
Alphornspieler blasen Weisen, die wie die Ouvertüre zu einem Epos über Reinheit, Heu und Heimatliebe klingen.
Mama Lauda im Heustadel
Ein Hochzeitsfest im ländlichen Idyll
Von Prinz Rupi
Wird man als vermeintlich kultivierter Mensch aus Berlin – Großstadtgourmet mit Opernabo, Kulturticket und einem latenten Restglauben an die Zivilisation – zu einer Hochzeit in bajuwarische Gefilde eingeladen, nimmt man das zunächst interessiert und gönnerhaft hin. – Eine Hochzeit in Oberbayern? Jo mei, das wird sicher zünftig. Man stellt sich auf Dirndl, Deko aus Zirbenholz, Edelweiß und einen gepflegten Veltliner im Sonnenuntergang ein.
Die Party beginnt tatsächlich wie aus dem Bilderbuch. Oberbayern empfängt mit Postkartenidylle: grüne Wiesen, auf denen Kühe meditierend wiederkäuen, ein Kirchturm, der verträumt die Stunde läutet, und schneebedeckte Alpengipfel, die wirken, als hätte Caspar David Friedrich sie für ein Heimatministerium drapiert. Die Anfahrt gleicht einem 3D-Panoramafilm mit Live-Muh-Soundtrack.
Die Trauung in einer pittoresken Schlosskapelle ist der feierliche Höhepunkt der Kontemplation. Der Schlossherr ist zugleich Bürgermeister, Standesbeamter und vermutlich auch Feuerwehrkommandant – auf dem Land muss man multitasken. Die Gäste erscheinen in Anzügen, einige in Tracht. Ich fühle mich wie ein Statist in einem kolorierten Heimatfilm der 1950er Jahre und erwarte den Einzug des Bergdoktors.
Ach, wie schön ist unser Bayernland. Das Brautpaar wischt sich Tränen aus den Augenwinkeln, die Gäste sind gerührt – von Gefühl und vielleicht auch von den Kräutern im Begrüßungsschnaps.
Vor dem vom Traditionsverein restaurierten Heustadel – einer rustikal-romantischen Kulisse, in der das eigentliche Fest stattfindet – blasen Alphornspieler Weisen, die klingen wie die Ouvertüre zu einem Epos über Reinheit, Heu und Heimatliebe. Tische mit Karaffen voll Quellwasser, Holzbretter mit Käse in geometrischer Präzision, handgeschriebene Menükarten. Ich nippe an meinem Holunderspritz und denke milde: So feiert man also heute auf dem Land – charmant, rustikal, betulich.
Doch dann …
Die Sonne hat sich schlafen gelegt. Ein DJ übernimmt das Kommando. Er trägt Sonnenbrille, Funkmikro und das Charisma eines Skilehrers auf Mallorca. Seine Begrüßung: »So, ihr Lederhosn, jetzt geht’s richtig ooooooooobbbbbbbbaaaa!« Was in Berlin als Evakuierungsbefehl gewertet würde, gilt hier als Auftakt zur Ekstase. Denn schon geht es los. Die Jäckchen fliegen. Die Tischordnung implodiert. Der Heustadel bebt. Ein kollektiver Urtrieb bricht aus, als habe jemand eine jahrhundertealte Stille durch einen einzigen Bassschlag erschüttert.
Der DJ brüllt ins Mikro: »Wie heißt die Mutter von Niki Lauda?« Und hundert enthemmte Seelen – jung, alt, nüchtern, angeschwipst, jenseits von Gut und Takt – wissen die Antwort und schreien ekstatisch: »MAMAAAAA LAAAAAUDAAA!!!« – Wer redet da von Bildungsnotstand?
Tantchen schwoft mit einem Maßkrug in der Hand. Der Hochzeiter, eben noch zart gerührt vom Trauversprechen, zerreißt das Hemd, als wolle er gleich mit einem Bierzapfhahn verlobt werden. Der vermeintlich weltgewandte Metropolen-Melancholiker mit urbaner Restwürde, versucht hilflos, das Geschehen anthropologisch einzuordnen.
Doch spätestens, als ein Trachtenbursche ruft: »Nicht nachdenken, Oida – einfach MITMACHEN!« steht fest: Das hier ist kein Fest. Das ist eine soziokulturelle Kernschmelze, die sich in einer mitreißenden Polonäse manifestiert.

Auf der Alm da gibt´s koa Sünd – bis der DJ übernimmt und selbst die Kühe zu »Mama Lauda« wippen. Abbildungen: © Prinz Rupi
Mit jedem Beat löst sich ein weiteres Stück des urbanen Selbstbilds. Die Gäste verlieren ihr Taktgefühl – und huldigen einer neuen Religion: »Saufi, saufi!« wird zum Liturgie-Ersatz, sobald einer ein Bierglas erhebt. Zwischen »Layla«, »Cordula Grün« und »Hulapalu« rotiert unermüdlich der Track von Almklausi und dem Duo Specktakel, eine Art musikalisches Perpetuum mobile des Wahnsinns. Und immer wieder fragt der DJ nach dem Namen der Mutter von Niki Lauda!
Draußen krähen die Hähne. Die Kühe wenden sich ab. Drinnen herrscht Ballermann-Atmosphäre mit Heudekor. Alle sind blau wie der Ozean. Menschen tanzen, die vorher in der Kirche noch andächtig das Vaterunser murmelten – jetzt rufen sie nach geistigen Getränken wie einst nach Erlösung.
Und ganz hinten im Halbdunkel des Stadels – ich schwöre es – sehe ich Niki Lauda, Legende des Motorsports. Er nickt. Zustimmend. Verstört. Vielleicht auch nur müde.
PS. Am nächsten Tag erhole ich mich am Chiemsee. Doch ich kann tun, was ich will – der Ohrwurm zur Familie Lauda wummert durch mein Hirn, als habe ich eine neue Droge gekostet: MAMA LAUDA!
© Prinz Rupi 2025
Genial Rupi, wir haben Tränen gelacht!!
Dankeschön, Antje!
Herrlich, welch ein bewusstseinserweiterndes, fröhliches Erlebnis so eine Hochzeit am Land doch sein kann. Beim Lesen hatte ich durchaus das Gefühl, ich wäre dabei gewesen.
Ich müsste nur noch eine Tonspur unterlegen 😉
„Klingt, als wärst du durch einen Alpen-Portal in ein Paralleluniversum gefallen – zwischen Hochzeitsromantik und Heustadel-Rave. Ich beneide dich ein bisschen … aber nur ein ganz kleines bisschen.“
Erwischt! Genau so war’s: Ich bin rücklings in ein Edelweiß gefallen, wurde von einem jodelnden Murmeltier begrüßt und tanzte dann barfuß im Heu, während irgendwo ein Akkordeon Aphex Twin coverte. Kein Wunder, dass ich jetzt immer noch nach Almduft rieche und heimlich nach Dirndln google. Aber keine Sorge – das Paralleluniversum nimmt noch Gäste auf. Ich leg schon mal den Rave-Rosé kalt!
Spitzenbericht.
Herrlich. Danke.✨
Immer wieder gern!