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»Eugen Onegin« heißt die mitreißende russische Oper von Pjotr Iljitsch Tschaikowski aus dem Jahre 1879, die auf dem gleichnamigen Versroman von Alexander Puschkin aus dem Jahre 1830 basiert. Die Handlung dreht sich um die komplexen Beziehungen und Emotionen ihrer Hauptfiguren, die in einer Gesellschaft des 19. Jahrhunderts in Russland verwickelt sind. Die Oper Barcelona zeigt derzeit das Stück in einer Inszenierung von Christof Loy. Ruprecht Frieling besuchte die Premiere.
Die Handlung
Die Geschichte beginnt mit dem jungen Dandy Eugen Onegin, der sein Erbe in der ländlichen Gegend Russlands antritt und dort seinen Nachbarn, den jungen Poeten Lenski, kennenlernt. Lenski verliebt sich Hals über Kopf in Olga, die lebenslustige Schwester von Eugens Nachbarin Tatjana. Eugen hingegen ist Zyniker in Liebesdingen und rät Lenski, seine Emotionen zu zügeln.
Die Handlung nimmt an Fahrt auf, als die in sich gekehrte, in der Welt der Bücher verhaftete Romatikerin Tatjana sich in Onegin verliebt und ihm in einem Liebesbrief ihre Gefühle gesteht. Onegin, der die Liebe verachtet, weist ihre Avancen ab und flirtet demonstrativ mit ihrer Schwester Olga. Dies wiederum entfacht Lenskis Eifersucht, und so kommt es zu einem Pistolenduell zwischen den beiden Freunden, bei dem der Dichter tödlich verwundet wird.
16 Jahre später trifft Onegin Tatjana wieder, die inzwischen mit einem anderen Mann verheiratet ist. Diesmal ist es Onegin, der sich um sie bemüht. Tatjana bleibt jedoch ihrem Ehemann treu, wenngleich sie Onegins Gefühle erwidert. Die Oper endet mit Onegins Reue über seine vergangenen Entscheidungen und seine Einsamkeit in tiefem Moll.
Die Musik
Die Musik von Pjotr Iljitsch Tschaikowski in seiner wohl bekanntesten Oper »Eugen Onegin« ist geprägt von einer tiefen Emotionalität und einem bemerkenswerten Sinn für Melodie und Harmonie. Tschaikowski war ein Meister der musikalischen Charakterisierung, und in seinem Drama gelingt es ihm, die Gefühle und Persönlichkeiten der Charaktere auf eindrucksvolle Weise durch seine Musik darzustellen. Er selbst charakterisiert sein Werk als »lyrische Szenen« und vermeidet den Begriff »Oper«.
Tschaikowski schrieb leidenschaftliche, lyrische Melodien, die die Emotionen der Figuren intensivieren. Besonders Tatjanas Arie im ersten Akt, in der sie Onegin ihre Liebe gesteht, ist ein herausragendes Beispiel für die emotionale Kraft von Tschaikowskis Musik.
Der Komponist verwendet verschiedene Orchesterfarben, um die verschiedenen Stimmungen und Szenen der Oper zu unterstreichen, sei es die melancholische Musik Russlands, die fröhlichen Tänze bei einem Ball oder die dramatische Spannung während des Duells. Als Einzelstück bekannt ist die von Trompetenklängen eingeleitete Polonaise als Einleitung zum 3. Akt.
Tschaikowski verwendet Motive, um die Charaktere der Oper zu kennzeichnen. Jede Hauptfigur hat ihr eigenes musikalisches Motiv, das im Verlauf der Oper variiert wird, um ihre Entwicklung und Veränderung im Laufe der Handlung widerzuspiegeln.
Die Oper enthält duettartige und ensembleartige Passagen von dramatischer Intensität. Tschaikowski nutzt auch den Chor, um die soziale Dynamik und die Stimmung der Gesellschaft im 19. Jahrhundert in Russland darzustellen. Die Chorszenen vermitteln ein Gefühl für die Traditionen, Erwartungen und Normen dieser Zeit.
Mit »Eugen Onegin« schuf Tschaikowski eine Oper von emotionaler Tiefe und musikalischer Raffinesse. Seine Fähigkeit, die Gefühle und Motive der Charaktere durch die Musik auszudrücken, macht dieses Stück zu einem Meisterwerk des russischen Musiktheaters.
Wer ist Onegin?
Eugen Onegin, der Protagonist der nach ihm benannten Oper, wirkt besonders zu Beginn der Geschichte zynisch und distanziert. Er verachtet die Konventionen der Gesellschaft und betrachtet sich selbst als einen Skeptiker, der über den Emotionen und romantischen Vorstellungen anderer steht.
Im Laufe der Geschichte durchläuft Onegin indes eine Entwicklung. Seine Zurückweisung von Tatjanas Liebe und sein Duell mit Lenski führen zu tragischen Konsequenzen, die ihn selbst stark beeinflussen. Jahre später, als er Tatjana wiedersieht und sich in sie verliebt, zeigt er Reue für sein früheres Verhalten. Dies zeigt, dass Onegin in gewisser Weise seine Menschlichkeit und Empfindsamkeit entdeckt und seine anfängliche Gleichgültigkeit überwindet.
Die Oper spielt mit den sozialen Normen und Konventionen des 19. Jahrhunderts in Russland. Sie zeigt, wie diese Normen die Entscheidungen und das Verhalten der Charaktere beeinflussen und dazu führen können, dass Menschen sich unglücklich fühlen oder gegen ihre eigenen Gefühle handeln. Dabei geht es unter anderem auch um Verbindungen aus tief empfundener Liebe im Gegensatz zur gesellschaftlich verabredeten Ehe, die Tatjanas Kindermädchen bereits mit 13 Jahren durchleben musste.
Die Oper beleuchtet auch die verschiedenen Facetten der Liebe, von der leidenschaftlichen und romantischen Liebe von Tatjana bis zum zynisch-egozentrischen Verhalten des Machos Onegin.
Inszenierung in Barcelona
Die für das Gran Teatre del Liceu in Barcelona von Christof Loy in Szene gesetzte Oper teilt die Oper in zwei kontrastierende Hälften mit den Titeln »Solitude« und »Loneliness«, um die Oper zu einer Art Meditation über den Zustand des Alleinseins zu machen.
In der ersten Hälfte wird die Geschichte hauptsächlich aus der Sicht von Tatjana erzählt, die versucht, sich von den Menschen und Situationen um sie herum zu distanzieren.
Die zweite Hälfte hingegen – beginnend mit dem Duell zwischen Lenski und Onegin – erzählt die Geschichte als kontinuierliche, traumartige Sequenz, die durch das Bühnenbild von Herbert Murauer optisch verstärkt wird.
Letztlich geht es bei »Eugen Onegin« um die tiefen emotionalen Konflikte von verliebten jungen Leuten, das schlechte Timing in der Liebe und gesellschaftliche Zwänge. Es geht um die Frage nach dem Sinn des Lebens und um den richtigen Augenblick für weitreichende Entscheidungen. Die Inszenierung von Christof Loy lässt das Seelendrama der Figuren emotional weitgehend offen und wirkt trotz mitreißender Musik und großartiger Stimmen unscharf. Dabei trägt die Stimme von Kristina Mkhitaryan in der Zweitbesetzung der Tatjana stärker als die von Svetlana Aksenova in der Premierenbesetzung.
Kristina Mkhitaryan
Während die zweite »Halbzeit«, die mit dem Duell beginnt, tempo- und spannungsreich ist, bleibt der erste Teil blass und müde. Loys Regiearbeit bleibt konventionell und liefert kaum einen Ansatz, den Klassiker neu zu denken. Unverständlich bleibt auch, warum Lenski nach seinem Tod plötzlich wieder aufersteht. Hier ruht sich jemand auf seinem Bekanntheitsgrad als Regisseur aus, statt zu brillieren. Kein Wunder, dass sowohl bei der Generalprobe wie bei der Premiere einige Besucher den Heimweg antraten.