Es knistert, knarrt, knurrt und kratzt. Plötzlich keift ein grelle Weiberstimme: Wotan, Gemahl, erwache! Mit diesen Worten weckt Fricka ihren Mann, den Götterboss, aus seinen Träumen von Macht und Ruhm. Der reckt sich und ist sogleich vom Anblick seines neuen Palastes gefesselt: Die von ihm in Auftrag gegebene Götterburg ist vollendet! Mit der abenteuerlichen Reise durch die Welt der Götter, Riesen und Zwerge beginnt der spannendste Krimi der Opernwelt: Richard Wagners legendäre Oper »Der Ring des Nibelungen«.
Auf der Bühne agiert ein junger Schauspieler. Der scharrt mit den Füßen in einem Sandkasten, schlägt Kühlschranktüren zu, rasselt mit allerlei Gerät und flüstert, stöhnt, schmeichelt, quietscht und brüllt in verschiedene Mikrofone, die um ihn herum postiert sind: Stefan Kaminski ist allein auf weiter Flur und erzählt an insgesamt vier in sich geschlossenen Abenden das Heldenepos vom Kampf um den Ring der Macht, indem er sämtliche Figuren verkörpert, die in dem Vierteiler auftreten: mal ist er Gottheit, mal ist er Riese, mal Zwergenfürst. Kaminski gibt den Waldvogel wie den im Wald lauernden Drachen, er spielt die Guten wie die Bösen, und er lässt seinen Zuschauern dabei keine Zeit, auch nur kurz nach Luft zu schnappen.
Im Hintergrund der Bühne agiert Kaminskis Band: Hella von Ploetz spielt Glasharfe, ein seltsames Instrument mit unglaublicher Klangbreite, Sebastian Hilken betätigt Kontrabass, E-Cello und Perkussion; Natascha Zickerick bläst in Tuba und Gartenschlauch und dreht die Windmaschine; Stefan Brandenburg bearbeitet Synthesizer und Nadelklavier. Es werden gelegentlich E-Gitarre, eine kaputte Zither, eine Schalmei und das Theremin, eine Ätherwellengeige, eingesetzt. Gemeinsam weben sie einen Klangteppich, der Kaminskis Inszenierung zu einem Hör-Spiel der feinsten Art macht: Es ist schlicht atemberaubend, wie spannend, zeitnah und jung Wagners Ring des Nibelungen dargeboten wird.
Bei Kaminski gibt es kein, wie sonst bei klassischen Wagner-Opern üblich, hundertköpfiges Orchester, das den unvergleichlichen Wagner-Sound erzeugt. Hier schweben keine singenden, schwergewichtigen Walküren an Ketten hängend durch die Luft. Es schnaufen keine Fleischklopse über die Bühne, die zwar stimmgewaltig von Minne und Liebe singen, denen aber schon aufgrund ihrer Proportionen kaum zuzutrauen ist, in einem One-Night-Stand schnell einen Helden zeugen zu können. Es fällt auch keine metallene Tatze in den staubigen Bühnenraum, die einen Drachen verkörpern will.
Alles ist anders bei Stefan Kaminski. Bei ihm wird Wagners Opernkrimi zu dem, was Wagner zu seiner Zeit schon wollte: zu purem Rock´n´Roll. Ich kenne keinen besseren Einstieg in Wagners Welt als Kaminski live zu erleben, und ich habe von Bayreuth über Salzburg und London alles gesehen, was die Spielpläne hergeben. Jetzt gibt es endlich wieder Gelegenheit, den Stimmen-Morpher live zu erleben: In der „Neuköllner Oper“ spielt er ab 19. Juli den vollständigen Ring des Nibelungen gleich drei Mal hintereinander!
Um zu erfahren, wie der 1974 in Dresden geborene Mime auf die Idee kam, ausgerechnet die schwierigste Oper der Musikgeschichte für ein dreidimensionales Live-Hörspiel auszuwählen, traf ich Stefan Kaminski in Berlin.
Jeder wünscht sich, ein Siegfried zu sein
Stefan, Du sprichst eine Zielgruppe an, die sich nie freiwillig für Wagner öffnen würde, indem du die Geschichte vom Ring des Nibelungen auf eine ungewöhnlich junge Weise erzählst. Wie hast du es geschafft, Wagner zu knacken?
Meine Frau hat lange bei Sony Klassik gearbeitet und mir die Schönheit und Tiefe der Geschichte nahe gebracht. Über den Zauber und die Mystik der Rheingold-Klänge bin ich dazu gekommen, das Libretto beim Hören durchzulesen. Damals machte ich schon mein Programm Kaminski on air, das sich vornehmlich Trash-kompatiblen Filmstoffen gewidmet hat, las diese Geschichte von den großen Antipoden, den Zwergen und Riesen, den Menschen, Göttern, Naturgewalten und sphärischen Zwischenwese und bekam eine Gänsehaut.
Schon im ersten Teil der Operntetralogie, dem Rheingold, öffnet sich ein Wahnsinnsszenario, das die Geschichte anreißt und bis in die Götterdämmerung führt. Die Archaik im Rheingold, die sehr melodramatisch zarte Liebesgeschichte der Walküre. der trashige, fast slapstickartige Siegfried und schließlich der bestialische Krimi Götterdämmerung als Apokalypse, aus der möglicherweise wieder etwas Neues entstehen könnte.
Das alles war so monumental, dass ich mich dem unbedingt annähern wollte. In meiner früheren Wirkungsstätte, dem Deutschen Theater, war ich mit meinem Format Kaminski on air schon so etabliert, dass ich mit dem Ring des Nibelungen auf offene Ohren stieß. Begonnen hatten wir in der Box; die Nachfrage war aber so groß, dass ich in die Kammerspiele gewechselt bin. So ist dann peu à peu der vierteilige Zyklus entstanden.
Von Anfang an bestand die Absicht, alle vier Teile, so unterschiedlich sie mir erschienen, ohne das große Gebläse eines riesigen Orchesters auf unterschiedlich temperierte Weise zu erzählen. Ich stelle kein Format vor, das über alle vier Teile gleich bleibt nur mit anderem Text, sondern unterscheide diese deutlich vom Klangmaterial wie von der Lesart. Ich beginne also mit dem mystisch-archaischen Rheingold, gehe dann zur zarten, knapp über der Stille liegenden Walküre, mache Siegfried als Haudrauf mit Pop-Musik und Eurovision-Trara richtig spannend und ende schließlich mit dem Neubauten-Gemetzel am Ende, der Götterdämmerung.
Du arbeitest mit den verschiedensten Klängen und teilweise abenteuerlichen Geräuschen. Lediglich ab und zu klingt dabei eines der großen Wagnerschen Leitmotive an. Welche Rolle spielt die Musik in Deinem Live-Hörspiel?
Alles hat sich ergeben aufgrund meiner tollen Musiker, die ihre Instrumente auf eigene Art und Weise einsetzen: Sie spielen nicht nur Cello, sondern können dies auch mit dem Lappen bearbeiten; sie bedienen die Glasharfe, ein Instrument, das kein Mensch kennt; sie spielen auf einer verbeulten Posaune oder setzen einem Gartenschlauch ein Tuba-Mundstück auf und imitieren damit ein Waldhorn.
Mein Format bietet an sich schon die Möglichkeit, die Geschichte neu zu erzählen, die Figuren durch mich wandern zu lassen und die Musik mit lediglich zwei, drei Musikern anders zu gestalten, Motive zu adaptieren aber auch eigene Entsprechungen für die Landschaften, die Wagner zaubert, zu basteln. Eigentlich handelt es sich im Ergebnis um die Erfüllung dessen, was ich seit meiner Kindheit erträume, und ich möchte es gern bis zur Rocker-Rente spielen: Meine Mischung aus Theater, meine Liebe zum Hörspiel und der Werkstatt, der Band, die ich brauche, um den Kontakt zum Publikum zu halten und Zwiesprache zu halten. Mein Ring ist also keine in sich abgeschlossene heilige Veranstaltung, ich erzähle die Geschichte mit dem Witz, der Anzüglichkeit, der Brisanz und der Tiefe der Geschichte ehrlich und mit einem Augenzwinkern.
Erstmals gehört hast Du Wagner auf CD in einer Einspielung mit Solti. Dann hattest Du die Chance, nach Bayreuth zu fahren und den Tankred-Dorst-Ring komplett zu sehen. Du kanntest den Bogen der Geschichte, hast Dir dann auch andere Inszenierungen auf DVD besorgt und in der Deutschen Oper Berlin die Inszenierung von Götz Friedrich gesehen. Hat Dich die Musik fasziniert oder war es eher der Inhalt?
Mich hat die Musik zum Inhalt geführt. Ich kannte zuerst nur die Musik. Es ist der Reiz der Arbeit gewesen, das Libretto endlich mal auszustanzen. Ich bin eigentlich kein großer Opernfan. Meine Basis war immer Heavy Metal, weil ich 1986 damit angefangen habe. Übrigens besteht eine große Nähe vieler solcher Kapellen zu der Musik von Wagner hinsichtlich der Dramatik und dem Geschichtenerzählen, ich rede jetzt nicht von Dumpfbackenmetall sondern von Geschichtenerzählern, von Leuten, die was bieten, die eine Vielfalt und Offenheit haben. Mozart als Opernkomponist beispielsweise hat mich nicht so überwältigt. Ich mag Macbeth von Verdi, ich mag Madame Butterfly und die Tosca von Puccini.
Wie darf man sich das nun weiter vorstellen: Du hast die Musik gehört, das Libretto gelesen, Inszenierungen gesehen und Dich damit auseinander gesetzt?
Beim Hören des Rheingold habe ich gespürt, dass ich einen episch wertigen Stoff gefunden hatte, der eine ernstzunehmende, tiefe Geschichte erzählt. Ich konnte mir gut vorstellen, dass ich auch stimmlich eine breite Palette fahren kann mit den menschlichen, nichtmenschlichen und ätherischen Gestalten. Da sehe ich über die witzige Idee hinaus, dass jemand alle Figuren spielt, die Story auf die Spitze treibt und scharfkantig überzeichnet, die Chance, eine Geschichte von Weltbelang zu erzählen, von der man berührt sein kann, wo man tiefer nachschürfen kann, wo man mit Charakteren ins Verderben gehen kann, wo man (bei einer unerfüllten Liebe) eine Träne vergießen kann.
Während der Bearbeitung sind mir noch viel mehr Dinge aufgegangen. Aktuelle Themen wie die Vergewaltigung der Natur, aber auch die allgemein menschliche Seite: der Ehekrach Fricka-Wotan (erinnert mich an Loriot).
Mein Ring von unten soll für alle verständlich sein. Ich will Bezüge herstellen, die sich jedem erschließen. Das war für mich die Möglichkeit, nicht nur mein Publikum zu beeindrucken sondern mich selbst weiterzuentwickeln und sowohl den Witz wie die schmerzhaften Momente nebeneinander zu stellen. Jeder wünscht sich, ein junger Siegfried zu sein, und mit dem Schwert eine Bresche in die Welt zu schlagen! Siegfried wiederum ist der einzige Ausweg für Wotan, diesen angehalfterten Politiker, der dem Suff erlegen ist. Für ihn gibt es keinen Weg zurück, sobald er Herr des Ringes wird, ist er dem Verderben geweiht. Wenn er ihn aber nicht behält, wird er jemanden anderem in die Hände fallen, der ihn wiederum absetzt und entthront. Also ist Wotans einzige Hoffnung, einen Folgemenschen zu finden, der in seinem Sinne weitermacht und ihn dennoch als Gottvater respektiert, um seine alte Welt zu erhalten, und das ist Siegfried.
Hast Du einen Lieblingscharakter in der »Ring«-Besatzung?
Mir ist Loge am nächsten, der Mann, der als Einziger eine normale Sprache spricht und doch Halbgott ist. Ich habe lange geknobelt, wie Loge klingen kann. Ihn schließlich im Sprechgesang rappen zu lassen, war auch für mich eine neue Erfahrung. Das ist eine Figur, die steht außerhalb der anderen Akteure. Schwierig war für mich bei einem 80-Minuten-Format die knackig nötigste Fassung zu schaffen und ein jeweils neues Klima ohne Redundanzen zu schaffen und jedes Mal neu erklären zu müssen, worum es überhaupt geht.
Welchen unverschämten Mut verlangt es, sich hinzustellen und alle Figuren an vier Abenden selbst zu präsentieren? Verlangt das eine unglaubliche Chuzpe, ein wahnsinniges Selbstbewusstsein, ein unglaublich freches Gemüt?
Es ist wirklich aus einem emotionalen Bedürfnis entstanden, aus Spiellust, aus Spielwut. Ich habe Informationen für die Menschen da draußen, ich habe die Möglichkeiten, mittels meiner Kunst Aufmerksamkeit zu erzeugen und ins Publikum zu transportieren. Ich wollte schon als Kind in vielen Stimmen sprechen und den gesamten Background dazu selbst erzeugen.
Hat die Schauspielerei nicht gereicht? Wie kommt es zu der Erweiterung? Hast du nie Angst vor dem Scheitern gehabt?
Ich wollte immer mehr am Theater machen als ich machen durfte. Ich habe als Ensembleschauspieler Hauptrollen gespielt und dann bei einem Deppen den Baum von links ich hatte mehr vor und zugleich das Gefühl, nicht alles bringen zu können, was ich kann.
Dimiter Gotscheff und Jürgen Kruse waren Regisseure, die mich in die Tiefe des Theaters gesogen haben. Von Kruse habe ich die Art und Weise, gemäldeartig mit tiefer Dunkelheit und in ganz vielen Feinheiten an den Stoff heranzugehen, den Dreck, den Rock´n´Roll, die Wildnis. Von Gotscheff habe ich das beißende fratzenhaft Viehische der Figuren, die aufeinander losgehen, mitgenommen. Bevor ich überhaupt Schauspiel studiert habe und am Theater war, hatte ich Spielwut und Freude, mit Menschen wie meinen Musikern zusammen zu arbeiten, die Dinge können, die ich nicht kann.
Ich wollte Wagner knacken, habe die Geschichte durchgekaut, geschrieben, umgeschrieben, »Siegfried« ist eine Slapstick-Nummer; das ist Rock´n´Roll.
Im »Deutschen Theater« hattest Du mit dem »Rheingold« begonnen als Test. Im Spielplan stand damals die Ankündigung, dass alle vier Teile kommen sollten, und das hast Du in 2010 auch tatsächlich realisiert. Praktisch hast Du einen Text geschrieben und inszeniert, oder wie lief das?
Nach der Wende 1991 habe ich mir einen Kassettenrecorder und ein Mikro gekauft und begonnen, eigene Radioshows zu machen und Interviews mit Bands (die ich alle selber war) und Musikeinspielungen (die ich komplett selber gemacht habe). Dann habe ich die Geschichte vom »Ring des Nibelungen« aufgeschrieben, mir dazu ein gelbes Reclam-Textheft gegriffen und Notizen gemacht. Zuerst habe ich Textstreichungen vorgenommen und die Story auf das Notwendigste gekürzt. Zu den Figuren habe ich mir kleine Icons gemalt, um sie zu charakterisieren. Ich hatte auch schon Kontakte zu meinen Musikerfreunden und kannte die Möglichkeiten der Instrumente.
Die Musiker waren frei bei der Gestaltung. Ich wollte bestimmte Temperaturgrundanlagen und Akzente. Jeder macht das, was er am besten kann, und deshalb erzählen wir die Wahnsinnsgeschichte vom »Ring« gemeinsam als Band.
Toller Bericht über eine großartige Inszenierung. Das ist Kunst von Heute, die mich inspiriert! Stefan Kaminski !!!
Da wäre ich gern bei gewesen….!
🙂
Und hier das Ergebnis der Kaminski-Inspiration:
Aus den Worten des Interviews habe ich ein weiteres meiner so genannten Sprach-Porträts gebaut. Ich habe ihm den Tttel Wotans Hände gegeben.
Dankeschön!