Es gibt wenige Autoren, deren Stil derart prägend ist, dass ihr Name zum Begriff wird. Kafka gehört dazu, wir sprechen beispielsweise von kafkaesken Szenarien. James Graham Ballard, der am 19. April 2009 nach langer Krankheit im Alter von achtundsiebzig Jahren in den Literaturhimmel entschwand, ist ein weiteres Beispiel.
Als »ballardian« definiert Collins Wörterbuch der englischen Sprache »den in J. G. Ballards Romanen und Geschichten beschriebenen Zuständen gleichend oder beschwörend, besonders die dystopische Moderne und die psychologischen Wirkungen der technonologischen, gesellschaftlichen oder umweltlichen Entwicklungen«.
Der britische Autor James Graham Ballard gilt als ein Großmeister der Science-Fiction-Literatur. Dabei wehrte er sich stets gegen diese Kategorisierung. Ballard war nicht an Raumschiffen und Ausserirdischen interessiert. Ihn beschäftigte »die Welt der geheimen Verführer der sich entwickelnden Kommuniukationslandschaft, des Massentourismus, der riesigen, vom Fernsehen dominierten konformistischen Vororte«. Ballard entwickelte die Vision vom Cyberspace, bevor das Internet erfunden wurde. Er ist insofern der literarische Vater des Netzes.
In den Sechziger und Siebziger Jahren waren seine Bücher in deutscher Übersetzung an jeder Ecke erhältlich. Dann wurde es still, vielleicht, weil seine drastischen Visionen im Zeitalter von Wirbelstürmen, Erdbeben, Tsunamis und Überflutungen zur täglichen Realität wurden. Der Edition Phantasia ist es nun zu verdanken, dass die bereits 1962 geschriebene Endzeitvision »The Drowned World«, auf deutsch ursprünglich als »Karneval der Alligatoren« vertrieben, unter geändertem Titel und in frischer Übersetzung wieder greifbar ist.
David Cronenberg verfilmte 1996 Ballards Roman »Crash«, einen Highway-Thriller über Todestrieb und Selbstzerstörungssehnsüchte. Stephen Spielberg hatte Jahre zuvor glücklos Ballards autobiographisches Werk »Im Reich der Sonne« verfilmt. Der jetzt vom Verlag gewählte Titel »Paradiese der Sonne« erinnert stark an diesen Titel; es handelt sich jedoch um ein eigenständiges Werk.
Ausgangspunkt des Romans ist eine extreme Erderwärmung in Folge gigantischer geophysikalischer Erschütterungen, die unsere Welt in die Zeit des Jura zurück katapultiert. Heftige Sonnenstürme lassen die Temperaturen stark ansteigen. Die Mehrzahl der tropischen Zonen wird unbewohnbar, ehemals gemäßigte Zonen werden tropisch, die Menschen wandern auf der Flucht vor Temperaturen zwischen 55 und 60 Grad nach Süden oder Norden. Sie besiedeln das antarktische Plateau und die nördlichen Grenzgebiete Kanadas und Russlands als letzte bewohnbare Lebensräume. Erdrutschartig hat Mutter Natur ihre Kreaturen wieder zurück in die Vergangenheit des Planeten geschickt.
Europa ist inzwischen nahezu vollständig überflutet, lediglich die Skyline der Wolkenkratzer ragt aus dem morastigen Dschungel empor. Wildwuchernde Schlingpflanzen und aggressive Reptilien haben die Herrschaft übernommen. Über den dampfenden Dächern der versunkenen Stadt London brechen Forscher ihre Station ab, um der immer brutaler brennenden Sonne zu entkommen. Aber die faulige Fieberhitze, die gnadenlos gleißende Glut und die schwülfeuchte Stimmung der Lagunenlandschaft hinterlassen auch in der Psyche der Menschen deutliche Spuren.
Der Biologe Dr. Keran widersetzt sich mit einigen Kollegen dem Abzug und will in dem Außenposten bleiben. Die Psyche der Zurückbleibenden scheint sich unter dem Duft der bizarren Wasserpflanzen und dem Geschrei der hungrigen Leguane und Alligatoren zu verändern. Sie beginnen, zu halluzinieren und verlieren die Kontrolle über Zeit und Raum. Unvermittelt taucht ein Schiff mit Plünderern auf, deren Kapitän Strangman aus unerklärlichen Gründen nach Kunstwerken taucht. Er gebietet über ein Heer von Krokodilen und sonderbaren Gestalten. Die Truppe beginnt, das Wasser der Lagune zu stauen und einen Teil der Londoner City freizulegen. Benommen ziehen die Forscher durch die versumpften Straßen und erkennen einen Teil ihres früheren Lebens wieder
»Paradiese der Sonne« erinnert an die wissenschaftliche begründete Phantastik, die in den Siebziger Jahren besonders aus dem osteuropäischen Raum auf den deutschen Markt flutete. Es handelt sich um bizarres Gedankenbild, das in den Klimakatastrophen der Neuzeit, wie der Überflutung New Orleans, bereits konkret wurde. Besonders spannend ist, dass sich Ballard für die mit den veränderten Verhältnissen einher gehenden Verschiebungen der sozialen Gefüge und damit letztlich jedes Einzelnen befasst. Thematisch ist das Werk Spitze, sprachlich wirkt es leider farblos und schon recht antiquiert.
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Die farblose, antiquierte Sprache wird mich nicht abschrecken. Nach Deiner Rezension ist dieses Buch ein Muss!
Bin auf deine Resonanz gespannt!
Oh ja, das Buch habe ich gelesen. Abgesehen vom Schreibstil an den ich mich eingewöhnen musste, hat es mir sehr gefallen. Ich fühlte mich beim lesen sogar insomnambul. Waberte durch die Seiten, in einer völlig anderen Welt. Man kann die Hitze, das Surreale richtig spüren. Selbst jetzt, wenn ich daran zurück denke.
Schön, dass du es gelesen hast und beeindruckt bist. Meine Rezension hier ist ja auch – dem traurigen aktuellen Anlass geschuldet eine Doublette.
Danke für dein interessantes Plot und und die Rezension. Für mich war es eine völlig neue Information, da ich den Autor und seine Werke überhaupt nicht kenne. Ich habe nur mal in irgendeinen Feuilleton etwas darüber gelesen.
Liest du denn seine Bücher auch im Original?
Das habe ich vor zwanzig Jahren mal getan, ihn dann aber wieder aus den Augen verloren.
Musste erstmal grübeln was eine Doubletter ist, aber nach einigen Minuten Überlegens, denke ich Du meinst, weil Du das schon mal hier reingesetzt hast.
Ja das ist traurig, und gut das Du den Eintrag gemacht hast, denn ich hätte von seinem Tod nichts mitbekommen.
Sorry, immer diese Fremdworte.
Ja, wa, und grad ich… 😉
Ich gelobe Besserung!
Macht nix, so lerne ich wenigsten. 🙂
Sowas, habe von Ballards Tod gar nichts mitbekommen. Kaum zu glauben, daß er so in Vergessenheit geraten ist. Ich habe im vergangenen Jahr von ihm „Der Block“ gelesen und war beeindruckt von diesem Werk. Seitdem mußte ich manches Mal daran denken, wenn ich wieder an so einem grauenhaften Betonklotz vorbeikam.
Hast du das Buch vielleicht irgend wo rezensiert oder magst du ein paar Worte dazu sagen?
Nein, ich habe es (noch) nicht rezensiert. Vor ein paar Jahren ist es zusammen mit „Crash“ und „Die Betoninsel“ in leider eher reißerischer Aufmachung beim Area-Verlag erschienen: http://www.amazon.de/Crash-Betoninsel-Block-James-Ballard/dp/3899962575/ref=sr_1_3?ie=UTF8&qid=1240398336&sr=1-3
Zu „Crash“ habe ich irgendwie keinen Zugang gefunden, „Die Betoninsel“ habe ich noch nicht gelesen. Im Zentrum steht ein hochmoderner Wohnkomplex, der den Bewohner alles bietet: Im Prinzip müssen sie ihn nur zum Arbeiten verlassen. Dabei ist der Block streng nach Klassen aufgebaut, was sich daraus ergibt, daß von unten nach oben die Wohnungen teurer werden. Ballard geht dann davon aus, daß sich Aufstiegswünsche entwickeln, die sukzessive einen Kampf herbeiführen, im System des Hochhauses nach oben zu gelangen. Es entsteht dabei ein regelrechter Kleinkrieg, wobei sich die von oben gegegen die von unten verteidigen, während die von unten nach oben dringen.
Der Block verfällt dabei in einen anarchischen Zustand, in dem sich irgendwie alle Bewohner wohlfühlen (tatsächlich sind sich darin einig). So gesehen erinnert der Roman an Goldings „Herr der Fliegen“, denn auch hier zerbröckelt die Zivilisation. So setzt die Handlung damit ein, daß einer der Protagonisten auf seinem Balkon einen erlegten Hund grillt; anschließend wird die Entwicklung rückblickend geschildert.
Das nenne ich aber eine prompte Lieferung, Sir! Danke.
Es gab mal bei Suhrkamp den Ballard-Titel »Das Hochhaus«, eventuell ist der identisch mit »Der Block«. Ballard wurde wiederholt übersetzt, wohl nicht immer zu seinem Vorteil.
Nichts zu danekn 🙂
Ja, „Das Hochhaus“ ist wohl mit „Der Block“ identisch, hab grad mal bei Amazon nachgeschaut..
Ich hatte schon erwartet, hier etwas zu dem Thema zu finden, und siehe da, ich ward nicht enttäuscht. 🙂
Ein wichtiger Autor, deshalb habe ich die Besprechung ein wenig aktualisiert noch einmal eingestellt.
Ich werde ihn jetzt lesen, es gibt noch so viel auf dem Berg der ungelesenen Bücher, aber im Urlaub werde ich schon einiges wegschaffen.
Bei mir ist auch kein Durchkommen mehr, dabei habe ich das Bestellen von Rezensionsexemplaren nahezu auf Null geschraubt.
hast du uns das nich schon einmal vorgestellt….?
*grübel*
Ja doch, wie oben bereits erwähnt: der Tod des Autors schien mir als Wink des Himmels
achso……..wo hab ich bloss meine augen…?
🙂
Als eifriger Radiohörer ist mir sein Tod nicht entgangen (mit Radio meine ich offensichtlich nicht Musiksender :>>). Ich kenne einige seiner Werke, vom „Reich der Sonne“ kenne ich Buch und Film, und der Film war absolut fantastisch! Meintest du mit glücklos die Werkstreue oder den finanziellen Erfolg?
Glücklos war Spielberg mit seiner Verfilmung des Werkes, denn der Streifen floppte trotz oder gerade wegen seiner Qaulität und wurde sehr schnell abgesetzt.
Alle die ich kenne/kannhte waren eigentlich begeistert von dem Film. Aber gut, für die USA war er vielleicht zu anspruchsvoll… und gerade dieses Land bestimmt nun mal maßgeblich über den Erfolg, ein paar deutsche oder britische Kinogänger machen da keinen Unterschied.
Mit dem Namen Spielberg sind klassisch große Kinoerfolge verbunden. Das war in diesem Fall mal ganz anders. Ich bin kann die Gründe nur erahnen und glaube, der Film ist zu anspruchsvoll für die breite Masse. Ballard selbst hat zwar hundertausende Leser gefunden, aber das reichte wohl nicht.
Ich kenne es auch noch nicht. Aber es droht mal wieder der alljährliche Was kriegt der Gatte zum Geburtstag Hilfeschrei.
Das hier scheint mir ne gute Idee zu sein.
( dann hab ich nämlich auch was davon ! )
interessanter tipp! in welchem roman „erfindet“ er denn das internet?
Danke für den Buchtipp!
Yitu
Gern.
Falls du es liest: schreib mal, wie es dir gefallen hat.