»Amazon Academy« nennt Amazon die neue Veranstaltungsform, mit der die deutsche Niederlassung des weltgrößten Online-Händlers am 11. Juni 2015 ihr Büro in Berlin-Mitte eröffnete. Zum Gedankenaustausch waren 250 Autoren, Händler und Softwareentwickler eingeladen, um mit den Verantwortlichen des Unternehmens die Zukunft der Möglichkeiten zu diskutieren. Eine bunte Party beschloss die ungewöhnliche Form der Öffentlichkeitsarbeit. Ruprecht Frieling war dabei.
Amazon sitzt im historischen Ambiente
Sitz des neuen »Amazon Development Center« sind die Krausenhöfe in der Berliner Krausenstraße 38. Das beeindruckend sanierte Bürogebäude hat eine Geschichte, die ausgezeichnet zu dem Unternehmen passt, das künftig auf rund 6.000 Quadratmetern tätig ist. Das Ensemble beherbergte in den 1920-er Jahren die Universum Film AG (UFA). Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Gebäudekomplex Sitz der Deutsche Film AG (DEFA). Nun arbeiten 180 Ingenieure in dem Gebäude und kümmern sich um die Themenkomplexe »Machine Learning« (»Maschinelles Lernen«) und »Cloud Computing«. 450 Stellen sind insgesamt geplant.
Deutschland ist für Amazon, so der eloquente »Country Manager« Ralf Kleber, der nach den USA wichtigste Markt. Seit 17 Jahren ist der Versandhändler in deutschen Landen tätig, 12.000 Arbeitsplätze wurden geschaffen. Seitdem steht Amazon als Synonym für ein vollkommen verändertes Verhältnis zwischen Händler und Kunde. Es macht den Amazonen sichtbar Spaß, Produkte immer schneller an den Abnehmer zu bringen, zumal Geschwindigkeit vor dem Auftreten des Lieferriesen kein Thema war. Mittlerweile ist der Konzern nicht nur in der Lage, am Tag der Bestellung auszuliefern, es wird in einigen Städten sogar getestet, dringend benötigte Waren – sei es ein wichtiges Zubehörteil oder eine Tüte Nudeln – innerhalb der nächsten Stunde auf den Tisch des Bestellers zu bringen.
Amazon: Entdecker statt Eroberer
Dabei fühlt sich das Unternehmen als Entdecker statt als Eroberer, meinte Kleber in einem Pressegespräch vor sechs handverlesenen Journalisten. Manche Ideen seien im Papierkorb gelandet, andere seien enorm erfolgreich gewesen. Im Fokus aller Überlegungen stehe der Kunde. Um ihn schneller erreichen zu können, setzt das Unternehmen alle verfügbaren Lieferdienste ein. Dabei spiele die Entwicklung von »Amazon Robotics«, der fahrerlosen Bewegung von Lagerware bei höchster Flächeneffizienz eine große Rolle. Es gebe kein »Announcement« (so der typische Terminus, mit dem Nicht-Information verpackt wird) über einen Amazon-eigenen Lieferdienst wie er in Großbritannien existiert.
Amazon: E-Book-Markt wächst dynamisch
Mit absoluten Zahlen hält sich Amazon bedeckt. Andreas von der Heydt, der charismatische Chef von Amazons überaus erfolgreichem Kindle-Programm für Self-Publisher, ließ sich lediglich zu relativen Aussagen bewegen. So wächst der Markt der E-Books weitaus schneller als es Institutionen wie der Börsenverein des dt. Buchhandels wahrhaben wollen. Marktzuwächse können jährlich im zweistelligen Bereich verzeichnet werden. 360.000 deutschsprachige E-Books sind mittlerweile verfügbar. Dabei stimuliere die von Amazon angebotene Lese-Flatrate »Kindle Unlimited« sowohl den Umsatz wie auch die Lesedauer.
Self-Publisher-Papst Matthias Matting hatte zuvor in seiner Präsentation über die Goldenen Zeiten, in denen Autoren dank Amazon aktuell leben, auch auf Klippen hingewiesen. So werde es aufgrund der Flut der Neuerscheinungen immer schwerer, in die oberen Verkaufsränge zu kommen, zumal auch die Schwemme der Kindle-Deals das Marketing der Autoren erschwere. Tolino-Media als zweiter relevanter Anbieter im SP-Geschäft, öffne den Weg in bislang von Amazon nicht bediente Geschäftsfelder im deutschen Buchhandel, es gebe deshalb inzwischen kaum noch einen Grund, sich weiterer Dienstleister zu bedienen. Aber auch etablierte Verlage hätten längst das Potential der nachwachsenden Autoren erkannt, studierten intensiv die Amazon-Hitlisten und akquirierten ihnen zuvor völlig unbekannte Autoren. Klar sei, dass Self-Publishing wohl ohne alle anderen Anbieter leistbar sei, jedoch keinesfalls ohne Amazon.
Romance und Chic-Lit dominiert
Wer Amazons Bestseller-Listen studiert, der stößt auf den immer stärker wachsenden Anteil weiblicher Autoren sowie die von ihnen bevorzugt bedienten Genres Romance, Chick-Lit und Krimi. Entsprechend viele Autorinnen waren zur »Amazon Academy« eingeladen. Marah Wolff, Elke Bergsma, Hannah Kaiser, Nika Lubitsch, Kirsten Wendt, Daphne Unruh, Niki Hotel und viele andere Damen waren deshalb auch in kleinen und großen Gesprächsrunden am Rande gefragt, wenn es um die Geheimnisse von Titelfindung, Covergestaltung, Lektorat, Zielgruppe und Marketing geht.
Fast schien es, dass die männlichen Self-Publisher inzwischen in den Hintergrund gedrängt werden, wobei sich Michael Meisheit, Klaus Seibel, Marcus Hünnebeck, Axel Hollmann, David Gray mit anderen Kollegen tapfer hielten. Da wundert es nicht, wenn sich Autoren zusammentun und beispielsweise Kirsten Wendt und Marcus Hünnebeck ein spannendes Gemeinschaftsprojekt entwickeln, bei dem jeweils die weibliche und männliche Sichtweise in einer großen Romance-Story verarbeitet werden. Das Manuskript des Duos soll im Herbst stehen, was keinen der beiden davon abhält, bereits über die Besetzung der Hauptrollen für die spätere Hollywoood-Verfilmung zu sprechen.
Self-Publishing: Ohne Amazon geht es nicht
Antworten auf die immer wieder gern gestellte Frage, wie man erfolgreich E-Books schreibt, erhofften sich die anwesenden Autoren von ihrem erfolgreichen US-Kollegen A. G. Riddle. Der unter Pseudonym schreibende Autor verriet bei einem gemeinsamen Mittagessen, dass er selbst keinen Schimmer habe, wie es zu seinem wundervollen Erfolg gekommen sei. Jedenfalls veröffentlichte er relativ spät in 2013 den ersten Band seiner Science-Fiction-Trilogie »Atlantis«, die ohne sein Dazutun in kurzer Zeit die Bestseller-Listen stürmte und bislang 1.3 Millionen mal verkauft und in 18 Sprachen übersetzt wurde. Marketing ist für den sympathischen Kollegen aus North Carolina, der jetzt mit seiner Frau in Florida lebt, nach eigenem Bekunden ein Fremdwort. Er hat sich ausschließlich ums Schreiben gekümmert und alles andere der Amazon-Algorithmik überlassen.
Wie geht es weiter mit Amazon?
Wie geht es weiter? Diese Frage beschäftigte alle Teilnehmer der »Amazon Academy«, die im weitesten Sinne mit dem Schreiben und Vermarkten von Inhalten zu tun hat. Fakt ist, dass sich das Elektrobuch in der jetzigen Phase erst in den Kinderschuhen einer ungemein dynamischen Entwicklung befindet. Amazon ist dabei, sämtliche verfügbare Buchinhalte zu indizieren. Dies bedeutet, dass künftig der Verbleib in einem einzelnen Buchinhalt nicht mehr zwingend stattfindet. Der Leser findet beispielsweise einen interessanten Namen, nehmen wir beispielhaft Wolfgang Amadeus Mozart, und springt mit einem Klick in ein ganz anderes Buch, das vielleicht die Lebensgeschichte des Komponisten erzählt. Die starre Form des Buches, die wir vom Papierbuch kennen, wird damit aufgelöst in einen gewaltigen Ozean des Lesens, in dem der Leser auf Entdeckungsreise gehen kann und wie in einem Jump´n´Run-Spiel von einer Leseinsel zur nächsten hüpft. Die Flatrate unterstützt dabei nachhaltig.
Es gäbe viel über wundervolle Begegnungen und Gespräche auf der »Amazon Academy« zu berichten. Sicher ist, dass der Onliner damit ein Veranstaltungsformat entdeckt hat, das nicht nur hinsichtlich einer längst überfälligen Öffnung gegenüber den Lieferanten von Inhalten sowie den Partnern im Handel ein Gewinn für alle Seiten ist. Insofern darf man auf ein nächstes Mal gespannt sein.
Amazon Robotics
Amazons Lagerhaltung arbeitet inzwischen weitgehend voll automatisiert. Gingen die Lageristen bei der klassischen Lagerhaltung noch von Regal zu Regal, um die gewünschten Artikel zu entnehmen und zu einer Sendung zusammenzustellen, so hat der Versender dieses Prinzip auf den Kopf gestellt. Tatsächlich ist es wirtschaftlicher und schneller, wenn die jeweiligen Regale zum Lagerarbeiter gefahren werden. Dazu gibt es kleine Roboter, die einzelne Regale durch die Gegend fahren. Größtere Herausforderung dabei ist, Zusammenstöße zu vermeiden und immer genügend Platz zu lassen, damit im Kollisionsfall echte Menschen dazwischenspringen können, um alles wieder zu richten.
Starke Sache 🙂
Habe erst gedacht, dass Amazon direkt über dich berichtet hätte, bis ich dann gesehen hab, dass in der Browserzeile deine eigene Hompage steht 🙂
Toller Artikel zu einem unserer Lieblingsthemen 🙂
Weiterhin viele tolle Produkttests und Bewertungen !!!
Viele Grüße aus Dortmund
So viel um Buch, Internet und Lesen ist im Fluss: Wir sind die Jahrgänge, die der Zukunft jenseits von Orwell den Weg zu bereiten haben. Dabei wird vielleicht das Geld weniger wichtig werden??
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