Der englische Schriftsteller und Essayist Anthony Burgess ging als »lebendige Schreibmaschine« in die Literaturgeschichte ein. Der Verfasser des Endzeitromans »Clockwork Orange« und von sprachgewaltigen Biografien über Shakespeare, Joyce und Hemingway schrieb zeitlebens aus dem Stand treffsichere Texte, die vor Drucklegung kaum überarbeitet werden mussten.
Muss ein Autor fließend schreiben können?
Von Ruprecht Frieling
Ich hatte die Ehre und das große Vergnügen, mit dem Routinier Anthony Burgess an der Bestandsaufnahme Welt-Literatur heute, die 1982 als Taschenbuch bei dtv erschien, zusammenarbeiten zu dürfen. Anthony Burgess äußerte sich gewohnt kritisch über die britische Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts, ich beschrieb die Literatur der DDR von 1949 bis 1980. Während Vielschreiber Burgess für seinen Beitrag in seinem damaligen Wohnsitz Monaco eine Nacht und eine Flasche Schnaps benötigte, kämpfte ich in Berlin sechs Wochen mit dem Thema im Trockendock.
So unterschiedlich schwer kann Autoren das Schreiben fallen …
Schreiben ist geschäftiger Müßiggang
Schreiben ist geschäftiger Müßiggang, meinte Johann Wolfgang von Goethe. Der Altmeister ist dafür bekannt, viele seiner eigenen Werke immer wieder umgearbeitet und ausgebessert zu haben. Auch bei Goethe saß nicht gleich jedes Wort, und es passte nicht jeder Ausdruck. Wiederholt gestand er ein, wie froh er sei, wenn ihm am Tage eine Handbreit Zeilen vom Faust gelinge.
Ich habe drittehalb Tage über einer einzigen Strophe zugebracht …, stöhnte Christoph Martin Wieland. Der Wegbereiter der Romantik kämpfte mit seinem Hauptwerk Oberon, einem in Achtzeilern verfassten Epos, … wo im Grunde die Sache auf einem einzigen Worte, das ich brauchte und nicht finden konnte, beruhte. Ich drehte und wandte das Ding und mein Gehirn nach allen Seiten; weil ich natürlicherweise gern die nämliche bestimmte Vision, welche vor meiner Stirn schwebte, auch vor die Stirn meiner Leser bringen möchte, und dazu oft von einem einzigen Zuge oder Reflex alles abhängt.
Die Arbeit am roten Faden
Der eine Autor verfällt in jähen Schaffensrausch. Ein anderer wiederum zwingt sich mit eiserner Disziplin an seinen Schreibtisch und knüpft sorgfältig Wort an Wort. Horror-Papst Stephen King hat sich beispielsweise ein Pensum von täglich zweitausend Wörtern verordnet, die er vormittags in einem fensterlosen Raum schreibt.
Entscheidend ist nicht, wie lange und unter welchen Mühen und Entbehrungen ein Text reift. Danach fragen später weder Leser noch Kritiker. Allein das Ergebnis und seine spätere Wirkung auf den Leser zählen. Möglicher Erfolg oder Misserfolg eines Opus werden erst in der Schlussbilanz sichtbar.
Erfolgreiche Autoren schreiben bewusst, zielstrebig und konzentriert. Sie haben eine Story vor Augen, einen groben Handlungsumriss, sie sehen Figuren und deren Entwicklung. Beim Schreiben wird noch dieses und jenes geändert. Manches erscheint bei genauerer Bearbeitung grobmaschig und wird in der späteren Überarbeitung verfeinert. Anderes ist vielleicht zu langatmig oder unlogisch.
Es gilt, Gedankengänge zu begradigen und Schneisen durch den Dschungel überschäumender Träume zu schlagen. Der Autor spinnt einen roten Faden, an dem er selbst durch sein Werk findet und den künftigen Leser lotst.
Der Text als großes Gedankengebäude
Je klarer der Text ein Gedankengebäude vor seinem Betrachter errichtet, desto leichter findet sich dieser darin zurecht, wenn er von Stockwerk zu Stockwerk steigt und in die Zwischengeschosse schaut.
Er wird auch wesentlich bereitwilliger unterirdische Gewölbe und Gelasse betreten und dem Erzähler zu Orten folgen, die sein geistiges Auge nie zuvor erschaute.
Motiviert werden Autoren durch die Freude, die entsteht, wenn erste Abschnitte und Kapitel niedergeschrieben sind. Jedes Wort, das zu Papier gebracht wird, lockt das nächste hervor, und es formen sich Sätze, in denen sich Ihre Phantasie verdichtet. Bald entsteht der erste Textentwurf, eine Überarbeitung folgt, und schließlich rückt die Vollendung des Manuskriptes in greifbare Nähe.
Die Eleganz des Textes
Ein guter Text soll – wie ein elegantes Schiff – ohne erkennbaren Kraftaufwand gleiten. Ruckartige Bewegungen, Abdriften, Trudeln und Schlingern verunsichern die Passagiere.
Seien Sie ein vertrauenswürdiger Steuermann! Lenken Sie Ihre künftigen Leser sicher durch den Strom der Worte.
Wecken Sie seine Aufmerksamkeit dort, wo es sich lohnt. Verlangsamen Sie die Fahrt bei beachtenswerten Wegstrecken. Beschleunigen Sie dort, wo sich Tristesse am Ufer breit macht, um bald wieder zu abwechslungsreichen Gestaden zu gelangen.
So bereist ein guter Erzähler den Strom der Worte.
Der vorstehende Text wurde entnommen dem Buch »Wie Autoren ihre unbewussten Kräfte nutzen können« von Ruprecht Frieling.
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