Pünktlich zum 150. Geburtstag des italienischen Komponisten Giacomo Puccini, der am 22. Dezember 1858 in Lucca das Licht der Welt erblickte, wurde jetzt einer seiner brillantesten Werke, die Oper »La Bohème«, verfilmt. Besetzt mit dem aktuellen Traumpaar der Opernwelt, Rolando Villazón und Anna Netrebko, läuft der Opernfilm ab 23. Oktober in Berlin und dann ab 6. November in ganz Deutschland in den Kinos.
Opernfilme sind seltene Kleinodien in der Filmlandschaft. Regisseur Carmine Gallone hatte sich im Italien der Nachkriegszeit auf dieses Genre spezialisiert. Er setzte für seine Opernfilme Schauspieler ein, die in den Gesangspartien eine Synchronstimmeerhielten. Im Gegensatz dazu besetzte Regisseur Franco Zeffirelli seine Opernfilme mit Sängern. Er versuchte sich 1982 übrigens auch an Puccinis »La Bohème«. Weltberühmt wurde »Die Zauberflöte«, die Ingmar Bergman 1974 produzierte. Doch eine der schönsten Opernverfilmungen stammt von Francesco Rosi: er besetzte 1984 »Carmen« mit Julia Migenes und Plácido Domingo und verzauberte damit sein Publikum.
Robert Dornhelm spielt gleich mehrere Trümpfe aus. Der in Rumänien geborene und dann nach Österreich emigrierte Regisseur wählte zum einen mit »La Bohème« einen der leidenschaftlichsten Klassiker des Musiktheaters. Zum zweiten setzte der inzwischen in Los Angeles lebende Filmemacher auf das Traumpaar der aktuellen Opernwelt: die Hauptrollen werden von der russischen Sopranistin Anna Netrebko als die sterbenskranke Mimi und dem mexikanischen Tenor Rolando Villazón als Dichter Rodolfo gesungen und gespielt.
Wer Netrebko & Villazón live auf einer Bühne gesehen hat, beispielsweise 2005 in Giuseppe Verdis »La Traviata« in Salzburg, der spürte damals schon, dass diesem Duo ein kometenhafter Aufstieg beschieden war. Denn neben der natürlichen Spielfreude und einem großen schauspielerischen Talent sind beiden Stimmen eigen, die ihresgleichen suchen. Beiden nahm man die Leidenschaft auf der Bühne ab, endlich wurden die großen Gefühle, die in der Oper dargestellt werden sollen, in Gesang, Mimik und Gestik glaubhaft gemacht. Auf der Bühne loderte zwischen beiden ein Feuer, das auf das Publikum übersprang und es in Brand setzte. Es gibt zwischen Salzburg, München und New York derzeit keine Besetzung, die ein tragisches Liebespaar überzeugender verkörpern könnte als diese beiden Opernsänger. Damit hat die Verfilmung von »La Bohème« schon aus dem Stand heraus gewonnen.
Der Opernfilm »La Bohème« steht vor der Problematik, es zwei Zielgruppen recht zu machen. Das reine Abfilmen einer Opernbühne wäre keine besondere Leistung und würde wohl auch keinen Nicht-Operngänger zum Kinobesuch animieren. Der klassische Kinogänger hingegen, der vielleicht noch nie eine Oper besucht hat, muss einen 106 Minuten langen Film überstehen, in dem ausschließlich (bis auf ganz wenige Sekunden) auf Italienisch, wenn auch mit Untertiteln, gesungen wird. Der Regisseur absolviert diese Gradwanderung mit Bravour. Dabei nutzt er den wesentlichen Unterschied des Films im Vergleich zur Bühne, dass nämlich die vierte Wand im Film geschlossen ist. Es gibt kein Publikum, das die Schauspieler beachten müssen, sie können sich um die eigene Achse drehen und die Kameras und damit die Zuschauer sind hautnah mit dabei.
Auf der anderen Seite inszeniert Dornhelm die Oper in einer Kulisse, die eine Bühne sein könnte und dennoch mehr ist. Seine Kamera fährt durch das ärmliche Dachgeschoss, in dem die Künstlerfreunde, die Bohèmiens, hausen, hungern und frieren. Er zieht mit ihnen durch verwinkelte Gassen mit Kopfsteinpflaster und in das legendäre Künstlercafé Momus, wo sie rauschend feiern. Er zieht immer wieder mit ihnen ins Freie, wo Feuerschlucker, Stelzengänger und Bläser den Weihnachtsabend in ein Jahrmarktsfest verwandeln, und es ständig schneit (durchaus malerisch, aber insgesamt doch deutlich übertrieben). Dennoch wirkt alles wie ein künstlich geschaffenes Bühnenbild, wie es auch in den Opernhäusern von Hamburg, Berlin oder München möglich wäre.
Gelegentlich blendet der Regisseur in Schwarzweiß Szenen ein, die zum Verständnis der Erzählung beitragen und nicht direkt in den Handlungsverlauf greifen. So wird manches verdeutlicht und sehr viel anschaulicher als es auf der Opernbühne möglich ist. Da kommt beispielsweise einer der Künstler, der Musiker Schaunard, mit Geld und Leckereien von einem Job zurück. In einer kurzen Arie erzählt er, wie es ihm ergangen ist, und Schwarzweißeinblendungen verdeutlichen es: der Musiker erhielt den Auftrag, einem unbegabten Alten beim Klavierspielen zu helfen, er sollte so lange spielen, bis dessen Papagei tot von der Stange fällt. Statt zu musizieren, vergiftete er den Vogel und fiel über das Hausmädchen her, um damit das zu tun, was einem echten Bohèmien gemäß ist. Der große Vorteil des Films gegenüber der Bühnendarstellung liegt nun gerade darin, derartige Details sichtbar zu machen, die sonst nur im Kopf weniger Operngänger entstehen, die mit dem Text vertraut und entsprechend phantasiebegabt sind.
So erschließt sich schnell die Handlung des Vierakters: Rodolfo und Mimi verlieben sich, sie gehen auseinander, finden wieder zueinander, und Mimi stirbt schließlich an Schwindsucht in einem Melodram großer Gefühle. Darum herum agieren Künstlerfreunde und ihre Mätressen. Eine simple Geschichte, wie geschaffen für großes Kino.
Punktabzug für diesen Film gibt es für den Ton. Im Film kommen alle Stimmen, obwohl alle Darsteller erkennbar singen, vom Band. Es ist eine Playback-Produktion, die Originalaufnahme stammt aus einer Aufzeichnung der konzertanten Aufführung von »La Bohème« in der Münchener Philharmonie am Gasteig unter dem Dirigat von Bertrand de Billy. Dieser Musik, und das ist störend, wurden immer wieder seltsame Knarr- und Quietschgeräusche unterlegt, die ein flackerndes Feuer, Schritte auf Dielenbrettern und das Stöhnen einer Chaiselongue darstellen sollen und den reinen Genuss der Musik verunreinigen.
Insgesamt ist »La Bohème« eine Zuckerschnitte, die sicherlich dem ein oder anderen Besucher Appetit machen wird, einmal eine »richtige« Oper zu besuchen. Der Film ist ein Muss für jeden, der Musik liebt und sich für knapp zwei Stunden in die Zeit der Pariser Bohème versetzen lassen möchte. Dabei können Handschuhe und Schal daheim gelassen werden, denn spätestens wenn Rodolfo seine Mimi mit der Arie »Wie eiskalt ist dies Händchen« anschmachtet, wird einem warm ums Herz.
Ich habe gestern schon die Bilder gesehen die du aufgeladen hattest, und zu allererst an das Boheme Plakat von Jamie Wyeth gedacht, das er für die Met gemalt hat. Schön kitschig, fast unreal!
Die Nebengeräusche werden mich nicht stören, das fand ich schon in Loseys Don Giovanni nicht schlimm (obwohl man da wenigstens deutliche Unterschiede zwischen der Einspielung auf Tonträger und dem Film bemerkt, es muß wohl live gesungen worden sein)
Kurz: Ich werde mir den Film ansehen, obwohl ich ja kein Netrebko Fan bin wie du weißt. Die von dir erwähnte Carmen lief hier in einem meiner Lieblingskinos jahrelang als Sonntagsmatinee, ich glaube ich habe sie 15mal gesehen…
Du hast vollkommen recht: einen OPERNfilm muss man eigentlich in einem FilmTHEATER genießen, doch davon gibt es nur noch sehr, sehr wenige.
Ich vermute stark daß dieser Film auch in dem Kino laufen wird, denn wie du sagst ist es DER geeignete Rahmen dafür. Da freu ich mich schon richtig drauf!
Wieder ein deplatzierter Kommentar, ich hasse das…
Hallo Rupi,
gespannt habe ich ja auf deine Filmbesprechung gewartet.
Schon rein von der Optik her sind Rolando Villazón und Anna Netrebko ein Traumpaar. Meine ungeübten Ohren sind für Stimmaussagen nicht geeignet, als Laie hört sich für mich
vieles gigantisch an, auch dann noch, wenn der Opernkenner den Daumen nach unten senkt. Deshalb ist es für mich interessant deine
Beurteilung zu lesen.
Ja, ich denke auch, dass es eine Gratwanderung ist einen Opernfilm zu drehen, der sowohl dem Kinogänger als auch dem Opernkenner gerecht wird.
Du erwähnst die Playbackstimmen und die Filmgeräusche,
sind die Mundbewegungen synchron oder ist es offensichtlich zu sehen ?
Gruß von Pointy
Wunderbar, wie Du für dieses Kino-Opern-Schmankerl wirbst. Ganz bestimmt tragen solche Produktionen zur Verbreitung und weiteren Beliebtheit der OPER bei. Sie sind einfach schön und das reicht dann auch. Daneben haben natürlich Inszenierungen wie die Bestmannoper oder Le Grand Macabre, die wieder andere Fans bedienen, auch ihre Berechtigung. Es ist die Vielfalt, die unsere Kultur so wertvoll und schön macht.
L.G. Brunopolik
Die Mundbewegungen sind synchron, die Darsteller durften während der Aufnahmen kräftig singen. Das passt gut, mich störten, wie gesagt, lediglich die gelegentlichen „Livegeräusche“, die unterlegt wurden. Aber das ist bei der Gesamtbeurteilung zu vernachlässigen. Bin gespannt, wie du den Film findest!
Das sind die Segnungen der Systemver»besser«ungen
Ich glaube auch, dass mit derartigen Produktionen ein Interesse in Schichten ausgelöst wird, die sich vielleicht nicht in die Oper trauen (Schwellenangst ist meiner Ansicht nach extrem hoch) oder sie sich schlicht und einfach nicht leisten können/wollen. Unabhängig davon stehen ambitionierte Oper wie die von dir beschriebenen, die allerdings eine erfahrenes und entsprechend interessiertes Publikum ansprechen.
Also ich habe mir Bohème am Samstag im Kino angeschaut und ich bin wirklich begeistert ! Anna und Rolando haben wirklich toll gespielt (natürlich auch gesungen ^^)
Grüße Christina
Danke für diese Rückmeldung. Ich hoffe, der Film wird insgesamt gut angenommen!
Ich als Netrebko-Fan bin ja schon lang auf den Film gespannt und hoffe, daß ich die Gelegenheit finde, ihn mir im Kino anzusehen (was vor allem voraussetzt, daß er in meiner Nähe gezeigt wird). Aber auf jeden Fall hat mir deine Empfehlung zusätzlichen Ansporn zum Anschauen gegeben :yes:
Die Einspielung der Oper mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Bertrand de Billy liegt auch als Doppel-CD der Deutschen Grammophon (477 6600) vor, und der Opernfilm selbst wird sicher bald als DVD heraus kommen. Aber in einem schönen Kino mit leistungsfähiger Anlage ist es natürlich ein sehr viel größerer Genuss.
Richtig 🙂 Von der Veröffentlichung auf CD hatte ich auch schon gehört, aber sie bisher noch nicht gekauft, da Oper bei mir zumeist im Winter eher oben an steht als im Sommer 😉
Von Anna Netrebko erscheint ja jetzt auch ein neues Soloalbum.
Also (wie ich auch in meinem Blog unlängst geschrieben habe) ich habe mich mit NFP, dem Filmverleih bei dem Bohème rauskommt, in Verbindung gesetzt von wegen Erscheinungsdatum und diese meinten, die Filme werden ca ein halbes Jahr nach Start auf DVD veröffentlicht, dass bedeutet also ca im März/April. Der eigentliche Soundtrack von Bohème – also die konzertante Version von München 2007 – ist schon im Mai erschienen und die „Filmmusik“ wie DG sie nennt ist kurz nach Start von Bohème veröffentlicht worden. Dies finde ich allerdings schon ein bisschen unverschämt, da es sich im Prinzip genau um die gleiche CD handelt die auch schon im Mai erschienen ist, also nur reine Geschäftemacherei…=( Ich freu mich aber schon wirklich sehr auf Souvenirs, dass ja am Freitag erscheint. Einen besseren Mezzo für die Barcarolle hätte sich Anna wirklich nicht suchen können ! Ihre Stimmen harmonieren meiner Meinung perfekt miteinander =)
Nur zur Ergänzung: mit der Mezzo-Sopranist ist Elina Garanca gemeint.
Oh ja genau, dass hab ich unter den Tisch fallen lassen, wer eigentlich gemeint ist ; )