»Willkommen im Club der 2 Millionen« grüßt das Schild über dem Eingang der CreateSpace-Druckerei im Leipziger Amazon Zentrum. Mehr als zwei Millionen Bücher sind bis März 2016 durch diese Fertigungsstrecke gelaufen und es werden täglich mehr. Ruprecht Frieling besuchte eine der interessantesten Druckereien Europas.
Der Eingang zu Amazons Fulfilment Center in Leipzig ist gesichert wie Fort Knox. Wer über keine persönliche Einladung verfügt und seine persönlichen Daten deponiert hat, dem verweigert das magische Auge am Haupteingang in der Amazonstraße 1 den Zugang zur ersten Sicherheitsschleuse. Findet der Besucher vor der Kamera Gnade, folgt der Abgleich der Personaldaten am Security-Counter, die Aushändigung eines Besucherausweises und die Übergabe einer Warnweste, denn Sicherheit hat bei Amazon Priorität. Mein persönlicher Guide, der Chef der Amazon-Druckerei tritt auf: Habe ich einen gestandenen alten Drucker erwartet, ist Bereichsleiter Dr. Andreas Friedrich ein junger Logistiker, der seinen Job als Managementaufgabe begreift.
Nach dem Durchschreiten einer Metallschleuse (»Wir haben nichts zu verbergen, aber Fotos dürfen nicht gemacht werden«) verschafft Friedrich mir einen Einblick in die 75.000 Quadratmeter große Halle, in der sich rund 2.000 Mitarbeiter um Einlagerung und Versand kümmern. Fünf Etagen hoch stapeln sich Millionen Artikel, von der nur die EDV genau weiß, wo sie im Einzelnen lagern und wie viele jeweils verfügbar sind. Wir wandern an Regalen mit Lebensmitteln vorbei an Gängen, in denen von Windeln über Klopapier bis hin zu Spielzeug so ziemlich alle Produkte des täglichen Bedarfs auf Abruf warten. Selbstverständlich finden sich dort auch zehntausende Bücher, CDs und DVDs.
Zwischen den Regalreihen wandern Picker umher, die mittels eines Scanners die jeweils georderten Produkte aufspüren, aus den Regalen nehmen und in Plastikboxen legen. Diese Boxen rollen dann auf Förderbändern, die auf allen Etagen in unaufhörlicher Bewegung sind, zu Packstationen, wo die Artikel von einzelnen Mitarbeitern verpackt werden. Vor dort gehen die Päckchen direkt zu den Ladestationen der Paketdienste, um in möglichst kurzer Zeit beim Kunden zu landen.
Es ist faszinierend zu beobachten, wie die Verpackungseinheiten Schlag auf Schlag durch die gigantische Halle gondeln, ohne durcheinander zu geraten. Dabei ist die Lautstärke erstaunlich gering und die Temperaturen angenehm, denn das gesamte Gebäude ist voll klimatisiert. In einer besonders abgeteilten Ecke des Lagerhauses findet sich dann das eigentliche Ziel meines Besuches: Amazons on-Demand-Druckerei.
Print-on-Demand bedeutet, dass ein einzelner Buchtitel komplett aus der Datei gedruckt, gebunden und geschnitten wird, um daraufhin sofort zum Kunden geliefert werden zu können. Werden im klassischen Offsetdruck größere Mengen eines Buches gedruckt und geliefert, wird im Digitaldruck jeweils nur ein einzelnes Exemplar hergestellt. Das bedeutet, dass Bücher, die nur in kleinen Quantitäten benötigt werden, sofort und ohne jede Lagerhaltungskosten produziert und ausgeliefert werden können. Genutzt wird dieses Verfahren von Self-Publishern, die Amazons CreateSpace-Programm nutzen wie auch von vielen etablierten Holzverlagen, die damit vergriffene oder selten nachgefragte Titel verfügbar machen.
CreateSpace ist ein Dienst von Amazon, bei dem jeder Autor seine Buchdatei hochladen und dem Publikum in aller Welt als Paperback verfügbar machen kann. Der Dienst ist kostenfrei und ermöglicht dem Autor ein weit über dem Durchschnitt liegendes Honorar abhängig von Buchumfang und dem vom Autor festgelegten Ladenpreis des Werkes.
2005 übernahm Amazon den digitalen Buchdrucker Booksurge und stieg damit in das Print-on-Demand-Geschäft ein. Neben der Druckerei im amerikanischen Charleston (South Carolina) warten Digitaldruckereien im polnischen Wroclaw (Breslau) und in London auf Aufträge. In Leipzig stehen acht OCE-Digital-Druck-Maschinen zur Verfügung, in der zwei Papiersorten verarbeitet werden können: 90 g reinweiß und chamois (cream). Das Papier wird vor der Verarbeitung noch einmal exakt temperiert, um optimale Druckergebnisse zu erhalten. Digitalmaschinen sind vergleichsweise anfällig, Volumenpapiere, die Bücher umfangreicher erscheinen lassen, stehen aufgrund der Staubentwicklung noch außerhalb der Diskussion.
Weitere Canon-Farbdrucker sind für den Druck farbiger Innenteile und der vollfarbigen Buchumschläge zuständig. Diese werden dann zusammengeführt und beschnitten, um anschließend cellophaniert zu werden. Die Veredelung gibt es in zwei Varianten: matt oder glänzend. Besonders eindrucksvoll ist, dass jeder einzelne Druckvorgang durch einen eigenen EDV-Code gesteuert und kontrolliert wird. So ist es beispielsweise ausgeschlossen, dass beispielsweise Cover und Innenteil fehlerhaft zusammengefügt werden oder eine matte Cellophanierung erfolgt, wenn eine glänzende gewünscht wird.
Auf diese Weise wird ein Buch in kürzester Zeit komplett hergestellt und auf die Reise zum Empfänger geschickt. Dabei berechnet die EDV bereits beim Auftragseingang die Auslastung der Druckerei. Ist Leipzig ausgelastet, wird der Auftrag automatisch nach Wroclaw oder London umgeleitet, um dort schnellstmöglich ausgeführt zu werden. So ist es möglich, dass ein Buch bereits am ersten Werktag nach der Bestellung auf dem Tisch des Empfängers liegt. Dabei ist es unwesentlich, ob von einem Titel pro Jahr nur ein einziges Exemplar oder 22.000 Bücher wie von Hanni Münzers Bestseller »Honigtod« allein im Jahr 2014 gedruckt und abgesetzt werden.
Erstaunlich ist der hohe Anteil an Handarbeit in der Leipziger Druckerei. So werden Buchblöcke noch per Hand in die Schneidemaschine eingelegt, das Zusammentragen von Innenteil und Cover erfolgt ebenso wie das Veredeln händisch. Hier gibt es bereits Fertigungsstraßen, die dies vollautomatisch erledigen und so ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich Amazon zu einer entsprechenden Automatisierung entschließt.
Im Hintergrund wird jedenfalls viel überlegt und getestet. Dazu gehört der für Self-Publisher wichtige Punkt des Bezugs von Belegstücken zum eigenen Bedarf. Erfolgten bis dato Bestellung und Auftragserfüllung noch über Charleston in den USA mit entsprechende hohen Frachtraten, langen Lieferzeiten und Zollformalitäten, wird der Bedarf inzwischen direkt aus Europa gedeckt.
Ein weiteres Feld ist die Belieferung des deutschen Buchhandels mit Print-on-Demand-Titeln. Auch hier wird hinter verschlossenen Türen eifrig nachgedacht und gebastelt. Sobald Amazon es schafft, den Handel mit entsprechenden buchhändlerischen Rabatten zu beliefern, dürften im Leipziger Druckzentrum die Maschinen nicht mehr stillstehen. Kapazitäten sind vorhanden, derzeit wird in zwei Schichten gearbeitet, lediglich in der Vorweihnachtszeit stehen die Mitarbeiter in drei Schichten an den Druckern.
Druckerei-Manager Andreas Friedrich: »Bald aktualisieren wir das Banner über unserem Eingang«. Welche Zahl statt der jetzt genannten zwei Millionen gedruckter Exemplare dort stehen wird, will er indes noch nicht verraten.
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