Mit der herausragenden Neuinszenierung von Richard Wagners romantischer Oper in drei Aufzügen »Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg« präsentierte die derzeit hyperaktive Oper Frankfurt am Sonntag die erste spektakuläre Premiere des neuen Opernjahres. Tannhäuser wird darin als Gefangener seiner Selbst, als Getriebener zwischen Freiheit und Konvention beschrieben.
Wagners Oper spielt im deutschen Mittelalter, in einer ritterlich-sängerischen Zeit, die von engen Konventionen und dem strengen Einfluss der römisch-katholischen Kirche geprägt gewesen sein muss. Der Ritter und Minnesänger Tannhäuser ist der gedanklichen Enge seiner Welt entflohen. Er suchte spirituelle Erkenntnis und fand fleischliche Liebe. Während der Ouvertüre zum ersten Aufzug fällt eine Schar religiös verzückter junger Leute im bacchantischen Liebestaumel übereinander her und deutet die Richtung an.
Tannhäuser, der zur Liebesgöttin Venus in den siebten Himmel der Liebe zog, ist ein Mann des Widerspruchs. In der Venusfliegenfalle fühlt er sich inzwischen trotz aller Reize, die sich ihm bieten, wie ein Sklave, der zur Freiheit drängt. Er verlässt seine Geliebte und ihr Lotterbett und kehrt in seine irdische Welt zurück. Von seinen am Hofe des Landgrafen von Thüringen lebenden Sängerkollegen wird er mit Begeisterung wieder aufgenommen und zur Wartburg geleitet. Dort lebt Elisabeth, Nichte des Grafen, die längst ein Auge auf Tannhäuser geworfen hat und sich über die Rückkehr des Liedermachers sichtlich freut. Tannhäuser erinnert sich der Dame und stürmt ihr leidenschaftlich entgegen.
Zur Ehren von Tannhäusers Heimkehr in den illustren Wartburgkreis richtet der Landgraf ein Medienspektakel besonderer Art aus: ein Sängerfest, im Fernsehdeutsch würde es »Song Contest« heißen, wird veranstaltet. Als »Goldene Henne« für den siegreichen Sänger wird Elisabeth ausgesetzt. Die Show scheint bereits gelaufen, bevor sie überhaupt begonnen hat, denn der Hauptgewinn hat sich bekanntlich längst entschieden. Unter den Augen von Fernsehkameras wird alles medienwirksam inszeniert: es gibt sogar einen Sponsor, der die Veranstaltung unterstützt, die »Brauerei Rödelheim«. Bekannt nach dem Frankfurter Stadtteil, in dem die Oper ihre Probebühne betreibt, wird damit ironisch Bezug genommen auf die Werbung der Bierfirma Radeberger. Diese wirbt seit Jahren medial äußert geschickt mit dem herrlichen Ambiente der Dresdner Semperoper, die seitdem als »schönste Brauerei Deutschlands« gilt.
Auf der Schaubühne kommt es derweil zum Eklat. Lieder über »Das Wesen der Liebe« werden von den Sängern erwartet. Wolfram von Eschenbach beginnt. Er schwelgt im Stil der Zeit über den »Wunderbronnen«, in den sein Geist »voll hohen Staunens blickt«. Niemals trüben, sprich: berühren, wolle er diesen Brunnen, »in Anbetung« möchte er sich »opfernd üben«. Elisabeth weiß, was bei einem derartig verklemmten Lover auf sie zukommt, und auch Tannhäuser hält es bei diesen Worten nur schwer auf seinem Platz. Er widerspricht: »Des Durstes Brennen muss ich kühlen, getrost leg ich die Lippen an. In vollen Zügen trink ich Wonnen.« Und schon gibt es Krach. Die Tugendwächter treten auf den Plan, und es dauert nicht lange, bis die Mullahs ihre Messer wetzen, um die eingeschränkte Definition von »brünstiger Liebe« und damit die »Ehre« der Damen zu verteidigen.
Als Tannhäuser schließlich in Rage gesteht, mit Madame Venus gelebt zu haben, ist das Chaos komplett. Schließlich geht es im Grundsatz darum, ob Frauen als Heilige angebetet werden müssen oder auch Menschen aus Fleisch und Blut mit körperlichen Gefühlen sind. Es geht um das Rollenverständnis der Frau zwischen den Extremen Heilige und Hure. Die Ajatollahs von der Wartburg beziehen in dieser Frage klar Position, wenn auch die konkret gelebte Moral der Herren ein wenig anders gewesen sein mag. Offiziell gilt die Haltung des Liedermachers jedenfalls als schwerer Verstoß gegen höfische Codices und Moral, wenngleich Elisabeth erkennbar Position für den Lebemann bezieht. Tohuwabohu tobt! Ein Blutbad kann gerade noch verhindert werden. Doch die Gemeinschaft verstößt Tannhäuser und verpflichtet ihn zu einer Pilgerfahrt nach Rom, wo er den Papst um Vergebung für seine Sünden bitten soll.
Tannhäuser kehrt nach einem Jahr im Kreis der Pilger weder heim, doch der Papst hat ihm die Lossprechung von seinen Sünden versagt. Auf der Wartburg ist damit kein Platz für ihn. Konsequent zieht es den Dichter wieder zu seiner Liebesgöttin zurück, und er fällt erneut in die Venusfliegenfalle. Elisabeth hat sich derweil von ihrem platonischen Verehrer Wolfram von Eschenbach Sterbehilfe geben lassen: sie wird in Abweichung vom Libretto von ihm bei seinem »Lied vom Abendstern« erwürgt. Tannhäuser wendet sich innerlich zerrissen vom Venusberg ab, als er erkennt, dass Elisabeth den Freitod wählte, um seine Schuld zu sühnen. Statt ebenfalls, wie Wagner es vorschreibt, zu sterben, wandert er in eine unbekannte Zukunft.
Die Oper Frankfurt präsentiert Wagners fünfte Oper in der ursprünglichen Dresdner Fassung. Die unter Leitung von Paolo Carignani agierenden Musiker spielen betörend. Der bei Wagner so extrem wichtige Chor geriet im ersten Aufzug völlig außer Kontrolle. Die sängerischen Leistungen sind durchwachsen, und Bariton Christian Gerhaher ist das Stimmwunder der Inszenierung. Als Wolfram ragt er deutlich hervor, und hätte tatsächlich der beste Sänger den Streit gewonnen, dann wäre die gute Elisabeth jetzt mit einem Spießer mit Stimme liiert. Insgesamt vermittelt die Inszenierung eine Leichtigkeit, die den Zugang zum Stück erleichtert und aus den sonst meist düsteren »Tannhäuser«-Interpretationen im wahrsten Wortsinn ein Highlight macht.
Nun ist der zentrale Konflikt beim »Tannhäuser« die Zerrissenheit zwischen der fleischlich-leidenschaftlichen Liebe, die der Held mit Venus erlebt und der »ritterlichen« Liebe, die den spießigen Minnesängern als einzig wahre gilt. Dieser Konflikt kulminiert im Sängerstreit des zweiten Aufzuges. In einer relativ schnellen Abfolge aufeinander prasselnder Arien, gerät die Künstlergilde in Streit und überwirft sich. Wer hier den textlichen Anschluss verpasst, hat schlechte Karten. Richard Wagner selbst hat sich eindeutig dazu geäußert, als er meinte, schön könne ein Klang nur sein, wenn er tieferen Sinn vermittelt. Der Komponist legte Wert »größte Deutlichkeit, und zwar zunächst der Sprache, zu halten. Eine leidenschaftliche Phrase muss verwirrend und kann abstoßend wirken, wenn ihr logischer Gehalt unerfasst bleibt; um diesen von uns mühelos aufnehmen zu lassen, muss aber die kleinsten Partikel der Wortreihen sofort deutlich verstanden werden können.« Darauf verzichtet Regisseurin Vera Nemirova weitgehend. Unter dem Aspekt eines falsch verstandenen Wagner-Purismus wird dem Publikum sogar die Übertitelung versagt, was sich als ernste Fehlentscheidung erweist.
Aus heutiger Sicht ist der Disput über den Liebesbegriff der sagenumwobenen Minnesänger nur noch theoretisch nachvollziehbar. Die Modernität Tannhäusers erschließt sich uns intellektuell, dabei bleibt sein Frevel schwer zu verstehen. So bleibt die Frage, ob ein zeitgenössischer Tannhäuser nicht wesentlich drastischer gegen Moral und Etikette verstoßen müsste, um die Rolle des Außenseiters beziehen und damit eine echte Polarisation ermöglichen zu können.
Was ist eine hyperaktive Oper?
Prost!
LillY
Hyperaktiv nenne ich eine Oper, die in einem Jahr elf Premieren durchziehen will. Das berührt die Grenzen der Leistungsfähigkeit, und das kann dem Ganzen abträglich sein.
Ein Prosit nach Wien!
Rupi
Oh, das scheint tatsächlich etwas viel zu sein. Und wie viele waren es letztes Jahr?
Selbst größere Häuser begnügen sich mit fünf bis sechs pro Spielzeit. Eure Staatsoper in Wien zeigt in dieser Saison beispielsweise sechs Premieren (im März übrigens eine bestimmt sehenswerte »Manon«).
Voriges Jahr waren es sogar 13. Hab gerade nachgesehen, 2005 auch und 2004 sogar 15. Schluck, kann das die Oper überhaupt einspielen, was das kostet?
Glaubst Du denn ernsthaft, die Wiener arbeiten wirtschaftlich und werden nicht hoch subventioniert‘?
Aaaaalso, wenn du dir den Ioan Holender anhörst, dann nicht. Er verdient ja mit dem Opernball ein schönes Gerstel. 😉 (Im Ernst, er sagt, er hat die größte Auslastung *hüstel mit den vielen Freikarten, die da ja auch reinfallen, bzw, Regiekarten hüstel aus*). Die Subvention der Staatsoper wird meines Wissens nicht extra ausgehoben – muss ich einmal in der Rathauskorrespondenz nachwassern. Insgesamt liegt sie für die Bundestheater bei 133 Mio, die auf Staatsoper, Volksoper, Akadamietheater und Burg fallen.
Die Tannhäusersage ist immerhin fast 1000 Jahre alt, man merkt es hie und da… mir stellt sich die Frage, wie sich die alte Sage in neues Gewand kleiden sollte.
Gegen welche Konventionen kann man denn noch derart verstoßen, daß man aus der Gemeinschaft ausgestoßen würde? Auf sexuellem Gebiet, um nah an der Vorlage zu bleiben, wäre wohl Homosexualität nicht ausreichend, weil mittlerweile einigermaßen gesellschaftlich anerkannt; da müßte schon Zoophilie, Nekrophilie oder gar – horribile dictu – Pädophilie eingeführt werden. Oder aber man geht ganz weg von der Verhaltensmoral und führt statt ihrer eine politische Haltung an, möglcihst mit ausgestrecktem rechtem Arm und rot-weißer Armbinde… das hieße aber Wagners eigene politische Überzeugung aufs Ärgste strapazieren.
Ebenso stellt sich die Frage, wer eigentlich moralische Instanz ist in unserer Gesellschaft, denn allgemeingültige Instanz ist der Papst in Rom schon lange nicht mehr.
Und das ist denn auch die Frage, die ich mitnehmen werde, auch wenn sie hier am off-topic langschrammt: wer bestimmt eigentlich in unserer Gesellschaft, was gut ist und was böse? In einer Gesellschaft, die mehr und mehr Moral durch „Ethik“ ersetzt, ohne aber der Ethik eine höhere Legitimation geben zu können als die Autorität derselben Menschen, die sich ihr beugen sollen? Damit können diese Menschen sie aber ablehnen, wohingegen Tannhäuser den Papst als übergeordnete Autorität anerkennen **mußte.**
wie wär’s, wenn man das ganze eben als nicht zeitgenössich versteht – so war das damals. alles andere, was sich anböte, wäre sicher eine heikle angelegenheit und würde wohlmeinende mahner auf den plan rufen – siehe idomeneo
Tannhäuser ist also ein in Sinnlichkeit und Keuschheit tief gespaltener Mensch.
Zwiespalt in seiner Natur.
In seiner Sucht nach Lebenserfüllung, irrt er zwischen Extremen hin und her.
Zwischen der ‚höheren‘ und der ’niederen‘ Liebe.
Zwischen Elisabeth und Venus.
Elisabeth hat er verlassen, um dem Ideal der freien Liebe zu leben. Doch sobald er in deren Genuß gelangt ist, sehnt er sich aus der Welt des zeitlosen Sinnesrausches, wieder in die Welt die Schmerz und Leid kennt.
„Frau Venus, meine schöne Frau,
Von süßem Wein und Küssen
Ist meine Seele geworden krank;
Ich schmachte nach Bitternissen.
Wir haben zuviel gescherzt und gelacht,
Ich sehne mich nach Tränen,
Und statt mit Rosen möcht ich mein Haupt
Mit spitzigen Dornen krönen.“
Dionysisch – Apollinisch, oder auch: er ist heimatlos.
Armer Kerl.
Irgendwie repräsentiert Tannhäuser also einen sehr realen Typ, der uns auch im Leben immer wieder begegnet. Oder was meinst Du, Mylady?
Zustimmung!
Tannhäuser ist ein reales Ideendrama, mit einem künstlichen Paradies. Da passen viele rein.
Und unterm duft’gen Schleier,
So oft der Lenz erwacht,
Webt in geheimer Feier
Die alte Zaubermacht.
Es grüßt dich herzlich,
Mylady
sind frauen da anders? ich weiß einen sinnesrausch durchaus zu schätzen und auch die freie liebe ist kein problem – solange es meine freie liebe ist 😉
Gern doch, Tannhäuserin, ich sehe da keine geschlechtliche Fixierung