Wir seien beide wohl vergnügungssüchtig, schrieb mir Manfred Eichel unmittelbar vor seinem jähen Herztod am 14. November 2024 in einer seiner Mails zur Mitternacht. Er hatte gerade mein jüngstes Buch gelesen, das hatte ihm gefallen, und er wollte mich zu weiteren gemeinsamen Kulturevents motivieren. Das Schicksal wollte es anders.
Manfred Eichel war ein großer Genießer. Geradezu süchtig sog er alles auf, was unter dem Label Kunst und Kultur zu vereinen war. Es gab keinen Abend, an dem er nicht unterwegs war, oft zu mehreren Veranstaltungen an einem Tag. Dabei war er bereits stolze 86 Jahre. Während ich, der Jüngere, oft schon nach zwei Terminen Sehnsucht nach einem Sofa verspürte, zauberte Manfred garantiert noch eine Einladung zu einer Ausstellungseröffnung, einer Lesung, einer Premiere oder einem Abendessen hervor.
Der freundliche, charmante und jedem zugewandte Gentleman konnte nicht genug bekommen von der kulturellen Vielfalt Berlins. Er war süchtig nach Neuem und stets bereit, zu erkunden und zu entdecken. Ob ein Konzert zum Tag der Tuba im Musikinstrumentenmuseum, eine KI-Kunstausstellung in der Likörfabrik Mampe, ein Abend zu Richard Wagners »Ring des Nibelungen« in der ehemaligen Maggie-Fabrik, eine Autorenlesung in der ungeheizten Zionskirche, ein Testessen in einem georgischen Restaurant oder Konservenfutter in der Schöneberger Sardinen-Bar – Manfred ließ sich zu allem überreden und war immer ein ebenso begeisterter wie kritischer Begleiter.
Bei den Steglitzer Schlaraffen fand er spontan Gefallen an dem Gesellschaftsverein, dessen Motto »In Arte Voluptas« («In der Kunst liegt Vergnügen«) auch sein Lebensmotto war. Er genoss den dort gepflegten Humor und ließ sich nicht lange bitten, das Rostra genannte Rednerpult zu erklimmen, um von seinen Erlebnissen mit Marcel Reich-Ranicki zu berichten. Schließlich war Eichel von 1993 bis 2001 Chef des »Literarischen Quartetts« und hatte fast täglich mit den damaligen TV-Literaturkritiker zu tun, den er als schwierigen Charakter erlebte.
Eichels journalistische Laufbahn begann nach einem Anglistik- und Geschichtsstudium als Redakteur beim Hamburger SPIEGEL. Von dort wechselte er vom Printjournalismus zum Fernsehen, wo er beim NDR das Fernseh-Magazin »Kultur aktuell« und ab 1989 auch die NDR-Ausgaben des ARD-Magazins »Kulturreport« für das Erste Programm übernahm. 1992 wurde er zum Honorarprofessor für Fernseh-Journalistik ernannt.
Er wechselte zum ZDF nach Mainz, um dort das Kulturmagazin »Aspekte« zu leiten. Als Chef der Feature-Redaktion »Literatur und Kunst« sowie des »Literarischen Quartetts« prägte er die deutschsprachige Kulturlandschaft. Ab Januar 2000 war er ZDF-Chefkorrespondent für Kultur und gestaltete Kulturreportagen aus aller Welt. Viele seiner rund 600 Sendungen für ARD und ZDF moderierte er und bereiste dafür die ganze Welt.
Manfred Eichel beeindruckte durch sein phänomenales Namensgedächtnis, seine Gabe als Stehgreifredner und seine Fähigkeit, Menschen zu begeistern. Stolz war er auf seinen Sohn Florian, der als Redakteur bei der Wochenzeitschrift »Die Zeit« in seine journalistischen Fußstapfen getreten ist. Er hinterlässt seine Lebensgefährtin Kathrin Sommer, gemeinsam bewohnten sie eine große Berliner Altbauwohnung in der Bamberger Straße, gefüllt mit Kunstbüchern, Bildern und Erinnerungen an ein außergewöhnlich reiches und erfülltes Leben.
Der Tod meinte es gütig mit diesem Ausnahmemenschen. Ohne Vorankündigung schaltete sein Herz am 14. November 2024 ab und bewahrte ihn vor Krankheit und Leid, das er so gefürchtet hatte.
Seine Freunde erinnern Manfred als einen wundervollen Zeitgenossen, mit dem sie gerne noch sehr viel mehr unternommen hätten.
R.I.P. lieber Manfred!
Prinz Rupi
Die Beisetzung findet am 17.12.2024 um 11:00 h auf dem Berliner Matthäus-Friedhof statt.
Was für ein wundervoller Nachruf über einen besonderen Menschen, lieber Rupi.
Manfred war mir und Christine in den nun zwanzig Jahren in Berlin ein sehr guter Freund, immer da, wenn es um die neuesten, auch wichtigsten Daten und klärungsbedürftigen Kulturprobleme ging, erst recht da, wenn es um ganz private Fragen außerhalb öffentlichen Diskurses ging. Ein Freund, ZWEI Freunde: Kathrin und er. Ich vermisse ihn schon jetzt, hier, in der Bamberger Strasse und in allen Theatern und Konzertsälen Berlins. Überall wird er fehlen, ein Polyhistor im besten Sinne.
Wolfgang Hainer
Lieber Prinz Rupi,
ein sehr schöner, würdevoller und auch persönlicher Nachruf. Auch wenn ich Manfred Eichel nur ab und an sporadisch auf den von Dir beschriebenen Vernissagen getroffen habe, so habe ich ihn immer als sehr freundlich, charmant und auch höflich erlebt.
Ich konnte ihn ein paar Mal fotografieren unter anderem beim 75. Geburtstag von Anselm Dreher am 21.12.2015 in der Galerie in der Pfalzburger Straße, die Dreher dann aufgab. Das Foto zeigt ihn in einer Gruppe und ein anderes Mal zusammen mit Wulf Herzogenrath. Ein anderes Mal, fünf Jahre später am 2.8.2020, konnte ich ihn zusammen mit Hermann Treusch bei der Finissage von Timm Ulrichs‘ Ausstellung „Ich, Gott & die Welt. 100 Tage, 100 Werke, 100 Autoren“ im Haus am Lützowplatz aufnehmen.
Herzliche Grüße
Matthias Reichelt
Adios amigo!
Mein Fernseh-Konsum war niemals sonderlich hoch. Die allabendliche Krimi- und Schlager-Berieselung empfand ich schon immer als Zumutung. Als ich in den 90er Jahren mit meinem Zeitschriftenverlag expandierte, blieb mir obendrein kaum Zeit für belanglose TV Unterhaltung.
Umso wichtiger war das Ritual, jeden Freitagabend gespannt auf „aspekte“ zu warten, denn deren Leiter und Moderator, Manfred Eichel, war für meine Frau und mich ein inspirierender Navigator im Kulturleben. Gebannt lauschten wir seinen Worten und lernten dank Eichel die vielseitigen Aspekte des Kulturlebens kennen.
Wir hätten uns nie träumen lassen, das unser „Kultur-Guru“ der 90er eines Tages zu einem engen und wertvollen Freund werden würde. Es ist ein großes Geschenk des Schicksals, das uns vor einigen Jahren nach unserer Rückkehr in unsere alte Heimatstadt Berlin, zusammenführte. Rasch entwickelte sich eine sehr vertrauensvolle und ungemein inspirierende Freundschaft. Manfred liebte unseren spanischen Wein und die Kochkunst meiner Frau, der Künstlerin Angelika Adam. Mit Neugierde und Anerkennung verfolgte er ihr Schaffen. Bei jedem Besuch galt die erste Aufmerksamkeit ihren neuen Werken.
Ob Literatur, Kunst, Theater, Oper, Klassik oder Jazz, Manfred verfügte über ein unfassbares Wissen, permanent gespeist durch seine sprühende Neugier. Natürlich musste daneben das eigene Wissen mehr als verblassen, was er einem aber niemals spüren ließ. Im Gegenteil mangelte es nie an Anerkennung, lauschte er gespannt meinen weltweit erfahrenen Reise-Erlebnissen, und schätzte meine Liebe zum Jazz, nahm Anregungen auf und genoss gemeinsame Konzertbesuche.
Unseren letzten gemeinsamen Abend werde ich für immer im Herzen tragen. Ich überraschte ihn mit der Vorführung eines Filmporträts über den Klavier-Giganten Joachim Kühn, den Manfred in den 70er Jahren gedreht und seitdem nie mehr gesehen hatte. Dass es sich bei dem Porträt um ein journalistisches Meisterwerk handelt, ist selbstredend. Manfred beleuchtete alle Facetten eines Pianisten, der schon damals Furore machte. Bei einer Szene hatte wir beide Tränen in den Augen: Als während eines kurzen Interviews die Tür aufging, Rolf Kühn den Raum betrat und sich beide Brüder in den Armen lagen. Rolf war ein enger Freund von Manfred und von mir. Ein großartiger Mensch und begnadeter Musiker, der uns vor über zwei Jahren verlassen hat, und wie Manfred eine große Lücke hinterlässt.
Reiner H. Nitschke
Als ich ihn vor 42 Jahren, 1982 kennenlernte, konnte ich noch nicht absehen, welches Glück mich mit dieser Bekanntschaft verbinden sollte. Er war mein Chef bei dem NDR-Magazin „kultur aktuell“, das er moderierte. Später lud er mich als Autor zu Aspekte ein, daraus wurde eine jahrelange, wunderbare Zusammenarbeit, die von Inspiration, Respekt und auch von Strenge geprägt war. In der Berliner Zeit entwickelte sich zwischen uns eine enge Freundschaft, die immer auch eine Herausforderung war: ein Meer von kulturellen Themen, von Kunst- und Theatererlebnissen, von Namen über Namen, die in unsere Gespräche einflossen. Durch seine kenntnisreichen Berichte, die stets spannende Erlebniserzählungen waren (Manfred verfügte über eine gekonnte Erzähldramaturgie), erfuhr ich schmerzlich, was mir an dem Berliner Kulturbetrieb wieder einmal entgangen war, doch ich blieb auf dem Laufenden. In der Parisbar, weit nach Mitternacht, wenn wir aufbrachen, stellten wir fest, was alles noch nicht besprochen war und bald nachgeholt werden sollte. Nun bin ich einer von den vielen, denen Manfred unendlich fehlt. Es helfen keine weisen, tröstenden Worte.
Reinhold Jaretzky
Ich lernte Manfred kennen, als ich meinen ehemaligen Intendanten des Bremer Theaters und Freund Klaus Pierwoß fragte, ob er jemanden kenne, der meine Veranstaltung „Pariser Platz der Kulturen“ mit Katja Riemann (als nicht immer einfache Gesprächspartnerin bekannt) moderieren könne?
Die spontane Antwort: ganz sicher kann das Manfred Eichel – vorausgesetzt er findet einen Babysitter an dem Abend für seinen Sohn. Diesen fand Manfred, moderierte den Abend auf die ihm bekannte Weise glänzend und es erwuchs aus dieser Zusammenarbeit eine jahrelange Freundschaft, die auch den nun lange erwachsenen Sohn Florian ebenso einschloss wie seine Frau Kathrin – eine immer hervorragende Gastgeberin bei vielen Festen, die wir in der Wohnung in der Bamberger Straße feiern durften.
Genau heute vor einer Woche habe ich dann bei einer Premierenfeier in der Komischen Oper von Manfreds Tod erfahren und konnte es zunächst nicht glauben. Denn trotz seines Alters war Manfred von einer Vitalität und Energie, dass man versucht war, an den Begriff „Unsterblichkeit“ zu glauben, vor allem angesichts der unglaublichen Überwindung seiner schweren Erkrankung vor über acht Jahren, als eine Ende sehr viel wahrscheinlicher erschien als gerade jetzt.
Zwei Tage später fand in dieser Woche dann im Haus der Berliner Festspiele das Konzert gegen die Kulturkürzungen statt und man hatte das Gefühl, dass Manfred eigentlich mitten unter uns ist, wurde sein Name doch in vielen Gesprächen erwähnt – sei es in Ungläubigkeit von denjenigen, die gerade erst von seinem Tod erfuhren – oder in unvorstellbarer Trauer zahlreicher Freunde über den Verlust eines Menschen, der wie wenige der Repräsentant von Kultur in Berlin war.
Gestern nun eine Premiere in der Deutschen Oper – und wieder hatte ich das Gefühl, dass Manfred irgendwo im Publikum sein müsste! Denn man konnte bei den Kulturveranstaltungen in Berlin eigentlich fast immer sicher sein, dass Manfred dabei ist, der mit scheinbar unerschöpflicher Energie das Kulturangebot der Stadt wahrnahm, wie es nur wenige schafften.
Doch nun, am Ende einer Woche der traurigen Gewissheit, dass ich ihn nicht mehr im Publikum entdecken werde, muss ich mich wohl daran gewöhnen, dass er nur noch in meinen Gedanken dabei sein wird, ich mich aber nicht mehr mit ihm darüber austauschen kann, wie er eine Inszenierung fand oder sein treffsicheres Urteil über ein Konzert lautet.
Einziger Trost: Die Weise, auf die Manfred sich aus unserer Mitte verabschiedet hat, wünscht man jedem Menschen, der einem lieb und wichtig ist. Und so wird er mich weiter begleiten bei allen kulturellen Veranstaltungen, die ich besuche….ein Gedanke, der mir die Seele wärmt!
Regine Lorenz