
Dialog mit dem Uhu im Licht des Mondes – ein stilles Gespräch zwischen Weisheit und Erfahrung. © Prinz Rupi
Der Uhu gilt seit der Antike als mehr als bloßes Sinnbild wilder Natur. In ihm vereinen sich kontemplative Stille, geheimnisvolle Erhabenheit und tiefe Weisheit – Eigenschaften, die ihn seit Jahrhunderten zum Symbol philosophischer Erkenntnis, geistiger Durchdringung und bildungsbürgerlicher Distinktion machen. Kein Wunder also, dass der Uhu nicht nur in Mythen, sondern auch in geistigen Bruderschaften wie der Schlaraffia eine herausragende Rolle spielt.
Der Uhu – Symbol der Weisheit, Hüter des Geistes, Bruder im Scherz
Die symbolische Aufladung des Uhus reicht zurück bis in die griechische Antike. Zwar war dort vor allem die Athene-Eule (auch Eule der Minerva genannt) das klassische Sinnbild der Weisheit, doch der Uhu – als ihr größerer, geheimnisvoller Verwandter – fand vor allem im römischen Kulturraum ambivalente Beachtung. Sein nächtlicher Ruf wurde teils als Omen gefürchtet, teils als Zeichen wachender Geistesgegenwart gedeutet – erinnernd an die Haltung stoischer Philosophen: zurückgezogen, unbeirrbar, wach.
Seine Fähigkeit, in der Dunkelheit zu sehen, wurde zum Bild der Erkenntnis im Verborgenen – für jene geistige Kraft, die durch die Schatten des Unwissens hindurchblickt. Im mittelalterlichen Christentum erscheint der Uhu doppeldeutig: als Tier der Einsiedler, klugen Sonderlinge und Ausgestoßenen – eine Figur zwischen Licht und Schatten, zwischen göttlicher Eingebung und weltabgewandter Eigenheit.
Weisheit im Schatten
Bereits Plinius der Ältere nennt ihn in seiner Naturalis historia (77 n. Chr.) einen „Vogel der Einsamkeit“, der belebte Gegenden meidet – ein Wesen, das die Stille sucht wie ein Denker seine Kammer. In der Symbolsprache der Antike galt dies als Zeichen innerer Einkehr:
„Der Uhu flieht das Licht nicht aus Furcht, sondern aus Urteil.“
Pseudo-Apuleius, De Natura Avium
Ein Gedanke, der von christlichen Mystikern aufgegriffen wurde. Hildegard von Bingen (1098–1179) etwa schrieb über ihn: Der Uhu sei ein „Vogel der Nacht, aber nicht des Bösen“, sondern einer, „der das Unsichtbare hört“.
Der Uhu – Sinnbild der Belesenheit

De Natura Avium, Uhu, 1277 oder danach. Temperafarben, Feder und Tinte, Blattgold und Goldfarbe Blatt: 23,3 × 16,4 cm (9 3/16 × 6 7/16 in.) © The J. Paul Getty Museum
In Aufklärung und Romantik erlebt der Uhu eine Renaissance – nun als Sinnbild geistigen Rückzugs in die Welt der Bücher und Gedanken. Die Vorstellung des belesenen Einzelgängers, der über den Dingen der Welt schwebt, spiegelt sich in seinem Bild. Er wird zum Symbol für die Melancholie des Denkens, die Einsamkeit des Gelehrten – und zugleich für dessen überlegene Weitsicht.
Besonders in literarischen und künstlerischen Kreisen des 19. Jahrhunderts avanciert der Uhu zum ironisch-ehrwürdigen Emblem geistiger Arbeit. In Zirkeln und Gesellschaften erscheint er seither immer wieder – ernst und augenzwinkernd zugleich – als Hüter des gedruckten Wortes und des gepflegten Gesprächs.
Der belesene Uhu

337 Dichterinnen und Dichtern setzen der mythischen Eule ein literarisches Denkmal in der 452 Seiten starken Anthologie der Prinz-Rupi-Kulturstiftung
In der Zeit der Aufklärung wird der Uhu endgültig zum „philosophischen Vogel“. In Universitätsstuben ziert er Bucheinbände, in Karikaturen erscheint er als Professor mit Hornbrille. Johann Georg Hamann (1730–1788), der „Magus im Norden“, nannte ihn liebevoll den „Bibliothekar des Waldes“.
Ein Berliner Zeichner des Biedermeier stellte ihn auf einem Bücherstapel dar – darüber der Spruch:
Wohl dem, der nachts zu lesen weiß,
statt Schnaps zu saufen und zu schrein,
denn was ein Uhu leise weiß,
muss eines Esels Lärm nicht sein.
Der Uhu bei den Schlaraffen
Die traditionsreiche Symbolik des Uhus lebt heute in der Schlaraffia fort – einer weltweiten Vereinigung kulturbegeisterter Männer. Dort ist der Uhu nicht nur Wappenvogel, sondern totemisches Zentrum eines ganzen Denk- und Spielsystems. Die 1859 in Prag gegründete Bruderschaft pflegt ein zeremonielles Spiel aus ritterlicher Sprache, parodistischen Titeln und kunstsinniger Selbstdistanz.
Der Uhu steht dabei für das sogenannte „Uhuversum“ – eine Gegenwelt zur Nüchternheit und Banalität des Alltags. In Federzeichnung oder Bronzefigur thront er über den „Sassen“ – den Mitgliedern der Runde – als mahnende wie inspirierende Gestalt. Seine Botschaft: Bildung ohne Humor bleibt leer. Weisheit zeigt sich oft im Spiel, in der Ironie, im feinen Andeuten. In seinem ernsten Blick liegt der leise Hinweis: „Nimm das Leben ernst – aber nicht zu ernst.“
Die Eule als Verlagsemblem
Auch in meiner eigenen Familiengeschichte spielte der Uhu eine prägende Rolle. Mein Urgroßvater Wilhelm Frieling wählte ihn als Symbol für das 1871 gegründete Familienunternehmen. In vierter Generation nutzte ich das Emblem für meinen Verlag Frieling & Partner. Unter dem wachsamen Blick des Uhus erschienen im Laufe der Jahrzehnte Werke von über zehntausend Autorinnen und Autoren – darunter auch zahlreiche Schlaraffen.
Der Uhu als kulturelle Chiffre
Ob als schweigsamer Begleiter des Philosophen, als nächtlicher Leser im stillen Turmzimmer oder als majestätischer Wappenvogel in schlaraffischer Runde – der Uhu ist mehr als ein Tier. Er ist eine Chiffre für Geist, Ironie und Tiefe; ein Gleichgewicht zwischen Nachdenklichkeit und Heiterkeit. In einer Welt, die sich oft in Oberflächlichkeit verliert, bleibt er ein Gegenbild – ein Sinnbild für Wissen und Würde.