kirchengebot erfüllt und den Gottesdienst mit einer ihm von dem Gemeindediener angehängten alten Geige zu besuchen wagte. »Der Pfarrer ließ die Übung dieses alten Landesbrauchs zu, wenn dabei der Gottesdienst auch durch die rohesten Späße entweiht wurde. Das gab der Dorfjugend den Mut, sich nach der Messe, die kein Mensch auch nur mit einiger Andacht angehört hatte, wie früher ihre Urgroßväter in zwei Reihen vor der Kirche aufzustellen und die schutz-, ehr- und rechtlos gewordene schöne Sünderin, die zwischen ihnen hindurch musste, mit Kot zu bewerfen und auf die roheste Weise zu misshandeln.« Das fromme Mädchen nahm es hin und war, »wie beinahe jede Bregenzerwälderin, von der Schule auf gewöhnt, in allen Ereignissen einzig bloß Belohnung und Strafe des gerechten Gottes zu sehen«.
Von der Kanzel herab werden Menschen verdammt oder in den Himmel gehoben. Predigten, über die und denen nach gleich wieder in allen Ecken gepredigt wird, fahren »wie eine Lawine« durchs Dorf. Unterstützung findet Pfarrer Rüscher bei den weiblichen Mitglieder des »Dritten Ordens«. Diesen »Orden des Heiligen Franziskus Seraficus zur Krankenpflege« errichtet und nutzt der Pfarrer, um vor Ort üble Nachrede verbreiten und Tratsch gezielt einsetzen zu können.
Neben der Furcht vor der »Hand Gottes« spürt der Leser die Abscheu der Dörfler vor der Fremde. Hochdeutsch sprechende »Fremdler« werden im Bregenzerwald gern mit dem (nahen) Schwabenland assoziiert. Der Leser lernt ihren Hass gegen Emporkömmlinge kennen, die sich verhalten »wie die hungrige Kuh, wenn sie in den Heustadel kommt«. Er schaut in die Niederungen auf den »schäbigen Eigennutz der Wirte und Krämer«. Er erlebt eine Zeit, »wo noch ganze Dörfer nur von Hausierern bedient wurden, die man überall als Hausfreunde, lebendige Wochenblätter und Ratgeber sehr hoch schätzte«.
Felders Dorfroman liest sich nicht immer leicht und geschmeidig, Satzkonstruktionen sind ebenso wie Bezüge bisweilen umständlich. Einzelne Sätze können schon mal 80 Wörter enthalten. Dennoch entsteht ein eigener sprachlicher Rhythmus, der den Leser gefangen nimmt und tief in die Handlung hineinzieht.
Mit seinen 26 Kapiteln ist der Roman exakt so gestaffelt wie eine moderne TV-Seifenoper. Der Einbau von Cliffhangern ist Felder vertraut. Über das Niveau aktueller Soaps und Heimatschnulzen ragt er aber aufgrund seiner einfühlsamen Personenzeichnung hinaus. »Mit dem Blicke des Geistes will ich verfolgen, was den Augen des Körpers zu sehen mir das Schicksal nicht gestattete«, beschreibt er seine Arbeitsweise, die der Sehschwäche geschuldet war.
Wem der gesamte Roman zu umfangreich ist, dem sei als Leseprobe das neunte Kapitel »Die Auer Kirchweih« ans Herz gelegt. Hier entfaltet der Autor auf typische Weise die Beziehungen zwischen sozialen Schichten, Familien, Geschlechtern und dem alles kontrollierenden Klerus.
Poet, Freigeist und Rebell
Franz Michael Felder war Poet, Freigeist und Rebell mit bäuerlichem Hintergrund. Sein Leben war alles andere als leicht. Mit welch üblen Vorwürfen er sich auseinandersetzen musste, offenbart sein Schreiben vom 04.04.1867 an seinen Freund Moosgruber. Darin grüßt er als »gottloser, deutschkatholischer, blutroter, hochmütiger, verführerischer, verkommener, eigensinniger, arbeitsscheuer, vom protestantischen Gelde sich mästender, auf Kosten der Seele berühmter, mit Freimaurern verbündeter, von der Gartenlaube gelabter und verzogener« Freund.
Kurz nach seinem Tod ruft der »Verein der Tiroler und Vorarlberger in Wien« öffentlich zu Spenden auf, um ein Andenken für Franz Michael Felder zu errichten. Sechs Jahre nach dem Tod des Sonderlings trifft das Felder-Denkmal am 03.05.1875 in Schoppernau ein. Pfarrer Rüscher poltert vehement gegen die Errichtung des Memorials auf dem Friedhof. Alle Zeitungen des Landes befassen sich bald mit dem »Denkmal-Streit«. In einer waghalsigen Aktion wird das Denkmal am 18.08.1875 an der nordöstlichen Seite der Kirchhofmauer auf dem Friedhof in Schoppernau errichtet. Pfarrer Rüscher ist an diesem Tag nicht vor Ort. Trotz seines Gezeters bleibt das Denkmal stehen.
Die Kirchenmänner geben indes keine Ruhe und rufen dem Toten ihre Verwünschungen nach. Am 23.08.1889 wird der Schoppernauer Pfarrer Josef Gschließer auf Antrag der Kinder Felders zu vier Wochen Arrest verurteilt, weil er den Verstorbenen in einer Predigt schwer beleidigt hatte, um die geplante Felder-Feier zu verhindern. Der Geistliche kauft sich mit 50 Gulden frei!
Selbst 20 Jahre nach dem Ableben des schreibenden Bauern wird die Felder-Feier zum 50. Geburtstag wegen Protesten aus klerikalen Kreisen nicht in seinem Heimatdorf, sondern im 1.700-Seelen-Ort Au abgehalten. Ein einziger Kranz zierte das schlichte Grab des Verfassers von »Reich und Arm«.
Heute findet sich in Schoppernau ein architektonisch bemerkenswertes Michael-Felder-Museum samt Bücherei. Das Geburtshaus des eigenwilligen Dichters ist erhalten, es gibt einen Felder-Gedenkweg, und der in Bregenz ansässige Franz-Michael-Felder-Verein, dessen Mitglied der Verfasser ist, bewahrt sein Andenken. Autor Elmar Bereuter, der selbst bäuerlich aufwuchs, hat eine lesenswerte Biographie des schreibenden Bauern unter dem Titel „Felders Traum“ verfasst.