Wenige Tage vor dem 200. Geburtstag von Richard Wagner am 22. Mai 2013 präsentiert die Neuköllner Oper »Wagner for Sale«, ein knapp einstündiges Stück von und mit Sommer Ulrickson und Moritz Gagern. Das Stück reißt viele Fragen an, die um den Wagner-Mythos ranken. Es gibt Denkanstöße, sich mit dem größten deutschen Komponisten auseinander zu setzen und leistet dies, indem Ultrakurzzitate aus Leben und Werk mit musikalischen Versatzstücken munter gemischt werden.
»Wagner for Sale« spielt im Büro der Firma »Ring und Gral«, in dem die Beschäftigten alle Hände voll zu tun haben, um die Nachfrage für originelle Fanartikel, darunter auch einen »Guide to survive Wagner« zu versenden. Das Team arbeitet chaotisch und erweckt kaum den Eindruck, es habe das Wagner-Merchandising im Griff.
Sekretärin Hilde (Sommer Ulrickson) verfällt in Zuckungen, sobald Wagner erklingt. Teamchef Ludwig (Moritz Gagern) befasst sich lieber mit einem unaufgelösten Dur-Akkord statt Päckchen zu packen. Lagerist Horst Tristan (Christian Bo Salle) verheddert sich derweil im Klebeband, ihn interessieren biografische Feinheiten mehr als die Bestellungen seiner Kunden. Teammitglied Elsa (Olivia Stahn) hört nur dann auf zu singen, wenn man ihr einen Ring (eine gut zu Wagner passende Idee) vom Finger zieht.
Besonders inspiriert scheinen die Beschäftigten von »Ring und Gral« durch die revolutionäre Frühphase des Komponisten, der mit Anarchisten bekannt war, sich vehement für die Reform des Theaterbetriebes einsetzte und dafür auf die Barrikaden ging, um schließlich sogar fliehen zu müssen und steckbrieflich gesucht wurde. Konsequent bestellt das Team allerlei Chemikalien, die offensichtlich dazu dienen sollen, Wagners kompositorische Sprengkraft auch konkret unter Beweis zu stellen. Dazu wird immer wieder auf die »Erlösung« verheißenden Botschaften einiger Wagner-Opern verwiesen. Bevorzugt wird dabei mit Elementen des Slapsticks und Versatzstücken gearbeitet.
So vergnüglich das Geschehen auf der Bühne ist: Es bleibt die Frage, ob es ausreicht, das Publikum mit einer eher marmeladig-indifferenten Botschaft zu entlassen. Denn was ist nun mit dem Heilsversprechen und Erlösung? (Derartiges wird inzwischen selbst Krisen-Kanzlerin Merkel angedichtet.) Welche Rolle spielt die Judenfrage in der Weltanschauung des Meisters? (War es Zeitgeist, Überzeugung oder doch nur Anbiederung zwecks Anerkennung durch die seinerzeit extrem antisemitische Oberschicht ) Welche Sprengkraft haben Wagners Werke heutzutage wirklich?
Es sind viele Aspekte, die in der Inszenierung angerissen werden. Allerdings bieten sie Anlass zu weiteren Fragen, zu Gesprächen, Austausch und Diskussion und das tut dem Mythos um Wagners Persönlichkeit ebenso gut wie dem Zugang zu seinen Tondichtungen.
Richard Wagner: Genius oder Arschloch?
Interview mit Ruprecht Frieling
Erstaunlich, was Wagner heute mit 200 noch alles so in Bewegung bringen kann.
Schönen Gruß an die begabten Leute von der Neuköllner Oper. Die sollen mal auf Tournee gehen! Sowas käm bei den Ruhrfestspielen bestimmt auch gut 🙂
Wenn Du dort die Türen öffnest, kann die Show sicherlich bald beginnen 😉
… ist auch wieder ’n ganz anderes Neukölln-Bild als das in Medien „übliche“…
(… Thema verfehlt, ich weiß – 6, setzen… )
Wir denken immer noch gern zurück an die Neuköllner Oper, war ein wunderbarer Abend! 😀
Ein Grund mehr, mal wieder nach Berlin zu kommen!
Ganz klar! Wann macht denn der Flughafen auf? 😉
Die Auseinandersetzung habe ich nur medial wahrgenommen, die Inszenierung selbst kenne ich nicht. Selbst wenn die Regiearbeit so emotional zerstörend auf den ein oder anderen wirkt, ist das aus meiner Sicht kein Grund, das Stück abzusetzen. Eine derarige Entscheidung ragt in den Bereich künstlerischer Zensur und folgt denen, die am lautesten schreien und protestieren. Nach dem Eklat ist ja jeder gewarnt, er könnte seine Karten zurückgeben oder eben »auf eigene Gefahr« zuschauen.
Wagner scheint immer noch bestens geeignet zu sein, die Gemüter zu spalten.
Hast Du eigentlich den „Tannhäuser-Skandal“ in D mitbekommen?
http://www.rp-online.de/region-duesseldorf/duesseldorf/nachrichten/tannhaeuser-inszenierung-nach-protesten-abgesetzt-1.3385387
Ich kann dazu nichts Persönliches beitragen, da ich die Inszenierung nicht gesehen habe.
Die Konzeptbeschreibung wirkt auf mich etwas effektheischend, aber die Begründung der Absetzung noch viel mehr.
Aber wenn sich tatsächlich nach Besuch der Aufführung geschockte Besucher in ärztliche Behandlung begeben mussten, sollte man vielleicht über einen Opern-Alters-FSK nachdenken. Zum Beispiel „Diese Oper ist für Menschen mit Herzproblemen und einem Alter über 80 nicht geeignet“.
Ob wir dass noch erleben, steht in den Sternen. Nimm lieber die Bahn 😉
Sehe ich genauso. Aber wir leben hier in D seit langen Jahren unter einer bildungsfernen CDU-Regentschaft. Ich hoffe inständig, dass sich’s der aktuelle Kaiser mittlerweile durch Borniertheit und Unfähigkeit so mit dem gemeinem Wahlvolk verscherzt hat, dass nach der nächsten Lokalwahl mal wieder Kulturförderung ein Thema ist und die Umwandlung von D in eine einzige riesige Großbaustelle für Gewerbebauten gestoppt wird.