Truman Capote verzichtete bewusst auf die üblichen Reporterutensilien wie Tonband oder Diktiergerät, er nutzte nicht einmal Stift und Papier bei seinen Interviews. Der Autor setzte lediglich sein Hirn als Speichermedium ein, weil er der Überzeugung war, nur so eine natürliche Beziehung zwischen den Interviewpartnern (dem nervösen Kolibri und dem Vogelfänger, wie er es nannte) herstellen zu können. Die Ergebnisse dieser Arbeitsmethode lässt sich jetzt in geballter Form in seinen gesammelten Reportagen und Porträts nachlesen, und ich gestehe neidlos: Capotes Texte sind gnadenlos gut.
Eingeleitet wird der voluminöse Band nicht-fiktionaler Texte von Capotes umfangreichem Konversationsporträt des exzentrischen Schauspielers Marlon Brando, den er in einem Hotel in Kyoto während der Dreharbeiten zum Liebesmelodram »Sayonara« besuchte. Er schildert den Charakterdarsteller als »Fürst in seinem Reich« und nutzt Brando zugleich als Versuchskaninchen, um eine neue Art des journalistischen Schreibens auszuloten.
Capotes Ansatz lautete, eine Reportage ebenso anspruchsvoll zu schreiben wie jede andere Art Prosa, sei es Essay, Kurzgeschichte oder Roman. Im Erscheinungsjahr 1956 war das ein Wagnis, und Capote schildert den Ausgangspunkt seiner Überlegungen: »Was ist die niederste Stufe des Journalismus? Anders gefragt, welcher Dreck lässt sich am schwersten zu Geld machen? Antwort, ganz klar: Interviews mit Hollywood-Stars, dieses unerträgliche Promi-Gelaber. So etwas zur Kunst zu erheben, wäre eine echte Aufgabe.«
Capote gelang mehr als das: seine journalistischen Texte lesen sich wie Literatur und wurden zu einer eigenen Kunstform. Seine Reportagen und Porträts sind Kampfansagen an eine zunehmend unverständliche Sprache der so genannten Hochliteratur, die sich auf rein formale Spielereien und auf die Vernachlässigung der Alltagsstoffe kapriziert. »Schlicht sollen sie sein, meine Sätze, und klar wie ein Gebirgsbach«, lautete sein sprachliches Credo, während er bei seinem Stil besonderen Wert legte auf die Gestaltung »statischer« Textteile, mit denen er seinen jeweiligen Gesprächspartner und die Stimmung des Interviews herausarbeitete.
Eine gewalttätig knisternde Spannung liegt auf seinem Gespräch mit Robert Beausoleil, einem Dauergast im Hochsicherheitstrakt von San Quentin in Kalifornien. Der Leser spürt unmittelbar den mörderischen Atem der wohl schillerndsten Gestalt aus der Charles-Manson-Sekte, der sich im Gefängnis zum Anführer der faschistischen »Arischen Bruderschaft« erhob.
Ganz anders und nahezu beschwingt schilderte Capote das Tagewerk der Mary Sanchez. Er begleitet die Putzfrau auf ihren Einsatzorten in New York und erfährt dabei enorm viel über sie wie über die Bewohner der Appartements, die sie putzt. Sanchez erträgt ihre Arbeit als Putzteufel, indem sie immer wieder zu einer kleinen Blechschachtel greift, in der sich eine Ansammlung von Jointkippen befindet. Irgendwann gelingt es ihr, Capote zum Mitrauchen zu animieren und darauf bekommt die Story einen wundervoll leichten, geradezu bekifften Touch.
In »Versteckte Gärten« wiederum beschäftigt sich Capote in einer Art Selbstgespräch mit seiner Heimatstadt New Orleans. Dazu setzt er sich an einem prachtvollen Frühlingstag in einen uralt gewachsenen Park und reflektiert, was er dort sieht und erlebt. In einem der Gespräche, die der Wind an sein Ohr trägt, streitet sich ein Zuhälter mit einer Frau, die für ihn anschafft, und es wäre kein Text von Capote, wenn die Dame nicht am Schluss der Geschichte wie zufällig vorbei kommt und ihn anspricht.
Wer sich für journalistische Sprache und Stil interessiert, der wird von Capote vorzüglich bedient. Der am 30. September 1924 in New Orleans geborene Autor steht für den »New Journalism«, zu dessen Wegbereitern auch Tom Wolfe, Hunter S. Thompson und Norman Mailer zählen. Sein 1958 veröffentlichtes »Frühstück bei Tiffany« erlangte auch dank der Verfilmung mit Audrey Hepburn große Berühmtheit. Capote begründete 1965 mit seinem Welterfolg »Kaltblütig«, der exakten Aufarbeitung eines blutigen Mordes an einer Farmerfamilie, sogar eine neues Genre: den Tatsachenroman. Truman Capote starb am 25. August 1984 in Los Angeles.
Truman Capote
Die Hunde bellen. Reportagen und Porträts
Kein & Aber, Zürich 2008
ISBN 978-3-0369-5163-8
Capote scheint ja wirklich ein Meister im journalistischen Anpirschen an Interviewpartner gewesen zu sein. Deine Rezession schafft Interesse am Buch und am Autor.
Reze n sion
Unsere Krisenzeiten machen sich schon in meinem Kopf bemerkbar.
Hast du schon mal was von Capote gelesen?
Nein. Hab deswegen auch schon ein schlechtes Gewissen.
Ich habe seinerzeit mit »Kaltblütig« begonnen, das dürfte sein bekanntestes Werk sein. Aber die hier besprochenen kurzen Texte sind als erste Begegnung schon aus dem Grund optimal, weil sie die vielen Facetten seines Schreibens deutlich machen.
Ist schon fazinierend, wie verschieden Autoren an ihre Werke gehen.
Man hört sich wieder, wenn ich aus dem Krankenhaus bin
:wave:
Pack dir Lektüre ein, das macht den Aufenthalt erträglicher und: VIEL ERFOLG!
:wave:
Capote hat mich bislang noch jedes Mal begeistert. Bislang habe ich von ihm „Frühstück bei Tiffany“, einige Erzählungen, „Sommerdiebe“ und zuletzt „Die Grasharfe“ gelesen. Er hatte einen wunderbaren, leisen und irgendwie zwischen Leichtigkeit und Melancholie schwebenden Schreibstil. Ein echter Künstler :yes:
Für seine journalistischen Arbieten habe ich mich bislang allerdings weniger interessiert.
Da bis du weiter als ich. »Sommerdiebe« und »Grasharfe« kenne ich noch nicht.
Mit Truman Capote hast Du wieder einen meiner Kult-Autoren erwischt. Er hat ganz wunderbare Bücher geschrieben. Seine Erzählungen sind Meisterwerke. „Miriam“ !!! Und sein „Frühstück“ sowie „Grasharfe“ – da zeigt sich noch ein Amerika, was man lieben kann und Sehnsüchte weckt. Doch diese Zeiten sind längst dahin.
Ich hoffe natürlich auf Erfolg 😉
Klar habe ich Lektüre mit – könnte doch gar nicht ohne
Ich habe zuletzt seine Erzählung »Handgeschnitze Särge« gelesen, sie ist in dem beschriebenen Band enthalten. Es handelt sich um einen unerhört spannend geschriebenen Tatsachenbericht über ein amerikanisches Verbrechen. Darin wird zugleich auch die gewalttätige Seite Amerikas geschildert
klingt sehr interessant….
🙂
Seit „Kaltblütig“ hat er sich wohl den harten Themen der amerikanischen Gesellschaft zugewandt. Seine ersten Romane und Erzählungen sind reine Poesie.
„Sommerdiebe“ ist ja erst vor einigen Jahren zufällig entdeckt worden – sein eigentliches Debüt, das er selbst aber nie veröffentlicht hatte. Ein wunderbares, sehr poetisches Buch über eine Mädchen, das erstmals alleine einen Sommer in ihrer Heimatstadt New York verbringt, während ihre Eltern auf Reisen sind. Ganz, ganz toll.
In seiner autobiographischen Skizze »Die Stimme aus der Wolke« geht Capote noch davon aus, dass der Text verschollen ist und schreibt: »Der erste (Roman), den ich nie einem Verlag angeboten habe und der mittlerweile verschollen ist, hieß Sommerdiebe und war eine nüchtern erzählte Geschichte mit New Yorker Hintergrund. Wenn ich mich recht erinnere, war er gar nicht mal so schlecht, technisch ausgereift, mit einer interesssanten Handlung, abr ohne Intensität oder Bezug zu meiner persönlichen Lebenssituation einschlißlich ihrer speziellen Leidens und Angstzustände.«
In dem Nachwort zur „Sommerdiebe“-Ausgabe bei Kein & Aber wird darauf eingegangen. tatsächlich scheint er es lange mit sich „herumgetragen“ zu haben. 1982 äußerte er sogar in einem Interview, er habe schon einmal einen ganzen Roman vernichtet. In Wirklichkeit hat er es (gottseidank) nicht getan. Er war wohl ein zeimlich wankelmütiger Geist, was dann auch bei seinen Freunden und Beratern den Ausschlag gegeben hat, den Roman dennoch zu veröffentlichen.
Der Text wurde wohl erst zwanzig Jahre nach seinem Tod gefunden/veröffentlicht, Capote ging 1984 in die ewigen Jagdgründe ein.
Ja, genau. 2004 auf einem Dachboden 😉
Von uns werden sie später höchstens unbezahlte Rechnungen finden, fürchte ich
Ich bin ein viel zu langsamer Leser. Ich sitze schon seit einem gefühlten halben Jahr an Houellebecq, aber das immerhin mit Spaß (:
Und jetzt erinnerst du mich auch noch daran, dass ich ich mir irgendwann mal vorgenommen habe, mir eine deutsche Ausgabe von „The Castle In The Forest“ zu beschaffen, daran werde ich dann nochmal ein gefühltes halbes Jahr sitzen :-/
Und auf Capote bin ich ja sowieso schon seit Ewigkeiten neugierig … und auch wenn die Konzepte völlig verschieden sein mögen, fühle ich mich nach der Beschreibung an Moritz von Uslars „100 Fragen an …“ erinnert.
Und ich sollte endlich aufhören, Absätze immer wieder gleich zu beginnen …
Setze tägliche Lektüre einfach auf deinen Arbeitsplan und nimm dir jeweils eine feste Stunde, in der du liest. Dann kommt Bewegung in die Sache, und du kommst voran. Das Internet verführt uns ja leider alle dazu, nur noch oberflächlich zu lesen und das gute alte Buch zu vergessen. Also, mir hilft in dieser Sache nur Selbstdisziplin, und deshalb empfehle ich sie.
„Kaltblütig“ ist ganz große Klasse und seiner Zeit weit voraus.
Kennst du zufällig auch den Film?
Ja, aber das Buch finde ich besser (wie so oft…).