Sex ist mies. Beat ist mies. Eine Farce
In »pädagogisch wertvollen« Aufklärungsvideos setzte sich TV-Sprecher Egon Hoegen (bekannt durch die TV-Spots »7. Sinn«) 1968 für katholische Keuschheit und deutschtümelnde Volksmusik ein. Er warnt die deutsche Jugend vor dem Besuch von Beat-Clubs und Diskotheken, die in jenen Jahren aus dem Boden schossen.
Während viele Erwachsene die Mahnungen des »Mannes, der sich nie verspricht« für bare Münzen nahmen, lachte der intelligente Teil der Bevölkerung über die Filmchen. Denn Hoegen hatte sich einen Spaß gemacht.
Die »Aktion« war eine großartige Satire. Sie nahm mit dem Warn-Video die Verklemmtheit der älteren Generation der 60er aufs Korn.
Die Argumentation, die Hoegen verwendete, war gängig in Kreisen klerikal verseuchter Eltern. »Keuschheit fördert die freie Entfaltung der Persönlichkeit des jungen Menschen zu einer Liebe im Glanz; dass er keine Schatten nachschleifen muss; nichts auch, was die freie Wahl der Liebe zum Herrn hindern würde auf dem Weg der Jungfräulichkeit, der Brautschaft Gottes«, schrieb beispielsweise Ottilie Mosshamer.
Diese dubiose Spezialistin für Mittelaltermoral wurde sogar vom Bundesfamilienministerium empfohlen.
Die am 21. Juni 1900 geborene »Schriftstellerin« Ottilie Mosshamer war schließlich bereits im Dritten Reich hervorgetreten mit ihrem zweibändigen »Werkbuch der religiösen Mädchenführung«, das 1938 im katholischen Herder-Verlag erschien. Das reichte als Empfehlung und Qualifikation.
Mosshamer war, wie ich in meiner Autobiographie »Der Bücherprinz« erzähle, eine der religiösen Fanatikerinnen meiner erblühenden Jugend, die zu Liebe, Jugend, gutem Ton und richtigem Benehmen glühende Phrasen publizierte.
Die katholische Moral der Sechziger Jahre war eine beschämende Angelegenheit: Der Körper galt als feindliches Terrain, als Sperrbezirk. Eine Begegnung spielte sich für Klein und Groß grundsätzlich nur unter der Bettdecke ab, wo laut Michael Moscherosch, dem Satiriker des Barock, »im Dunklen gut munkeln« war. Wer nur an das andere Geschlecht dachte, bekam schon einen heißen Kopf und schämte sich schrecklich.
Wer sich selbst berührte, dem sollten die Hände abfaulen und lebenslängliche Unfruchtbarkeit beschieden sein. Keuschheit hieß das Gebot der Stunde. Aufklärung seitens der Eltern schien undenkbar, bereits die Schule trennte die Geschlechter. Pastoren lebten offiziell im Zölibat, und den Nachwuchs brachte der Klapperstorch.
»Das Haar der Frau ist das Netz, in dem der Teufel die Seele des Mannes fängt«, wurde uns als katholische Weisheit eingeimpft. Offensichtlich ging vom weiblichen Haar besondere Gefahr aus. Wir zogen bisweilen Mädels an Zöpfen und Pferdeschwänzen und erfuhren, dass dies bereits ein ernster Verstoß gegen das »Gebot der Schamhaftigkeit und Keuschheit« war.
Keiner wusste genau, wovon in dem Gebot wirklich die Rede war. Es hatte irgendetwas Unbestimmtes mit dem anderen Geschlecht zu tun, wir sollten jedenfalls keusch bleiben, um später einmal in den Himmel zu kommen.
Sechzig Jahre später mag man über diese Videos und die damaligen Moralvorstellungen lachen, und das sollte man auch, denn Lachen befreit. Nur die Zensoren von Facebook lachen nicht mit.
Facebook verbietet Video »Sex ist mies. Beat ist mies«
Am 11. August 2020 stellte ich den Film auf meiner Facebook-Seite vor. Der Streifen und der damit verbundene wichtige »pädagogische« Appell schlugen ein wie eine Bombe. Es gab in kürzester Zeit ein deutliches Leserecho: Der Beitrag wurde mehr als 170 mal geteilt.
Unter den Betrachtern waren offenbar eifrige Sittenwächter. Die Ayatollahs meldeten den Film: Facebook reagierte sofort: Das Video wurde entfernt. So kam die vor einem halben Jahrhundert gelaufene Aktion »Sex ist mies. Beat ist mies« innerhalb von 24 Stunden auf den Index.
Der Beitrag »verstößt gegen unsere Gemeinschaftsstandards zu Nacktdarstellungen und sexuellen Aktivitäten« wurde mir lapidar mitgeteilt, und ich dürfe sogar Widerspruch einlegen. Das tat ich auch. Darauf kam der nächste Serienbrief: Der Einspruch kann indes aufgrund der Corona-bedingten Personalengpässe leider nicht geprüft werden. Facebook wird es aber »nutzen, um künftige Entscheidungen zu verbessern.«
Gleichzeitig wird gedroht, mein Konto ganz zu schließen.
Während Nazis, Hater, Rassisten und Verschwörungstheoretiker auf Facebook machen dürfen, was sie wollen, und hunderte Sex-Anbieter die User bombardieren, ohne auch nur angerührt zu werden, werden Humor und Satire verfolgt. Dass dies unter dem Hinweis auf »Nacktheit oder sexuelle Aktivität« erfolgt, ist lächerlich.
Ich habe es nicht bereut, Facebook verlassen zu haben. Entscheidungen, die mit Münzwürfen oder mit nem Würfel durchgeführt werden, gab es immer schon im Leben von Menschen. Aber das wurde nur dann gemacht, wenn man nicht weiter wußte oder einfach nur spielen wollte. Aber der Münzwurf als Institution ist eine ganz andere Nummer.
Zu den Videos fiel mir nur die Szene von „Harald und Maude“ ein: https://youtu.be/023hOa1ANDA
Münzwurf als Institution – zumal diese Institution zunehmend automatisiert und vom menschlichen Bediener entkoppelt wird.
In ein paar Atemzügen wird automatisierte Intelligenz das gesamte »Controlling« übernehmen. Nun glaube ich an den technischen Fortschritt und hoffe dabei auf eine feingliedrige Programmierung dieser AI, damit das Procedere weniger dem Würfelspiel gleicht.
Jetzt ham was!
Alternativ schlage ich den Würfelwurf vor. Dedizierte Anleitungen lassen sich in dem Buch „Der Würfler“ von Luke Rhinehard finden. In diesem Sinne viel Glück.
Danke für den Buchtipp!
Man hätte die junge Dame, die sich an einer missverständlichen Gartenzaunlatte festhält, auch an einen Maschendrahtzaun stellen können, um jegliche Assoziation zu vermeiden.
Honi soit qui mal y pense, lieber Freund!
🙂
Was für Spinner! Doch die neue Mode: Minirock 1970, ein buntes Kleid, trug ich und wurde von Männern und Jungens falsch verstanden. Ich verteilte regelmäßig Ohrfeigen wenn ich dadurch belästigt wurde, leider oft… Man wurde falsch eingeschätzt, aber die Kleider und Röcke gefielen mir und wollte diese tragen und hatte schöne Beine die ich mit „Stolz“ auch zeigen wollte. Das hörte nicht auf (falsch verstanden) mit Belästigungen und so trug ich überwiegend dann nur noch Jeans. – Sollte nicht besser die Männlichkeit damals aufgeklärt werden und verurteilt? Hinzu kam, dass die Pille nur an verheiratete Frauen mit mehreren Kindern auf Rezept man bekommen konnte… Als Studentin in Berlin arbeitete ich für meinen Unterhalt nebenbei bei Schering und klaute da die Pille „Euginon“ und verschenkte diese weiter. Was für eine Zeit…! – Allerdings kannte ich auch tragische Schicksale der jungen Studentinnen die heimliche Abtreibungen machten und manche dadurch auch starben (sie hatten nicht die Pille) Die Frauen (Mädchen) verklagte man , die Jungens (Männer) nicht und war noch bis ca. 1978! Vielleicht sogar noch länger, ich weiß es nicht genau. Kann sein , dass ich mich mit den Jahreszahlen etwas vertue, aber die Pille wurde erst (so weit ich weiß) 1980 frei gegeben.
Da waren wir in Ostdeutschland viel offener, weiter und nicht derartig prüde.
Es wurde FKK, bekanntlich Freikörperkultur betrieben.
Frauen und Mädchen waren insgesamt zeigefreudig in der Minimode.
Bei uns gab es die Antibabypille auf Rezept und das kostenlos schon viel früher. (70-er Jahre)
Ich selber war zwar schon mit 17 schwanger. Bekam schnell einen Krippenplatz und konnte demzufolge nach einem Jahr wieder arbeiten. Mein Kind war mit 1 Jahr trocken. Manche Jungs sind, bzw. waren es erst nach Jahren.