Am 30. September 1924 wurde in New Orleans einer der außergewöhnlichsten Schriftsteller des letzten Jahrhunderts geboren: Truman Capote
Er habe »für einen drittklassigen Politiker Reden geschrieben, sei auf einem Vergnügungsdampfer als Tänzer aufgetreten, habe mit der Glasmalerei von Blumen ein kleines Vermögen verdient, für eine Filmgesellschaft Drehbücher gelesen, bei einer berühmten Dame Wahrsagerei gelernt, beim `New Yorker´ gearbeitet und für ein Ratgeber-Magazin Anekdoten ausgewählt«, behauptete Truman Capote im Klappentext seines ersten Buches »Andere Stimmen, andere Räume«. Doch davon stimmte nur ein verschwindender Bruchteil.
Der bis zur Zerbrechlichkeit kleine und feine Mann mit dem jungenhaften Aussehen und der magnetischen Anziehungskraft auf das eigene Geschlecht war nicht nur ein begnadeter Erzähler, er konnte auch ausgezeichnet Geschichten erfinden. Dabei ging er stets mit klaren Vorstellungen über seine künftigen Buchproduktionen schwanger.
Paul Bowles, seinerzeit ein ganz Großer der amerikanischen Literaturkritiker, traf ihn 1949 in Tanger und schrieb über die Begegnung: »Eines Tages weihte uns Truman in seine literarischen Pläne für die nächsten zwei Jahrzehnte (!) ein … Die Werke, die er uns schilderte, erschienen jedoch in den folgenden Jahren tatsächlich nacheinander. Sie waren schon damals alle in seinem Kopf vorhanden wie kleine Krokodile, die darauf warten, ausgebrütet zu werden.«
Truman Capote – Der Mann mit der Robbenbaby-Stimme
Damals arbeitete Truman an »Summer Crossing« und Reiseberichten, die später unter dem Titel »Lokalkolorit« erschienen. Er schrieb diszipliniert vom Morgen bis zum frühen Abend, um am Abend auf Partys und Gesellschaften zu entspannen.
Dort trat er stets erstklassig gekleidet auf mit dem Wahrzeichen des Intellektuellen von der anderen Seite des Atlantiks, der Blue Jeans, einem grauen Tweed-Sakko über einem tonfarbenen Pullover sowie einem himbeerroten Schal, der seine Blässe akzentuierte. In Frankreich erfand er weitere Details für seine offizielle Biografie, die er mit süßer Robbenbaby-Stimme verkündete: Seine Vorväter seien Spanier, er selbst entstamme einer Weberfamilie aus Louisiana.
Zeitgenossen betrachteten den Kobold, der stets für enormes Aufsehen und gute Laune sorgte, wie ein rührend niedliches Äffchen. Seine spektakulären Auftritte aber auch enge Freundschaften mit Charly Chaplin und Tennessee Williams förderten seinen Bekanntheitsgrad und trugen neben seinem schriftstellerischen Talent wesentlich zu seinem großen Erfolg bei. Einen »Liebling der Götter« hatte ihn einer seiner Freunde genannt, und als junger Mann war Capote tatsächlich mit Glück und Lebensfreude gesegnet.
Truman Capote – ein zerrissener Charakter
Obwohl er als Autor stets sehr genau wusste, was er schreiben und erreichen wollte, war Trumans Charakter zerrissen. Er zog jahrelang umher auf der Suche nach dem optimalen Platz, um zu arbeiten. In New York sehnte er sich nach Europa, in Paris nach Sizilien, in Italien nach Nordafrika und dort wieder nach New York. Sein Leben in Manhattan empfand er als Spannungsfeld einer Glühbirne. Zwar stand er täglich in den Klatschspalten, er konnte sich aber nur eine Miniwohnung mit Außentoilette leisten und die enorme Beachtung, die ihm zuteil wurde, war dem Regelmäßigkeit verlangenden Schreibprozess abträglich. So war er ständig unterwegs und fand unter anderem in Taormina befristet Ruhe.
Als literarischer Gegenentwurf zu »Andere Stimmen, andere Räume«, erschien »Die Grasharfe«, die den sonnigen, lustigen Truman Capote spiegelte. 13.500 Exemplare wurden abgesetzt, das war das Dreifache von »Lokalkolorit«. Viel verdienen ließ sich mit derartigen Auflagen nicht, und so unterschieb er einen Vertrag, sein Stück in ein Broadway-Theaterstück umzuarbeiten, das jedoch mit nur 36 Vorstellungen floppte.
Capote ließ sich von Bühnenluft anstecken
Trotz des Misserfolges steckte ihn die Bühnenluft an. Er ließ sich überreden, seine Erzählung »Ein Haus aus Blumen«, ein anrührendes Stück über ein Bordell in Haiti, in ein Theaterstück umzuschreiben. Zusätzlich begann er mit dem Verfassen von Drehbüchern und geriet an John Houston und Humphrey Bogart, die ihn beauftragten, das Drehbuch für »Schach dem Teufel« zu verfassen. Der komödiantische Streifen mit Bogart und Gina Lollobrigida wurde von der Kritik als »Screwball-Klassiker« gefeiert.
Das Buch, das förmlich aus ihm herausströmte wie ein gutes Lied, hieß »Die Musen sprechen«. Humoristisch thematisiert die Reise eine Tournee amerikanischer Künstler, die »Porgy and Bess« in Moskau aufführten. Es war »das einzige Werk von mir, von dem ich ehrlich sagen kann, dass es mir Spaß gemacht hat, es zu schreiben, eine Tätigkeit, die ich nur selten mit Vergnügen assoziiere«, meinte Capote dazu.
Nach einem Bombenerfolg mit »Frühstück bei Tiffany´s«, das später mit Audrey Hepburn verfilmt wurde begann Truman, sich der Tatsachenliteratur zuzuwenden. Er empfand die Belletristik als Sackgasse und fühlte sich von Fakten fasziniert.
Capotes Meisterwerk »Kaltblütig«
Am 16. November 1959 fand der exaltierte Schriftsteller mit der Piepsstimme auf Seite 39 der »New York Times« eine einspaltige Meldung: »Reicher Farmer und drei Angehörige ermordet«. Das Thema sollte ihn jahrelang in Atem halten, zumal er ein nahezu intimes Verhältnis zu den Tätern aufbaute, das ihm half, ihr Seelenleben zu sezieren.
Die dürren Zeilen der Meldung veränderten das Leben des Schriftstellers. In jahrelanger Kleinarbeit entstand »In Cold Blood« (deutsch »Kaltblütig«), eine der einfühlsamsten Kriminalreportagen der Weltliteratur. Die Entstehung dieses Meisterwerks wurde dadurch begünstigt, dass Truman Capote ein nahezu intimes Verhältnis zu den beiden später überführten und zum Tode verurteilten Tätern aufbaute, das ihm half, neben der Tat, ihrem Ablauf und der Wirkung auf den Ort des Geschehens das Seelenleben der Mörder zu sezieren.
Möglich wurde der Tatsachenroman durch Trumans Zähigkeit wie durch sein phänomenales Gedächtnis. Sein Biograph Gerald Clarke beschreibt das so: »Es war seine Überzeugung, dass der Anblick eines Notizbuchs oder, noch schlimmer, eines Tonbandgeräts die Offenheit hemmt. Nur in scheinbar beiläufigen Gesprächen seien die Leute bereit, sich zu offenbaren, behauptete er. Wenn sie keine Feder und keinen Bleistift auf ein Papier kritzeln sähen, könnten sie auch nicht glauben, dass ihre Worte festgehalten würden.«
Mit dieser Methode hatte Capote zuvor eine Nacht lang Schauspielerlegende Marlon Brando interviewt, und ihm dabei Geständnisse entlockt, den die spätere Veröffentlichung zur Sensation werden ließ. Er schlief mit Errol Flynn, tratschte mit Marylin Monroe und Jackie Kennedy und war eigentlich immer dort zu finden, wo die »oberen Zehntausend« verkehrten.
Truman Capote und der »New Journalism«
Gleichzeitig begründete er das Genre des »New Journalism«, einen extrem subjektiv geprägter Reportagestil, der gern Randfiguren zu Hauptdarstellern macht und Themen aus einem völlig unerwarteten Gesichtswinkel beleuchtet. Zu diesem Stil bekannten sich Autoren wie Norman Mailer, Gay Talese, Hunter S. Thompson und Tom Wolfe. Capotes Werk trug schließlich maßgeblich dazu bei, in der amerikanischen Rechtsprechung psychologische Gutachten zuzulassen und das Vorleben wie die Sozialisation von Tätern mit einzubeziehen.
Der Erfolg der Veröffentlichung beflügelte Capotes monströses Ego. Seine Arbeit war großartig, sein Denken scharf, seine Merkfähigkeit bis ins kleinste Detail legendär, seine Auftritte brillant. »Ich bin etwa so groß wie eine Schrotflinte – und genauso laut«, diktierte er einem Klatschreporter.
Nach »Kaltblütig« war die inzwischen 45-jährige »kreischende Tunte« allerdings weitgehend ausgebrannt. Capote wurde zum Opfer seiner inneren Stimmen, die ihn immer wieder tief hinab zogen. Alkohol und Drogen, Nervenzusammenbrüche, Depressionen und Gefängnisaufenthalte bestimmten künftig sein Leben.
Er veröffentlichte noch gezielte Indiskretionen aus der High Society, die zum Selbstmord der von ihm bloßgestellten Millionärswitwe Ann Woodward führte. Doch sein Stern sank unaufhaltsam, und die Schickeria, deren liebstes Kind er einst war, mied ihn.
Truman Capote hatte ungemein viele Facetten. Sein Wirken und Einfluss als öffentliche Figur reichte bis in die 70-er Jahre. Einsam und verlassen starb der homosexuelle Südstaatenspross am 25. August 1984 in Los Angeles kurz vor seinem 60. Geburtstag an einer Überdosis Tabletten.
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